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Broschüre „Menschenwürde online verteidigen“ Wie Sie auf rechtsextreme Kampagnen reagieren können

(Quelle: pixabay / Free-Photos)

Viele Diskussionen in Sozialen Netzwerken zeichnen kein repräsentatives Bild davon, welche Meinungen in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Vielmehr versuchen Sympathisant*innen rechtsextremer Gruppen gezielt, den Diskurs dort zu beherrschen und demokratische Stimmen zum Schweigen zu bringen.


  1. Hassattacken sind häufig koordiniert – lassen Sie die Öffentlichkeit das wissen
  2. Organisieren Sie Solidarität und machen Sie sich klar: Sie haben nichts falsch gemacht
  3. Entwickeln Sie Reaktionsabläufe
  4. Handlungsfähig bleiben im Shitstorm
  5. Sorgen Sie für Entlastung
  6. Desinformation entlarven, ohne menschenfeindliche Narrative zu stärken
  7. Werden Sie nicht ungewollt zum Multiplikator rechtsextremer Inhalte

Wie Sie auf rechtsextreme Kampagnen reagieren können

Die Abwehr von Angriffen rechtsextremer und -populistischer Akteur*innen nimmt bei zivilgesellschaftlichen Organisationen immer mehr Kräfte in Anspruch, bindet Ressourcen und verunsichert Mitarbeitende bis in den privaten Bereich hinein. Konfrontiert werden Vereine und NGOs hierbei meist mit einem der Hauptnarrative rechtsextremer Weltanschauung: Die aktuelle Politik sei eine Verschwörung gegen Land und „Volk“. Rechtsradikale Akteur*innen erheben dabei den Anspruch, als einzig wahre Stimme den Willen eines vermeintlich homogenen „Volks“ zu vertreten. Nichtregierungsorganisationen die für eine demokratische Kultur eintreten oder in Politikbereichen arbeiten, die die Rechtsextremen als Kampfgebiete begreifen – insbesondere Migration, Islam, Geschlechtergerechtigkeit, sexuelle Identitäten oder Kinder- und Jugendpolitik –, werden als linksextrem diffamiert. Positionierungen gegen Rechtsextreme und die Kritik ihrer Ideologie werden zu Zensur umgedeutet.

Das Internet ist ein Ort, an dem diese Art der Auseinandersetzung konstant geführt wird. Shitstorms und gezielte Desinformationskampagnen gehören dabei fest zum medienstrategischen Instrumentarium rechtsextremer Akteur*innen. Ein Shitstorm ist die Steigerungsform von Hate Speech – nämlich die massenhafte Äußerung von Hassrede durch viele Accounts gegen eine Person oder Organisation. Extrem rechte Gruppen haben in den vergangenen Jahren auch ihr Auftreten in Sozialen Netzwerken professionalisiert. Und ein Teil ihrer Medienstrategien ist es, koordiniert Accounts oder Nutzer*innen anzugreifen, die sie als politische Feind*innen markieren oder als Stellvertreter*innen des „Systems“ ansehen.

1. Hassattacken sind häufig koordiniert – lassen Sie die Öffentlichkeit das wissen

Die rechtsextreme Troll-Netzwerk „Reconquista Germanica“ machte erstmals im Bundestagswahlkampf 2017 öffentlich von sich reden. Zeitweise organisierten sich Tausende Accounts über die Chat-App Discord, um gezielt Diskussionen im Netz zu stören und zu manipulieren. So gelang es der Gruppierung, während des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz Hashtags wie #GEZFakeNews oder #Verräterduell zu pushen und damit kurzzeitig sogar die Twitter-Trends zu dominieren.

Das Prinzip, Kommentarspalten oder Hashtags zu dominieren oder auch ganze Accounts politischer Gegner*innen mit einer Vielzahl von Attacken vorübergehend unbenutzbar zu machen, hat Methode. Die Studie „Hass auf Knopfdruck“ vom Londoner Institute for Strategic Dialoge und der Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier zeigt das gravierende Ausmaß rechtsextremer Hasskampagnen in den Sozialen Netzwerken – und dass diese durch eine kleine, aber hochaktive Gruppe vorangetrieben werden. Hierfür wurden 1,6 Millionen rechtsextreme Beiträge auf Facebook über den Zeitraum von einem Jahr untersucht. Nur 5.500 Accounts waren für 50 Prozent der Likes auf hasserfüllte Kommentare verantwortlich – das entsprach gerade einmal 5 Prozent der mit den untersuchten Posts interagierenden Accounts.

