Wenn ich mit anderen Schwarzen Menschen über Genre-Film sprechen will, stoße ich meistens auf Unverständnis oder Gelächter. Science Fiction, Western oder gar Horror? Das ist was für Weiße. Und wer kann es ihnen verübeln? Filme, in denen Schwarze, indigene Menschen oder People of Colour nicht vorkommen, finstere Antagonist*innen sind oder auf jeden Fall als erste (oder bestenfalls zweite) sterben, haben auch mich schnell meine kindliche Begeisterung für Genre verlieren lassen. Zumal die Schrecken einer Schwarzen Realität einprägsam genug sind. Dennoch komme ich nicht umhin, meine Liebe für insbesondere den Horrorfilm wieder zu entdecken.
Als Kind hatte Schauerliteratur eine unwiderstehliche Sogwirkung auf mich: Edgar Allen Poe, Bram Stoker und Mary Shelleys Geschichten ließen mich nicht los. Stundenlang hörte ich Hörspiele zu “Lebendig begraben”, versank in “Dracula” und “Frankenstein”. In dem Unterbewussten, Düsteren, Paranormalen entdeckte ich Spiegel für unterdrückte Ängste und Traumata der Figuren und ihrer Zeit. Ängste und Traumata, die auch mich bewegten. Der Grusel löste was in mir aus.
Ich dachte damals noch wenig über die oft zugrunde liegenden rassistischen Ressentiments dieser Epoche nach. Erst als ich selber Filmemacherin wurde, beschäftigte ich mich zunehmend mit der Bedeutung und dem Einfluss von Bewegtbildern auf unsere Gesellschaft. Was bedeutet es eigentlich, wenn die Ängste einer Gesellschaft aus einer rein mehrheitlichen Perspektive erzählt werden? Oder, dass Minderheiten bestenfalls zu entbehrlichen Randerscheinungen stilisiert werden? Und schlimmstenfalls – zur Bedrohung. Schauerliteratur ist die Wiege des Genre-, und insbesondere Horrorfilms. Und was sich an rassistischen Ressentiments in der Literatur abzeichnete, musste sich mit der Geburt des Filmes fortziehen.
So werden die Filme von Georges Méliès oder D.W. Griffith für ihre Pionierarbeit gefeiert. Sie sind aber ebenso bedrückende Beispiele dafür, welche Auswirkungen das Medium auf die Wirklichkeit haben kann. Méliès’ früher Film “Le Manoir du Diable” (1896) ist dabei nur eines von vielen auf Film gebrannten Blackfacing-Beispielen aus der Zeit. Der erste Blockbuster der Filmgeschichte, Griffith’s “Birth of a Nation” (1915) sorgte gar für das Wiederaufleben des Ku-Klux-Klans. Schwarze Menschen dienen in der frühen Filmgeschichte als lachhafte Nebenfiguren, die ebenso gesichtslos wie austauschbar sind. Oder sie werden zur animalischen Bedrohung, insbesondere in Form von schwarzer Maskulinität. Auch wenn diese “Bedrohung” in späteren Jahren oft weniger explizit gezeichnet wird, verstecken die filmischen Nachfolger ihre immer noch problematische Agenda wenig. So spielt auch “King Kong und die weiße Frau” (1933) mit der Angst vor der animalischen, schwarzen Bestie. Die Bestie, die den vermeintlich verletzlichsten Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft in Besitz nehmen will – die weiße Frau, die es vom weißen Mann zu beschützen gilt. Dasselbe Motiv wie schon im 20 Jahre zurückliegenden “Birth of a Nation.”
Das Genre entwickelt sich über die Jahrzehnte weiter, wird bis in die 1990er Jahre immer anspruchsvoller – spielt mit Thriller-Elementen und psychologischen Fragen. Und doch bleiben nicht-weiße Charaktere seltsam blutleer. Ihr fast schon ironisch früher Tod scheint unvermeidbar. Zum einen spiegelt ihr Ableben die Drastik der sich ankündigen Bedrohung im Film. Damit die Zuschauenden auch wirklich verstehen, dass es jetzt gefährlich wird. Zum anderen spiegeln die Figuren, die man schnell loswerden muss, eben auch die ewig währende Nebenrolle wieder, in die nicht-weiße Charaktere gedrängt werden. Was sie austauschbar macht. Entmenschlicht. Ganz im Gegensatz zur weißen Hauptfigur, die es auf wundersame Weise bis zum Ende schafft. Dabei ist sie weder schlauer, noch stärker, sondern lediglich…weißer.
