Ihnen entgegen stellten sich in Bielefeld noch mehr Bürger als im Vorjahr: 2018 waren es 6000, diesmal waren es 15.000 Menschen an mehr als einem Dutzend Orten. Selbst die Reden der nahezu vollständig abgeschirmten Demoroute gingen im wütenden Protest unter. Die Stadt war überfüllt mit teils großformatigen Protestplakaten, Transparenten und bunten Luftballons.
„Deutschland schämt sich für euch“
Die Stufen am Bahnhofsvorplatz waren nachts mit Schriftzügen wie „Nazis verpisst Euch“, „Vielfalt“ und „Toleranz“ beschriftet worden. „Bielefeld nazifrei“ hing großformatig an einem Haus; „Kein Döner für Nazis“, „Deutschland schämt sich für euch“, „Nazis rein – in den Knast“, dem kirchlichen Spruch „Das wahre Kreuz hat keine(n) Haken“ sowie „Marzipan statt Nazikram“ schmückten die Stadt. Teilnehmer eines eigenen Fahrradkorsos hatten das Schild „Nazis haben ein Rad ab“ am Lenker befestigt.
Optisch am auffallendsten war ein überdimensionaler Spruchband, das auf der vorgesehenen Demoroute zwischen zwei Häusern befestigt war: „Lang lebe Israel“.
Vor der Bielefelder Synagoge versammelten sich 500 Menschen. Mediales Aufsehen erregten ein Polizeieinsatz, bei dem ausgerechnet Plakate der Satirepartei „Die Partei“ demonstrativ konfisziert wurden. Die sachliche Feststellung „Nazis töten“ stand dort sowie „Bielefeld: Du hast Rechte!“. Ein „Combat 18“-T-Shirt, ein T-Shirt mit „Unsere Faust für unser Land“ sowie das auf Demoteilnehmer Robin S. Hals eintätowierte Nazisymbol (Dirlewanger Tatoo) waren hingegen kein Anlass für ein polizeiliches Einschreiten. Der hafterfahrene, bei nahezu jeder „Die Rechte“-Demo anwesende Briefpartner von Beate Zschäpe war auch in Bielefeld am Fronttransparent mit dabei.
„Alles für Volk, Rasse und Nation“
Der Neonazi-Aufmarsch wurde von der Polizei durchgesetzt und nur einmal durch eine kleine Blockade kurz verzögert. Aufsehen erregte einzig eine Szene, bei der versucht wurde, das Fronttransparent zu entwenden. Die Neonazis brüllten Parolen wie „Hier marschiert der nationale Widerstand“, „Freiheit für alle Nationalisten“, „Hoch die nationale Solidarität“ sowie „Alles für Volk, Rasse und Nation.“
Das Personal setzte sich größtenteils aus der Szene der verbiesterten Holocaust-Leugner zusammen. Einige hatten schon im Vorjahr in Bielefeld gesprochen. Angekündigt waren Sven Skoda, Thomas „Steiner“ Wulff, der Verschwörungstheoretiker Christian Bärthel, der Holocaust-Leugner Arnold Höfs (83), der britische Neonazi Richard Edmonds (76) sowie die NPD-Funktionärin Edda Schmid (70). Der größte Teil der Reden konnte wegen der Gegenproteste und der Abschirmung noch nicht einmal filmisch dokumentiert werden, mit Ausnahme eines Videos des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus.
Der „Reichsbürger“ Christian Bärthel sagte, die Juden hätten den Holocaust als Mythos selbst geschaffen. Die Polizei schritt nicht ein.
„Haltet immer euer Blut rein!“
In einer weiteren Rede wurde verschwörungstheoretisch fabuliert, das „Deutsche Volk“ lasse sich „nicht länger von Lügenpresse, Lügenrundfunk und den verlogenen evangelischen und katholischen Kirchen irre führen.“ Mit fester Stimme brüllte der Redner: „Deutsches Volk steh auf und geh in die Freiheit. Deutsch und frei woll‘n wir sein.“
Thomas Wulff, der erneut in SA-ähnlichen Klamotten auftrat, spielte triumphierend auf sein vor einem Jahr in Bielefeld getragenes T-Shirt „Auschwitz: Ich hätte da mal eine Frage“ an und fragte, ob die „Zahl der sieben Millionen ermordeten Juden“ nicht eine „kommunistische Propagandazahl“ sei. Er bemühte sich um das abgewirtschaftete „Identitären“-Narrativ vom „großen Austausch“ und brüllte abschließend: „Haltet immer euer Blut rein!“
Gegen das vom Verwaltungsgericht Minden gekippte Verbot der Haverbeck-Demo hatte die Bielefelder Polizei keinen weiteren Widerspruch eingelegt. NRW-Innenminister Reul und sogar der Verfassungsschutz meldeten sich mit Kritik zu Wort. Die Gießener Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth zeigt sich gegenüber „zutiefst irritiert“ über die verwaltungsgerichtliche Entscheidung. Anlass für die Kundgebung sei der Geburtstag von Haverbeck-Wetzel, die ausschließlich verurteilt worden sei, weil sie immer wieder die Shoa geleugnet habe. Der inszenierte „öffentliche Wirbel“ der Neonazis diene dazu, zu testen, „wie weit man seine antisemitischen Äußerungen öffentlich zuspitzen kann, ohne staatlicher Repression ausgesetzt zu sein.“