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Daniel Köhler Viel “rechte Gewalt” ist eigentlich Rechtsterrorismus

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Pegida-Demo in Dresden (Quelle: Flickr / Strassenstriche.net / CC BY-NC 2.0)

Daniel Köhler, Gründer und Direktor des „German Institute on Radicalization and De-radicalization Studies“ (GIRDS) berät Regierungen in Sachen Extremismus und Deradikalisierung und hat eine Datenbank zum Rechtsterrorismus erstellt. Seit 1963 zählt er 92 rechtsterroristische Gruppen und Einzelpersonen; seit 1971 zählt er unter „vereitelten und erfolgreichen Straftaten“ 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle und 123 Sprengstoffanschläge. Und 229 Morde mit rechtsextremen Motiven. Wir haben mit ihm über die Ideologie dahinter, den Rechtsterrorismus von heute und Pegida als Terror-Umfeld gesprochen.

Daniel Köhler

 

Wie hat sich der Rechtsterrorismus in Deutschland entwickelt?

Daniel Köhler: 1969 hat die NPD den Einzug in den Bundestag ganz knapp verpasst. Das wird von vielen Wissenschaftler_innen als Ursprung des Rechtsterrorismus in Deutschland gesehen. Danach hat sich die Partei gespalten, in einen legalistischen Flügel, der weiter an Wahlen teilnehmen wollte und einen anderen, der Wahlen abgelehnt hat und in den Untergrund wollte. Man kann aber deutlich vor dieser Zeit klar militante Untergrundgruppen mit klar neonazistischen Zielen sehen.

Gab es Verbindungen zum untergangenen Nationalsozialismus?

Es gibt eine Kontinuität aus dem „Dritten Reich“ heraus. Nach dem Krieg waren es sogenannte Werwolfgruppen, die an Theorien und Materialien des bewaffneten Kampfes weitergearbeitet haben. Zum Beispiel gab es ein Handbuch für Werwolfeinheiten und in diesem Muster auch eine Handvoll kleinerer Anschläge und Mordversuche. Das war schon ein Versuch, in den Guerillakampf zu gehen. In den späten 1940ern und frühen 1950ern haben ehemalige SS-  oder Hitlerjugend-Angehörige und  hochrangige NSDAP-Mitglieder versucht, das junge demokratische System auch mit Gewalt zu unterwandern.

Wie hat sich das weiterentwickelt?

Mitte der 1950er ist der Konflikt in Südtirol aufgebrochen. Ehemalige Nazis hatten aus Deutschland Sprengstoff und Waffen nach Südtirol geliefert haben, um den „Freiheitskampf“ rechtsextremer Vereinigungen gegen die italienische Regierung zu unterstützen. Ab 1959 gab es in Deutschland eine “Hakenkreuz-Schmierwelle”: Innerhalb kürzester Zeit gab es  470 Vorfälle rechtsextremer Propaganda, hauptsächlich Hakenkreuzschmierereien an Synagogen. Schon relativ bald nach Ende des zweiten Weltkrieges formierten sich verschiedenste illegale Formen der rechtsextremen Meinungsbildung oder Opposition gegen die Demokratie, die auch schnell gewalttätig wurden. Josef Bachmann, ein bekennender Rechtsextremer, hat dann auch 1968 Rudi Dutschke erschossen.

1969 dann der Flügelkampf in der NPD.

Nach dem  verpassten Einzug in den Bundestag bildete sich unter anderem die ziemlich revolutionär organisierte „Aktion Widerstand“. Es gab einen Verein, der dafür zuständig war, Räume anzumieten oder Veranstaltungen anzumelden. Eigentlich war es aber ein freies Netzwerk, das eine starke Marke geschaffen hat. Jeder Aktivist konnte sich mit seinen Veranstaltungen oder seinen Anschlägen diesem Label unterordnen, ohne klare Verbindungen oder Hierarchien. Ende der 1970er und Anfang der 1980er war dann die große Zeit der “Wehrsportgruppen”: zum Beispiel die Wehrsportgruppe Hoffmann oder die Kampfgruppe Priem. Also Gruppen, die sich paramilitärisch ausbilden und eigentlich versuchen, zu einer Guerilla zu werden. Eine Vorbereitung auf den bewaffneten Umsturz des demokratischen Systems.

Gab es Terrorattacken von diesen Gruppen?

Die größte und bekannteste Gruppe war die Wehrsportgruppe Hoffmann, die im Januar 1980 verboten wurde. Nach dem Verbot gab es Anschläge, unter anderem auf das Münchner Oktoberfest im gleichen Jahr. Gundolf Köhler, der eine bekannte Täter, gehörte zum Umfeld der Wehrsportgruppe. Der Gründer, Karl-Heinz Hoffmann, hatte vorher in einer Talkshow gesagt, dass es Racheakte geben würde, sollte die Organisation verboten werden. Einen direkten Zusammenhang konnte man allerdings bis heute nicht nachweisen.

