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Budapest Die „European Fight Night“ ist der neue „Kampf der Nibelungen“

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Auch eine Medienstrategie: Die ungarische Neonazigruppe "Légió Hungária" postet auf Telegram ein Bild der Veranstalter - es ist aber nicht aktuell, sondern von einem frühren Treffen. Es soll suggerieren: Wir sind alle da - wurde aber gepostet, bevor Deptolla (ganz rechts) Ungarn erreichte. Inzwischen ist er aber da. (Quelle: Screenshot Telegram)

Im Februar 2023 schlugen europäische Neonazis mehrere Fliegen mit einer Klappe: Sie trafen sich erst zum rechtsextremen „Trauermarsch“ in Dresden (vgl. Belltower.News), dann zogen sie weiter nach Sofia in Bulgarien. Dort ging es erst zum Lukov-Marsch, einer alljährlichen NS-verherrlichenden und geschichtsrevisionistischen Demonstration zu Ehren des antisemitischen NS-Kollaborateurs, Generals und Kriegsministers Hristo Lukov.

Mit dabei waren führende Köpfe der rechtsextremen, sogenannten „aktionsorientierten“ Szene Deutschlands: So auch Alexander Deptolla, ehemaliges Mitglied der inzwischen verbotenen Kameradschaft “Nationaler Widerstand Dortmund”, danach Funktionär von „Die Rechte“ und Organisator der rechtsextremen Kampfsport-Event-Serie „Kampf der Nibelungen“.*

Doch deutsche Neonazis kamen nicht nur zum Demonstrieren: Deptolla nutzte den Sofia-Besuch für weitere Vernetzung mit ungarischen und französischen Neonazis, die ebenfalls Interesse an rechtsextremem Kampfsport besitzen, und dokumentierte das freundlicherweise gleich auf Social Media: Er sprach mit Béla Incze, Kopf der ungarischen Neonazi-Truppe „Légió Hungária“, und mit Tomasz Szkatulski vom französischen Neonazi-Kampfsport-Label „Pride France“. Offenbar wurden sie sich einig. Das Ergebnis der Besprechungen soll morgen in Budapest stattfinden: Die „European Fight Night“ ist ein klandestin organisiertes, internationales Neonazi-Kampfsport-Event an einem nicht bekannten Ort in Budapest, bei dem 15 Kämpfer aus verschiedenen Ländern gegeneinander antreten sollen.

Internationale des Nationalismus

Denn allem Nationalismus zum Trotz: Teile der rechtsextremen Szene engagieren sich für die internationale Vernetzung demokratiefeindlicher und NS-huldigender Menschen. Kein Wunder, stehen ihnen die „Kameraden“ aus anderen Ländern oft näher als demokratische oder liberale Menschen aus ihren eigenen. Allerdings geht es bei internationalen Vernetzungstreffen um weit Praktischeres als nur um NS-Verherrlichung oder um den strategischen Austausch. Es geht auch um eine Vergrößerung der Märkte, etwas für rechtsextreme Bekleidungsmarken oder Tonträger-Handel.

Und nicht zuletzt ist das Interesse in der rechtsextremen Musikszene und im Sport besonders groß: Wenn Veranstaltungen in einem Land verboten werden, können sie in einem anderen durchaus stattfinden. So erlernte das rechtsextreme „Blood and Honour“-Netzwerk aus der Rechtsrock-Konzert-Szene, Internationalität zu nutzen. Und dessen rechtsterroristischer Arm, Combat 18, stellte fest, dass internationale Neonazi-Kontakte auch für Waffenkäufe und Wehrsportübungen dienlich sind.

Bisher fand die größte rechtsextreme Kampfsport-Event-Reihe, „Kampf der Nibelungen“, seit 2013 in Deutschland statt. Bei den Events geht es neben toxischer Männlichkeit und Gewalt auch um Kommerz, sprich: um den Verkauf von rechtsextremen Bekleidungsmarken. Beim „Kampf der Nibelungen (KdN)“ ist das neben der hauseigenen Marke „KdN“ vor allem die Kampfsportmarke „White Rex“ des russischen Neonazis Denis „Nikitin“ Kapustin. Doch der hat nun anderes zu tun, kämpft auf der ukrainischen Seite des Krieges gegen Putins Russland, das Neonazis wie Nikitin hart angeht (vgl. Belltower.News). Außerdem wurde der von Deptolla organisierte „Kampf der Nibelungen“ 2022 verboten (vgl. Belltower.News).

Nun soll die „European Fight Night“ offenbar die Lücke füllen. 

Alexander Deptolla vom „Kampf der Nibelungen“ ist offenkundig der Hauptakteur der Organisation, doch seine neuen Mitveranstaltenden passen offenkundig gut zu ihm.

Die „Légió Hungária“, die Béla Incze anführt, ist in Ungarn durch die Organisation des rechtsextremen Aufmarsches „Tag der Ehre“ bekannt, die sie 2018 übernommen hat – von „Blood and Honour“-Strukturen. Die Gruppe griff 2019 aus einer Demonstration ein jüdisches Gemeindehaus in Budapest an, bepflasterte es mit Neonazi-Aufklebern und verbrannte eine Regenbogenfahne vor der Tür. 2021 zerstörten sie eine „Black Lives Matter“-Statue in Budapest. Mitglieder der „Légió Hungária“ nehmen bereits seit Jahren am „Kampf der Nibelungen“ teil – und sahen nun offenbar die Möglichkeit, im Rechtsextremismus eher zugeneigten Ungarn ein Ausweichquartier anzubieten. Wie Bellingcat berichtet, haben Mitglieder auch gute Kontakte zu ungarischen Fußballhooligans.

