Die AfD redet gern von der „Lügenpresse“, die „linksgrün“ sei und „Gesinnungsdiktatur“ betreibe, wenn sie die Politik der AfD kritisch sieht – und tut dennoch alles, um nicht nur das Internet vollzuschreiben und zu -streamen, sondern auch in den etablierten Medien zu erscheinen. Wenn ihre menschenverachtende Politik nicht als Berichterstattungsanlass reicht, greift die AfD zu Provokationen und vermeintlichen Skandalen – und freut sich, wenn die Presse springt. Seit es die AfD gibt, ist Berichterstattung zur Partei ein Thema mit konstanten Empfehlungen:
- Bitte nicht über jedes Stöckchen springen, aber bitte auch nicht ignorieren.
- Sachlich berichten. Das heißt aber nicht, kritiklos die AfD wie alle anderen, demokratischen, Parteien zu behandeln, denn die AfD verachtet demokratische Werte und zeigt dies u.a., wenn sie Rassismus oder antisemitische Verschwörungsideologien verbreitet oder Pressevertreter*innen ausschließt oder ihnen Gewalt androht.
- Lieber gebündelt berichten und mit Hintergrundinformationen statt sensationsinteressierte Häppchenberichterstattung, die aktuellen AfD-Setzungen hinterherjagt.
- Ideologien einordnen und nicht als “Kritik”verharmlosen, wenn es um abwertende und bisweilen verschwörungsideologische Weltbilder geht. Lügen nicht einfach senden, sondern einordnen.
Und dann sind da noch die fachlichen Ideen:
- Zahlen und Statistiken hinterfragen (weil mit denen gern und leicht manipuliert werden kann).
- Menschenfeindliche Positionen benennen und erklären – gerade dann, wenn sie als (vermeintlich) konservativ geframt werden, so, dass viele sich wiederzufinden glauben.
- Themenhopping unterbinden; zu einem Thema sprechen und Lösungsvorschläge einfordern (oft unbequemer als einfach abzuwerten, zu pauschalisieren und zu provozieren).
- AfD-Positionen nicht direkt zitieren (oder AfD-Politiker*innen live sprechen lassen), sondern ihre Positionen nur zusammenfassend in eigenen Worten referieren – bietet weniger Möglichkeit zur Selbstinszenierung, und es bietet eine Möglichkeit, nicht die AfD-Sprache des Hasses zu übernehmen (gilt auch für Bebilderung, wie Plakate).
- Selbst nicht Stereotypen zu Themen wie Einwanderung wiedergeben, sondern differenziert und rassismuskritisch berichten.
Und wie läuft es?
Angesichts der hohen Umfragezahlen der AfD bundesweit und besonders im Osten Deutschlands, der angeblichen AfD-Kanzler-Kandidatur und der Wahl des AfD-Landrats in Sonneberg benehmen sich Medien, also sei wieder 2015: Provokation und Neuigkeitswert gehen eine Kombination ein, die Journalist*innen wieder so atemlos schreiben lässt wie zu Beginn der Partei. Die AfD freut es: Der Erregungsmoment hat Kalkül, denn die Rechtsradikalen brauchen und suchen die öffentliche Aufmerksamkeit. Wenn alle Tageszeitungs-Titelseiten blau-rote Aufmacherfotos haben, ist die Inszenierung für die AfD geglückt.
AfD-Kanzler? Nicht in Sicht
Perfektes Beispiel war die Verkündung einer „Kanzlerkandidatur“ der AfD. Eine Formalität und Nichtigkeit – die FDP und die „Grünen“ benennen Kanzlerkandidat*innen seit Jahren und haben noch nie eine*n Kanzler*in gestellt – aber die Berichterstattung wurde – bundesweit – so massiv aufgezogen, als sei Alice Weidel quasi bereits Bundeskanzlerin. Dabei will das in Wirklichkeit wohl nicht einmal ihre eigene Partei.
Trauriger Höhepunkt: Die Titelgeschichte im stern. Alice Weidel wird als Kanzlerkandidatin präsentiert und befragt, die sie ja bisher nicht einmal ist. Dem staatstragenden Titelfoto, das Weidel als akzeptable Gesprächspartnerin präsentiert, wird zwar eine kritisch gemeinte Zeile entgegengesetzt. Doch deren Wirkung versandet. Alice Weidel bekommt eine massive Plattform, ihre Positionen werden normalisiert. Dazu gehören übrigens, dass sie sich in Deutschland “politisch verfolgt” fühle (durch böse Kommentare im Internet? Was für ein Schlag ins Gesicht von Menschen, die wirklich politisch verfolgt wurden und werden) und dass der Verfassungsschutz verfassungsfeindlich sei – was als Verfassungsfeindin eine nicht gerade überraschende Täter-Opfer-Umkehr ist.
stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz rechtfertigt sich: “Ich glaube, es gehört zur Aufgabe von Journalisten, mit allen Menschen zu sprechen, die in unserer Demokratie an die Macht wollen. Wir müssen für unsere Leserschaft herausfinden, mit welchen Menschen wir es zu tun haben, was sie mit der Macht anstellen möchten.” Aber das lässt sich als gute Journalist*in auch herausfinden, ohne einer Person, die demokratische Prinzipien, Werte und Institutionen infrage stellt und abschaffen will, eine solche Plattform für ihre Verschwörungserzählungen und Menschenhass zu geben. Also ohne ein Wortlaut-Interview, sondern in einer Analyse mit Zitaten. Und ohne Titel, der die Person abbildet und heroisiert – sondern vielleicht stattdessen die Menschen abbildet, die wegen ihrer Politik in Deutschland nicht mehr angstfrei leben können. So wird, um Politologin Natascha Strobl zu zitieren, eine „Angstlust vor Rechtsextremismus und Faschismus“ bedient, der Menschenfeindlichkeit sagbarer macht, statt ihr entgegenzutreten.
Ein Landrat ist kein Dammbruch
Dass eine Gemeinde in Deutschland einen AfD-Vertreter in eine verantwortungsvolle lokale Position wählt, ist ein trauriger Moment, weil er zeigt, dass auch Menschen in Deutschland wohnen, die Demokratie nicht schätzen, die rassistisch und egoistisch denken, die traditionalistisch und ausschließend gegen alles „Neue“ oder „Fremde“ handeln oder denen der Erhalt der demokratischen Kultur vor Ort nicht einmal wichtig genug war, um zur Wahl zu gehen. Mit möglichen lokalen Konsequenzen wie der weiteren Abwanderung von Unternehmen oder demokratisch gesinnten Einwohner*innen wird der Landkreis nun leben müssen. Ob damit das Leben besser wird?
Es ist aber kein Dammbruch. Das Medien, Politiker*innen, NGOs schon wieder eine Naturkatastrophen-Metapher im Munde führen, als stünde mit der Wahl eines Landrats bereits die Demokratie als Prinzip auf der Kippe, ist nicht hilfreich. Wichtiger ist die Analyse, welche Bedürfnisse zu dieser Wahl geführt haben und ob es Ideen gibt, wie sich Dinge wie Misstrauen gegenüber der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie, gefühlte Abgehängtheit oder der abwertende und ausschließende Wunsch nach Etabliertenvorrechten gegen Geflüchtete sich bearbeiten lassen. Auch kann Berichterstattung den Blick auf die Demokrat*innen vor Ort richten: Was brauchen sie? Und wie können wir sie unterstützen?
Aber ein Landrat in Sonneberg, das ist kein Beginn eines neuen Faschismus – jedenfalls nicht, wenn wir nun als Gesellschaft überlegen, wie wir ein Verständnis vermitteln können, das weitere Fälle wie diesen verhindern.
Eine AfD-Wahl ist aber auch keine Protestwahl
Die Wahl von Vertreter*innen einer als rechtsextremer Verdachtsfall beobachteten Partei war in Deutschland noch nie wirklich eine Protestwahl und ist es, je länger die AfD existiert und je bekannter ihre Positionen sind, noch weniger.
Rechtsradikale Parteien werden von Menschen gewählt, die rechtsradikale Positionen unterstützen. Sie mögen zumindest einiges aus dem Portfolio der AfD: Vielleicht das parlamentarierfeindliche Narrativ von „Die Da Oben“ vs. „Wir hier unten“, die rassistischen Ausfälle gegen Geflüchtete, die vermeintlich viel mehr bekämen als Einheimische, antifeministische Positionierung gegen „Genderismus“ oder lokale Aufreger-Themen. Immer wieder stark wird auch das Opfernarrativ verbreitet des „Wir im Osten, immer in Opposition gegen alle und keine*r gönnt uns was“ – und die Erzählung der vermeintlichen „Protestwahl“ zahlt genau darauf ein. Menschenfeindliche Positionen werden als vermeintlicher Protest verniedlicht. Außerdem kann eine Parallelität aufkommen, so ein Protest gegen vermeintliches Unrecht müsse ja irgendwann wieder zum Systemsturz führen wie in der DDR auch. Dass es hier kein System zu stürzen, sondern Demokratie vor Ort konkret zu gestalten gibt, ist eine Vermittlungsaufgabe. Dass hier aber das Zusammenleben aktuell nicht gemeinschaftlich und gleichwertig organisiert werden soll, zeigt eine AfD-Wahl deutlich – die eine Entscheidung ist.