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Braune Gewalt Schon 5 Nazimorde 2008? Aber die Bundesregierung schaut weg

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Bank in Dessau mit SS-Rune im Sommer 2008; Foto: hk

„Nur“ 40 rechtsextrem motivierte Morde soll es seit der Wiedervereinigung gegeben haben, hat die  Bundesregierung im Dezember 2008 auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Petra Pau mitgeteilt, gar keinen mehr seit 2005. Eine Augenwischerei. Denn die Bundesregierung zählt offiziell nur Taten in dieser Rubrik, die als vorsätzlich politisch motiviert gelten, beispielsweise ein gezielter Brandanschlag auf ein Wohnhaus. Durch den Rost fallen bei dieser Zählweise aber Gewalttaten, die mit einem rechstextrem und rassistisch geprägten Hintergrund erfolgt sind, also Menschen durchaus  rein zufällig zu Opfern rechtsextrem oder rassistisch eingestellter Täter wurden, weil sie in deren Feindbildvorstellungen passten oder ihnen als minderwertig und nicht lebenswert erschienen sind, wie zum Beispiel Obdachlose.

Auch die bundesdeutschen Opferberatungsstellen kritisieren das in einer Erklärung scharf: „Mit den jetzt veröffentlichten Zahlen der Bundesregierung wird die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus weiter verharmlost“, heißt es in einer Erklärung der Projekte aus Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Sie haben seit 1990 „mindestens 136“ rechtsextrem und rassistisch motivierte Tötungsdelikte gezählt.

Nach der Zählung von MUT und der Amadeu Antonio Stiftung zählen allein 5 Todesfälle in diesem Jahr zu dieser Kategorie, sie werden in der offiziellen Statistik der Bundesregierung aber gar nicht erst erfasst. In unserer Zählung sind dies mittlerweile die Fälle 138 bis 142, nachfolgend die Beschreibungen, warum:

So müssen sich nach dem gewaltsamen Tod eines 55-Jährigen in Templin  demnächst ein 19- sowie ein 22-jähriger Tatverdächtiger des Vorwurfs gemeinschaftlichen Mordes vor dem Landgericht in Neuruppin stellen, wie die zuständige Staatsanwaltschaft am Donnerstag, dem 27.11.2008 erklärte. Den jungen Leuten wird vorgeworfen, den Mann am 22. Juli aus niederen Beweggründen grausam erschlagen zu haben. Das Tatmotiv gründe in rechtsextremer Gesinnung, betonte die Staatsanwaltschaft.

Die beiden Männer hätten sich über ihr für minderwertig erachtetes Opfer erhaben gefühlt. Der 19-jährige Angeklagte muss sich zudem wegen „Sieg Heil“-Rufen und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verantworten. Der Bürgermeister der Stadt hatte nach der Tat zunächst negiert, dass es eine rechtsextreme Szene in Templin gebe. Erst nach und nach sah er ein, dass es vor Ort doch ein Problem gibt. Dabei wurden zuvor bereits zehn Gewalttaten von Neonazis in Templin registriert und Brandenburgs Verfassungsschutz hatte die rechtsextreme Szene vor Ort auf etwa 80 Mitglieder geschätzt, darunter etwa 30 gewaltbereite Nazis. Ende August nahmen rund 400 Bürger der Stadt an einem Gedenkkonzert für das Opfer teil:

Beide Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft und sind nach Angaben der Anklagebehörde bereits wegen gefährlicher Körperverletzung vorbestraft. Sie sollen die Tat begangen haben, nachdem ihre Restfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden war.

Die Staatsanwaltschaft bezeichnete das Vorgehen der Verdächtigen als menschenverachtend und äußerst brutal. Das Opfer erlag tödlichen Kopfverletzungen. Der Tischler soll zuvor Insolvenz angemeldet und in seiner ehemaligen Werkstatt übernachtet haben, wo sich auch die Gewalttat ereignete. 2002 war im etwa 35 Kilometer entfernten uckermärkischen Potzlow ein 16-Jähriger von zwei Rechtsextremisten in einem Schweinestall bestialisch zu Tode gequält und anschließend in einer Jauchegrube versenkt worden.

