Dürfen die das?
Um die letzte Frage zuerst zu beantworten: Nein und Ja. In Deutschland gilt ein Uniformierungsverbot. Aufzüge müssen angemeldet werden. Das Gewaltmonopol liegt auf Seiten des Staates. Die Behörden haben bisher versucht, solche Gruppen in einer Art Umarmungstaktik einzubinden und so gleichzeitig kontrollierbar zu machen. So liefen in der Vergangenheit Kooperationen mit der Polizei in Nordrhein-Westfalen als „Ordnungspartnerschaft“, in Bayern und Sachsen als „Sicherheitswacht“ bzw. „Wachpolizisten“. Die hessische Polizei erklärt auf ihrer Homepage über das Konzept des sogenannten Freiwilligen Polizeidienstes, die „Ehrenamtlichen“ seien hauptsächlich in Fußgängerzonen und Wohngebieten zu sehen. Ihnen wird die Befugnis erteilt, „verdächtige Personen zu befragen, Personalien festzustellen oder einen Platzverweis zu erteilen.“
Mit dem vermehrten Auftreten von Bürgerwehren nach den Schilderungen sexualisierter Gewalt der Silvesternacht in Köln lässt sich jedoch beobachten, dass die Behörden auf Distanz gehen. So erklärte NRW-Innenminister Jäger, „durch ihr anmaßendes Auftreten und Handlungen, die die Selbstschutzrechte überschreiten, durch Bekleidung, die einer Uniform ähnlich ist, verunsichern Bürgerwehren die Bevölkerung“. Und: „Sie behindern die Arbeit der Polizei und helfen nicht.“ Nach Jägers Informationen sind zehn Bürgerwehren in NRW bekannt, von denen die Größte aus Düsseldorf stammt und in einer öffentlich nicht einsehbaren Facebookgruppe 14.000 Mitglieder vereint. Er warnt außerdem davor, dass Neonazis und Kriminelle Bürgerwehren unterwandern könnten: „Rechtsextremisten, Hooligans und Rocker wollen uns vorgaukeln, dass sie für Recht und Ordnung sorgen können. Dabei versuchen sie bloß, die Gruppen für sich zu instrumentalisieren“ (DerWesten). Auch der bayerische Innenminister Jochen Hermanns erklärte jüngst gegenüber welt.de, es sei offensichtlich, dass sich „rechtsradikale in Bürgerwehren engagieren“. Sicherheit sei im übrigen Aufgabe der Polizei und „so etwas brauchen wir in Bayern nicht“.
Doch wo Jäger von Unterwanderung spricht, lässt sich mit wenigen Klicks auf Facebook feststellen: Viele selbsternannte Bürgerwehren werden offensichtlich von Neonazis gegründet und betrieben. In den Gruppen wird unverblümt gegen Nichtdeutsche gehetzt, eine für Neonazis typische Bilder- und Symbolsprache lässt sich unschwer erkennen.
Von der Bürgerwehr zum Rechtsterrorismus: “FTL/360“ in Freital
Die sächsische Kleinstadt Freital war im vergangenen Jahr in die Schlagzeilen geraten, weil dort seit März 2015 regelmäßige Demonstrationen von einheimischen und angereisten Rassist_innen stattfanden. Bis zu 1.500 Flüchtlingsfeinde nahmen an den regelmäßigen Kundgebungen direkt vor dem ehemaligen „Hotel Leonardo“ teil, in dem 100 Menschen untergebracht waren (vgl. ngn), außerdem gab es Anschläge auf die Unterkunft, Gewalt gegen Geflüchtete, Unterstützer_innen und Journalist_innen. Dieses feindselige und aggressive Klima wurde von einer intensiven Hetze im Internet flankiert – federführend durch die „Bürgerwehr FTL/ 360“. Die „FTL/360“ hatte sich nach einer angeblichen sexuellen Belästigung in einem Linienbus mit der Nummer 360 gebildet. Ihre Mitglieder dokumentierten fast jeden Schritt von Flüchtlingen in der Stadt im Internet. Die Gruppe ist der Beweis, dass der Weg von der Bürgerwehr zum Rechtsterrorismus kurz sein kann: Alle drei Gründer sitzen inzwischen in Haft. Den beiden Neonazis Philipp W. (28) und Uwe F. (24) wird vorgeworfen, an Brand- und Sprengstoffanschlägen gegen ein alternatives Wohnprojekt in Dresden und eine Flüchtlingsunterkunft in Freital beteiligt gewesen zu sein. Der dritte Gründer der Gruppe, Busfahrer Timo S. (26), steht aktuell in einem Prozess wegen eines Angriffs auf das Auto von Gegendemonstranten in Freital vor Gericht (mopo24 und bnr.de). Bei Razzien gegen insgesamt sieben Beschuldigte fanden die Beamten Sprengstoff, eine Hakenkreuz-Fahne und Nazi-Devotionalien. Trotzdem hat die Seite aktuell mehr als 2.500 „Likes“ und postet weiterhin Einträge gegen ihre politischen Gegner von „Freital Nazifrei“.
