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Black Hebrew Israelites Die wahren Juden?

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Mitglieder der "Israel United in Christ" in Washington D.C., eine antisemitische Sekte innerhalb der sogenannten "Black Hebrew Israelites"
Mitglieder der "Israel United in Christ" in Washington D.C., eine antisemitische Sekte innerhalb der sogenannten "Black Hebrew Israelites" (Quelle: picture alliance/NurPhoto/Allison Bailey)

„We are the real Jews“, ruft der uniformierte, hunderte schwarze Männer starke Chor im Takt, als er am 21. November durch New York City in Reihen marschiert: „Wir sind die wahren Juden“. Sie gehören zur antisemitischen Sekte „Israel United in Christ“, eine Gruppe innerhalb der sogenannten „Black Hebrew Israelites“ – Afroamerikaner*innen, die glauben, von antiken Israeliten abzustammen. „It’s time to wake up“, skandiert der Wortführer, der Chor wiederholt. Es sei Zeit, aufzuwachen. „I’ve got good news for you. We are the real Jews.“ Er habe gute Nachrichten, sie seien die wahren Juden.

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Ziel der Sekte ist an diesem Tag ein Basketballspiel der Brooklyn Nets in der Barclays-Center-Arena. Es ist das erste Spiel von Kyrie Irving nach seiner Suspendierung. Im Oktober 2022 hatte der Basketballstar in den sozialen Medien eine Pseudo-Dokumentation verbreitet, in der die Doktrin der „Black Hebrew Israelites“ verbreitet wird: Personen afrikanischer Herkunft seien die wahren Juden. Nicht zum ersten Mal vertritt Irving verschwörungsideologische Thesen. Und nach einer Reihe Nicht-Entschuldigungen und fehlender Distanzierungen von Antisemitismus musste er insgesamt acht NBA-Spiele aussetzen, ohne Gehalt. Unter vielen „Black Hebrew Israelites“ ist er aber nun zum Helden geworden.

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„Hebrews to Negroes: Wake Up Black America“ heißt der knapp dreieinhalb Stunden lange Low-Budget-Film, den Irving teilte und der auf der gleichnamigen Buchreihe von Ronald Dalton Jr. basiert. Laut der US-amerikanischen NGO Anti-Defamation League (ADL) kommen darin zahlreiche antisemitische Verschwörungsmythen vor: Dass etwa moderne Juden „Gaukler“ seien, die das religiöse Erbe schwarzer Menschen gestohlen hätten. Dass die Juden diese Tatsache aber vertuscht hätten, um schwarze Menschen daran zu hindern, ihre „wahre“ Identität herauszufinden. Oder dass es eine jüdische Weltverschwörung gebe, die dazu diene, schwarze Menschen zu unterdrücken und betrügen.

Die Pseudo-Dokumentation „Hebrews to Negroes“ landete auf Platz eins der Dokumentarfilme auf Amazon Video Prime (Quelle: Screenshot/Amazon)

Der Film behauptet auch: Juden seien für den transatlantischen Sklavenhandel verantwortlich. Oder sie hätten die Shoah erfunden. Auch wird aus antisemitischen Hetzschriften wie den „Protokollen der Weisen von Zion“ und Henry Fords „The International Jew“ zitiert. Andere Zitate werden fälschlicherweise Adolf Hitler zugeschrieben.

Dass der Basketballspieler Irving Werbung für „Hebrews to Negroes“ auf Twitter unter seinen knapp fünf Millionen Fans machte, verschaffte dem 2018 erschienen, aber bislang relativ obskuren Titel eine große Bühne: Die Bücher landeten in den Bestsellerlisten von Amazon, Apple Books und Barnes & Noble, der Film erreichte Platz eins der „Dokumentationen“ auf Amazon Prime Video. Nach Kritik an der Verbreitung des Films verteidigte sich Irving auf Twitter: „Ich werde mich nicht mit etwas zurückhalten, an das ich glaube. Ich werde nur noch stärker werden, denn ich bin nicht allein. Ich habe eine ganze Armee um mich herum.“