Prozessbeginn gegen Neonazi in Magdeburg

Ein weiteres Verfahren gegen einen Rechtsextremen wegen „Totschlags“ begann am 5. Dezember in Magdeburg – unter Ausschluss der Öffentlichkeit  Die Tat hatte sich nach einem Discobesuch in Magdeburg  zugetragen. Dem angeklagten Bastian O. (geb. im November 1987) wird vorgeworfen, den gleichaltrigen Rick L. am 16. August 2008 nach einem Besuch der Diskothek „Fun Park“ nahe des Gewerbegebietes „Bördepark“ in Magdeburg zu Tode geprügelt haben.

Laut einem Prozessbericht von Miteinander e.V. erschien der Angeklagte in einer „Thor Steinar“-Kapuzenjacke vor Gericht und nahm die Verlesung der Anklageschrift gleichgültig auf. In ihrer Anklageschrift wies die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf die Zugehörigkeit des Angeklagten zur rechtsextremen Szene hin. Ferner habe er sich an dem besagten Abend entsprechend gekleidet, bevor er mit Freunden die Diskothek aufsuchte. So habe er ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „Inferno“ und Springerstiefel getragen. Auf seiner Jacke habe in Frakturschrift der Schriftzug „Magdeburg“ gestanden. Zudem soll er Handschuhe bei sich getragen haben, die an den Knöcheln verstärkt waren.

Als „Hobby-Nazi“ beschimpft

Gegen 4.30 Uhr soll Bastian O. die Diskothek verlassen haben und auf den Heimweg an der Bushaltestelle „Pallasweg“ im Magdeburger Stadtteil Reform auf sein späteres Opfer getroffen sein. Die an ihn gerichtete Frage nach einer Zigarette habe Rick L. sinngemäß mit den Worten beantwortet, ein Hobby-Nazi bekäme von ihm keine Zigarette. Daraufhin sei der Angeklagte so in Wut geraten, dass er sich die Handschuhe angezogen und mit der Faust gegen den Kopf des Opfers geschlagen habe, so dass dieser zu Boden fiel. Im Anschluss habe Bastian O. mit seinen Springerstiefeln gezielt gegen Kopf, Bauch und Genitalbereich getreten. Als Rick L. sich nicht mehr regte, habe der Angeklagte die Wertsachen des Opfers an sich genommen. Rick L. verstarb noch am Tatort durch das Einatmen seines eigenen Blutes.

MUT hatte am 2.9. über diesen Fall mit Bezug auf den SPIEGEL vom 1.9. als Quelle berichtet:

„In Magdeburg wurde am 17. August der 20-jährige Kunststudent Rick L. getötet, nach Stand der Ermittlungen von einem 20järigen Neonazi namens  Bastian O.. Er gilt laut SPIEGEL als „Größe in der Neonaziszene“ und  auf seinem Oberschenkel prange laut Staatsanwaltschaft ein Hakenkreuz. Seine Einraumwohnung im Magdeburger Statdteil Leipziger Straße sei regelmäßiger Treffpunkt randalierender Neonazis gewesen und Bastian O. einschlägig vorbestraft. Im Februar 2006 habe er bereits einen Studenten aus Togo brutal zusammengeschlagen und schließlich einen Hund auf ihn gehetzt. Mit dem liberal eingestellten Studenten sei er zuvor bereits in der Großraum-Diskothek, dem „Funpark“ aneinander geraten, der Student habe ihn dort als Nazi beschimpft. Für Rick L. war dies offenbar sein Todesurteil, er wurde auf dem Nachhauseweg vor einem Gebüsch umgebracht. In der Wohnung des Tatverdächtigen Bastian O. seien anschließend Gegenstände des Ermordeten gefunden worden, ebenso fanden sich DNA-Spuren des Getöteten an der Kleidung des Verhafteten. Doch für die Lokalpresse, so berichtet der SPIEGEL, sei der Fall kaum der Rede wert gewesen – nur ein „Disco-Mord“, mehr nicht. Auch die zuständigen Behörden schwiegen sich aus.“

Eine neonazistische Motivation scheint nun mit berücksichtigt zu werden. Da laut Ermittlern O. sein Opfer auch noch bestohlen haben soll, lautet die Anklage auf auf Totschlag (§ 212 StGB) und Diebstahl (§ 242 StGB). Der Angeklagte befindet sich seit 18. August 2008 in Untersuchungshaft. Er war zur Tatzeit Heranwachsender (18 bis 20 Jahre), daher muss das Gericht im Fall einer Verurteilung, prüfen, ob Erwachsenenstrafrecht (Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren) oder Jugendstrafrecht (Jugendstrafe bis zu 10 Jahren) anzuwenden ist.

