Sprache ist ein wirkungsmächtiges Kommunikationsinstrument. In ihr artikulieren sich Gefühle, Einstellungen und Meinungen. In ihr strukturiert sich unser Denken. Doch obwohl wir in einer vermeintlich aufgeklärten und toleranten Gesellschaft leben, finden sich in unserem Sprachgebrauch nicht selten rassistische Äußerungen wieder. Ein Mann wehrt sich gegen die sprachliche Diskriminierung – und löst damit eine Debatte aus. „Ihr Chinesenmädchen, kommt her! Und ihr Türken und Neger, kommt auch her! Kommt alle her, Wüstenscheich, Eskimofrauen und Menschenfresser! Hier steht eine kleine Hexe, die kann auf dem Besen reiten!“ Dieser Satz stammt aus dem Kinderbuchklassiker „Die kleine Hexe“ von Otfried Preussler. In Ihr wird eine Faschingsszene beschrieben. 60 Jahre nach Buchveröffentlichung entbrennt eine gesellschaftliche Diskussion, ob Begriffe wie Neger oder Negerkönig und deren Verwendung in Kinderbüchern wie „Die kleine Hexe“ oder „Pippi Langstrumpf“ noch angemessen sind. Initiator der Debatte ist Mekonnen Mesghena, der als Referent für Migration, Interkulturelles Management und Diversity für die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin arbeitet. „Ich habe meiner kleinen Tochter aus ‚Die kleine Hexe‘ vorgelesen, weil sie das Buch liebt. Wir haben Kapitel für Kapitel durchgearbeitet, bis ich auf jenen Satz gestoßen bin.“ In der“ kleinen Hexe“ beginnt jenes Kapitel mit folgendem Satz:“Wie kamen die beiden Negerlein auf die verschneite Dorfstraße? Und seit wann gab es Türken und Indianer in dieser Gegend?“ „Ich fand diesen ersten Satz ziemlich heftig und habe dann nicht mehr weitergelesen“, gesteht Mesghena und fügt an: „Meine Tochter war erst einmal ziemlich sauer. Ich habe aber dann das Kapitel weiter überflogen und merkte, das geht ja genauso weiter mit diesen Begriffen. Negerlein, Eskimo, Türke, Menschenfresser. Und das in einem Kinderbuch. Das hat mich schockiert.“„Menschen müssen über ihren Gebrauch von Sprache nachdenken“Mekonnen Mesghena kontaktiert den Thienemann-Verlag, der „Die kleine Hexe“ publiziert. „Ich habe versucht dem Verlag darzustellen wie diese Begriffe auf Menschen wirken, die keine weiße Hautfarbe haben. Ich möchte aufzeigen, dass durch solche Begriffe Menschen kategorisiert und hierarchisiert werden. Sie werden über Hautfarbe und Herkunft bewertet. In diesem Fall finde ich, dass dieser Gebrauch von Sprache verletzend und diskriminierend ist, darüber müssen die Menschen nachdenken.“ Nach längeren Korrespondenzen teilt der Thienemann-Verlag in Absprache mit der Familie Preussler mit, dass man die betreffenden Wörter durch neutrale Begriffe ersetzen wird.„Märchen verstoßen gegen alle Regeln der politischen Korrektheit“Doch nicht alle stimmen Mekonnen Mesghenas Einschätzung zu. Der Journalist und Literaturkritiker Ulrich Greiner fragt beispielsweise in der ZEIT: „Was ist der Akt, aus menschenfreundlicher Absicht auf die Gefühle von Minderheiten Rücksicht zu nehmen und veraltete und politisch nicht mehr korrekte Begrifflichkeiten aus literarische Werken zu entfernen, nichts anderes zu nennen als Zensur?“ Greiner bezweifelt, dass sich die Unschuld eines Kindes dadurch bewahren lässt, indem man es durch „schädliche Vokabeln“ schützt. „Nehmen sie die Märchen, die verstoßen gegen alle Regeln der politischen Korrektheit. Es herrschen dort Mord und Totschlag, Mütter werden verbrannt und Söhne umgebracht. Durch Märchen toben Kinder auf unschädliche Weise ihren Aggressionstrieb aus.