Dabei verdient insbesondere die AfD Beachtung. Fragwürdige Kontakte zwischen hochrangigen Parteimitgliedern und dem russischen Staat sind vielfach dokumentiert. Unser Interesse gilt hier der Verbreitung von Desinformation im engeren Sinne.
Erstes Beispiel ist der Bundestagsabgeordnete Eugen Schmidt. Schmidt ist russlanddeutscher Spätaussiedler, laut Recherchen des Magazins Kontraste soll der Bundestagsabgeordnete „russischen Propagandamedien“ im Februar 2022 Interviews gegeben haben, in denen er Deutschland als Diktatur ohne Meinungsfreiheit beschrieb.120 Daneben agitiert er gegen die Sanktionspolitik und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, die – wie er auf Telegram schreibt – zum Dritten Weltkrieg führen würden. Schmidt firmiert auch als Ombudsman der von der AfD am 22. Juli 2022 gegründeten „Vereinigung zur Abwehr der Diskriminierung und der Ausgrenzung Russlanddeutscher sowie russischsprachiger Mitbürger in Deutschland“ (VADAR). Der Verein, dessen Vorsitz der Parteigenosse Ulrich Oehme innehat und dem auch Gunnar Lindemann, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, angehört, wird etwa auf den YouTube-Kanälen von Sergej Filbert beworben. Auf seinem Facebook-Auftritt positioniert der Verein sich gegen die restriktive Visa-Politik der baltischen Staaten gegenüber russischen Staatsbürger*innen. Er sammelt Meldungen über teils gewaltvolle Übergriffe auf russischsprachige Menschen in Deutschland, die schwierig zu verifizieren sind. Auch russische Staatsmedien berichteten über die Gründung von VADAR, behaupteten aber fälschlicherweise, dass Schmidt vom Bundestag zum offiziellen „Ombudsman für die Rechte der Russen im Land“ ernannt worden sei. Die Vereinsgründung ließ sich derart zur Untermauerung des Narrativs von einer um sich greifenden Russophobie nutzen.
Während Akteur*innen wie Schmidt also direkt vom russischen Propagandaapparat eingespannt werden, verbreiten weitere Teile der AfD Erzählungen, die denen der russischen Regierung zum Verwechseln ähnlich sehen – vielleicht aus ideologischer Überzeugung, vielleicht auch aus politischem Kalkül. Björn Höcke, der rechtsextreme Fraktionssprecher der thüringischen AfD, bezeichnete den Überfall auf die Ukraine bei einer Rede in Gera am 3. Oktober 2022 als einen Krieg zwischen dem Kreml und den USA. Putin (und anderen autoritären Machthabern) sprach er seine Bewunderung aus, denn diese würden Widerstand gegen die „globale Einheitszivilisation“ und das westliche „Regenbogenimperium“ leisten.
Nicht länger AfD-Mitglied ist hingegen Stefan Treichel. Treichel saß für die rechtsradikale Partei in der Rostocker Bürgerschaft. Daneben verbreitete der Politiker mit russlanddeutschen Wurzeln prorussische Propaganda auf Telegram und TikTok, darunter auch Verlinkungen auf das Angebot des verbotenen Senders Russia Today. Bereits seit 2020 lief ein Parteiausschlussverfahrens gegen Treichel. Seine Äußerungen brachten ihm auch eine Geldstrafe ein.
Putin-freundliche und den Angriffskrieg relativierende Positionen finden sich unter- dessen nicht nur in der AfD und im rechtsradikalen Spektrum. Auch Gruppierungen der antiimperialistischen linken Szene und Politiker*innen der Partei Die Linke teilen und verbreiten derartige Narrative. So unterschiedlich beide Strömungen und beide Parteien auch sind, in ihrem Antiamerikanismus finden AfD und Die Linke deutliche Überschneidungen. Ein Beispiel ist die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Die Linke). Seit 2014 fällt Dağdelen im Kontext der Krim-Annexion und des Ukraine-Kriegs mit prorussischen Äußerungen auf. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete sie damals als „Putins U-Boot“. Unmittelbar vor Kriegsbeginn gab Dağdelen öffentlich der NATO und den USA die Schuld an der sich abzeichnenden Gewalteskalation. Das Eingreifen russischer Truppen deutete sie als Reaktion auf eine angeblich bevorstehende ukrainische Offensive im Donbas. Seit Kriegsbeginn veröffentlicht Dağdelen Artikel für die NachDenkSeiten. Außerdem beteiligte sie sich gemeinsam mit Oskar Lafontaine und anderen Parteigenoss*innen an der Konferenz „Ohne NATO leben“ – Ideen zum Frieden an der Humboldt-Universität. Laut Berliner Zeitung ließ sich die Grundlinie der Veranstaltung mit „Russland wurde von der hegemonialen Politik der USA provoziert“ wiedergeben.
