„ACHTUNG! Privatwohnungen können für Asylanten beschlagnahmt werden“, steht dort. Zwei Posts und zwei Stunden später ein weiterer Eintrag in Großbuchstaben: „Die Türkei gehört nicht zu Europa!“ Es folgen Links auf rechtsextrem einzustufende Zeitschriften, plumpe Ebola-Einwanderungs-Verschwörungen und äußerst kritische Stellungnahmen zu politischen Themen – alles zu finden auf der Facebook-Seite der NPD.
An diesem Tag veröffentlicht die rechtsextreme Partei 13 solcher Beiträge – eine hohe Schlagzahl, ein breit gefächerter Themenmix. Das kommt an: Mehr als 111.000 Facebook-Nutzer haben „NPD – die soziale Heimatpartei“ mit „Gefällt mir“ markiert – und bekommen die plakativen Inhalte ungefiltert in die virtuelle Chronik gespeist. Zum Vergleich: Der SPD folgen derzeit rund 78.300 User, die CDU kommt auf knapp 88.000 Anhänger.
Auch andere, etablierte Parteien schaffen es nicht, mit der NPD mitzuhalten. Lediglich die euro-kritische Alternative für Deutschland (AfD) – unter anderem wegen der Aufnahme von Mitgliedern aus NPD-Kreisen kritisiert – vereint mit 130.000 digitalen Gefolgsleuten mehr als alle anderen deutschen Parteien.
Ängste schüren, Likes gewinnen
Doch warum findet rechtsextremes und populistisches Gedankengut im Netz überhaupt so viel Anklang? Hendrik Puls, Mitarbeiter und Soziologe bei der „Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster – gegen Rechtsextremismus, für Demokratie“ – eine vom Regierungsbezirk Münster betriebene Beratungsstelle für Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren wollen – denkt, dass die Inhalte strategisch geschickt veröffentlicht werden: „Ein emotionales Posting, zum Beispiel gegen den Islam oder Salafisten, kommt zu Zeiten des IS-Terrors vielleicht besser an, als Parteitagsberichte oder Nachrichten zu tagespolitischen Entwicklungen.“
Sascha Ruschel, Beauftragter für Social-Media-Kanäle der netzaffinen Piraten – immerhin mit 92.000 Likes hinter der Linken viertstärkste Partei auf Facebook – sieht das ähnlich: „Die AfD im Speziellen bedient sich der Ängste der Bürger. In einer Zeit, in der die soziale Kälte zunimmt und in der es weltpolitisch nicht gerade zum Besten steht, liefert sie flache Parolen. Sie bringen nichts, erinnern aber an die gute alte Zeit.“
Es ist das altbewährte Konzept „Ängste schüren, Sympathisanten gewinnen“, das in der virtuellen Welt noch immer funktioniert. Unterstützung kommt von treuen Anhängern: „Beide Parteien haben vor allem auf Facebook einen großen Erfolg, weil ihre Wähler nicht nur auf Facebook herumstöbern, sondern zur aktiven Gruppe der Nutzer gehören, also aktiv Beiträge teilen, liken und kommentieren“, so Ruschel. Das Ergebnis: Die Inhalte verbreiten sich durch interaktive Nutzer noch schneller – und erreichen so eine noch größere Zielgruppe.
Gekaufte Freunde?
Und während Populisten und Extremisten im sozialen Netz Erfolge feiern, versucht man sich bei den beiden größten deutschen Parteien eher bedeckt zu äußern. Auf eine Anfrage unserer Zeitung sendete die SPD bis heute keine Antwort. Die CDU-Zentrale übermittelte immerhin eine schriftliche Mitteilung: „Ob die Fan-Zahlen tatsächlich reale Menschen sind, kann vielleicht nur Facebook selbst beurteilen. Bekannt ist aber: Jeder kann für jede Fanseite für ein paar Euro Fans kaufen – sogar ohne Wissen des Seitenbetreibers.“
„Gekaufte Freunde“ also? Auch für den Piraten-Experten eine Möglichkeit: „Sogenannte ‚False-Flag Aktionen‘, bei denen sich Personen aus dem rechten Umfeld Fakeaccounts mit ausländischen Namen und Profilfotos zulegten, um gezielt zu pöbeln, haben wir schon beobachtet.“ Und dennoch scheint es zu einfach, falsche Likes als einzigen Grund für die Facebook-Erfolge der Rechten zu nennen. Zu kommentar- und teilfreudig scheinen die Nutzer, als dass dahinter überwiegend digitale Alter Egos stecken. Und außerdem: Warum sollten ausschließlich NPD- und AfD-Fans zu unlauteren Methoden greifen?