Mindestens drei weitere Morde durch Neonazis in 2008?

Ähnlich beiläufig behandelt wurde eine Woche nach dem Magdeburger Totschlagsfall ein weiterer Mord, der sich keine 50 Kilometer entfernt, in Bernburg (auch Sachsen-Anhalt) ereignete. Dort wurde am 24. August der 18jährige Marcel W. ermordet aufgefunden. Unter erheblichem Tatverdacht steht der 19jährige Neonazi David B., gegen den W. in der Folgewoche vor Gericht aussagen sollte. Doch da war er bereits tot – getötet durch zahlreiche Messerstiche, die dem Opfer zugefügt wurden – aus ungeklärten Umständen in der Wohnung des Täters. Opfer und vermeintlicher Täter seien  zuvor in einer Discothek, dem „Bernabeum“ gesichtet worden, recherchierte ebenfalls der SPIEGEL.

Laut der Zeitschrift würden Freunde vermuten, Marcel W. habe sich vom Täter bequatschen lassen, ihm nach Hause zu folgen, „zum saufen oder so“.  Der Tatverdächtige tische natürlich eine andere Geschichte auf,  Marcel W. sei bei ihm eingebrochen und er habe in Notwehr zugestochen. Doch diese Schilderung scheint den Ermittlern relativ unwahrscheinlich zu sein und gilt als Schutzbehauptung des zur Tatzeit angetrunkenen Hauptverdächtigen. Er,  David B., habe sein Opfer schon häufiger attackiert, zuletzt massiv am 20. November 2007. Marcel habe seitdem „panische Angst“ vor dem Neonazi gehabt, berichtete eine Freundin dem SPIEGEL-Reporter Sven Röbel.

Dennoch sei wahrscheinlich, dass dieser Fall  nur als Gewaltdelikt zwischen alkoholisierten Jugendlichen in die Polizeistatistik eingeht, obwohl David B. bereits als rechtsextremer Gewalttäter polizeilich erfasst sei. Auch trage er mehrere rechtsradikale Tätowierungen und sei als Mitdemonstrant des rechtsextremen „nationalen Widerstands“ aufgefallen. Aber sogar Sachsen-Anhalts Innenministerium habe zunächst keine Ahnung von dem Fall gehabt, was der  SPIEGEL wie folgt als unfassbar kommentierte:

„Dabei ist die kriminalstatistische Frage, ob die Tötungen von Bernburg und Magdeburg unmittelbar politisch motiviert waren, unerheblich. Fakt ist, dass sich die beiden Tatverdächtigen in einem rechtsradikalen Milieu bewegten, in dem Menschenleben, vorzugsweise die von „Schwächreren“, nicht viel zählen und in dem eine unfassbare Verrohung jeden Tag Opfer fordern kann. Sowohl Bastian O. als auch David B. werden von bekannten als „tickende Zeitbomben“ beschrieben, bei denen es „nur eine Frage der Zeit“ gewesen sei, „bis mal was passiert“. Entschärft hat sie keiner.“

Weiterer Mordfall in Berlin

Die beiden Taten aus Magdeburg und Bernburg gehen nach Stand der Dinge als rechtsextrem motivierte Morde Nummer 140 und 141 in die Gewaltchronik von Todesfällen seit der deutschen Wiedervereinigung ein. Nur kurze Zeit zuvor ereignete sich Mordfall Nummer 139. Das Opfer: Der 20-jährige Cha Dong N. in Berlin.

