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Coronavirus-Querfront Keine Abgrenzung nach rechtsaußen

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Ken Jebsen und Fan bei der "Hygienedemo" am 11.04.2020 in Berlin. Nicht im Bild: Sicherheitsabstand. (Quelle: RechercheNetzwerk Berlin)

In den vergangenen Wochen hat die Bundesregierung nach und nach auf die Pandemie reagiert. Unterschiedliche Maßnahmen wurden von verschiedenen Seiten diskutiert und umgesetzt. Aus den Erfahrungen, die in China oder auch in Italien gemacht wurden, ging hervor, dass vor allem das Gesundheitssystem entlastet werden muss. Das heißt einerseits, dass nicht unmittelbar nötige Operationen verschoben werden und Pflegepersonal weitergebildet wird, um im Notfall auch auf Intensivstationen einsatzfähig zu sein. Andererseits bedeutet es auch, dass sich so wenige Menschen wie möglich mit dem neuartigen Coronavirus anstecken sollen. Desto weniger Menschen krank werden, desto weniger müssen schlimmstenfalls in Intensivbetten beatmet werden. Im Norden von Italien und in den USA ist das nicht gelungen. Ärzt*innen in den Krankenhäusern müssen auf Triage zurückgreifen, das heißt sie müssen entscheiden, wem noch effektiv geholfen werden kann. Gibt es nicht mehr genug Intensivbetten oder Beatmungsgeräte für alle, bedeutet das, dass nur noch Menschen mit guten Überlebenschancen geholfen wird, während COVID-19-Patient*innen mit schlechteren Chancen, aufgrund ihres Alters oder von Vorerkrankungen, nicht überleben. Eine Situation, die für die einzelnen Ärtzt*innen, die diese Entscheidungen treffen müssen, aber auch für die gesamte Gesellschaft, eigentlich untragbar ist.

Die einschneidenden Maßnahmen, mit denen in Deutschland und anderswo vorgegangen wird, haben also Gründe. Aktuell gilt Deutschland nach Israel als zweitsicherstes Land der Welt im Hinblick auf die Maßnahmen, die gegen das Virus in Stellung gebracht werden.  Nichtsdestotrotz wird über diese Maßnahmen demokratisch gestritten. Wirtschaftsvertreter*innen befürchten eine globale Krise ungeahnten Ausmaßes und wollen lieber früher als später das Land wiedereröffnen, berufstätige Eltern, die irgendwie ihr Arbeitspensum erfüllen müssen, während die Kinder das Homeoffice erobern, würden sich über geöffnete Schulen und Kitas freuen. Vor allem Menschen, die wenig Geld haben oder schlimmstenfalls auf der Straße leben, trifft die Krise besonders hart, genauso wie Menschen mit physischen oder psychischen Krankheiten. Die Einschränkung des Versammlungsrechts – Artikel 8 des Grundgesetzes – ist einschneidend und auch darüber muss diskutiert werden. Immerhin muss man in Europa nicht besonders weit, sondern nur nach Ungarn blicken, um zu sehen, wie unter dem Deckmantel der Virus-Prävention die Demokratie praktisch abgeschafft wird. Auch wenn davon auszugehen ist, dass der Föderalismus und eine stabile Demokratie in Deutschland dazu führen werden, dass irgendwann wieder Normalität eintritt, ist es verständlich, wenn sich Menschen Sorgen machen. Nicht verständlich ist es aber, mit Rassist*innen, Antisemit*innen und Fake-News-Schleudern gemeinsame Sache zu machen. Das passiert gerade bei Demonstrationen in Berlin.

Seit drei Wochen widersetzt sich ein Demonstrationsbündnis den Einschränkungen und veranstaltet eine illegale „Hygienedemo“, die immer wieder von der Polizei aufgelöst wird. Federführend ist dabei offenbar vor allem der Verein „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“. Einer der Köpfe hinter diesem Verein ist Anselm Lenz, ein Dramaturg, der als Gesicht der Gruppierung auftritt. Auch dazu gehören der Dramaturg Hendrik Sodenkamp und Batseba N’Diaye. Die drei verbindet das kapitalismuskritische Berliner Kunstprojekt „Haus Bartleby“. Lenz bezeichnet die „Hygienedemos“ dann auch als „antifaschistisch“. Das beschreibt die Teilnehmenden und die Unterstützer*innen der Demonstrationen allerdings bei weitem nicht so gut wie das Wort „Querfront“. Das zeigt sich sogar im Verein selbst. Laut Bild gehört zum Organisationsteam auch Ulrich Gellermann. Laut dem Bericht solll der 74-Jährige gut mit russischen Staatsmedien vernetzt sein. Auf „Sputnik“, einem Schwesterunternehmen des russischen Propaganda-Kanals „RT Deutsch”, wurden über einhundert Texte von Gellermann veröffentlicht, bei „RT Deutsch” ist Gellermann gern gesehener Interviewpartner. Die russischen Staatsmedien werden auch in der derzeitigen Krise von staatlichen Stellen mit weltweiten Desinformationskampagnen in Verbindung gebracht, deren Ziel es sein soll, die westlichen Demokratien zu schwächen. Womöglich also kein Wunder, dass auch “RT Deutsch” ausführlich über die Berliner Demos berichtet.

