Ein Kommentar des Aktionskreises ehemaliger Rechtsextremisten / EXIT-Deutschland
Die Reflexion der eigenen Vergangenheit wie auch der historischen Ereignisse und deren Folgen sind es, die nach einem Ausstieg aus der rechtsradikalen Szene das Denken und Handeln nicht ruhen lassen sollten. Nicht nur der unwiederrufbare Kontaktabbruch mit den ehemaligen politischen Mitstreitern und Mitstreiterinnen, sondern auch der Bruch und die Aufarbeitung der eigenen Ideologie sind unabdingbar. Die Konstitution des Weltbildes, welche zur Selbstrechtfertigung in Theorie und Praxis führten, kann nicht nur mit der eigenen Sozialisation gerechtfertigt werden. Es bedarf ebenfalls der Einsicht, dass man selbst diese Entscheidungen getroffen hat, welche schließlich zu jener Ideologie und deren praktischen Folgen führte. Kritische Selbstanalyse bedeutet auch, sich selbst keine Ausreden zuzugestehen, welche die einstigen politischen Rechtfertigungen und Taten relativieren.
Dieser schwierige und langwierige Gang kann durch Gespräche und Hilfestellung von Menschen erleichtert werden, die kompetent und mit Expertise ausgezeichnet, eine Hilfe zur Selbsthilfe leisten können. Ebenfalls leistet die Wissenschaft, welche sich nach dem Schrecken des historischen Nationalsozialismus intensiv mit dem autoritären Charakter wie auch den Selbstrechtfertigungen der unmittelbaren Täter und Täterinnen und der zivilen Helfer und Helferinnen auseinandersetzen, einen immensen Beitrag die Verbrechen und die instrumentelle Verfahrensweise dieser zu verstehen. Dieses Verstehen ermöglicht einen Ansatzpunk zum kritischen Umgang mit einer Gesellschaft, in welcher (Neo-)Nazi-Ideologien entstehen und diese begünstigen, ggf. können sie sogar dabei helfen in der Szene befindlichen Menschen und Aussteigern die eigene Verblendung vor Augen zu führen und einen Zweifel zu setzen, der zum Bruch mit der (ehemaligen) Ideologie führen kann. Einen filmischen Überblick über einen Teil dieser Forschung zu ermöglichen und diese gemeinsam mit historisch-biographischen Dokumenten der Täter*innen und Helfer*innen der Shoa zu bearbeiten, versucht der kürzlich erschienene Filmessay „Das radikal Böse“ von Stefan Ruzowitzky.
Im Folgenden soll durch eigene Erfahrungen als Aussteiger aus der rechtsradikalen Szene, in Verbindung mit verschiedenen thematischen Schwerpunkten, die der Film aufwirft, gezeigt werden, wie ähnlich die Selbstwahrnehmung und die Darstellungen im diesem Film den Rechtfertigungsstrategien der heutigen Neonazibewegungen sind. Dabei sollen in keiner Weise die Verbrechen des Nationalsozialismus oder der heutigen rechtsradikalen Bewegungen relativiert werden, es geht im Gegenteil darum, anhand weniger im Rahmen dieses kurzen Kommentars möglicher Beispiele zu verdeutlichen, dass tiefgreifende strukturell gleiche Mechanismen zu finden sind. Diese werden gerade durch die rechtsradikale Szene verharmlost oder gar verschwiegen.
Anhand verschiedener Kapitel versucht der Filmemacher unter anderem aufzuzeigen, wie Ideologisierung und Indoktrinierung der Menschen, autoritative Rechtfertigung, Konfirmitätsbestrebungen, Sinngebung durch ein beständiges Ziel/Feindbild, Routinisierung der Taten, Gruppendynamiken und rollengesteuertes Verhalten die Soldaten und große Teile der zivilen Bevölkerung prägten. Einige dieser Mechanismen führten geradezu dahin, dass die Täter und Täterinnen, welche der bürgerlichen Mitte entstammten, eine entindividualisierte Masse wurden, in welcher Menschenrechte und Moral einer menschenverachtenden Ideologie geopfert wurden.1 Neben Expertisen durch verschiedene Psychologen, einem Historiker und Zeitzeugen werden die Analysen durch sozial-psychologische Experimente2 verdeutlicht, die in ihrer Darstellung Verhaltensweisen von Gruppen und Einzelpersonen unter bestimmten Rahmenbedingungen verdeutlichen.
Aus der retrospektiven Sicht eines ehemaligen Neonazis finden sich erschreckend viele Ähnlichkeiten in den genannten Mechanismen, welche in der eigenen Ideologisierung wirkten und welche man später als Ideologisierender selbst – wenn auch nicht bewusst – nutzte, um andere Menschen vom eigenen Standpunkt zu überzeugen (z.B. Ideologisierung, Sinngebung).