Wie der Informationsdienst für Migranten und Flüchtlinge karawane.org zusammenfasst, tötete am 6.8. ein 35-jähriger Deutscher namens Tino W. in der Marchwitza Straße in Berlin-Marzahn den Vietnamesen „Cha Dong N.“, der sich illegal in Deutschland aufgehalten habe:

„Gegen 10.15 Uhr griff der Mörder den Zigarettenhändler vor einem Supermarkt an, informierte die Polizei, dass er einen „vietnamesischen Zigarettenhändler“ festhalte und fragte laut Berliner Morgenpost: „Regelt ihr das oder muss ich das selbst erledigen?“. Nach Zeugenaussagen hatte er den Händler zuvor beraubt, woraufhin sich dieser zur Wehr setzte. Noch bevor der gerufene Streifenwagen eintraf, stach W. mit einem Messer auf den zwanzigjährigen „Cha Dong N.“ ein, welcher wenige Stunden später seinen Verletzungen während der Notoperation in einer Berliner Klinik erlag. In den vergangenen Monaten lebte Cha zusammen mit einer schwangeren, jungen Frau in einem Treptower Wohnheim. In der Vergangenheit äußerte der Täter regelmäßig gegenüber Bekannten, dass „diese Fidschis“ endlich verschwinden sollen und kündigte mehrfach an, „selbst etwas dagegen zu unternehmen, wenn die Behörden schon nichts tun würden“.

Späte Nachmeldung eines Mordes in Dessau-Roßlau

Einen weiteren bedrückenden Mord-Fall im Zeichen rassistischer Menschenverachtung meldete am 14.11. die Dessauer Staatsanwaltschaft. Die Tat ereignete sich bereits am 1. August. 2008. Erst jetzt wurden zwei Männer angeklagt. Die beiden sollen in den Nachtstunden des 1. August vor dem Hauptbahnhof Dessau ohne jeden erkennbaren Anlass einen 50-jährigen Wohnungslosen aus Halle angegriffen, geschlagen und getötet haben, wie das Landgericht Dessau-Roßlau am 14. November verkündete. Der 23-jährige Angeklagte soll zudem einen Papierkorb aus Metall mehrmals mit voller Wucht auf den Kopf und den Rumpf des Opfers geschlagen haben, bis es kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Ein Zeuge verständigte die Polizei, die die Angeklagten festnahm. An ihrer Bekleidung fanden sich Blutspuren. Das Opfer starb unmittelbar am Tatort an Herz- und Lungenquetschungen.

Der 23-Jährige aus Güterglück und der 34 Jahre alte Angeklagte aus Dessau-Roßlau, die zur Tatzeit unter erheblichem Alkoholeinfluss standen und sich gegenseitig der Tat bezichtigen, sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Sie haben den Angaben zufolge in der Vergangenheit bereits mehrfach Gewaltdelikte begangen. Ihr Opfer war augenscheinlich für sie einfach ein minderwertiger Mensch. Eine typische Nazitat.

Der 142. Mord?

Es wäre der 142. rechtsextrem bzw. rassistisch motivierte Mord in Deutschland seit der Wiedervereinigung. Dazu kommen zahlreiche Mordversuche. Diese Zählung von Initiativen wie den Opferberatungsstellen und der Amadeu Antonio Stiftung kann die Bundesregierung freilich nicht mitvollziehen – sie listet nur gezielt politisch motivierte Tötungsdelikte auf und kommt neuerdings auf nur noch 40 Nazimorde, weil es für sie Taten nicht relevant sind, in denen Rassismus nicht vordergründig, sondern nur hintergründig eine Rolle gespielt hat. Wie gesagt: auch die in diesem Artikel aufgelisteten Fälle tauchen daher in der regierungsamtlichen Statistik nicht auf. Ein Selbstbetrug.

In diesem Zusammenhang erinnern die Opfer-Beratungsstellen daran, „dass Bund und Länder schon 2001 zugesichert haben“, alle Tötungsdelikte mit mutmaßlich rechtem Hintergrund seit 1990 anhand der seit 2001 bundesweit gültigen Kriterien für ‚politisch rechts motivierte Kriminalität‘ erneut zu überprüfen sowie regelmäßige Nachrecherchen zu veranlassen. Jetzt stelle sich „die Frage, ob die Kriterien für politisch rechts motivierte Gewalttaten bei Tötungsdelikten immer noch nicht flächendeckend umgesetzt werden“, so die Projekte.  Die Öffentlichkeit habe „ein Recht darauf, über die tödliche Dimension von Rechtsextremismus und Rassismus informiert zu werden“.  Auch die Angehörigen, Hinterbliebenen und Freunde der Toten hätten  hier ein besonderes Recht.

Und zwar darauf, „dass die Motivation der Täter klar benannt wird.“

Zusammengestellt von Holger Kulick

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

 

 

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