“Kampfbegriff „political correctness“Der Begriff der „political correctness“ entstammt der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1970er Jahre. Diese versuchte, diskriminierende Äußerungen gegen Minderheiten aus dem Sprachschatz zu tilgen. Heute wird „political correctness“ weitgehend mit Begriffen wie „Tugendpolizei“ oder „Gutmenschentum“ assoziiert. Das zunächst positive Vermächtnis der „political correctness“ hat sich heute ins Negative verkehrt. In der aktuellen Debatte orientieren sich die Kommentatoren und Feuilletonisten vor allem an dieser negativen Interpretation. Im Deutschlandradio bezeichnet der Journalist Burkard Müller-Ullrich die „political correctness“ als „sich ausbreitende Sprachpest, die sich in selbstgerechten Mahnwellen äußert, weil es nichts Schöneres gibt, als anderen über den Mund zu fahren und diesen zu verbieten. Die Säuberungskampagne, die derzeit etliche Kinderbücher erfasst, gehört eindeutig zu den üblen Beispielen von gedankenlosem Aktionismus.“ Dem entgegnet die Autorin Ute Wegmann: „Wie oft benutzen wir Begriffe und Bilder mit denen wir groß geworden sind. Umso wichtiger ist die Korrektur von außen, der Blick, der entlarvt und gleichzeitig eine Möglichkeit der Veränderung bietet.“Bedeutungen ändern sich mit den ZeitumständenUte Wegmann begrüßt den Vorstoß von Mekonnen Mesghena, obwohl auch sie Eingriffen in Originalwerken kritisch gegenübersteht. „Weder Otfried Preußler noch Astrid Lindgren kann man Rassismus unterstellen. Es sind eben Werke ihrer Zeit“, sagt Wegmann. Nicht wenige Autoren betonen in dieser Diskussion immer wieder, dass das Wort „Neger“, von lat.Niger = schwarz, noch vor Jahrzehnten nicht rassistisch konnotiert war und verweisen darauf, dass Sprache sich mit den Zeitumständen ändert. Heute aber ist der Begriff „Neger“ unbestreitbar diskriminierend gemeint. „Doch eine Welt fortlaufend sprachlich so zu bereinigen, dass sie dem jeweils aktuellem Moralempfinden entspräche, wäre steril und verlöre den größten Teil des kulturellen Erbes“, meint der Literaturkritiker und Feuilletonist Ijoma Mangold in der ZEIT. „Pädagogisch sinnvoller, als Astrid Lindgren umzuschreiben, ist ein Gespräch mit dem lesenden Kind über jene Wörter, über die es möglicherweise stolpert. Wie überhaupt Lektüre dort am fruchtbarsten ist, wo man viel stolpert – und dann darüber nachdenkt.“ Dem widerspricht Ute Wegmann:“Kinder lesen oft alleine und nicht immer ist ein Erwachsener zur Stelle, die den Begriff in den richtigen Zusammenhang setzen können.“„Diskussion geht an Betroffene vorbei“Besonders eine Meinungskonstruktion findet sich in den deutschen Feuilletons häufig: Der Rassismus von heute wird nicht verschwinden, wenn man in Büchern von Gestern den Wortbestand ändert. „Wir sind als Menschen mit weißer Hautfarbe in einer sehr komfortablen Situation“, sagt die Soziologin Katja Sabisch. „Wir werden nicht durch Ethnie oder Hautfarbe markiert, sondern repräsentieren das unbeschriebene hegemonial weiße Blatt. Und wenn ein elfjähriger, weißer Junge über das Wort ‚Neger‘ nachdenkt, ob dies rassistisch ist oder nicht, dann ist das zwar sehr lobenswert, führt aber am Problem vorbei. Ich glaube es herrscht eine sehr „weiße“ Diskussion in den Feuilletons und diese geht an den Meinungen der Betroffenen vorbei“, stellt Sabisch