Daneben trat mit Sahra Wagenknecht auch die einstige Fraktionsvorsitzende der Linken mit der Übernahme kremlnaher Positionen in Erscheinung – insbesondere in der Energiepreisdebatte. Für kontroverse Diskussionen sorgte etwa Wagenknechts Bundestagsrede vom 8. September 2022, in der sie von einem „Wirtschaftskrieg“ sprach, den Deutschland gegen Russland vom Zaun gebrochen habe. Dass gerade Putin Opfer ausländischer Aggression sein soll, kommt einer Täter-Opfer-Umkehr gleich. Auf ihrem reichweitenstarken YouTube-Kanal (fast 600.000 Abonnent*innen) verbreitet die rhetorisch
gewandte Politikerin ebenfalls Videos mit Titeln wie „Sehenden Auges in die Katastrophe? Wie die USA den Frieden verhindern.“ ImAngesicht der Energiekrise äußert Wagenknecht dort Thesen, die auch als Zustimmung zur rechtsextremen Mobilisierung zum „Heißen Herbst“ 2022 gelesen werden können: „Immer mehr Menschen allerdings gehen mittlerweile auch auf die Straße, um ihrem Unmut Luft zu machen und eine andere Politik einzufordern und ich denke, das ist wirklich dringend notwendig.“
Im Lichte solcher Einstellungen ist die Gefahr einer Querfrontbildung zwischen rechtsextremen Demokratiefeind*innen und den prorussischen Teilen der Linken nicht auszuschließen. Von rechten Strateg*innen wie Jürgen Elsässer wird diese Querfrontbildung im Rahmen des „Heißen Herbstes“ zumindest propagiert. Am 5. September 2022 lud Elsässer in Leipzig Wagenknecht auf seine Bühne ein. Zuvor war sie – laut eigener Angabe – von der Leipziger Kundgebung ihrer eigenen Partei als Rednerin ausgeladen worden. Die Querfrontstrategie hatte keinen Erfolg. Auch Wagenknecht ließ sich an dem Tag nicht in Leipzig blicken. Elsässer konnte am Ende nur einen „Sahra, Sahra“-Sprechchor anstimmen. AfD-Sprecherin Alice Weidel äußerte sich jedoch besorgt über Gerüchte, Wagenknecht könne eine eigene Partei gründen. Bei Themen und Klientel sieht sie offenbar Überschneidungspotenzial.
Die Publikation
Weitere Teile der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ – Demokratiefeindliche Narrative in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine der Amadeu Antonio Stiftung erscheinen in den nächsten Tagen.
Aus dem Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Worauf zielt Desinformation?
3. Narrative
3.1 Was steht hinter Krieg und Propaganda?
3.2 Russische Propaganda: Zwischen Desinformationskampagne und Verschwörungsideologie
4. Grenzüberschreitende Desinformationskanäle auf Russisch
4.1 Russische Propaganda als deutsches Problem
4.2 Quellen der Desinformation in Russland
5. Wie wird in Deutschland kremlnahe Desinformation verbreitet?
5.1 „Alternative Medien“
5.2 Social Media
5.3 Putin-Freund*innen in der Politik
6. Handlungsempfehlungen
6.1 Strategische Überlegungen zum Umgang mitkremlnaher Propaganda und Desinformation
6.2 Handlungsempfehlungen
Die Broschüre als PDF zum Download finden Sie hier:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/eine-waffe-im-informationskrieg-demokratiefeindliche-narrative-in-russlands-angriffskrieg-gegen-die-ukraine/