Die 1980er waren die Hoch-Zeit des Rechtsterrorismus in Europa – etwa auch in Italien, wo allerdings durch falsche Bekennerschreiben versucht wurde, den Linken die Schuld an Bombenanschlägen in die Schuhe zu schieben. Für Deutschland kann man sagen, dass alle Einzeltäter aus dieser Periode in militante Organisationen in der rechtsextremen Szene eingebunden waren und so zu massiven Anschlägen befähigt wurden.

Wie geht das nach der Wiedervereinigung weiter?

Teilweise gab es in der DDR schon eine neonazistische Szene, meistens Skinheads, die dann aber von westdeutschen Neonazis gezielt politisiert wurde. Wehrsportgruppenführer sind in den Osten gegangen, um dort Kader aufzubauen. Viele in der Szene hatten das Gefühl, dass der Kampf jetzt auf die Straße zum Volk getragen wird und haben gar keinen Grund mehr gesehen, überhaupt in den Untergrund zu gehen.  Zum Beispiel bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, wo militante Neonazis im Hintergrund organisiert haben, dass Neonazis und Skinheads aus ganz Deutschland dorthin fahren konnten. In Szene-Publikationen wurde dazu aufgerufen, daran teilzunehmen, um den Staat in die Knie zu zwingen. Anfang der 1990er hat das alles zu einer brisanten Mischung geführt. Auf der einen Seite die westdeutschen Organisationen aus den Wehrsportgruppen heraus, die wussten, wie man sich organisiert, wie man mit dem Rechtsstaat und der Unterwanderung durch Sicherheitsbehörden umgeht und die Zugriff auf Waffen und Sprengstoff hatten. Auf der anderen Seite die sehr jungen und unerfahrenen ostdeutschen Neonazis, von denen aber viele in der GST  [„Gesellschaft für Sport und Technik“, vormilitärische Massenorganisation der DDR, Anm. d. Red.] an der Waffe ausgebildet wurden oder bei der NVA gedient hatten. Leute, die Erfahrungen mit der Stasi gesammelt hatten, also wussten, wie man der Überwachung durch einen viel repressiveren Sicherheitsapparats aus dem Weg geht. Diese Mischung entlädt sich dann Anfang der 1990er. Der Staat hat ein paar Jahre gebraucht, um darauf zu reagieren. Dann werden aber verstärkt Vereine und Gruppen verboten. Ende der 1990er gehen dann viele, unter anderem auch das NSU-Trio, in den Untergrund.  Anfang der 2000er haben wir hauptsächlich Aktionen von kleinen führerlosen Zellen, die fast komplett aus dem Untergrund arbeiten und nie öffentlich auftreten, mit gezielten Ermordungen und Sprengstoffanschlägen.

Wie sieht Rechtsterrorismus heute aus?

Mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“ finden militante Aktionen in der breiten Bevölkerung wieder Anklang, eine Art Schwarm-Terrorismus hat sich gebildet. Bei Pegida- oder anderen großen Anti-Asyl-Veranstaltungen wird aktiv zur Gewalt aufgerufen. Menschen, die noch nie Kontakt mit diesen Szenen hatten, werden plötzlich massiv straffällig, bis hin zur tödlichen Gewalt. Seit den 1990ern ist das das erste Mal, dass die Szene es geschafft hat, Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zur terroristischen Gewalt zu radikalisieren. Da stecken keine langfristigen Ziele und Strategien dahinter, aber es basiert auf einem ideologischen Verständnis, wer der Feind ist. Wenn man sich aber zum Beispiel “Pegida München” anschaut, dann gibt es ein Umfeld verurteilter Rechtsterroristen  Menschen, die Anfang der 2000er bei der „Kameradschaft Süd“ waren und verurteilt wurden, weil sie einen Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum geplant haben.

Sind Pegida und Co. ein Unterstützerumfeld für Rechtsterroristen?

Das Umfeld ist essentiell für die Karrieren von Rechtsterroristen. Zum einen sind das Durchlauferhitzer und zum anderen große heterogene Gruppen, in denen man sich unter Gleichgesinnten bewegt, wo viele sagen: „Man müsste doch mal…“, „Die haben doch recht“, „Merkel an den Galgen“. Gewalt wird legitimiert, man wird auch als Täter legitimiert und man kann sich sagen: „Ich tue nur das, was die Mehrheit der Deutschen möchte.“  Dann gibt es die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, bei den Angst und Panik geschürt wird – grundlegende Triebmittel der Gewalt. Wenn es gelingt, Menschen glauben zu machen, dass Demokraten im Rahmen einer langfristigen Strategie den eigenen Wohlstand, die Familie, die Sicherheit bedrohen, kann es passieren, dass manche sich als Kurzschlussreaktion zu massiver Gewalt überreden lassen und radikalisiert werden. Bei den Einzeltätern, die wir über die Jahre in Deutschland gesehen haben, zuletzt Frank S., der das Attentat auf die damalige Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker verübt hat, gibt es fast niemanden, der nicht über lange Zeit hinweg in einer organisierten rechtsextremen Szene aktiv war.

Was sind die Ziele von Rechtsterroristen?