Facebook-Seite der „Bürgerwehr FTL / 360“. Das Profilbild zeigt Polizisten in Kampfmontur undeinen Vermummten, dazu den Hooligan-Spruch „Im Osten ist es Tradition, da knallt es vorSilvester schon.“
In Freital wurde die „Bürgerwehr“ übrigens schon wieder von einer neuen Gruppierung abgelöst. Aus den flüchtlingsfeindlichen (Internet)-Gruppen vor Ort entstand „GFE – gemeinsam füreinander“. Unter dem Deckmantel der gegenseitigen Hilfe erklärt GFE in einem Flyer:
„Eltern bangen um ihre Kinder, Frauen trauen sich nicht mehr auf die Straße und Männer denken über Bewaffnung nach«, und: »Wir beschützen eure Kinder und begleiten eure Frauen (…) Wir geben euch das Gefühl der Freiheit und Sicherheit zurück.“ (vgl. JW)
Rechtsextreme sind dabei: Die „Bürgerwehr München / „Münchner helfen Münchner“
In München fanden sich Mitte Januar etwa zehn besonders besorgte Bürger in einer Gastwirtschaft zusammen, wie das Dokumentationszentrum „a.i.d.a.“ berichtete. Sie hatten sich zunächst über die nichtöffentliche Facebook-Gruppe „Bürgerwehr München“ verabredet, der 183 Personen angehörten. Wie „a.i.d.a.“ herausfand, befanden sich unter den Mitglieder der Gruppe Angehörige von Security-Unternehmen, Türsteher Münchner Clubs, Rocker, Soldaten und Mitarbeiter der DB-Sicherheit, aber auch Neonazis wie Peter Meidl (Rosenheim), Mitbegründer der Partei „Die Rechte“ und weitere „PEGIDA München“-Akteure. In der Gruppe wurden rassistische und islamfeindliche Inhalte geteilt. Die bei der Versammlung Anwesenden verabredeten die Gründung von Stadtteilgruppen und die Umbenennung der Facebookgruppe in das unverfänglichere „Münchner helfen Münchner“ (Fehler im Original). Miriam Heigl, Leiterin der Münchner Fachgruppe gegen Rechtsextremismus erklärte der Süddeutschen Zeitung dazu, geplante Bürgerwehren müssten als „Teil eines Radikalisierungsprozesses in der extremen Rechten“ betrachtet werden (vgl. Welt).
Die Unterhaltung auf der Facebook Seite von „Münchnerhelfen Münchner“ illustriert die Nähe der Gruppe zumlokalen Pegida-Ableger. Screenshot: br
Mecklenburg-Vorpommern: Ein Waffenfund und „Nationale Sozialisten“ bei „Bürgerwehr Müritzwacht“
In Waren an der Müritz kündigten Ende Januar 2016 Mitglieder der „Bürgerwehr Müritzwacht“ Patrouillengänge an, wie die „SVZ“ berichtete. Wie die Zeitung herausfand, standen die „Nationalen Sozialisten Waren“ hinter dem Aufruf. Als Grund wurden angebliche Belästigungen von Frauen in Waren angegeben, von denen im Polizeipräsidium Neubrandenburg aber niemand etwas wusste. Auch die Warener NPD-Stadtverordnete Doris Zutt hatte zur Unterstützung der Bürgerwehr aufgerufen.
Screenshot: Nordkurier
In Güstrow dagegen, ebenfalls Mecklenburg-Vorpommern, haben örtliche Vertreter einer Bürgerwehr aus ihrer Drohung, auf Streife zu gehen, ernst gemacht. Im April 2015 patrouillierte hier eine Gruppe um den 25-jährigen NPD-Aktivisten Nils Matischent, nach eigenen Angaben, um die Güstrower vor „Ausländerkriminalität“ zu schützen. Die Folge: Die Polizei führte eine Hausdurchsuchung bei dem Stadtratsmitglied durch. Es wurden 60 Elektroschocker sowie Teleskopschlagstöcke gefunden, gegen ihn wird nun wegen Verstoßes gegen das Waffenrecht ermittelt.
