Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Bohemian Browser Ballett AfD-Hausbesuch für Satire-Video

Von|
Ausschnitt aus dem Video "Volksfest in Sachsen" des Bohemian Browser Ballett". (Quelle: Screenshot YouTube, 18.09.2018)

 

Kommentar von Simone Rafael

 

Für die Amadeu Antonio Stiftung schreibe und publiziere ich seit 2002 gegen Rechtsextremismus, später gegen Rechtspopulismus und gegen die AfD. Deshalb weiß ich bereits, dass die AfD etwa gern klagt, wann immer sie es kann – kein Wunder, sie hat viele Jurist*innen in ihren Reihen. Als über rechte „Alternativ“-Medien am Freitag erste Berichte aufkamen, es habe in Berlin-Lichtenberg einen „gefälschten“ AfD-Stand gegeben, sah ich die offenkundig installierten Kameras und mein erster Gedanken war: Das ist eine TV-Produktion. Es ist nicht schlau, dass sie das AfD-Logo nachbauen. Denn das gibt der AfD Grund zu klagen und sich wegen Urheberrechtsverletzung als Opfer zu inszenieren. Und es führt in der rechten Sphäre zu hysterischen Berichten wie etwa auf „Journalistenwatch“, hier wäre ein Beweis zu sehen, dass nicht-rechte Kräfte Realität fälschen, um Rechtsaußen-Kräfte zu diskreditieren. Nach den flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen in Chemnitz war das eine der liebsten Verschwörungserzählungen in der rechten Blase: Die Männer, die dort den Hitlergruß gezeigt hätten, seien doch nur Schauspieler, keine „echten“ Demonstranten, sondern wahlweise Linksextreme oder Verfassungsschützer. Ziel sei, die AfD zu diskreditieren und klein zu halten. Und nun: Dieser Stand.

Der Stand, das wurde schnell klar, war eine Video-Produktion des „Bohemian Browser Ballet“ der Mediengruppe Funk, die die teilweise verstörenden Ereignisse der letzten Wochen in Chemnitz satirisch aufnimmt. Lachen als erlösendes und verarbeitendes Moment in einer Realität, in der Todesopfer rassistisch instrumentalisiert werden, ohne Ermittlungsergebnisse abzuwarten, Menschen aus Demonstrationen heraus angegriffen werden, Ermittlungsbehörden mit den Rechtsaußen-Kräften sympathisieren.

 

 

Das Video hätte auch sehr gut funktioniert, wenn der Parteistand einfach blau-weiß-rot gewesen wäre, ohne Logo. Dann hätte sich die AfD ohne Zweifel immer noch aufgeregt, aber vielleicht nicht so folgenreich wie jetzt.

Die Empörung in der Rechtsaußen-Sphäre war aber – wie so oft – geifernd und grenzenlos, die AfD Berlin nahm sich dieser Emotionen dankbar an und griff unter anderem zu einer Methode, die in der Rechtsaußen-Sphäre beliebt ist, auch wenn sie einer sich demokratisch verstehenden Partei unwürdig ist: Dem Hausbesuch. Der war bisher vor allem als Drohgebärde in der rechtsextremen Szene beliebt, wie etwa hier zu sehen:

Nazi-Demo 2009, mut-gegen-rechte-gewalt.de

Rechtsextreme Bekleidungsmarke, explizit

 

Shirt der bei Rechtsextremen beliebten Marke „Thor Steinar“

Im Fall des Bohemian Browser Ballett kommt dann Frank-Christian Hansel, der für die AfD im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt und im Video auf YouTube treuherzig vermerkt: „Hinter mir hier ist die Produktionsfirma des Fake-Videos, wo man einen AfD-Stand gefälscht hat, auch mit einer Hetz-Szene. Ich möchte mit denen reden, was denen dabei eingefallen ist, warum die so etwas tun.“

