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Braune Strukturen Neonazis in Dortmund – Hochburg der „Autonomen Nationalisten“

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Der Angriff auf die DGB-Demonstration am 1. Mai 2009 steht für eine Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung einer Stadt, die schon länger ein Neonaziproblem hat. Bereits am 28. März 2005 wurde der Punk Thomas Schulz, genannt „Schmuddel“, von einem 17-jährigen Neonazi ermordet, der aus dem Umfeld der Kameradschaft „Skinhead Front Dortmund-Dorstfeld“ stammte. Am 1. Mai 2009 zog ein Mob von 400 Neonazis, die aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren, durch die Innenstadt in Richtung der 1. Mai-Demonstration des DGB, zerstörte unterwegs mehrere Streifenwagen der herbeigerufenen Polizei und griff mit Steinen, Holzlatten und Feuerwerkskörpern Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Demonstration an. Diese Eskalation der Gewalt, angetrieben von den sogenannten „Autonomen Nationalisten“ (AN), war gerade in Dortmund nicht verwunderlich. Seit Jahren gilt die Ruhrgebietsstadt als Hochburg der „ANs“. Diese Strömung, die sich in den letzten Jahren immer stärker innerhalb der Neonaziszene etabliert hat, fällt vor allem durch ein gesteigertes Gewaltpotential gegenüber dem vermeintlichen „politischen Gegner“ auf.

Weitere Angriffe auf Orte und Personen, die von den Dortmunder Neonazis der linken Szene zugeordnet werden, folgten seitdem. In den letzten Jahren wurden das Parteibüro der Parteien „Die Linke“ und „Bündnis 90 / Die Grünen“, sowie Buchläden und Kneipen immer wieder Ziel von Anschlägen. Einen traurigen Höhepunkt der Gewalt ereignete sich im Dezember vergangenem Jahres. Eine durch ihr antifaschistisches Engagement ins Fadenkreuz der Neonazis geratene Familie aus dem Dortmunder Stadtteil Dorstfeld, sah sich nach monatelangem Terror gezwungen, aus Dortmund wegzuziehen. Hierzu berichtete das TV-Magazin „Monitor“. Im März diesen Jahres wurde das Auto einer weiteren Familie, die das Neonaziproblem der Stadt nicht einfach so hinnehmen wollte, mit Buttersäure zerstört. Der Sohn der betroffenen Familie wurde mehrmals körperlich angegriffen. Gleiches passierte im Mai einer Gruppe alternativer Jugendlicher in der Dortmunder Innenstadt.

Neonaziszene mit Geschichte und Bekanntheitsgrad

Die Dortmunder Neonaziszene ist in ihrer Gesamtheit stark ausdifferenziert. Neben den „ANs“ findet sich mit der „Skinhead Front Dortmund-Dorstfeld“ eine eher klassische Kameradschaft. Mit der Hooligan-Gruppierung „Frontline“ gibt es auch eine eindeutige Verflechtungen von Neonazis zur Fußball-Fankultur. Neben zahlreichen rechten Jugendcliquen, vor allem in Dortmunder Vororten, gab es auch vereinzelt höhere Organisationsansätze, zum Beispiel mit der „Nationalen Front Eving“, einem Label unter dem sich rechte Jugendliche aus dem nördlichen Dortmunder Stadtteil Eving formierten. Sie organisierten kleinere spontane Aufmärsche und sprühten rechte Parolen, verschwanden danach aber wieder in der Versenkung.

Die weitaus aktivste und organisierteste Gruppe von Neonazis sind indes die „Autonomen Nationalisten“, die sich vor allem in einigen Straßenzügen im Stadtteil Dortmund-Dorstfeld angesiedelt haben. Mit antisemitischen Graffitis und häufigen Flyer-Aktionen im Dorstfelder Zentrum, buhlen sie um die Sympathie der ansässigen Bevölkerung. Meist aber eher mit geringem Erfolg. Außerdem treiben sie mit dem hauseigenem rechten Internetversandhandel „Resistore Vertrieb“ des bundesweit bekannten Dortmunder Neonazis, Dennis Giemsch, den „Kampf um die Straße“ voran. Wie andere Kameradschaften sind auch die „Autonomen Nationalisten“ in Dortmund streng hierarchisch organisiert. Wie einem Artikel aus der „LOTTA“, einer antifaschistischen Zeitung aus NRW zu entnehmen ist, steht an der Spitze ein Führungszirkel von fünf Personen, wobei ein weitaus größerer Teil von 20 bis 25 Neonazis regelmäßig an den allwöchentlichen Kameradschaftstreffen teilnimmt und dort unter anderem in die weitergehende Organisation mit eingebunden und mit Informationen versorgt wird. Wenn dann etwa Kundgebungen oder Flyeraktionen anstehen, wird dorthin per SMS und mittels Kurznachrichten in sozialen Netzwerken mobilisiert, sodass ein noch größerer Personenkreis erreicht wird.