„Pride France“ ist eine französische rechtsextreme Bekleidungsmarke, und ihr Kopf Tomasz Szkatulski ist ein französischer Neonazi mit polnischen Wurzeln, der bereits seit Jahren Neonazi-Events organisiert und 2023 auch auf dem „Trauermarsch“ in Dresden eine Rede hielt. Bei Kampfsport-Events tritt er selbst als Kämpfer an. Szkatulski radikalisierte sich in der gewalttätigen Fußball-Hooligan-Szene von Lille und ist mehrfach verurteilt wegen rassistischer und queerfeindlicher Gewalt, u.a. wegen einer Attacke mit einer Fahrradkette. Der Telegram-Kanal von „Pride France“ besteht aus Bedrohung und exzessiver NS-Verehrung aussehen kann: Zu Hitlers Geburtstag etwa postet der Kanal: „Wir sind die Krieger. Wir sind die Erben von A.H. H8.“ Wenn das nicht klassischer Neonazismus ist.

Attraktivität von Kampfsport für Rechtsextreme

So hoffen sich nicht weniger der Teilnehmenden auf eine ungestörte Feier ihrer nationalsozialistischen Ideologie, die sehr gut zum Kampfsport-Betrieb passt. Militante Neonazis bereiten sich mit Kampfsport – und anderen „Wehrsportübungen“ – auf einen Tag X vor, an dem sie die Demokratie stürzen wollen – mit Waffengewalt und mit Straßenkämpfen. Doch die rechtsextreme Szene baut auch deshalb ein flächendeckendes Netzwerk von Gyms und Kampfsportvereinen auf, weil dies einen Anknüpfungspunkt zur noch-nicht-rechten, fitnessorienterten Jugend bildet – gerade in ländlichen Regionen (vgl. Belltower.News).

Rechtsextreme setzen das sehr strategisch ein: Während auf TikTok und YouTube „Mindset“-Lebensberater vor allem jungen Männern vermitteln, ein erfolgreiches Leben sei nur mit entsprechender Einstellung zu erreichen, nennt Patrick Schröder (NPD, FSN, Ansgar Aryan), von jeher ein Vorreiter rechtsextremer Propaganda, seine Kampfsport-Serie bei seinem Videoformat FSN-TV nicht ohne Grund: „Mind.Set“ und möchte junge Männer zur Kampfsport-Ertüchtigung anregen. Er weiß, wie Ansprache geht. Dazu gehört auch, dass Kampfsportgruppen die in Hardcore-Punk-Kreisen entstandene „Straight Edge“-Idee – Spaß trotz Verzicht auf Rauschmittel, Tierprodukte und exzessiven Sex – als neonazistisches Ideal eines „gesunden Volkskörpers“ umdeuten, zu dem auch soldatische Männlichkeit und ein fetischisierender Körperkult gehören. Es soll eine Abgrenzung sowohl in Richtung der als dekadent, faul und kapitalistisch empfundenen, „degenerierenden“ Spätmoderne sein als auch in Richtung bierseliger, grölender, ideologiearmer Stiefelnazis. Also eine Schulung in Richtung neuer „Herrenmenschen“. Patrick Schröder trainierte zuletzt u.a. mit Tomasz Szkatulski von „Pride France“ und ließ sich dabei von „Moe“ von Balaclava Graphics aus Bautzen filmen, wie beide online auf diversen Kanälen dokumentieren.

Aber: Anreiseprobleme

Bevor die European Fight Night am morgigen 6. Mai 2023 starten kann, müssen natürlich die Kämpfer und die Zuschauer*innen den Weg nach Budapest finden. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben in der vergangenen Wochen Ausreiseverbote und Meldeauflagen gegen Alexander Deptolla und viele seiner deutschen Freund*innen verhängt – er beklagt es in zahlreichen Videos auf diversen Social-Media-Plattformen.

Allerdings war offenbar eine juristische Intervention erfolgreich: Inzwischen postete Deptolla nicht nur Anleitungen, wie die behördlichen Maßnahmen anzugreifen wären, sondern auch seinen Flug und seine Ankunft in Budapest. Gebetsmühlenartig wiederholt er dabei, wie wichtig es wäre, dass alle kommen – keine Frage, sonst stimmt ja die Kasse nicht. Ob sich aber wirklich viele der anvisierten Rechtsextremen die Mühe machen, anwaltlich gegen die Maßnahmen vorzugehen, wird sich zeigen. Sonst ist die erste „European Fight Night“ auch schon die letzte.

Update 19.05.2023

Die European Fight Night fand statt, nicht in Budapest, wo der Vermieter nach Gefährderansprache durch die ungarischen Behörden vom Mietvertrag zurücktrag, aber ein Ausweich wurde auf einem Fußballplatz im 80 Kilometer entfernten Ort Csókakö gefunden. Rund 150 Neoanzis nahmen an der Veranstaltung teil, die offiziell von Benjamin „Moe“ Moses aus Bautzen gefilmt und fotografiert wurde. Eine Recherche zu den Teilnehmer*innen bietet exif-recherche.de


* In einer vorherigen Version in einer vorherigen Version des Artikels wurde  ausgeführt, dass auch Patrick Schröder (NPD, FSN, Ansgar Aryan) am Lukov-Marsch 2023 in Sofia teilgenommen hat. Dies ist nicht zutreffend. Patrick Schröder reiste erst im März 2023 nach Sofia.

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