Abgefilmt wird dabei das Straßenschild, die Haustür, das Klingenschild. Bei den Satirikern der Produktionsfirma kommt das so an: „Wenig später veröffentlichte die Bundes-AfD einen Clip, der Szenen des Drehs präsentierte und in aller Einseitigkeit das Narrativ nährte, wir hätten eine Fake-Nazidemo gedreht, um sie als echte Veranstaltung auszustrahlen. Am Anfang lacht man über die Ironie, so war ja das AfD-Video eine bewusste Falschmeldung. Mulmig wurde uns, als Bilder von Team-Mitgliedern im Netz auftauchten und dazu aufgerufen wurde, die Namen und Adressen herauszufinden“, schreibt Autor Schlecky Silberstein.  Also, zumindest die AfD-Fangemeinde im Internet hatte mit dem Sammeln dieser Informationen sicher nicht nur eine Befragung der Macher im Sinn, und wenn wir das im Hinterkopf haben, ist so ein Hausbesuch wie der von Hansel ziemlich bedrohlich. Silberstein schreibt dann auch: „Ein Abgeordneter muss wissen, dass diese Unsitte, Privatadressen ins Netz stellen, nicht nur illegal ist, sondern auch gefährlich. Das Video mit den Adressdetails wurde über den Facebook- und Youtube-Kanal der AfD-Berlin geteilt, wo viele Kommentatoren sehr erregt über den jüdischen Namen meines Partners waren.“ Auf seinem Blog schleckysilberstein.com veröffentlicht er einen antisemitischen Kommentar mit Ermordungsfantasie.

Aber auch das Durchschnittsniveau der Kommentare spricht eine deutliche Sprache.

 

Schlecky Silberstein schreibt weiter: „Viele tun immer so überrascht, wenn sie von diesen Methoden hören. Dabei gehören gerade Attacken auf Künstler und Journalisten zum kleinen Einmaleins der Autokratie. Die eigenen Anhänger sollen das Vertrauen in das wichtige Korrektiv namens Medien verlieren. Nicht umsonst ist überall auf der Welt und überall in der Geschichte Schritt eins nach der Machtübernahme die Einschränkung der Kunst- und Pressefreiheit. Zuvor wird diesem Eingriff der Weg geebnet, in dem systematisch an der Glaubwürdigkeit der Medien gesägt wird.“

Auf jeder rechten Demo seit 2014 gehören „Lügenpresse“-Chöre zum Standard. Trotzdem ist es leider nicht selten, dass auch Medienhäuser nicht so unabhängig agieren, wie wir es uns für die vierte Gewalt im Staat wünschen, sondern vor Shitstorms und Hasskampagnen der Rechtsaußen-Sphäre einknicken. Wer zu Rechtsextremismus und Rechtspopulismus schreibt und recherchiert, kennt die Bedrohungstaktiken von Rechtsaußen schnell und manchmal zu gut, so dass wir uns gar nicht mehr genug aufregen, weil auch in unserem Bürogebäude schon Reichsbürger im Fahrstuhl auf und ab gefahren sind und sich dabei gefilmt haben, wie sie unsere Räume nicht betreten konnten. Und dafür im Internet gefeiert werden.

 

Also: Unsere Solidarität gilt dem Bohemian Browser Ballett!

 

Von der AfD Berlin ist wiederum kein Erkenntnisgewinn zu erwarten. Landeschef Georg Pazderski ist offenbar nicht zur Reflexion der Methoden seiner Parteikollegen in der Lage und veröffentlicht derweil auf Facebook wie ein trotziges Kind noch einmal die komplette Adresse – das nennt die Internet-Fachwelt „Doxing“, eine klassische Methode des „Silencing“, also des Versuchs, den Angegriffenen mundtot zu machen, zum Schweigen zu bringen.  Pazderski rechtfertigt sich: „Ein von der Rundfunk-Zwangsabgabe finanziertes Hetz-Video als Satire und Kunst zu bezeichnen, scheint der letzte Ausweg der argumentlosen Linken.“ Getoppt wird das nur von seinem Berliner Parteikollegen Joachim Radke, der in einer Diskussion auf der Facebook-Seite der Recherche-Organisation „Correctiv“ zum BBB-Beitrag schreibt: „Früher drehte man Propagandafilme wie ‚Jud Süß‘ um die Bürger gegen Bevölkerungsschichten zu verhetzen – heute macht man dies unter dem Deckmantel der ‚Satire‘.“

 

 

Weiterlesen

Eine Plattform der