abschließend klar.SchwarzmalereiDer wenig souveräne und selbstreflexive Umgang der Medien wird in der Sendung „druckfrisch“ deutlich. Der Moderator und Literaturkritiker Denis Scheck imitiert die klischeehafte Karikatur eines Schwarzen, indem er sich das Gesicht schwarz anmalt und auf einer Bühne den „feigen vorauseilenden Gehorsam vor den Tollheiten auf die Kunst übergreifenden politischen Korrektheit“ der Verlage kritisiert und gleichzeitig die Existenz von Rassismus und Neonazismus in Deutschland eine Schande nennt. Man mag dies eine satirische Überhöhung oder auch Ironie nennen. In jedem Fall aber ist dies respektlos und zeugt von wenig Sensibilität gegenüber dem Thema. Das verstörende an seinem Akt der Schwarzbemalung aber ist die Tatsache, dass diese Praxis oft in den Werken der frühen Filmgeschichte Anwendung gefunden hat. Beispielsweise im rassistisch motivierten Film „The Birth of a Nation“ (1915), wo es um die Gründungsjahre des Ku-Klux-Klan geht und der bei Filmschaffenden wegen seiner technischen Innovationen als Klassiker gilt. Dort werden Schwarze als brutal und dümmlich porträtiert und ausnahmslos von schwarz bemalten, weißen Schauspielern dargestellt.Sensibilität und Ironie im SprachgebrauchHadija Haruna, die als Journalistin arbeitet, kann sich diese überspitzten Reaktionen und Auftritte nur mit der Angst erklären, reflektieren zu müssen, dass man rassistische Begriffe benutzt obwohl man dessen herabwürdigende Bedeutung kennt. „Aber was machen Kinder, wenn sie diesen Worten in den Kinderbüchern begegnen? Weiße Kinder lernen, was N. sind und dass Weiße ihnen überlegen sind. Schwarze Kinder lernen, dass sie mit N. gemeint und minderwertig sind“, schlussfolgert sie. Angewandte Sensibilität im Sprachgebrauch ist manchmal ein Drahtseilakt. Als Barack Obama am 5. Juni 2008 als Präsidentschaftskandidat der Demokraten feststand, titelte die Berliner taz „Onkel Baracks Hütte“. Obwohl offensichtlich ironisch und provokativ gemeint, ist dieser Titel kulturell klar besetzt. Er lehnt sich am Buch „Onkel Toms Hütte“ von Harriet Beecher-Stowe an, wo die Geschichte eines hörigen und unterwürfigen Sklaven erzählt wird. In den USA wird das Buch kritisch betrachtet. Der Begriff „Onkel Tom“ gilt als Beleidigung für Schwarze, weil damit Unterwürfigkeit assoziiert wird.Sachlichkeit statt Hysterie„In Deutschland kann man keine sachliche Diskussion zum Thema Rassismus führen“, sagt Mekonnen Mesghena. Er steht auf dem Podium der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin und referiert mit anderen zum Thema „Wo beginnt Rassismus? Sprache in Medien und Literatur“. „Die Debatte wird ausschließlich auf einer emotionsgeladenen Ebene geführt, die fast schon hysterisch ist“, sagt er und ergänzt: „Es ist nicht die Angst vor Zensur, sondern die Angst vor Machtverlust und die Angst sich mit dem postkolonialen Sprachmüll auseinanderzusetzen.“
Mekonnen Mesghena wünscht sich in der Debatte mehr Sachlickeit statt Hysterie. Dialog statt Rechtfertigung. Er konnte nicht voraussehen, dass sein Vorstoß gegen Diskriminierung , eine solche Heftigkeit provozieren würde, als er mit seiner Tochter „Die kleine Hexe“ gelesen hat. „Die Idee, Kontakt mit dem Verlag aufzunehmen, kam eigentlich von meiner Tochter“, sagte Mesghena. „Sie meinte ich solle den Buchmachern schreiben und sagen, dass sie die Wörter entfernen, damit wir endlich weiterlesen können.“