Die Folge dessen ist, dass viele Diskussionen in Sozialen Netzwerken kein repräsentatives Bild davon zeichnen, welche Meinungen in unserer Gesellschaft vorhanden sind. Vielmehr versuchen Sympathisant*innen rechtsextremer Gruppen gezielt, den Diskurs dort zu beherrschen und demokratische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Sie verabreden sich wie „Reconquista Germanica“ in Chats, Foren oder Messenger-Gruppen. Durch die zeitliche und örtliche Koordination, die im Geheimen stattfindet und für Öffentlichkeit und angegriffene Personen unsichtbar bleibt, gelingt es ihnen, Masse zu simulieren und ihre Themen im politischen Mainstream zu platzieren. Sie wollen suggerieren, es würde sich um sehr viele Nutzer*innen handeln, die so denken, und es sei gesellschaftlich akzeptiert, Menschen aufgrund bestimmter Merkmale abzuwerten.

Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen darum das Wissen, wie konzertiert die extreme Rechte einzelne Nutzer*innen stellvertretend für die gesamte Zivilgesellschaft angreift, popularisieren. Sie sollten solche Vorgänge dokumentieren, öffentlich machen und skandalisieren. Gerade den Moderator*innen der Seiten von Organisationen kommt dabei die Rolle eines Frühwarnsystems zu. Sie haben meist ein sehr feines Gespür dafür, wenn sich ein Hass-Sturm zusammenbraut und vermehrt Accounts die Seiten frequentieren, die sonst nicht zur Community gehören.

2. Organisieren Sie Solidarität und machen Sie sich klar: Sie haben nichts falsch gemacht

Es gehört zur täglichen Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und politischen Initiativen, gesellschaftlich umstrittene Themen aufzugreifen, Diskrepanzen zwischen dem demokratischen Gleichwertigkeitsideal und der ungleichen Realität zu kritisieren und sich auf diese Weise zu exponieren. Das macht sie natürlich zu lohnenden Angriffsobjekten für rechtsextreme Gruppen und ihre Sympathisant*innen im Internet. Aber das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass sich ein Shitstorm vermeiden ließe, indem Ihre Organisation in den Sozialen Netzwerken lediglich unkontroverse Themen aufgreift. „Die Auslöser von solchen Shitstorms sind einigermaßen beliebig“, berichtet die österreichische Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl in ihrer Kolumne für das Magazin Moment.at. Sie wird selbst immer wieder auf Twitter für ihre Analysen zur extremen Rechten angegriffen wird. „Ein Shitstorm exponiert und lähmt. Er soll beschämen (‚Du hast etwas gravierend falsch gemacht!’) und vereinzeln.“

Das Gegenstück zu der Destruktivität eines Shitstorms sind Solidarität und Zusammenarbeit. Und die ist in so einem Fall gefordert: Bitten Sie Ihr Netzwerk, sich mit Ihnen solidarisch zu zeigen – ob nichtöffentlich durch einen Blumenstrauß, innerhalb einer Fachöffentlichkeit durch die Verbreitung einer Erklärung über eine Mailingliste oder öffentlich in Sozialen Medien. Bitten Sie Forscher*innen und (Fach-)Journalist*innen, den vorliegenden Fall zu untersuchen: Finden sich Indizien oder Beweise dafür, dass der Shitstorm von rechtsextremen Strukturen gelenkt wird? Wenden Sie sich an die Initiative #ichbinhier: 45.000 Gruppenmitglieder engagieren sich hier auf Facebook für eine bessere Debattenkultur und stellen sich gegen toxische Kommentare. Sie unterstützen auch Personen des öffentlichen Lebens und gemeinnützige Organisationen, wenn sie von organisierten Hasskampagnen betroffen sind. Denken Sie ebenfalls daran: Der rechtsextreme Shitstorm tobt quasi dauerhaft. Wenn Sie gerade nicht davon betroffen sind, dann sind es sehr wahrscheinlich andere. Nutzen Sie die Accounts Ihrer Organisation mit großer Reichweite auch, um sich schützend vor gefährdete Gruppen und Menschen, die mit ihrem echten Namen im Netz unterwegs sind, zu stellen und ihnen bei Angriffen beizustehen.