Die Armee, die Irving offenbar meint, sind die „Black Hebrew Israelites“, eine diverse Bewegung. Damit sind nicht schwarze Juden oder Juden of Colour gemeint, etwa die Mizrachim, sondern ein breites Spektrum von Kirchen und Gruppen, die ab dem späten 19. Jahrhundert in den USA entstanden sind. Die erste Kirche gründete Frank Cherry 1886 in Tennessee. Er predigte, dass Gott weiße Menschen hasst, weil sie Betrüger seien. William Saunders Crowdy, ein Ex-Sklave aus Kansas, etablierte zehn Jahre später die zweite, vergleichsweise moderatere Kirche. Gott soll ihnen beiden offenbart haben, dass Afroamerikaner die Nachkommen der Hebräer in der Bibel seien.

Inzwischen sind unzählige Sekten und Strömungen innerhalb der „Black Hebrew Israelites“ entstanden. Sie rekrutieren oft schwarze Männer, die strukturellen Rassismus und Diskriminierung bekämpfen wollen und die etablierte Religionen als zu weiß kritisieren. Viele suchen auch nach einer positiv besetzten Identität, abseits der Sklaverei und systemischer Unterdrückung schwarzer Communitys in den USA. Sie empfinden die Bewegung als empowernd.

Die meisten „Black Hebrew Israelites“ verwenden dabei jüdische Symbole wie den Davidstern oder die Menora, manche sagen als Begrüßung „Shalom“. Was sie alle verbindet: Der Glaube, die wahren Juden zu sein. Für viele Juden weltweit eine alarmierende Behauptung: „‚Die Juden werden uns nicht ersetzen‘ und ‚Wir sind die wahren Juden‘ sind zwei Seiten derselben antisemitischen Medaille“, schreibt Avi Mayer, Sprecher der American Jewish Committee, auf Twitter. Es sei deshalb keine Überraschung, dass der ehemalige Neonazi und KKK-Anführer Tom Metzger sagte, die „Black Hebrew Israelites“ seien „das schwarze Gegenstück zu uns“, so Mayer.

Verlässliche Zahlen zur genauen Größe der Bewegung gibt es nicht. Und nicht alle Gruppen sind radikal und antisemitisch. Aber viele: Das Southern Poverty Law Center stuft 144 Organisationen der Bewegung als „Hate Groups“ ein. Sie sprechen etwa von der „Synagoge Satans“, um Juden zu dämonisieren. Auch Queerfeindlichkeit gehört oft zum Programm. Auf Bürgersteigen predigen sogenannte „Sidewalk Ministers“ lautstark mit ihren provokanten, hasserfüllten Thesen.

Auf Instagram teilt „Israel United in Christ“-Gründer Bishop Nathanyel Ben Israel antisemitische Bilder, die Juden ihr Jüdischsein absprechen und als „Synagogue of Satan“ dämonisieren (Quelle: Screenshot/Instagram)

Eine dieser „Hate Groups“ ist „Israel United in Christ“, die im November zum Spiel der Brooklyn Nets marschierte. 2003 gegründet, hat sie inzwischen 71 Ableger in den USA sowie 20 im Ausland. In Liberia versuchte sie, den Warlord und Kriegsverbrecher „General Butt Naked“ zu rekrutieren – einen ehemaligen Kannibalen und Führer einer Kinderarmee. Vor allem durch die sozialen Medien will „Israel United in Christ“ möglichst viele Anhänger*innen gewinnen. Ihr Ziel: 144.000 Schwarze, Lateinamerikaner und nordamerikanische Ureinwohner für ihre Sache zu „erwecken“. Diese sollen während der Endzeit von Gott verschont werden.