Und warum bin ich dennoch ein Fan vom Genre- und insbesondere Horrorfilm? Die Antwort auf diese Frage wäre, dass es mir insbesondere der Schwarze Genre-Film angetan hat. Schwarze Künstler*innen haben sich Genres wie Science-Fiction, Fantasy, Mystery und Horror schon immer zu eigen gemacht. So erlangte die Strömung des “Afrofuturismus” spätestens mit Jazz-Musiker Sun Ra in den 1970er Bekanntheit (obwohl der Begriff erst in den 1990ern geprägt wurde). Der Afrofuturismus nutzte aber schon in Kurzgeschichten wie “The Comet” (1920) von W.E.B. Du Bois Science-Fiction Elemente, um die Vergangenheit und vor allem Zukunft afrikanischer Diaspora neu zu beleuchten. Eine neue Ästhetik zu erfinden. Toni Morrison und Octavia E. Butler sind mit den Romanen “Beloved” und “Kindred” wohl die bekanntesten literarischen Vertreterinnen des Horror und Science Fiction-Genres aus Schwarzer Perspektive. Und auch Blaxploitation-Formate wie “Blacula” hinterließen ihre unverkennbare Spur.
Und gerade in den letzten Jahren gibt es immer mehr nicht-weiße Filmschaffende, die sich die subversive Kraft des Horrorfilms zu eigen machen – und damit auch im Mainstream erfolgreich sind. Der tägliche Horror der Erlebnisse Schwarzer Menschen wird hierbei aber zum Inhalt, nicht zum Nebenschauplatz. Ohne dabei das Trauma blind zu reproduzieren, sondern mithilfe eines scharfen Blicks aus realistischer, authentischer Perspektiven. Sie werden empowert, werden Akteur*innen. Vor allem Jordan Peeles “Get Out” (2017) setzt eine Zäsur – die klar deutlich macht, dass Genre-Film uns genauso gehört wie allen anderen. Und einer der stärksten Kommentare für unsere heutige Zeit sein kann.
Mit Blick auf den Black History Month hier nun also eine Liste mit Horrorfilmen aus oder mit starker, Schwarzer Perspektive:
Get Out (2017, Buch & Regie: Jordan Peele)
Der US-amerikanische Film verspricht schon jetzt zum modernen Klassiker zu werden. DIe Handlung ist schnell umrissen: Schwarzer Mann besucht mit seiner weißen Freundin zum ersten Mal die Schwiegereltern in spe. Was zunächst ein leicht unangenehmes Wochenende inmitten weißer Liberaler aus der Mittelklasse zu werden scheint, entpuppt sich mehr und mehr als übernatürliches Komplott… Hier stoppe ich die Inhaltsangabe, die Spoiler wären einfach zu zahlreich. Jordan Peele, bekannt aus dem Comedy-Duo Key & Peele, verwebt in “Get Out” altbekannte Horror-Konventionen mit Kommentaren zu race, vermeintlichen Verbündeten und dem Horror der Schwarzen (maskulinen) Erfahrung in unserer modernen Ära. Wer kennt sie nicht, die ‘cringy’ Begegnungen mit weißen Menschen, die es ein bisschen zu gut meinen? Die sozialen Events, bei denen man die einzige Schwarze Person im Raum ist? Hier vermeidet Peele es jedoch die Zuschauenden zu reinen Voyeurist*innen zu machen, sondern bleibt stets nah an dem Innenleben unseres Schwarzen und vielseitigen Protagonisten. Wer von Peele nicht genug bekommen kann: sein Folgewerk “Us” ist mindestens genauso furchteinflößend und klug. Sein dritter Film “Nope” wird mit Spannung im Sommer 2022 erwartet.