3. Entwickeln Sie Reaktionsabläufe

Sorgen Sie dafür, dass Sie im Ernstfall sprech- und handlungsfähig bleiben. Legen Sie daher am besten schon vorher fest, wie Ihr Vorgehen im Falle eines Shitstorms aussehen soll. Die folgenden Fragen können bei der Vorbereitung helfen: Wer aus Ihrer Organisation und welche Partner*innen müssen benachrichtigt werden? Wer darf Entscheidungen treffen? Welche Kolleg*innen sind Social Media-affin und können bei der Moderation der Kommunikationskanäle helfen? Soll der Auslöser-Post eher verteidigt oder offline genommen werden? Ist es eine Option, Kanäle auf ‚privat’ zu stellen (Twitter) oder Kommentare zu deaktivieren (YouTube und Instagram)? Legen Sie die Kontakte Ihrer wichtigsten Ansprechpartner*innen sowie die von Beratungsstellen bereit (siehe Glossar dieser Broschüre). Für solche Fälle vorher einen Plan zu haben, gibt Gelassenheit und nimmt auch dem Shitstorm den Überraschungseffekt.

Etablieren Sie ein regelmäßiges Monitoring dessen, was im Internet über Ihre Organisation geschrieben wird. Um zu wissen, wie mögliche Anfeindungen gegen Ihre Organisation aussehen könnten, nutzen Sie Tools wie Google Alerts oder Tweetdeck. Daraus lassen sich Antworten auf Anfeindungen und Vorwürfe entwickeln, noch ehe sie uns öffentlich in Bedrängnis bringen.

4. Handlungsfähig bleiben im Shitstorm

Um im Shitstorm handlungsfähig zu bleiben, sollten Sie sich zuerst von dem Anspruch verabschieden, jeden kritischen oder hasserfüllten Kommentar einzeln zu beantworten. Beschränken Sie sich zunächst darauf, strafrechtlich relevante Kommentare zu dokumentieren, auf Ihrer Seite zu verbergen und Sie dem Netzwerk zu melden. Verweisen Sie auf Ihre Netiquette. Personen, denen es offensichtlich nur um Hass und Trolling geht und nicht um Inhalte, können Sie guten Gewissens blockieren.

Beantworten Sie einzelne kritische, aber inhaltlich fundierte Kommentare exemplarisch ausführlich. Nehmen Sie sich auch jetzt noch die Zeit, den Follower*innen zu danken, die Ihnen die Stange halten, Hassredner*innen widersprechen oder die sich einfach mit Ihnen solidarisch zeigen.

Bilden Sie ein Krisenteam, das mit einer Stimme und auf allen Kanälen gleichzeitig spricht. Dokumentieren Sie, was passiert – das können Sie unter Umständen argumentativ nochmal gebrauchen, wenn es zum Beispiel darum geht nachzuweisen, dass es sich um eine konzertierte Kampagne gegen Sie handelt.

Schreiben Sie ein Statement oder Antworten auf häufig gestellte Fragen und Vorwürfe (FAQ). Veröffentlichen Sie sie auf Ihrer Homepage und/oder als Notiz auf Ihren

Social Media-Kanälen – und verweisen Sie auf diesen Text. So können Sie Falscherzählungen geraderücken, und Ihre Sicht auf das Thema ist ebenfalls über Suchmaschinen auffindbar.

Wenn davon auszugehen ist, dass Ihre Geldgeber*innen, Spender*innen oder andere Partner*innen mit den Vorwürfen belästigt werden: Kontaktieren Sie sie so frühzeitig wie möglich. Erklären Sie die Situation – und sorgen Sie so für Solidarität, wo sonst vielleicht Aufregung oder gar Distanzierung herrschen könnten.

5. Sorgen Sie für Entlastung

Es kann sehr belastend sein, für mehrere Stunden oder sogar Tage konstant Hassbotschaften ausgesetzt zu sein – selbst, wenn diese „nur“ Ihre Organisation und nicht Sie als Person angreifen. Achten Sie deshalb gut auf sich! Sein Sie auch organisationsintern solidarisch miteinander. Helfen Sie sich. Wenn möglich, lassen Sie das Telefon, über das die meisten wütenden Anrufe ankommen, rotieren. Selbiges gilt für das Email-Postfach, in dem wütende oder sogar bedrohliche Mails eingehen.

Wenn es Konfliktpotential gibt: Klären sie es, wenn möglich, nach dem Shitstorm und nicht öffentlich. Es ist für alle schwer – für eine*n allein aber noch schwerer. Holen Sie sich Hilfe: Sie können Partnerorganisationen, Kolleg*innen, Freund*innen und Engagierte aus Ihrem Umfeld bitten, positive Beiträge und Solidaritätserklärungen zu posten – zum Beispiel in Form von positiven Bewertungen bei Facebook, um einen Sturm von negativen Bewertungen auszugleichen.

