Aussteiger-Programme für Menschen aus der rechtsextremen Szene gibt es einige – wie sie funktionieren, ist aber durchaus unterschiedlich. Schon die Internetseite der neuen „Aussteigerhilfe Bayern“ (ASH e.V.) vermittelt einen anderen Eindruck als etwa staatliche Aussteiger-Programme. So werden auf der FAQ-Seite Fragen beantwortet und bearbeitet wie: „Bleibt mir der Knast erspart, wenn ich mich an den ASH e.V. wende?“, „Für Aussteiger gibt es sofort eine neue Identität, eine Arbeitsstelle und jede Menge Geld, oder?“ und „Wer sich an die ASH wendet, muss die Namen seiner früheren Kameraden nennen, diese verraten und vor Gericht gegen sie aussagen!“ Schon die Art der Fragestellung macht klar: Hier sind Menschen am Werk, die die rechtsextreme Szene nicht nur beobachten, sondern auch verstehen. Und das auch von innen: Etwa die Hälfte der Leute, die sich im Projekt engagieren, sind selbst Szene-Aussteiger.
So auch Felix Benneckenstein, Gründer des ASH e.V. Er selbst war Funktionär der rechtsextremen Szene, hat aber 2010 mit Hilfe der Aussteigerinitiative EXIT-Deutschland der rechtsextremen Szene den Rücken gekehrt. Wärend dieses Prozesses ist ihm und zwei weiteren Aussteigern dann auch die Idee gekommen, eine neue Aussteigerhilfe in Bayern zu gründen. Zu weit sei die Entfernung aus München gewesen: „Wir haben einfach gesehen, dass eine unglaubliche Lücke da ist“. EXIT sei deutschlandweit trotz aller Versuche einfach noch „nicht stabil genug, nicht breit genug vernetzt“. Zusätzlich arbeiten bei dem ASH e.V. die Mitarbeiter alle ehrenamtlich, wodurch die Zukunft gesichert sei, da man unabhängig von dreijährigen Förderungen arbeiten kann.
Dabei hat das Land Bayern schon eine staatliche Aussteigerhilfe, die von der „Informationsstelle gegen Extremismus“ der Verfassungsschutzes betrieben wird. Aber Benneckenstein sagt: „Für uns ist es nicht die Aufgabe des Staates und erst recht nicht des Geheimdienstes, Leuten beim Ausstieg aus der rechten Szene zu helfen“. Bei der „Aussteigerhilfe Bayern“ geht es nicht nur um praktische Fragen des Ausstiegs. Die Mitarbeiternden regen die Aussteiger*innen auch dazu an, sich inhaltlich mit ihrer (ehemaligen) Ideologie auseinanderzusetzen – etwa durch Texte zum Ausstieg und zu Erlebnissen in der rechtsextremen Szene. „Hilfe zur Selbsthilfe“, so steht es im Programm. Das orientiert sich ein Stück weit auch an den Projekten von EXIT, die Aussteiger*innen helfen, sich mittels Fotos und Texten mit ihrer Vergangenheit, aber auch ihren Zukunftsängsten auseinander zu setzen (ngn berichtete). Überhaupt ist EXIT der wichtigste Partner des ASH, erklärt Benneckenstein, „und wir unterstützen EXIT quasi durch unseren Verein“.
Ungewöhnlich ist die Zielgruppe der „Aussteigerhilfe Bayern“: Nicht etwa die Mitläufer*innen, sondern die ideologisch gefestigten Kader. „Wir wollen und können direkt auf die Szene zugehen“, sagt Benneckenstein. „Entsprechend haben sich bei uns sich bisher fast ausschließlich Menschen gemeldet, die ganz tief verankert waren in der rechtsextremen Szene – und sich deshalb nie an den Verfassungsschutz gewandt hätten“. Anders als bei den staatlichen Programmen überzeugt der ASH e.V. auch durch Transparenz: „Alleine dadurch, dass ich mein Gesicht zeige, weiß man, da steht ein Mensch dahinter“. So wüssten die potenziellen Aussteiger*innen, an wen sie sich wenden. Manche Aussteiger*innen kennen ihn ja sogar noch aus seiner Zeit in der Szene. Bennekenstein bringt er durch sein eigenes Erleben eine Authentizität mit sich, die viele potenzielle Aussteiger*innen anspricht.
Seine offensive Präsenz führt auch dazu, dass er zu einer Zielscheibe rechtsextremer Diskreditierung geworden ist – eine Strategie der Neonazis, um Ausstiege zu verhindern. In erster Linie wird Benneckenstein dabei durch Gerüchte diffamiert: Sein Ausstieg sei nicht auf eine ideologische Abkehr zurückzuführen, sondern auf persönliche Probleme. Gern wird auch die Argumentation verbreitet, der Verein würde massiv durch Steuergelder unterstützt.
Felix Benneckenstein während seiner Zeit als aktives Mitglied der rechtsextremen Szene
Die Aufarbeitung der Vergangenheit ist für Felix Benneckenstein durch sein Engagement nun zum Alltag geworden. Durch Gespräche mit anderen Aussteiger*innen und die Begleitung ihrer Ausstiegsprozesse könne er selbst viel verarbeiten, sagt er. Auch Parallelen entdeckt er: Die meisten Aussteiger*innen versuchen den Ausstieg erst ohne Hilfe von Außen. „Man stellt sich das selbst viel leichter vor und kann erst einmal nicht übersehen, wie weit dieser Ausstieg geht“. Zuerst entferne man sich einfach nur von der Ideologie. Doch der Ausstieg bedeute auch ein Bruch mit den eigenen Netzwerken und persönlichen Beziehungen.
Benneckensteins Beispiel könnte Schule machen. Immerhin haben sich schon Interessenten aus anderen Bundesländern gemeldet, die ähnliche Alternativen zu staatlichen Programmen aufbauen wollen.
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Ein Video-Interview mit Felix Benneckenstein: no-nazi.net/gute-ideen-gegen-nazis/klub-konkret-1
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