Am heutigen Mittwoch debattierte der Bundestag über eine mögliche allgemeine Impfpflicht. Die Impfgegner-Szene hatte deshalb unter Weltuntergangsrhetorik zu Protesten im Berliner Regierungsviertel aufgerufen. Die Liste von Gruppen und Personen, die nach Berlin mobilisierten, war lang – vom „Querdenken“-Anwalt Markus Haintz über den „Demokratischen Widerstand“ um Anselm Lenz bis hin zum Verschwörungs-Schlagersänger Michael Wendler. Die Debatte im Bundestag sei von einem „gleichgeschalteten Marionettenparlament“ geführt, so die Gruppe „Demokratischer Widerstand“ auf Telegram. Ein neuer Telegram-Kanal mit dem Namen „Wir stoppen die Impfpflicht“ wurde für die Demonstration erstellt und hat inzwischen rund 2.000 Abonnent:innen.
Im Vorfeld rechnete die Polizei mit einer Teilnehmerzahl im oberen vierstelligen oder unteren fünfstelligen Bereich, wie der Tagesspiegel berichtet. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort: 1.600 Beamt:innen waren um den Bundestag stationiert. Das Reichstagsgebäude wurde vorsorglich eingezäunt. Doch am Ende fiel die Demonstration wesentlich kleiner aus – mit schätzungsweise 1.000 Demonstrierenden. Die Wasserwerfer und Räumpanzer der Polizei kamen nicht zum Einsatz. Aber: Besser Vorsicht als Nachsicht.
Das Feindbild Medien jedenfalls steht in der Szene: Zunächst versammelten sich rund 150 Pandemieleugner:innen und Impfgegner:innen vor dem ARD-Hauptstadtstudio an der Marschallbrücke. Da die Demonstration dort allerdings nur für 50 Personen angemeldet war und Infektionsschutzmaßnahmen nicht eingehalten wurden, drohte die Polizei kurz nach Beginn um 13:00 mit einer Auflösung. Eine Frau mit einem Schild, das Coronamaßnahmen als „Genozid“ mit einem Zitat einer Holocaustüberlebenden bezeichnete, wurde nach wiederholten Shoah-Relativierungen und Vergleichen ihrer Person mit der NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl von der Polizei abgeführt. Es geht um die frühere Organisatorin von „Querdenken“-Protesten in Berlin, Monica Felgendreher. Nach Belltower.News-Informationen wird nun gegen sie wegen Volksverhetzung ermittelt.
Wegen Holocaustvergleichen auf Impfgegner-Demonstrationen will die Polizei offenbar konsequenter einschreiten. Eine Sprecherin der Polizei sagte dem RBB, sie wolle verstärkt gegen das Tragen von Holocaust relativierenden „Judensternen“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ vorgehen, es werde wegen Verstörung des öffentlichen Friedens ermittelt.
Wenig später verließ die Mehrheit der Demonstrierenden am ARD-Hauptstadtstudio die Kundgebung und schloss sich mehreren Hundert Demonstrierenden auf Unter den Linden an. Dort warteten auf einer unangemeldeten Versammlung auch Rechtsextreme mit Mützen der Neonazi-Kleinstpartei „Der III. Weg“ oder Schilder des rechtsextremen und vom Verfassungsschutz beobachteten Magazins Compact. Einige trugen verstärkte Kampfhandschuhe. Sogenannte „Alternative Medienmacher“ – rechte YouTuber – hielten das Nicht-Geschehen im Livestream fest und interviewten sich gegenseitig.
Einige Funktionäre der AfD waren ebenfalls vor Ort – wie die Bundestagesabgeordneten Hannes Gnauck, Petr Bystron und Carsten Hilse, umringt von einem teils aggressiven Sicherheitspersonal, das die Konfrontation mit Journalist:innen suchte. Auch Eric Graziani, Kopf der rechtsextremen Splittergruppe „Patriotic Opposition Europe“, der in letzter Zeit mehrere sogenannte „Montagsspaziergänge“ gegen Coronamaßnahmen in Berlin-Mitte angemeldet und angeführt hat, war anwesend – doch heute mit Kamera und „Presse“-Binde am Arm.
Versuche, eine Demonstration in Bewegung zu setzen, scheiterten. Der Demozug wurde vor der russischen Botschaft schnell von der Polizei gestoppt und festgehalten. Auf der unangemeldeten Versammlung wurden immer wieder einzelne Personen von der Polizei festgesetzt, weil sie versuchten, Polizeiketten zu durchbrechen oder weil sie Beamt:innen beleidigten. Andere Demoteilnehmer:innen reagierten auf solche polizeiliche Maßnahmen oft hysterisch mit lautem Geschrei und sprachen von einer „Diktatur“.
Schon um 14:15 erklärte die Polizei die unangemeldete Versammlung für aufgelöst, weil Infektionsschutzmaßnahmen wie Mindestabstände und das Tragen von Hygienemasken missachtet wurden. Die Polizei kündigte an, die Personalien von allen Demoteilnehmer:innen zu kontrollieren. Sie baute dafür Zelte und Tische auf und kesselte die Demonstrierende ein – ein Prozess, der mehrere Stunden bei zwei Grad dauerte und die Stimmung der Demonstration erheblich trübte. Einige Demoteilnehmer:innen leisteten erheblichen Widerstand, als sie abgeführt wurden. Auf Telegram teilte Gruppe „Demokratischer Widerstand“ Beiträge, die dazu aufriefen, Polizeiketten zu durchbrechen. Vergeblich: Die Revolution blieb heute aus.