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Das AfD-Paradox Be careful what you wish for

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Hunderte Menschen demonstrieren am 19.08.2023 gegen den Landesparteitag der AfD Niedersachsen in der Congress Union Celle. (Quelle: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte)

Seit den letzten Bundestagswahlen vor zwei Jahren haben sich die Umfragewerte für die rechtspopulistische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf mehr als 20 Prozent verdoppelt. 2017 gelang ihr mit einem Stimmenanteil von 12,6 Prozent erstmals der Einzug in den Bundestag. Das Ergebnis für die Partei sank bei der folgenden Wahl auf 10,3 Prozent. Doch die aktuellen Umfragewerte signalisieren, dass die AfD ihre Zustimmungsbasis verbreitern kann.

Wer wählt die AfD?

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage ist die Wähler*innenschaft der AfD überdurchschnittlich männlich. So würden 23 Prozent der Männer und nur 15 Prozent der befragten Frauen ihr Kreuz bei der AfD machen.

Was das Alter der Wähler*innen betrifft, würden überdurchschnittlich viele Menschen im Alter zwischen 45 und 59 Jahren die Partei wählen (24 Prozent). Rentner und junge Menschen zwischen 18 und 29 Jahren seien hingegen unterrepräsentiert (15 und 14 Prozent).

Die Bildung und das Einkommen der AfD-Wähler*innen ist eher gering bis durchschnittlich. Arbeiter*innen und Arbeitslose sind überdurchschnittlich häufig vertreten. Außerdem ist die Unzufriedenheit über das eigene Leben und den Zustand von Gesellschaft und Wirtschaft unter den Wähler*innen der AfD deutlich höher als im Durchschnitt aller Wähler*innen.

Die Zustimmung zur AfD ist vor allem in Ostdeutschland und in ländlichen und/oder strukturschwachen Regionen überdurchschnittlich hoch. Die AfD schneidet besser in Wahlkreisen ab, in denen die Perspektivlosigkeit groß ist.

Das AfD-Paradox

Eine Kurzanalyse des „Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung“ mit Sitz in Berlin (DIW Berlin) kommt zu dem Schluss, dass die Menschen, die die AfD unterstützen, am stärksten unter der Politik der Partei leiden würden.

Um abzugleichen, wie die Bedürfnisse der AfD-Wähler*innen mit den inhaltlichen Positionen der Partei zusammenpassen, wurde der sogenannte „Wahl-O-Mat“ der „Bundeszentrale für politische Bildung“ (bpb) für die Bundestagswahlen 2021 ausgewertet.

Der „Wahl-O-Mat“ soll Wahlberechtigten im Vorfeld von Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen dabei helfen, eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen.

Die „bpb“ entwickelt für den „Wahl-O-Mat“ einen Fragenkatalog zu den relevantesten politischen Themen vor Wahlen. Die Fragen werden in die Themenbereiche Steuerpolitik, Wirtschaftspolitik, Klima- und Umweltpolitik, Sozialpolitik, Gesellschaftspolitik und Innenpolitik eingeteilt.

Anschließend beantworten alle Parteien diesen Katalog. Es gibt drei Antwortmöglichkeiten: Es kann sich z.B. für Steuersenkungen entschieden werden, dagegen oder eine neutrale Antwort gegeben werden. Eine Zustimmung erhält den Wert +1, eine neutrale Antwort 0 und eine Ablehnung -1. Dadurch ergibt sich für jeden Themenbereich ein vergleichbarer Wert. Also bedeutet beispielsweise eine höhere positive Zahl für Sozialpolitik, dass eine Partei sich die Stärkung oder Ausweitung der Sozialsysteme wünscht. Eine negative Zahl bedeutet dagegen eine Kürzung oder Begrenzung.

Die Positionen der AfD

Die AfD setzt sich in fast allen Bereichen für Steuersenkungen ein, wie neuerdings bei der Erbschaftssteuer und die Besteuerungen von Großkonzernen. Den Solidaritätszuschlag für Spitzenverdiener*innen will sie komplett abschaffen.

Im Falle der Wirtschaftspolitik möchte die AfD generell die Rolle des Staates beschneiden und die Macht des Marktes vergrößern.

Keine Partei lehnt die Maßnahmen zum Schutz von Klima und Umwelt so strikt ab wie die AfD. Sie ist gegen den Kohleausstieg bis 2038, gegen das Verbot von Verbrennungsmotoren, gegen die Förderung von ökologischer Landwirtschaft, gegen den Aufbau von Windenergie und gegen die Besteuerung des Flugverkehrs.

Im Bereich der Sozialpolitik wünscht sich keine Partei größere Einschnitte bei den Sozialleistungen als die AfD. Sie spricht sich gegen eine Stärkung der Rechte von Mieter*innen und gegen die Erhöhung des Mindestlohns aus. Außerdem möchte die Partei das Bürgergeld vermindern und auf sechs Monate begrenzen. Langzeitarbeitslose sollen zur Bürgerarbeit verpflichtet werden.

In der Gesellschaftspolitik unterscheidet sich die AfD am meisten von den anderen Parteien. Sie will die Rechte und Freiheiten von Minderheiten beschneiden und ist die einzige Partei im Bundestag, die sich gegen eine staatliche Anerkennung von islamischen Verbänden als Religionsgemeinschaften ausspricht. Des Weiteren sollen traditionelle Familienmodelle gegenüber alternativen bessergestellt sein und unterschiedliche Geschlechtsidentitäten sollen in Veröffentlichungen der Bundesbehörden nicht berücksichtigt werden.

Auch in Bezug auf Demokratie und Innenpolitik will die AfD Rechte und Freiheiten deutlich restriktiver handhaben als alle anderen Bundestagsparteien. Sie lehnt die Herabsetzung des Wahlrechts bei Bundestagswahlen von 18 auf 16 Jahre ab. Auch doppelte Staatsbürgerschaften soll es nicht mehr geben. Im Bereich der Außenpolitik ist die AfD die einzige Partei, die die Europäische Union massiv beschneiden oder gar abschaffen will.

Die Widersprüche zwischen den Interessen und Bedürfnissen der AfD-Wähler*innen und den Positionen könnten also kaum größer sein. Würde sich die AfD-Politik durchsetzen, würde es zu einer Umverteilung von Einkommen und sozialen Leistungen kommen. Steuersenkungen für Spitzenverdiener*innen, niedrigere Löhne für Geringverdiener*innen und eine Beschneidung der Sozialsysteme würden die Wähler*innen der AfD viel stärker negativ treffen als die Wähler der meisten anderen Parteien.

Versuch einer Erklärung

Aber wie kann es sein, dass ein Fünftel er Bürger*innen die Politik einer Partei unterstützt, die dem eigenen Wohlergehen und den eigenen Interessen zuwiderläuft?

Eine plausible Antwort wäre die individuelle und kollektive Fehleinschätzung. Diese liege darin, dass viele AfD-Wähler*innen nicht realisieren würden, dass eine Politik der Ausgrenzung sie selbst stark negativ betreffen würde. Denn sie selbst gehören häufig zum unteren Rand der Einkommensverteilung, würden seltener Privilegien genießen, hätten weniger Chancen als andere, weshalb sie stärker auf finanzielle Leistungen des Staates angewiesen seien.

Be careful what you wish for – Diese alte Weisheit trifft vor allem auf Wähler*innen der AfD zu.

 

Die Kurzstudie des DIW zum Download:
https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.879721.de/diw_aktuell_88.pdf

 

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