(“Get Out” findet ihr derzeit zum Leih oder Kauf bei diversen Anbietern, u.a. Amazon, Apple TV oder Youtube)
Lovecraft Country (2020, nach einer Idee von Misha Green)
Dieses Horror-Drama verbindet nicht nur eine wilde Mischung aus Filmgenres, sondern verwebt gekonnt die Erzählwelt des umstrittenen Horror-Autors H.P. Lovecraft mit realen Ereignissen Schwarzer Geschichte. Die US-amerikanische Serie spielt in den 1950er Jahren und folgt dabei dem jungen Schwarzen Atticus Freeman, der sich gemeinsam mit seinem Onkel auf die Suche nach seinem verschwundenen Vater macht. Die Gesetze der Jim-Crow-Ära und weiße Lynchmobs sind dabei nicht das Furchteinflößendste, was ihm auf der Reise durch die Südstaaten begegnet… Kein Wunder, dass der Genre-Mix hier so gut funktioniert, fungierte neben der fantastischen Misha Green der “Get Out”- Macher Jordan Peele als Produzent. Die einfühlsame Beleuchtung prägender, dafür im Mainstream aber größtenteils in Vergessenheit geratener Ereignisse wie dem Tulsa Race Massacre spannt einen großen Bogen, und glänzt dabei mit Originalität. Ein magischer Zaubertrank, der dich für einen Tag Geschlecht oder gar Haut wechseln lässt? Hundeähnliche Monster, die rassistische Polizisten in sekundenschnelle zerfetzen? Diese Serie ist schwer in Worte zu fassen. Aber ziemlich gut.
(“Lovecraft Country” könnt ihr derzeit über Sky streamen oder u.a. bei Amazon oder Apple TV käuflich erwerben)
Vampires vs.The Bronx (2020, Buch: Oz Rodriguez & Blaise Hemingway, Regie: Oz Rodriguez)
Diese Film-Perle ist mir eher zufällig über den Weg gelaufen. Zum Glück! Die US-amerikanische Horror-Komödie über drei Schwarze Teenage-Jungs aus der Bronx, die versuchen ihr Viertel vor der drohenden Gentrifizierung – in Form von weißen Vampir*innen – zu retten, ist nicht nur emotional und anrührend. Sondern versteht es uns den Symbolismus mit einem Zwinkern aufs Auge zu drücken. So werden Grundstücke und Kleingeschäfte der örtlichen Anwohner*innen nicht von irgendwem angekauft. Sondern von der Immobilienfirma “Murnau Properties” – Murnau wie in Murnau, einem der bedeutendsten Regisseure der Stummfilmära und Macher des ultimativen Vampir-Films “Nosferatu”. Nach und nach entpuppen sich nicht nur die Mitarbeiter*innen der Firma, sondern auch die weißen Hipster, die vermehrt in die Nachbarschaft ziehen, als buchstäbliche Vampire. Miguel, Bobby und Luis müssen das “Nest” ausmachen, um die Bedrohung aufzuhalten… Bei der mehr als unterhaltsamen Komödie kommen nicht nur Horror-Fans, sondern auch absolute Film-Freaks auf ihre Kosten, der zahlreichen “Eastereggs” für Kenner sei Dank. Und das Happy-End ist auch garantiert.
(“Vampires vs. the Bronx” könnt ihr derzeit über Netflix streamen)
Bacurau (2019, Buch & Regie: Kleber Mendonça Filho & Juliano Dornelles)
Es gibt eigentlich keinen Menschen, denen ich “Bacurau” nicht empfohlen habe. Auch wenn es sich bei dem brasilianischen Film mehr um einen Western als um klassischen Horror handelt, füge ich dieses Meisterwerk dennoch der Liste hinzu. Ein kleines Dorf in der vernachlässigten Provinz im Nordosten von Brasilien verschwindet eines Tages buchstäblich von der Landkarte. Während sich die hauptsächlich BIPoC Bewohner*innen noch über den fehlenden Punkt auf der GPS-Karte wundern, wird schnell klar, dass sie Ziel eines perfiden Spiels geworden sind: eine Gruppe weißer, bis auf die Zähne bewaffneter US-Amerikaner*innen hat viel Geld dafür gezahlt, um in Bacurau auf die “Jagd” gehen zu können. Doch die Bewohner*innen wissen sich zu wehren…Und genau dieser Widerstand macht “Bacurau” zu einer politischen Allegorie ohnegleichen. Inspiriert von den brasilianischen “Quilombos” – Zusammenschlüsse geflohener, Schwarzer Sklav*innen – wird das fiktive Dorf selber zur Utopie einer Gemeinschaft aller Minderheiten und kommentiert somit indirekt race, Klasse, Geschlecht und Sexualität im heutigen Brasilien Bolsonaros.
