Zur Vorgeschichte: Im April 2007 hatte das sächsische Innenministerium die rechtsextreme Kameradschaft „Sturm 34“ verboten. Die Begründung lautete auf „Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus“. Diese Nähe drückt sich allein schon in der Namenswahl der Gruppe aus, die auf eine im Raum Chemnitz stationierte SA-Brigade Bezug nimmt. Zudem hatten sich die Mitglieder ein während der NS-Zeit gängiges Symbol, eine Siegrune, als Erkennungszeichen tätowieren lassen. Zu der Kameradschaft gehörte auch eine gleichnamige Band, die in ihren Songs gegen Juden hetzte und zu ihrer Ermordung aufrief.
Ziel der Kameradschaft war es, die Region Mittweida in Mittelsachsen von Andersdenkenden und Ausländern zu „befreien“. Dazu wurden sogenannte „Skinhead-Kontrollfahrten“ unternommen. „Besucht“ wurden vor allem autonom verwaltete Jugendclubs, um herauszufinden, wo sich Informationsmaterial, Aufkleber und Ähnliches gegen rechte Umtriebe finden ließen. Stießen sie dann auf potenzielle Opfer – linke Jugendliche, Ausländer, Hip-Hopper – wurden diese überfallen und brutal misshandelt. Dabei trugen die Neonazis Sturmhauben und waren mit Schreckschusswaffen, Schlagstöcken sowie Handschuhen mit Quarzsandfüllung bewaffnet. Allein das Innenministerium hatte 37 Straftaten der Bande dokumentiert.
Mit ihren „Auftritten“ verbreitete die Kameradschaft Angst und Schrecken und machte unmissverständlich klar, dass Initiativen und Aktionen gegen Rechtsextremismus in dieser Region mit Gewalt beantwortet werden. So eroberten sie in Mittweida die Macht über den Alltag. Sie entschieden, wer sich frei bewegen durfte und wer nicht. So schufen sie in diesem Landkreis eine sogenannte „national befreite Zone“, in der Andersdenkende und Ausländer jederzeit mit Repressionen zu rechnen haben. Neben Döner-Imbissen war auch das Büro der Linkspartei in Mittweida mehrfach das Ziel von Attacken.
Mit „maßloser Gewalt“ Angst und Schrecken verbreitet
Aufgrund der steigenden Zahl rechtsextrem motivierter Übergriffe hatten dann 200 Beamte die Räumlichkeiten von mutmaßlichen Mitgliedern der Kameradschaft durchsucht und Schreckschusswaffen, Würgehölzer, Helme, Masken, Hakenkreuzfahnen und rechtsextremes Propagandamaterial sichergestellt. Deshalb sah sich Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) dazu veranlasst, den „Sturm 34“ als kriminelle Vereinigung zu verbieten und gegen die Mitglieder wegen Landfriedensbruch, Volksverhetzung und Körperverletzung zu ermitteln. Die Gruppierung umfasst nach Angaben des Innenministeriums einen harten Kern von rund 50 Neonazis und noch einmal um die 100 Sympathisanten. Eine enge Zusammenarbeit mit der sächsischen NPD ist anzunehmen und wird gerade geprüft. NPD-Funktionäre sollen in der Kameradschaft aktiv gewesen sein oder im Hintergrund die Strippen gezogen haben.
Seit April wurde nun gegen fünf führende Mitglieder der Kameradschaft vor dem Dresdner Landgericht verhandelt. Dieselbe Kammer hatte die Einstufung der 2001 verbotenen Organisation ‚Skinheads Sächsische Schweiz (SSS)’ als kriminelle Vereinigung damals noch bestätigt. Und obwohl „Sturm 34“ laut Verfassungsschutz deutliche Parallelen zu den ‚SSS’ aufweist, folgten die Richter diesmal nicht der Ansicht der Staatanwaltschaft, dass es sich bei dieser Kameradschaft nicht nur um eine „Sauf- und Schlägertruppe“ handelte, sondern dass durch ein zielgerichtetes Vorgehen mit zum Teil „maßloser Gewalt“ Angst und Schrecken verbreitet werden sollte, wie es Staatsanwältin Beatrice Baumann ausdrückte.
Die Verteidigung hatte den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung bezweifelt, da gewisse Merkmale wie ein Vorstand oder Statuten fehlen würden, und lediglich den Vorwurf der Körperverletzung eingeräumt. Dieser Argumentation folgte die Kammer nun. Bei der Strafzumessung erfüllten die Richter dennoch weitgehend die Forderungen der Staatsanwaltschaft. Diese hatte auch lediglich zwei Jugendstrafen von mehr als zwei Jahren für die beiden Hauptverantwortlichen, sowie zwei Bewährungsstrafen mit gemeinnütziger Arbeit gefordert. Während nun zwei Angeklagte Haftstrafen von drei und dreieinhalb Jahren erhielten und eine zweijährige Bewährungsstrafe ausgesprochen wurde, ist ein Angeklagter, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, freigesprochen worden, weil er seit Gründung der Vereinigung als Informant des Staatsschutzes gearbeitet hatte. Ein Angeklagter wurde zudem wegen fehlender Beweise freigesprochen.
Fehlendes „intellektuelles Inventar“ als Hauptproblem?
