Nach 50 Jahren CDU-Mitgliedschaft verkündete Jürgen Todenhöfer am 12. November 2020, seinem Geburtstag, den Austritt und gleichzeitig die Gründung einer neuen Partei: „Team Todenhöfer“, für die er als Spitzen- und Kanzlerkandidat zur Bundestagswahl antritt. Das Programm der Partei ist eine merkwürdige Mischung aus politisch vagen Positionen. In Jürgen Todenhöfers Wahlkampf geht es vor allem uns eins: Jürgen Todenhöfer.
Wie genau sich die neue Partei organisiert bleibt unklar. Ein Bundesvorstand wird bisher nicht benannt. Im Gegensatz zu den Landesverbänden – die Partei tritt in allen Bundesländern, außer in Sachsen-Anhalt, zur Wahl an – scheint die Bundespartei vor allem aus dem Vorsitzenden zu bestehen. Von ihm stammt auch das Wahlprogramm, das in ergänzter Form als „Book on Demand“ vertrieben wird.
Die eigentlichen Ziele der Partei werden trotzdem nicht ganz klar. Sie fordert unter anderem die Beendigung aller Auslandseinsätze, einen Stopp von Waffenexporten in Krisengebiete, Bürokratieabbau, den Todenhöfer durch den Wegfall eines Drittels aller Stellen im Öffentlichen Dienst erreichen will, ein Verbot von Großspenden an Parteien und die Bekämpfung von Rassismus. Wie genau „Team Todenhöfer“ diese Vorhaben erreichen will, bleibt unklar. Genauso wie andere Positionen der Partei, die wie ein schlecht zusammengestelltes Polit-Potpourri wirken. So will Todenhöfer beispielsweise Migration stark begrenzen und raunt vom „Kontrollverlust“ 2015. Gleichzeitig beklagt er Rassismus und positioniert sich gegen die AfD. Eine Antwort auf die demographische Frage gibts es nicht.
Ähnlich ambivalent ist offenbar sein Verhältnis zu Parteien, vor allem zu seiner ehemaligen, der CDU. 50 Jahre lang war Todenhöfer Mitglied, 18 Jahre saß er für die Partei im Bundestag. Noch 2015 lobte er Angela Merkels Politik. Jetzt sagt er im Interview mit dem Journalisten Tilo Jung: „Das ist die schlechteste Regierung seit 70 Jahren.“ Und weiter: „Ich glaube, dass diese traditionellen Parteien mit Berufspolitikern überholt sind.“
Dabei war Todenhöfer selbst lange Zeit Berufspolitiker. Im Januar 1970 trat er in die CDU ein, im Februar wurde er persönlicher Referent des damaligen Generalsekretärs Bruno Heck in der Parteizentrale. Schon 1972 zog er in den Bundestag ein. Die rasante Karriere Todenhöfers schreibt er sich im Interview ganz alleine zu. Mit seinem Onkel, dem ehemaligen NS-Diplomaten Gerhard Todenhöfer, einem engen Freund des damaligen CDU-Parteivorsitzenden und umstrittenen Ex-Bundeskanzlers Georg Kiesinger, hat sein Aufstieg jedenfalls überhaupt nichts zu tun, so Todenhöfer im Gespräch mit Jung.
In seiner Zeit im Bundestag zwischen 1972 und 1990 wurde Todenhöfer der „Stalhelm-Fraktion“, einem extremen konservativen Flügel innerhalb der CDU, zugeordnet. Dabei vertrat er immer wieder fragwürdige außenpolitische Positionen unter anderem zur Apartheid in Südafrika. In einem Bericht für die Fraktion stellte er besonders Gewalttaten des ANC heraus, einer Anti-Apartheids-Organisation, und verharmloste das rassistische System. Heute sagt er, dabei habe es sich lediglich um Parteipositionen gehandelt, nicht seine eigenen. Später setzte er sich für die Mudschahedin in Afghanistan ein, die gegen die sowjetische Besatzung kämpften und von den USA finanziert und ausgerüstet wurden. Teile der islamistischen Milizen wurden später zu den Taliban.
1987, noch als Abgeordneter, wechselte Todenhöfer zum Burda-Verlag, wo er sich zunächst um Medienpolitik und Unternehmensrecht kümmerte. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag blieb er dem Konzern erhalten und war bis 2008 stellvertretender Chef und Vorstandsvorsitzender.