(”Bacurau” könnt ihr zurzeit bei Mubi streamen, oder bei Amazon und Apple TV kaufen und leihen)
His House (2020, Buch: Felicity Evans, Remi Weekes & Toby Venables, Regie: Remi Weekes)
Wieder ein Film, der auf Festivals wie Sundance sehr erfolgreich lief, den wenigsten aber ein Begriff sein dürfte. Völlig zu Unrecht, sprengt der Film doch alle Erwartungen. Das Ehepaar Bol und Rial ist vor dem Krieg im Südsudan nach Großbritannien geflohen. Dort bekommt das Paar von der Immigrations-Behörde – unter strengen Auflagen – ein herunter gekommenes Haus in einem namenlosen Vorort Londons zugeteilt. Während Bol alles daran setzt die Vergangenheit hinter sich zu lassen und verbissen versucht sich zu “integrieren”, hält Rial an ihren Traditionen und auch an den Erinnerungen an die gemeinsame Tochter Nyagak fest, die auf der Flucht ums Leben kam. Doch beide kämpfen nicht nur mit der ablehnenden Nachbarschaft, sondern schon bald auch mit den Geistern der Vergangenheit, die das Haus heimzusuchen scheinen… Britischer Filmemacher Remi Weekes schafft es, die vielseits abstrakten Horror einer Flucht mit starken Bildern zu verbinden, ohne dabei Klischees zu bedienen. Dabei lässt er afrikanische Folklore nicht aus – der Hausgeist ist ein “Apeth”, eine Figur der Dinka-Mythologie aus Südsudan – um das über allem schwebende Überlebensschuld-Syndrom des Paares greifbar zu machen. Vor allem die Auflösung des Filmes überzeugt. Ohne zu viel verraten zu wollen: wir müssen alle lernen, mit den Geistern der Vergangenheit zu leben.
(”His House” könnt ihr zurzeit bei Netflix streamen)
Atlantics (2019, Buch: Mati Diop & Olivier Demangel, Regie: Mati Diop)
Die senegalesisch-französische Regisseurin Mati Diop ist nicht nur die Nichte der Filmlegende Djibril Diop Mambéty, sondern auch die erste Schwarze Regisseurin, deren Film im Wettbewerb des renommierten Filmfestivals in Cannes lief und dann noch den “Grand Prix” gewann. Eine Gruppe junger Männer in einem Vorort von Dakar arbeitet auf einer Baustelle eines prestigeträchtigen Bauprojektes. Als ihnen nach Wochen die Bezahlung verweigert wird, entschließen sie sich dazu mit einem kleinen Boot die gefährliche Reise über den Atlantik nach Spanien anzutreten. Sie kehren als Geister zurück – zu den jungen Frauen, die sie damals zurück lassen. So auch zu Ada, die sorgenvoll auf die Rückkehr von Souleiman wartet, und doch einem anderen versprochen ist. Mit der Rückkehr der Geister, schafft sie es sich zu befreien – und für Gerechtigkeit zu sorgen. In dieser Mischung aus magischem Realismus und Horror, verwebt Diop ein Coming-of-Age Drama mit feinfühliger Satire und beißender Gesellschaftskritik. Der Atlantik taucht hier immer wieder als schrecklich-schöne Lebensquelle und Mysterium auf, die Figuren der jungen Frauen bleiben nicht nur besessen, sondern entwickeln mit Ada eine eigene Agenda. Ein Film, der einen noch lange begleitet.
(“Atlantics” könnt ihr zurzeit bei Netflix streamen)
Honourable Mentions:
Da ich euch großartiges Kino und TV von weiteren nicht ausschließlich Schwarzen, sondern auch PoC-Filmschaffenden nicht vorenthalten möchte, hier noch weitere Empfehlungen – die ‘Honourable Mentions’:
- https://www.hercampus.com/school/ufl/top-6-bipoc-horror-movies-binge-halloween
- https://www.vulture.com/article/horror-films-starring-people-of-color.html
Mehr zu Themen wie ‘Afrofuturismus’ und ‘Horror Noire’ findet ihr in den großartigen Veröffentlichungen von Natasha A. Kelly und Robin R. Means Coleman:
Zur Autorin:
Sophia Ayissi Nsegue – 1991 in Bonn geboren – studierte bis 2018 Creative Producing an der Hamburg Media School. Ihr Abschlussfilm „Allein mit dir“ war 2019 als bester Film in der Kurzfilmkategorie des Max Ophüls Preis nominiert. Bis Ende 2021 arbeitete sie als Producerin bei Wüste Film, wo sie u.a. den Tatort Bundespolizei betreute & als Co-Autorin die Tatort-Episode „Bis aufs Blut“ realisierte. Heute lebt und schreibt Sophia frei in Hamburg.