Umso mehr schreckliche Dinge sie tun, desto mehr müssen sie glauben, dass ihre Führer und ihre Nation recht haben. […] Jeder [der, der eigenen Ideologie angehört – Anm. d. Verf.] sagt: „Was Du getan hast war richtig.“3
Auch lassen sich Verhaltensweisen der Selbstrechtfertigung von Thesen nachvollziehen; selbst die krudesten Theorien – der Allmacht der vermeintlich vorherrschenden jüdischen Weltverschwörung, der unbedingten Notwenigkeit eines reinen Volkskörpers, der Umerziehung aller Deutschen im Zuge der Entnazifizierung und die damit einhergehende Wendung zur bekämpfenswerten Demokratie oder die Relativierung der Shoa als Erfindung – konnten ein kohärentes Weltbild schaffen. Kritik und Fakten, die dem eigenen Weltverstehen entgegengesetzt wurden, stießen auf taube Ohren. Durch propagandistische Wahrheiten und das selbst konstruierte Welt- und vor allem Feindbild, erschien nur das als wahr, was im Rahmen der eigenen Ideologie für richtig gehalten werden konnte. Mit der selbst proklamierten Informationshoheit, welche die eigenen Ansichten zu den ausschließlichen unter Abwertung aller anderen Quellen werden ließ, wurde die Ideologie der eigenen Gruppe zum Maß der Wahrheit – der einzig möglichen und objektiven. Abwertung anderer, aber auch die Negation des Rechts auf Leben, wurden Teil der eigenen Moral und somit zur Normalität. Diese Ideologie und im speziellen die eigene Kameradschaft wird zum metaphorischen Elfenbeinturm, in welcher das Denken sich bewegt und misst.
Das ist dein Leben, diese Menschen sind alles für dich.4
Aber nicht nur das Denken ist auf eine ausgesuchte Gruppe beschränkt. Ebenfalls die sozialen Beziehungen verlagern sich auf diese. Ein gemeinsames Ziel und der damit verbundene Weg lassen oft die Kontakte nach außen abbrechen. Kritik und fundamentaler politischer Dissens drohen somit kaum; die Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen (wahlweise auch Europäer o.ä.) schafft tiefe Bindungen, die auch über den politischen Alltag hinausreichten. Vor ihren Augen gilt es zu bestehen. Ein jeder hat die Möglichkeit, in jeder Situation Nein zu sagen, ob auf Demonstrationen, bei denen Gewalt geübt wird, bei Gewaltakten gegenüber politisch Andersdenken oder auch bei Diskussionen und Vorträgen, zu welchen ideologische Gewalt den (designierten) Kameraden und Kameradinnen tafelfertig serviert wird. Doch passiert dies nur selten. „Man durfte sagen: ‚Ich kann das nicht!‘ als Ausdruck persönlicher Schwäche.“5, das beschreiben auch die zitierten Tagebuchauszüge im Film „Das radikal Böse“. Diese Schwäche ist es aber, die man sich selbst6 nicht zugestehen möchte und die die eigene Position in der Gruppe auch herabsetzen würde. Mag man auch nicht immer moralisch damit einverstanden sein was passiert, so ist es doch leichter im Strom – der Konformität mit der Gruppe und der Autorität durch Einzelne – zu treiben, als sich diesem entgegen zu stellen.7 Hingegen ist es das Gefühl der Stärke und Überlegenheit – als geschlossene, entindividualisierte Gruppe, mit Totalinklusion ihrer Mitglieder, die für sich bestehende Wahrheitskonstruktion und die Macht, welche sich selbst dadurch zugeschrieben wird –, welche die Gruppendynamik noch weiter stärkt. Die vermeintliche Rolle als revolutionäre Kraft vertieft das (eigen) zugeschriebene Handlungsdiktum weiter und forciert damit die Radikalisierung.
Diese Massenmörder und Massenmörderinnen sind Menschen wie du und ich, die Dinge tun, von denen sie glauben, sie seinen notwendig für das allgemeine Wohl.[…]Ich spreche von einem Versagen der Menschheit, […] weil wir versagt haben, die Institutionen zu schaffen, die eine friedvolle Weltordnung garantieren.8
Zu wiedersprechen – Nein zu sagen – und ggf. auszusteigen wird mit zunehmender tieferer Ideologisierung und Radikalisierung schwieriger, doch kann es jeder, zu jederzeit! Unter Bedingungen im Nationalsozialismus, wie auch heute ist es kein leichtes Unterfangen. Und doch bieten sich Chancen und Hilfe hierzu. Politische Systeme oder soziale Umfelder sind in der Lage uns zu befehlen oder bieten Bedingungen, in denen wir meinen handeln zu müssen – ob wir diese Handlung jedoch ausführen, hängt einzig und allein von unserer Entscheidung ab! Die Neonaziparole „Damals wie heute Hitlerleute“ entlarvt die Nähe heutiger rechtsradikaler Gruppen zum historischen Nationalsozialismus auf plakativste Weise, das Filmessay von Ruzowitzky verdeutlicht uns die erschreckend zeitlosen Mechanismen der Entindividualisierung. Bis hin zum Massenmord.