„Israel United in Christ“ sieht sich zwar als die wahren Juden, lehnt aber Judentum sowie Christentum und Islam ab. Vor allem seien die Juden schuld an allen sozialen Problemen, mit denen schwarze Menschen konfrontiert seien. Auf ihrer Webseite schreibt die Sekte, Juden würden den Begriff Antisemitismus missbrauchen, „zu ihrem eigenen bösen Vorteil“. In einem Video von „Israel United in Christ“, vertont mit einem dramatischen Soundtrack wie aus einem Hollywood-Thriller, heißt es auch: Das Christentum sei eine Terrorgruppe, die schwarze Menschen terrorisiere und dazu gezwungen habe, zu konvertieren. In der Doktrin der „Black Hebrew Israelites“ wird das Christentum häufig als Werkzeug einer weißen, gewaltvollen Vorherrschaft angesehen. Die Kreuzritter seien nur ein Beispiel davon.

Diese Doktrin drückt sich immer wieder in Gewalttaten aus: Im Oktober 2019 attackierte ein bekennender „Black Israelite“ zwei Juden mit einem Messer vor einer Synagoge in Miami, Florida. Einem Bericht von NBC Miami zufolge nannte er sie dabei „Fake Jews“. Im Dezember 2019 verübte zwei Anhänger der „Black Hebrew Israelites“ einen Anschlag auf einen Koscher-Supermarkt in New Jersey, wie die New York Times berichtete. Sie erschossen sechs Menschen. Zwei Wochen später attackierte ein Mann, der offenbar von der Bewegung inspiriert wurde, mit einem Machete mehrere orthodoxe Juden über Chanukka in New York, wie die Washington Post berichtete.

Auf Twitter vertritt Rapper Kanye West die Doktrin der „Black Hebrew Israelites“, dass schwarze Menschen jüdisch seien (Quelle: Screenshot/Twitter)

Die Botschaften der „Black Hebrew Israelites“ bleiben aber kein radikales Randphänomen, sie drängen in letzter Zeit zunehmend auch in den Mainstream: Einige schwarze Prominente in den USA haben mit dieser Ideologie geflirtet, wie die Rapper Kendrick Lamar und Kodak Black, der Boxer Floyd Mayweather – oder der Basketballspieler Kyrie Irving. Auch Ye, ehemals als Kanye West bekannt, hat im Zuge seiner antisemitischen Tiraden ihre Doktrin vertreten: „Das Lustige ist, dass ich eigentlich gar nicht antisemitisch sein kann, weil Schwarze eigentlich auch Juden sind“, twitterte der Rapper Anfang Oktober 2022.

Auf Telegram wirft Xaiver Naidoo dem Zentralrat der Juden vor, seine Identität angenommen zu haben und an der Sklaverei beteiligt gewesen zu sein (Quelle: Screenshot/Telegram)

In Deutschland zeigt sich der auch mit QAnon sympathisierende Soulsänger Xavier Naidoo ebenso anfällig für die antisemitischen Verschwörungsmythen der „Black Hebrew Israelites“: „Die amerikanischen N****sklaven sind Yahudim. Sonst niemand“, schrieb er im November 2020 auf dem Messengerdienst Telegram (von Belltower.News zensiert). Im selben Monat schrieb er an den Zentralrat der Juden: „Schämt euch, unsere Identität anzunehmen, an Yahuda‘s Versklavung beteiligt gewesen zu sein und sich dann Deren Identität auch noch einzuverleiben“ (Fehler im Original). Naidoo will sich inzwischen von solchen Äußerungen distanzieren, wie Belltower.News berichtete.

Auch der Basketballstar Kyrie Irving hat sich mittlerweile auf Instagram entschuldigt, doch der Beitrag scheint jetzt wieder gelöscht worden zu sein. Er darf wieder spielen und wird von Fans bejubelt. Zumindest eine langfristige Folge hat aber die Episode: Nike hat seine Partnerschaft und eine geplante Sneaker-Kooperation mit Irving beendet. Nicht alle ziehen allerdings Konsequenzen: Amazon-CEO Andy Jassy sagte am gestrigen Donnerstag, dass das Unternehmen den antisemitischen Film „Hebrews to Negroes“ von der Streamingplattform nicht löschen werde. Er will den Zugang zu „anderen Ansichten“ ermöglichen, auch wenn diese „anstößig“ seien. Auf Amazon Prime Video steht der Film weiterhin in den Charts. Mit einer Bewertung von 4,4/5 Sternen.

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