Kollegiale Fallberatung während oder nach dem Shitstorm kann ein guter Weg sein, mit dem Erlebten gemeinsam umzugehen. Denn es hilft, Online-Hass auch offline zu besprechen, um die Erfahrung gemeinsam zu verarbeiten. Wenn Sie das Erlebte stark beschäftigt, dann können Sie Supervisionen organisieren – einzeln oder im Team. Dann können Sie zum Beispiel mit professionellen Psycholog*innen über Strategien zum Umgang mit der digitalen Gewalt sprechen. Außerdem kann bei anhaltender Belastung durch den Job eine Lösung darin liegen, die Kanäle für eine gewisse Zeit in vertrauensvolle Hände zu übergeben.

6. Desinformation entlarven, ohne menschenfeindliche Narrative zu stärken

Neben organisierten Hassattacken besteht eine zweite wichtige Medienstrategie der extremen Rechten darin, gezielt Falschmeldungen zirkulieren zu lassen. Obwohl häufig ein kritischer Blick in den Bericht und auf die darin zitierten Quellen genügen würde, um zumindest Skepsis zu wecken, glauben viele Menschen Falschmeldungen in Sozialen Medien und verbreiten diese auch weiter. Das liegt daran, dass solche „Fake News“ in der Regel gezielt an ein Narrativ anknüpfen, das von der Zielgruppe dieser Meldungen geglaubt wird. Die gefälschte Meldung wird also für wahr gehalten, weil sie mit einem bestimmten Weltbild korrespondiert.

Und deshalb ist es gegenüber dieser Zielgruppe auch nicht zielführend, der Meldung schlicht zu widersprechen und das Gegenteil für wahr zu erklären, wenn Sie als Vertreter*in einer Organisation Desinformationen, Mythen, Gerüchte oder Lügen entlarven wollen, die Sie oder Ihre Themen betreffen. In ihrem Handbuch „Widerlegen, aber richtig“ zeigen der Physiker John Cook und der Psychologe Stephan Lewandosky am Beispiel der Klima-Debatte, wie falsche Informationen korrigiert werden können. Sie warnen: „Ein unvorsichtiger Versuch, eine falsche Information zu widerlegen, kann aus Versehen dazu führen, genau das Gerücht zu verstärken, das man eigentlich ausräumen möchte.“ Um zu vermeiden, dass ein solcher Versuch nach hinten losgeht, schlagen sie drei Anforderungen an die Widerlegung vor:

  • Die Widerlegung muss sich auf die wesentlichen Fakten statt auf das Gerücht konzentrieren.
  • Der Wiederholung des Gerüchts sollte eine eindeutige Warnung vorangestellt werden, dass die folgende Information falsch ist.
  • Die Wiederlegung muss eine alternative Erklärung beinhalten, die Bestandteile aus der ursprünglichen Falschinformation aufgreift.

Sie empfehlen für Texte das „Truth Sandwich“: Richtige Informationen sollten an den Anfang gestellt werden, in der Mitte verweist der Text auf die falsche Information und reproduziert ihren Ursprung, am Ende findet sich noch einmal der Verweis zu den gesicherten Informationen.

7. Werden Sie nicht ungewollt zum Multiplikator rechtsextremer Inhalte

Machen Sie sich diese Hinweise auch zu Nutze, wenn Sie absichtlichen Falschmeldungen über Ihre Organisation oder Ihre Themen auf den eigenen Seiten entgegentreten möchten: Auch, wenn die Vorwürfe Rechtsextremer ohne Grundlage sind, können sie das öffentliche Bild einer Organisation beschädigen. Deswegen kann es sinnvoll sein, angemessen auf Vorwürfe und Negativkampagnen zu reagieren. Für eine solche Reaktion sollten Sie beachten: Sie laufen Gefahr, dass rechtsextreme Narrativ zu stärken, wenn Sie es wiedergeben. Reproduzieren Sie die Inhalte rechtsextremer Medien deshalb so wenig wie möglich. Wenn Sie auf deren Inhalte aufmerksam machen wollen, verzichten Sie darauf, den Original-Post zu teilen – fertigen Sie stattdessen einen Screenshot an. Jeder Klick auf eine Website und jede Reaktion auf einen Post – auch wenn sie Ablehnung ausdrücken – werten die Algorithmen der Sozialen Netzwerke oder von Suchmaschinen als Hinweis auf Relevanz der Seiten.

 

Cover der Broschüre „Menschenwürde online verteidigen. 33 Social Media-Tipps für die Zivilgesellschaft“ von Civic.net.

Mehr aus der Broschüre „Menschenwürde online verteidigen. 33 Social Media Tipps für die Zivilgesellschaft“ von „Civic.net – Aktiv gegen Hass im Netz“ in den nächsten Tagen!

 

  • Informationen, Beratung und Unterstützung

Die Broschüre als PDF zum Download:

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