Der Rechtsterrorismus in Deutschland steht für das knallharte Ausleben von Gewalt im Dienst der Durchsetzung der politischen Ziele. Die Vernichtung eines Gegenübers ist das zentrale politische Mittel. Eine der Zielgruppen sind politische oder staatliche Vertreter_innen. Der Staat etwa wird als illegitim wahrgenommen, als Besatzermacht. In dem Sinne verstehen sich Rechtsterrorist_innen überwiegend als Freiheits- und Guerillakämpfer_innen, die glauben, sich einem besetzten Land zu befinden, das sie befreien wollen. Die greifen ohne lange Planung den Feind an, wo sie ihn finden. Ob den Polizisten oder die Polizistin bei der Kontrolle oder den linken Buchhändler. Das sind alles Repräsentanten dieses Besatzerregimes. Zudem ist natürlich ein gemeinsames Ziel den propagierten Rassekrieg zu gewinnen. Man will, ganz dem Kern der Ideologie entsprechend, „schwache“ und „minderwertige Rassen“, von denen man sich durch Einwanderung und Demokratie bedroht sieht, vertreiben, in die Unterwerfung zwingen, oder direkt vernichten.

Der NSU ist wahrscheinlich das Parade-Beispiel, aber auch bei der Gruppe Freital war zunächst unklar, ob man von staatlicher Seite überhaupt von Rechtsterrorismus sprechen will. Warum tut sich der Staat so schwer, Terrorismus von rechts überhaupt zu erkennen?

Die Ermittlungsbehörden gehen bis Anfang der 2000er davon aus, dass die Szene nicht zu organisiertem Terrorismus fähig ist. Das ist fatal und basiert auf einer völlig veralteten Bewertung von Terrorismus im juristischen Sinne. Der Paragraph 129a [Bildung terroristischer Vereinigungen, StGB, Anm. d. Red.]  geht auf die RAF und den Linksterrorismus zurück. Das heißt man suchte von seiten der Sicherheitsbehörden immer nach klaren Strukturen, Strategien, Konzeptpapieren. All das, was die Neonazi-Szene eigentlich nie hatte. Diese Gewalt ist vom Typus her viel näher an der Guerilla-Szene. Die wollen in ihrer Wahrnehmung eine Besatzungsmacht vernichten. Daher ist auch jede Form der Gewaltanwendung legitim und hat den Zweck, den Feind einzuschüchtern oder gleich zu vernichten. Es gibt aber nicht all diese Strategien und Bekennerschreiben drumherum, die wir aus dem Linksterrorismus kennen. Auch deswegen gab es diese fatale Fehleinschätzungen, die zum Nichterkennen des NSU geführt haben. Und auch jetzt haben wir wieder kleine Gruppen, die sich bis hin zum Terrorismus radikalisieren, sei das die Gruppe Freital, die Oldschool Society, die Gruppe in Nauen, auch wenn die juristisch anders eingeschätzt wird. Bezeichnenderweise war auch ein Mitglied der Nauener Zelle schon einmal Anfang der 2000er Jahre als Mitglieder des „Freikorps Havelland“ wegen Terrorismus verurteilt worden. Das sind klassische Neonazis im Zusammenspiel mit diesem Alltags- oder Schwarm-Terrorismus.

Im Gegensatz zum Staat erkennen aber andere Neonazi-Gruppen, das hinter den Anschlägen viel mehr steckt.

Es gibt das Konzept der Tat, ursprünglich aus der linken, anarchistischen Szene. Wenn ich eine Bombe gegen eine Synagoge einsetze, wird jedem klar sein: Das Motiv ist Antisemitismus. Ich brauche also kein Bekennerschreiben, obwohl die Tat natürlich von Islamist_innen kommen kann, von Rechtsextremen, von Anarchist_innen. Wenn eine Bombe gegen Polizist_innen, Journalist_innen oder Politiker_innen eingesetzt wird, ist nicht so klar von wo das kommt. Dann ist allerdings die Frage, muss das denn so klar sein? Es kann um die Vernichtung eines Feindes gehen. Ich treffe Demokrat_innen, Homosexuelle, Journalist_innen. Damit dezimiere ich den Feind und ich treffe sowieso immer die Richtigen. Deswegen muss ich dem Feind auch nicht erklären, was ich da mache. Wenn ich davon ausgehe, dass Gewalt nicht nur ein Mittel ist, weil man sonst nichts anderes hat, sondern vielmehr Ziel und Lebensinhalt einer Weltanschauung, muss ich das auch nicht erklären. Linke oder islamistische Gruppen, deren Ziele eher in Richtung Gleichberechtigung und Frieden liegen, behaupten, dass sie Gewalt benutzen „müssen“, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Der Zielgruppe muss man deswegen erklären, warum man zum Beispiel Zivilisten angreift. Rechtsterroristen müssen das nicht. Es gibt Teile der Bevölkerung, die die Tat verstehen und glauben, dass es den Migranten und Linken recht geschieht. Die haben begriffen, dass Gewalt ein politisches Signal ist. Die anderen, die sagen, dass Gewalt nie ein legitimes Mittel sein kann, denen muss ich das nicht erklären, die sind nämlich ohnehin der Feind.

Titelbild: Flickr / Strassenstriche.net / CC BY-SA 2.0

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