Auf dem IG Farben Campus der Goethe Uni in Frankfurt am Main ereignete sich am 28. April 2023 ein skurril anmutendes Schauspiel. Inmitten einer Gruppe von Demonstrant*innen zeigt ein Video, das auf Twitter kursierte, einen aufgeregten Boris Palmer, der all die Vorbehalte bestätigt, die im Vorfeld der Migrationskonferenz über seine Teilnahme geäußert wurden. Nachdem der grüne Oberbürgermeister einer Schwarzen Person erklärt, dass er das N-Wort benutzt und es dabei ausspricht, erfährt er Widerspruch von den Demonstrierenden. Palmer vergleicht sich im nächsten Schritt mit Jüdinnen*Juden in der NS-Zeit. Ihn einen Nazi zu schimpfen, sei wie die Stigmatisierung durch den „Judenstern“, so der Politiker. Später auf dem Podium besteht Palmer noch mehrmals auf das N-Wort und rechtfertigt sich langatmig, um das Wort fünfmal in gut 45 Sekunden zu wiederholen.
Umstrittener Kongress
Der Kongress, der in Kooperation mit dem Forschungszentrum „Globaler Islam“ stattfand, wurde bereits im Vorfeld kritisiert. Grund dafür war die Gästeliste, die primär rechtslastige Redner*innen umfasste. Der AStA der Uni Frankfurt ordnet die Veranstaltung als „Schaulaufen der pseudowissenschaftlichen und vom Rechtspopulismus nicht immer scharf abgegrenzten Akteure“ ein. Ziel der Konferenz sei nicht, eine Perspektive für einen solidarischen Umgang mit Migration innerhalb der EU zu schaffen oder das Sterben im Mittelmeer als Ergebnis einer gescheiterten Migrationspolitik zu diskutieren. Sondern es ging um Inlandsperspektiven wie „Familienclan und Großfamilien“ oder „Gewalt an deutschen Schulen“, so das Journal Frankfurt. Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums, weist in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) den Vorwurf zurück, mit der Veranstaltung rechtspopulistische Ressentiments zu bedienen. Auch sei Boris Palmer kein Rassist, sondern der Rassismusvorwurf wäre pauschal erhoben worden, so Schröter.
Von zerstörerischen Verstrickungen zur kindlichen Impulskontrolle
Palmers Performance ist nicht neu. Der Oberbürgermeister bemüht gern eine Mischung aus „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“-Ressentiments und dickköpfigem Klassenclown. Im Mai 2021 gab es bereits ein Parteiausschussverfahren gegen ihn, nachdem er auf Facebook einen rassistischen Post über den früheren Fußballnationalspieler Dennis Aogo veröffentlicht hatte. Zum Parteiausschluss kam es nicht, Palmer sollte seine Grünen-Mitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lassen. Nach seiner jüngsten Entgleisung wurde sein Ausritt bei den Grünen am 01. Mai bekannt. Vorher kündigte Palmer lediglich eine Auszeit an.
Susanne Schröter distanziert sich zwar im Nachgang von Palmer, kritisiert aber im Gespräch mit der FAZ vor allem das Schweigen der Universität, nachdem Referent*innen und Konferenzteilnehmende von Demonstrierenden als Rassist*innen beschimpft worden seien. Auf dem Statement der Internetseite des „Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam“ heißt es, dass Palmer die „sehr gute und differenzierte Tagung“ schwer beschädigt habe. Die Kritik an der Tagung wird damit in ihrem Fokus auf den Fall Palmer verschoben. Bei der Konferenz war aber auch eine Lehrerin anwesend, die zusammen mit der AfD demonstriert und der stellvertretende Vorsitzende der Polizeigewerkschaft Manuel Ostermann, der auf Twitter einen stärkeren Grenzschutz fordert und von „unkontrollierter Migration“ spricht.
In einem Statement auf Facebook schreibt Palmer über „Stürme der Empörung“, die er Familie, Freund*innen und Unterstützer*innen nicht mehr zumuten könne. Palmer will „professionelle Hilfe in Anspruch nehmen”, um „seinen Anteil an zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten“. Die Ereignisse in Frankfurt hätten ihm gezeigt, dass nicht das Internet, sondern die Situation das Problem sei. „Wenn ich mich zu Unrecht angegriffen fühle und spontan reagiere, wehre ich mich in einer Weise, die alles nur schlimmer macht”, schreibt der Oberbürgermeister auf Facebook. Rassistische und antisemitische Aussagen auf eine schlecht regulierte Impulskontrolle zu verschieben oder als narzisstische Kränkung zu inszenieren, ist nicht mit der realen Übernahme von Verantwortung zu verwechseln.