Das Filmessay „Das radikal Böse“ kann uns in seiner differenzierten Darstellung erläutern, wie menschenverachtende Zustände entstehen, ob wir diese Hinnehmen, liegt einzig bei uns.
Kinostart: 16. Januar 2014
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Der Aktionskreises ehemaliger Rechtsextremisten / EXIT-Deutschland
Der Aktionskreis will die ehemaligen Kameraden ansprechen und in der Öffentlichkeit aufklären, welche Ideen und Theorien den Hintergrund rechtsextremistischer Ideologien und Aktivitäten bilden. Die ehemaligen Extremisten und Extremistinnen, zumeist mit nationalsozialistischem Hintergrund, die im Aktionskreis mitarbeiten, beobachten sehr gründlich, was sich im Lande abspielt, was ihre ehemaligen „Freunde“ und Mitkämpfer*innen tun und wie sich die Szenen entwickeln.
Ehemalige Rechtsextremisten und Rechtsextremistinnen setzen sich offen oder im Hintergrund dafür ein, dass sich rechtsextreme Ideologie und Organisation nicht weiter ausbreiten. Menschen sollen lernen, souverän und kritisch mit rechtextremer Ideologie und denjenigen, die sie vertreten, umzugehen. Es werden Orientierungen jenseits rechtsextremen Denkens gezeigt. Sie zeigen ihre persönlichen Irrtümer und deren Folgen auf. Sie publizieren, halten Vorträge in Schulen und in der Öffentlichkeit und beraten bei Fragen und Problemen.
Fußnoten:
1 Es wird jedoch auch dargestellt, dass es nicht eine entmoralisierte Gesellschaft war, die die Verbrechen verübte, jedoch haben sich steigernd, Schritt für Schritt, die Beschaffenheit und damit die Grundzüge der Moralität verändert. Bspw. war es nun geboten Juden und Jüdinnen zu vernichten, da diese als Schädlinge (für Kultur und den eigenen Volkskörper) wahrgenommen wurden. Hingegen wurden gegenüber anderen Menschen, welchen nicht diese herbeihalluzinierten Eigenschaften zukamen, moralische Ideale beibehalten. Siehe hierzu auch: „[…] war ich damals der Überzeugung, dass die jüdischen Menschen nicht unschuldig, sondern schuldig seien.“ Dt. Soldat, Min. 8:10-8:16, in: Das radikal Böse, Regie&Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Produktionsland (D), docMovie GmbH mit Aichholzer Film Wien und ZDF, 2014. Fassung: Digital, Filmlänge 96 Minuten. (Im Folgenden Zitiert als: Das radikal Böse.)
2 Als Bsp. hierzu sind das Konformitätsexperiment von Solomon Asch, das Milgram-Experiment und der Fall von Kitty Genovese angeführt.
3 Dave Grossman, Min. 24:48-25:18, in: Das radikal Böse.
4 Ebd., Min. 5:40-5:43, in: Das radikal Böse.
5 Robert Jay Lifton, Min. 6:27-6:36, in: Das radikal Böse.
6 Wichtig hierbei zu beachten sind Stolz und Ehre – ebenfalls aus dem Nationalsozialismus adaptiert – die noch jetzt die Gedanken der Neonazis mitbestimmen. Zu diesem kommt unter anderem ein Ideal von Männlichkeit, welches stets Härte, Kampfbereitschaft und Mut etc. von den Mitgliedern der Szene fordert. Weiterführende Informationen auch unter: http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/zum-thema/maennlichkeiten-im-rechtsextremismus, zuletzt gesichtet am 07.01.14.
7 Vgl. hierzu das Milgram- und Konformitätsexperiment. Zw. Min. 9:01-9:40 und 26:00-27:00, in: Das radikal Böse.
8 Benjamin Ferencz, Min.3:09-3:18 und 86:24-86:44, in: Das radikal Böse.
Filmpremiere am 09.01.2014
im Kino Babylon, Berlin-Mitte, 20.15 Uhr
mit Regisseur Stefan Ruzowitzky, Christoph Heubner (Internationales Auschwitz Komitee) und Prof. Nachama (Topographie des Terrors) und EXIT-Leiter Bernd Wagner. Moderation: Knut Elstermann.