Lenz und seine Mitstreiter*innen werden ansonsten vor allem von rechts-alternativen Akteur*innen unterstützt und gefeiert. Unterschiedliche YouTube-Accounts, die praktisch geschlossen zu diesem Spektrum gehören, streamen die Demos live. Ein langer Text von Lenz, der die Demos erklären will, ist auf der Website „Rubikon“ erschienen. Ganz klar wird dabei nicht, was der Autor eigentlich sagen will. Er verneint die Gefahr, die vom Coronavirus ausgeht, weil es nicht in der Lage sei, „hunderttausende Menschen dahinzuraffen“. Die Gründe für die Krise könnten laut Lenz „Panikattacken überalterter Eliten“, eine „Aktion für den Klimaschutz“ und/oder ein „Kapitalismus-Crash“ sein. Darüber würde aber nicht berichtet, da die öffentliche Diskussion „abgeschafft“ und die Medien „gleichgeschaltet“ seien. „Rubikon“ berichten nach Selbstauskunft darüber, „was in den Massenmedien nicht zu finden ist“, leugnet sonst zum Beispiel die Existenz von AIDS oder veröffentlicht merkwürdig verständnisvolle Rezensionen von „Mein Kampf“. Auch Ivan Rodinov, Leiter des russischen Propagandasenders “RT Deutsch”, darf hier Artikel veröffentlichen. Geleitet wird die Seite offenbar von Jens Wernicke, der vorher bei den extrem umstrittenen „NachdenkSeiten“ aktiv war. Wernicke ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Verschwörungsideologen Daniele Ganser, der als „9/11-Truther” gilt, also den Terroranschlag vom 11. September 2001 in New York als angeblichen „Inside Job“ bezeichnet. Ganser sitzt im Beirat von „Rubikon“.

Begleitet wird die Demonstration von Anfang an auch von Ken Jebsen, einem ehemaligen rbb-Moderator, der mittlerweile eine Art alternatives Medienimperium betreibt, mit dem er Verschwörungserzählungen an seine Fans bringt. Immer wieder wird Jebsen Antisemitismus vorgeworfen. Der Soziologe Felix Schilk schätzt Jebsen in einem Interview mit der Zeitung Neues Deutschland ein: „Jebsen behauptet, dass es in den USA eine zionistische Lobby gibt, die die Medien und Hollywood kontrolliert. Er setzt die NS-Politik mit der israelischen Politik gleich und sagt sogar, dass der Zionismus am Ende identisch mit der Rassenideologie der Nationalsozialisten sei. Er sagt, dass das, was Hitler mit den Juden nicht gelungen sei, jetzt von radikalen Zionisten bei den Palästinensern erreicht würde und benutzt dafür das Wort ‚Endlösung‘.“

Per Livestream werden die Demos unter anderem von „MMNews“ übertragen, einem Portal des ehemaligen Journalisten Michael Mross, das als AfD-nah und verschwörungsaffin gilt. Auch aktiv dabei ist die YouTuberin Carolin Matthie. Matthie ist AfD-Mitglied und setzt sich für die Waffenlobby ein. Auf ihrem YouTube-Kanal spricht sie über Themen, die die Wuttbürger*innen-Blase bewegen: gegen Angela Merkel, „Linke“ – in dieser Blase also alles außerhalb der AfD – oder Fridays for Future. Einen weiteren Livestream gab es auch vom YouTube-Kanal „Der digitale Chronist“. Der YouTuber bewegt sich ebenfalls in der rechts-alternativen YouTube-Blase hat aber offenbar auch keinerlei Berührungsängste nach ganz rechtsaußen. So gibt er etwa Martin Sellner eine Plattform, dem Kopf der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, der sich immer wieder extrem muslimfeindlich äußert. Oder verbreitet die wirren Thesen der QAnon-Gläubigen weiter, für die die COVID19-Krise nur ein genialer Schachzug von Donald Trump in seinem Kampf gegen satanische Kindesentführer*innen aus Hollywood und den „tiefen Staat“ ist.

Diese Verstrickungen und Verbindungen sollten den Organisator*innen der „Hygienedemos“ zu denken geben, eine Stellungnahme oder gar Distanzierung zu der großen Unterstützung von rechtsalternativ bis rechtsaußen gibt es bisher von den angeblich „antifaschistischen“ Vereinsmitgliedern der „Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand“ keine. Stattdessen aber keine Berührungsängste zu wirren Theorien, rechts-alternativen Erzählungen und russischer Propaganda.

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