Etwa seit 2001 wird Todenhöfer zum öffentlichen Aktivisten und setzt sich vor allem gegen die Kriege der USA in Afghanistan ein. Er reist immer wieder in Krisengebiete, aus dem Politiker und Medienmanager ist mittlerweile ein Journalist geworden. Allerdings wieder mit fragwürdigen Positionen. Todenhöfer wurde Relativierung von Terror vorgeworfen, als er im stern-Interview behauptete, der damalige Präsident Bush habe mehr Menschen getötet, als Bin Laden. Dem syrischen Diktator Baschar al-Assad bescheinigte er, sich glaubhaft für die Demokratie einzusetzen. Sowohl nach seinem Aufenthalt in Syrien, als auch nach einem späteren Besuch beim sogenannten IS, unterstellen ihm Kritiker immer wieder Naivität und Unwissen in Bezug auf den Umgang mit und die Strategien von autoritären Machthabern und Terroristen. Im Zentrum der Kritik des Ex-Managers waren meist ohnehin die USA. Freundlich gesinnt ist Todenhöfer zum Beispiel dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. In der Böhmermann-Affäre – der Moderator hatte ein „Schmähgedicht“ über den Präsidenten veröffentlicht – fand Todenhöfer das Gedicht rassistisch und lobte die Bundeskanzlerin, weil sie sich distanziert habe. Den Völkermord an den Armeniern durch die Türkei leugnet der Publizist und beruft sich auf die Argumentation der Türkei, die als widerlegt gilt.
Auch der Nahostkonflikt hat es Todenhöfer angetan. Und wieder gibt es Kritik. Der Noch-CDUler bezeichnete Gaza als weltgrößtes Konzentrationslager und relativierte damit den Holocaust. 2014 war Todenhöfer in Gaza. Rudi Wais berichtet in der Augsburger Allgemeinen über ein umstrittenes Foto aus einem ausgebombten Haus: Todenhöfer „hatte sich nach einem israelischen Vergeltungsschlag auf einem Trümmerberg in Gaza fotografieren lassen, hinter sich einen Kinderwagen, um sich herum Spielzeug – ein Bild, so trostlos wie anrührend, eine einzige Anklage, als säßen in Gaza nur Opfer und keine Täter. Dass der Wagen und die Puppen seltsam neu wirkten, wie gerade gekauft, um eben jenes Bild zu erschaffen, fiel damals nur wenigen auf. Todenhöfer nennt das Journalismus. Journalisten nennen das Manipulation.“ Auch Täter-Opfer-Umkehr kann Todenhöfer, wenn er sagt, dass die Palästinenser:innen „den höchsten Preis für Deutschlands schwere Schuld gegenüber den Juden zahlen“. Antisemitismusvorwürfe weist Todenhöfer allerdings immer wieder weit und ausladend von sich.
Dazu nutzt er unter anderem Facebook. Fast 700.000 Abonnent:innen hat der Politiker mittlerweile gesammelt, unter anderem durch mehrere Bücher, die er vor allem über seine Aufenthalte in Krisengebieten veröffentlicht hat. Auch wenn Expert:innen Todenhöfers Ansichten zur Außenpolitik oft kritisieren, kommt die einfache Botschaft vom Frieden, zusammen mit Kritik am Westen, am besten an USA und Israel, bei seiner Fangemeinde gut an.
Der Name der Partei, die Personalunion zwischen Kanzler- und Spitzenkandidaten und die Abwesenheit von irgendjemand anderem als dem Parteichef selbst in der Öffentlichkeit, zusammen mit seinem Lebenslauf könnte bereits darauf hindeuten: Jürgen Todenhöfer hat ein großes Ego. Das dürfte auch der Hauptbeweggrund für sein versuchtes Politik-Comeback sein. Todenhöfer ist zutiefst von sich selbst überzeugt und glaubt genau zu wissen, wie Politik in Deutschland, wenn nicht sogar weltweit, aussehen müsste. Seine ehemaligen Kolleg:innen und Beobachter:innen ordnen das allerdings oft anders ein. SPD-Fraktionschef Herbert Wehner attestierte ihm zu Beginn seiner Bundestagskarriere: „Dieser Mann ist reif für die Nervenheilanstalt.“ Christian Lindner (FDP) nannte ihn „völlig abgedreht und orientierungslos“, Rocherich Kiesewetter (CDU) sagte, er habe jeglichen „Realitätsbezug“ verloren.
Todenhöfer plant währenddessen schon die Regierungsbeteiligung. Auf der Website der Partei rechnet man mit mindestens zehn Prozent der Stimmen. In den Umfragen sieht das bisher noch anders aus. Dort taucht „Team Todenhöfer“ gar nicht erst auf.