Damit ahndete das Gericht lediglich gefährliche Körperverletzungen und Sachbeschädigung, während es den Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung als nicht bewiesen ansah. Zu der Tatsache, dass die Bezugnahme der „Sturm 34“-Mitglieder auf nationalsozialistischen Ideen einen tiefen Rassismus zeige, sagte der Richter Martin Schultze-Griebler in seiner Andershalbstündigen Urteilbegründung lapidar: „Es ist die passende Ideologie für Leute, die sich gern prügeln.“ Zudem deutete der Richter fehlendes „intellektuelles Inventar“ als das Hauptproblem der fünf Angeklagten. Damit werden diese als dumme Jungs dargestellt und deren Gewaltmotivation auf gefährliche Weise verharmlost. Angesicht der bandenmäßig geplanten, politisch motivierten und brutal durchgeführten Gewalttaten ist es schleierhaft, wie das Landgericht nicht einmal beim harten Kern der Kameradschaft einen „verbindlichen Gruppenwillen“ feststellen konnte. Die Täter hätten ihre Taten einvernehmlich beschließen und an den Beschluss gebunden sein müssen. Da aber jeder Einzelne über seinen Tatbeitrag habe entscheiden können, sei es nicht möglich gewesen, sie wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung zu verurteilen, so das Landgericht.
Dabei hatte ein Mitglied der Gruppe ausgesagt, dass auf der Gründungsveranstaltung einer der jetzt freigesprochenen Angeklagten angekündigt hatte, man wolle die Region von „Zecken“ säubern und mit Gewalt eine national befreite Zone schaffen. Auch die militärische Hierarchie mit einem Anführer an der Spitze und untergeordneten „Offizieren“ wurde von Informanten beschrieben. Der Rest war Fußvolk, das sich beim „Fronteinsatz“ bewähren musste. Das Dresdner Landgericht legt die Messlatte dafür, wann eine hochgradig kriminell agierende Gruppe eine kriminelle Vereinigung ist, mit diesem Urteil sehr hoch. Wie sind die Urteile also zu bewerten?
Zunächst einmal ein Vergleich: Die beiden sogenannten Münchner U-Bahn-Schläger haben für ihre – zweifellos äußerst brutale – Tat Haftstrafen von zwölf und achteinhalb Jahren bekommen. Dass die griechisch bzw. türkischstämmigen Jugendlichen das Opfer als „Scheiß Deutschen“ beschimpft haben, war ausreichend, um den Vorfall als versuchten Mord zu werten. Wenn dagegen, wie im April 2006 in Potsdam, auf der Mailbox eines von zwei Deutschen fast zu Tode geprügelten Menschen der Ruf „Nigger“ aufgezeichnet wird, behauptet doch tatsächlich der Innenminister, dass von einem rassistischen Motiv nicht unbedingt ausgegangen werden kann. Solange deutsche Politiker, Staatsanwälte und Richter mit derart unterschiedlichen Maßstäben Gewaltverbrechen beurteilen, wundert es eigentlich nicht, dass ein Landgericht nur Körperverletzung und Sachbeschädigung erkennt, wenn eine rechtsextreme Kameradschaft über Jahre eine ganze Region mit Terror und brutaler Gewalt überzieht und gezielt Andersdenkende und Ausländer einschüchtert, bedroht und tätlich angreift.
Mit Hitlergruß und brennendem Kreuz auf die Tat eingestimmt
Ein rechtsextremer Schläger läuft in Deutschland kaum Gefahr, wegen versuchten Mordes angeklagt zu werden, obwohl auch in diesem Fall einiges für eine solche Einschätzung gesprochen hätte: Der Richter selbst erkannte die äußerste Brutalität der Angeklagten und verwies auf einen Übergriff an einer Tankstelle in Stollberg. „Dass da kein Toter zurückblieb, war nicht der Verdienst der Angeklagten“, so Schultze-Griebler und fügte sogar hinzu, dass er sich „an die Vorgänge in der Münchner U-Bahn erinnert“ fühlte. „Hätte es eine Videoaufzeichnung gegeben wie in der bayerischen Metropole, wäre sicher über ein mögliches Tötungsdelikt zu verhandeln gewesen.“ Dass ein Beteiligter gegenüber der Polizei angegeben hatte, dass sich die Kameraden vom „Sturm 34“ zuvor in einem Jugendclub vor einem brennenden Kreuz, mit Hitlergruß ein Lied vom Ku Klux-Klan singend auf die Tat eingestimmt hatten, war demnach nicht überzeugend genug.
Bei einem Überfall auf ein Dorffest zeigten die Neonazis ein ähnliches Vorgehen. Ein Zeuge berichtete, dass der Anführer der Gruppe ein Kommando von etwa 20 Kameraden in vier bis fünf Autos losschickte, nachdem eine „Autostreifen“ der Gruppe telephonisch „Opfer“ an die „Zentrale“ gemeldet hatte. Beim Fest marschierten sie in einer langen Reihe auf, versperrten den Hinterausgang und schlugen sofort zu. Zuerst auf Punks, dann auf alle, die sich einmischten. Die Bilanz waren neun teilweise schwer Verletzte. „Sie hatten mit Quarzsand gefüllte Handschuhe an“, sagte eine Augenzeugin. Darin, so Schultze-Griebler, sehe man das „Einschüchterungspotenzial“ der Truppe. Aber Quarzsand in Handschuhen dient nicht der Einschüchterung, denn dazu müsste der Einzuschüchternde um den Sand wissen, sondern stellt einzig und allein eine gefährliche Waffe da. Ein Richter am Landesgericht sollte derartige Unterscheidungen treffen können!
Der nun freigesprochene Informant hatte dem Staatsschutz unmittelbar nach Gründung von „Sturm 34“ offenbart, er fürchte, dass seine Kameraden irgendwann jemanden töten. Der Anführer der Gruppe wäre nachts mit einer Axt über den Rochlitzer Marktplatz patrouilliert. Ein beklemmendes Detail, das viel sagt über rechtsextreme Machtfantasien und staatliche Ohnmacht. Im Oktober beginnt der Prozess gegen zehn weitere Mitglieder der Kameradschaft. Dass die Urteile dann angemessener ausfallen, ist kaum zu hoffen.
Christopher Egenberger
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).