Doch wie aussagekräftig sind Likes und Nutzerverhalten auf Facebook überhaupt? Für die CDU ist die große Reichweite eher geringfügig einzuschätzen: „Erfolg nur an der Zahl der ‚Gefällt-mir‘-Angaben zu messen, ist zu wenig“, heißt es in der Mitteilung aus der Parteizentrale. Die Piraten sehen das etwas anders. Sascha Ruschel: „Im Grunde würde keine größere Gefahr von der Reichweite ausgehen, wenn die Nutzer der Netzwerke eine höher ausgeprägte Medienkompetenz hätten. Doch leider ist dies gerade in Deutschland nicht der Fall.“
„HoGeSa“: Vom Computer auf die Straße
Welche Gefahr von einer zunehmenden, rechtsextremen Vernetzung in sozialen Medien ausgeht, zeigte sich zuletzt bei der „Hooligans gegen Salafisten“-Demo in Köln: „Das Ganze begann als elitäres Netzwerk rechter Hooligans, die bereits mehrere Aktionen durchgeführt hatten. Aber erst durch die Gründung der Facebook-Vereinigung ‚HoGeSa‘ konnte eine wirklich große Masse an Sympathisanten mobilisiert werden. So entstand eine Verbreitung über die organisierte Hooligan-Szene hinaus“, erklärt Hendrik Puls. Der bisherige Höhepunkt: 4.500 Menschen – rechts und nicht rechts – marschierten gemeinsam durch die Kölner Straßen. Die Situation geriet außer Kontrolle, 49 Polizisten wurden bei Ausschreitungen verletzt. Weitere HoGeSa-Kundgebungen sind geplant, ob und wie man sie in anderen Städten verbieten kann, ist derweil noch ungeklärt.
Auch in der Vergangenheit versuchten Rechtsextreme im Netz immer wieder, unter dem Deckmantel der Gutmenschlichkeit – und ohne jeglichen Hinweis auf eine Partei oder Vereinigung – Gefolgsleute zu finden. Diese Entwicklungen beobachtet auch der Verfassungsschutz: „Rechtsextremisten bemühen sich bei ihren Internetauftritten in der Regel um eine gefällige und seriöse Präsentation. Hierbei steht für sie aber nicht zwingend im Vordergrund, dass ihre Internetseiten sofort als rechtsextremistisch zu erkennen sind“, heißt es in der Broschüre „Rechtsextremisten im Internet“.Der Pirat Sascha Ruschel gibt ein bekanntes Beispiel: „Als Musterbeispiel kann man hier immer wieder die ‚Todesstrafe für Kinderschänder‘-Gruppen nehmen, die meist eine sehr hohe Durchsetzung an rechtsextremen Gedankengut hatte.“ Dass es nun gelingt, Facebook-Nutzer in der HoGeSa-Größenordnung vom Computer auf die Straße zu locken, ist hingegen eine nie dagewesene Dimension.
Verantwortung bei Plattformen und ParteienUm rechtsextreme Gefahren im Netz schneller aufzuspüren will der Verfassungsschutz personell aufrüsten und arbeitet an Programmen, die Facebook, Twitter & Co.in Echtzeit ausforschen sollen. Allerdings sehr zum Missfallen der friedlichen Nutzer und Datenschützer. Ein fertiges, greifendes Konzept zur Eindämmung des gefährlichen Trends scheint es bisweilen noch nicht zu geben. Fest steht: Ein Verbot oder eine Löschung wäre schwer durchzusetzen – die Inhalte größtenteils durch die Meinungsfreiheit geschützt. Zudem: „Ein Verbot der Inhalte würde vermutlich noch zu einer Verstärkung des Zusammenhalts der Fan-Basis führen. Parteien wie die AfD und die NPD profitieren von der Opferrolle. Sie sind aus solchen Situationen immer wieder gestärkt hinausgegangen“, so Sascha Ruschel.
Mit allem, was über die gesetzlichen Grenzen hinausgeht, hat man bei der CDU immerhin gute Erfahrungen gemacht: „Die Betreiber sozialer Netzwerke haben eine große (Mit-)Verantwortung für die Inhalte, die auf ihren Seiten veröffentlicht werden. Inhalte, die über die Grenzen der Meinungsfreiheit hinausgehen, müssen gelöscht werden. Unsere Erfahrungen mit den Betreibern der sozialen Netzwerke sind dabei sehr positiv. Entsprechende Inhalte werden üblicherweise nach Hinweisen umgehend entfernt.“
Was hingegen fehlt, ist ein aktives, gemeinsames Gegenwirken und Aufklären durch die etablierten Parteien. Doch warum hält man sich dort zu Netzaktivitäten weiterhin so bedeckt? Ist die Wichtigkeit sozialer Netzwerke noch nicht bis in die Parteispitzen vorgedrungen? Ruschel: „Die etablierten Parteien haben die sozialen Netzwerke bis vor kurzem sehr stiefmütterlich behandelt. Sie hatten kein großes Interesse, da die Nutzer der Plattformen nicht zu ihren klassischen Wählergruppen zählten. Viele Wähler der Etablierten scheuen sich auch immer noch, mit einem Like öffentlich zu bekennen, dass sie Anhänger einer dieser Parteien ist.“ – Ein Privileg, das inzwischen sogar die NPD genießt.
Dieser Artikel erschien zuerst am 05.11.2014 in der Recklinghäuser Zeitung. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.
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