Die Dortmunder Neonazis geniessen in der Szene, sowohl in den Nachbarstädten als auch im bundesdeutschen Raum, einen „guten“ Ruf. Bewundert werden sie für die Etablierung einer „No-Go-Area“ in Dortmund-Dorstfeld, den Aufbau eines „Nationalen Zentrums“ als Veranstaltungsort, die Anschaffung eines Kameradschaftswagens für Aufmärsche und einer lautstarken Musik-Anlage für Partys. Damit haben sie eine Dominanz im Stadtbild, feste Strukturen und Unabhängigkeit erreicht, woran sich zahlreiche Neonazi-Gruppierungen aus dem ganzen Bundesland zu orientieren versuchen. Aber auch regelmäßige Busreisen zu Neonazisaumfärschen im ganzen Bundesgebiet, kleineren Reisegruppen zu Info- und Mobi-Veranstaltungen, um örtlichen Strukturen zu unterstützen und die Verleihung von Equipment an befreundete Gruppen verschafften ihnen überregionale Anerkennung.

Neonazis in Dortmund kein Randphänomen

Ein kleiner lokalpolitischer Skandal im Mai diesen Jahres zeigte, dass sich das Neonaziproblem der Stadt nicht allein auf bestimmte jugendliche Randgruppen oder Dortmunder Vororte reduzieren lässt. Klaus Schäfer, langjähriges SPD-Mitglied und einer der höchsten städtischen Beamten, wurde nach Bekanntwerden seiner Verbindungen zum „Nationalem Widerstand Dortmund“ (NW Do) mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Er taucht seit mindestens einem Jahr vermehrt bei Aktionen der Neonazis auf, trägt Transparente mit eindeutig neonazistischem Gedankengut, grüßt Teilnehmer*innenrechter Demonstrationen per Handschlag und applaudiert freizügig Rednern wie Dennis Giemsch, der seine Rede gerne mal mit einem Hitler Zitat beendet.

Der „Antikriegstag“

Die Bedeutung der „Autonomen Nationalisten“ aus Dortmund für die bundesdeutsche Szene wird besonders durch die Organisation des selbsternannten „Antikriegstages“ in Dortmund deutlich. Durch einen in den letzten Jahren immer größer Gewordenen bundesweiten Mobilisierungszuspruch, besonders bei den „Autonomen Nationalisten“, ist der „Antikriegstag“ zu einem zentralen Event im Terminkalender der bundesdeutschen militanten Neonaziszene geworden.

Dass die Nazis am Jahrestag des Einmarsches der Wehrmacht in Polen eine Demonstration gegen Krieg abhalten, ist im Kern weder provokativ noch ironisch gemeint. Frei nach dem Motto: „Nie wieder Krieg – nach unserem Sieg.“ verbinden die Neonazis ihre menschenfeindlichen Ideologien mit zum Teil eher aus der linken Szene stammenden Kritikpunkten. In der neonazistischen Ideologie liegt das „Hauptkonfliktfeld“ der Welt zwischen dem Kapitalismus und den biologisch definierten Völkern. Dass hierbei augenscheinlich nur alte antisemitische Klischees auf eine vermeintliche Kapitalismus- und Imperialismuskritik projiziert wird, zeigt sich in gerufenen Parolen wie: „Juden raus aus Palästina.“ oder „Nie, nie, nie wieder Israel.“. Zusätzlich versehen die Neonazis „ihren“ Antikriegstag mit einer ordentlichen Priese Geschichtsrevisionismus, in dem der deutsche Vernichtungskrieg schnell zum Befreiungskrieg der vom jüdischen und westlichen Kapital unterdrückten Völker Europas wird. Der Einmarsch in Polen war demnach eine notwendige Abwehrhandlung zur Befriedung und Befreiung der Welt und vor allem des eigenen Volkes.

In den ersten Jahren noch mit einigen hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern gestartet, kommen in den letzten Jahren zum Teil mehr als Tausend Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet und darüber hinaus am ersten Septemberwochenende nach Dortmund gereist. Auch in diesem Jahr, am 4. September, ruft die Dortmunder Neonazi-Szene wieder zur Teilnahme am „Antikriegstag“ auf. Sonja Brünzel, Sprecherin des s4 Bündnisses, das im September in Dormtund zu Gegenprotesten aufruft, bestätigte auf Anfrage: „Es ist eine Tatsache, dass immer mehr Nazigruppen den Nationalen Widerstand Dortmund und ihr ‚Politikverständnis‘ als Vorbild nehmen. Daher ist es umso wichtiger im September möglichst breiten Protest zu organisieren, um den Dortmunder Neonazis diese Möglichkeit der Profilierung zu nehmen.“

Friedrich Kraft

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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