Thüringen: Auf Menschenjagd mit den besorgten Bürgern in Gerstungen und Hildburghausen
Auch in der Thüringer Gemeinde Gerstungen im Wartburgkreis hat sich eine Bürgerwehr formiert. Ihre etwa 40 Mitglieder fuhren mit Autos auf Streife. In der Facebook-Gruppe wurde Sichtungen von vermeintlichen „Asylanten“ vermerkt, jeder ihrer Schritte peinlich genau vermerkt.
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Alle Screenshots: Buzzfeed
Ein Sprecher der Bürgerwehr, Andreas Niebling, leitete nach Informationen von “Mobit”, der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen, in den Neunzigerjahren einen NPD-Kreisverband gemeinsam mit Patrick Wieschke, dem späteren NPD-Landesvorsitzenden Thüringens und wegen Sprengstoffanschlägen verurteilten Neonazi (vgl. Süddeutsche).
In Thüringen gab es allerdings bereits seit 2014 eine „Bürgerwehr“ in Form einer geschlossenen Facebook-Gruppe. Wie die Südthüringer Antifa-Gruppe recherchierte, gehört der seit vielen Jahren umtriebige Schleusinger Neonazi, „Bündnis-Zukunft-Hildburghausen“-Chef (BZH), Gastwirt und Immobilienbesitzer Tommy Frenck zu den Gründern der Gruppe. 10 bis 15 Neonazis und Mitglieder der Gruppe veranstalteten im Oktober 2014 eine rassistische Hetzjagd in Hildburghausen. Sie hatten sich zu einer Bürgerwehr zusammengeschlossen und verfolgten in der Nacht vom 24. auf den 25.10.2014 einen Kleintransporter mit rumänischen Arbeitern. Bei der Verfolgungsjagd kam es zu mehreren Verkehrsunfällen, bei denen jedoch niemand verletzt wurde. Als die Polizei eintraf, flüchtete einer der Betroffenen in ein Polizeifahrzeug. Selbst dann habe einer der Täter den Betroffenen noch bedroht und beschimpft. Einen tätlichen Angriff konnten die Polizeibeamten verhindern. In den darauf folgenden Wochen tauchten auf mehreren Internetseiten, darunter auch auf der Facebook-Seite vom neonazistischen „Bündnis-Zukunft-Hildburghausen“ (BZH) Aufrufe auf, „verdächtige Ausländer“ zu melden oder Fotos von ihnen zu machen.
Selbstjustiz unter dem Label der Zivilcourage
Zur Strategie der Bürgerwehren gehört es dabei, sich selbst als harmlose Hilfssheriffs darzustellen, als Bürger, die dort Zivilcourage zeigen, wo der Staat versagt. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass selbst offen rechtsextreme Gruppen Bezeichnungen tragen, die eher an eine Initiative für die Errichtung eines neuen Zebrastreifens vor der städtischen Grundschule denken lassen als an marodierende Banden, die das Gesetz endlich in die eigenen Hände nehmen möchten. Wie die vermeintliche Zivilcourage dann aussehen kann, zeigt eindrucksvoll der folgende Screenshot der „Bürgerinitiative Heimat & Zukunft“ aus Brieske, einem Ortsteil der brandenburgischen Kleinstadt Senftenberg. Flüchtlingsfeinde hatten hier eine Barrikade aus Baumstämmen auf einer Zufahrtsstraße zu einer im Bau befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung errichtet.
Fazit
Von den mindestens 100 Bürgerwehr-Gruppen bei Facebook sind bisher nur wenige tatsächlich auf der Straße aktiv. Natürlich sind die Mitglieder oder Interessenten dieser Bürgerwehr-Gruppen nicht alle Neonazis. Zumindest aber ist diesen Leuten gemein, dass sie für ein rigides Verständnis von „Law and Order“ eintreten, gepaart mit einem Misstrauen gegenüber dem Staat, der für den Schutz seiner Bürger_innen eigentlich zuständig ist. In der letzten Konsequenz ist das das Entstehen von Bürgerwehren ein sehr fortgeschrittenes Stadium in einer Kette der Eskalation, die bei der Hetze gegen Geflüchtete im Internet und an den Stammtischen beginnt und bei Brandanschlägen gegen Unterkünfte für Geflüchtete endet.
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