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Debatte Antisemitismus im Kunstfeld – Die Kunst und ihre Konflikte

(Quelle: Screenshot YouTube)

Der Hass auf Jüdinnen und Juden ist eine seit Jahrhunderten gepflegte Kulturtechnik, die schon immer die Gesellschaften vom Druck der Aufklärung entlastet hat. Antisemitismus beginnt nicht bei der Vernichtung von Jüdinnen und Juden, sondern bei der Kultivierung antisemitischer Weltbilder. Allen bekannten Erscheinungsformen des Antisemitismus ging eine kulturelle Legitimierung voran, die immer auf die selben Bilder und Projektionen auf Jüdinnen und Juden und auf die jüdische Kultur zurückgegrifft. Antisemitismus ist in der sogenannten „gesellschaftlichen Mitte”, in bürgerlichen Kreisen und in den Kulturmilieus entstanden und hat sich von dort in die sogenannten gesellschaftlichen Ränder ausgebreitet. In der „Mitte” haben sich die Bilder, die Codes und die Sprache entwickelt und sie transformieren sich parallel zum kulturellen Zeitgeist. Die Aufklärung des Antisemitismus ist für die Kunst relevant, um sich zwischen den Bildern und der Sprache und deren Entwicklungsgeschichte zu orientieren. Sie liefert Aufschluss über kulturelle Prägungen und ist damit ein wichtiger Kompass für die Kulturkritik.

Das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst hat sich dem Thema in einem Podcast gewidmet, hier ein Textauszug. Zum Anhören gibt es den Podcast hier.

Erster Teil

In seinem 1961 veröffentlichten Buch „Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland.” beschreibt der Historiker Fritz Stern, wie sich auf der Grundlage einer kulturellen Grundstimmung der Nationalsozialismus entwickeln konnte. Kulturpessimisten haben im kulturellen Aufbruch der Moderne des 19. Jahrhunderts eine Gefahr apokalyptischen Ausmaßes gesehen. Die Kultivierung der Gesellschaft durch Aufklärung und Fortschritt empfanden sie als eine Zerstörung ihrer vermeintlich naturgegebenen Identität. Für sie bedeutete Identität das, was die Nazis später Blut und Boden nannten. 

Der Philosoph Martin Heidegger hielt am 27. Mai 1933 seine Antrittsrede als Rektor der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Vorab hatte Heidegger schriftlich kommuniziert, dass nach seiner Antrittsrede das Horst-Wessel-Lied gesungen werden sollte, mit erhobener rechter Hand und gefolgt von dem Ruf „Sieg Heil.

In der Rede selbst grenzt Heidegger seine Vorstellung von Identität, als etwas durch Blut und Boden determiniertes, von einer veränderbaren Kultur ab. 

„Die geistige Welt eines Volkes ist nicht der Überbau einer Kultur, sondern sie ist die Macht der tiefsten Bewahrung seiner erd- und bluthaften Kräfte als Macht der innersten Erregung und weitesten Erschütterung seines Daseins. Eine geistige Welt allein verbürgt dem Volke die Größe. Denn sie zwingt dazu, daß die ständige Entscheidung zwischen dem Willen zur Größe und dem Gewährenlassen des Verfalls das Schrittgesetz wird für den Marsch, den unser Volk in seine künftige Geschichte angetreten hat.”, so Heidegger. 

Der Rückblick in die Geschichte zeigt, dass die völkisch-antisemitische Ideologie der Nationalsozialisten von einem in allen Teilen der Gesellschaft verbreiteten Gefühl getragen wurde: Sich von der Komplexität der Moderne zu emanzipieren und so zu einer ursprünglichen und naturgegebenen Ordnung zurückzufinden, die das Gefühl vollständiger Unschuld erlaubt. Die selbsternannten Antisemiten des frühen zwanzigsten Jahrhunderts waren davon überzeugt, dass die Jüd:innen die Urheber und Profiteure der Moderne waren und sahen sich in einem gerechten Widerstand, der die eigene Kultur vor der Vernichtung durch eine jüdische Weltordnung retten sollte. 

Martin Heidegger brachte diesen Gedanken in seinen „Schwarzen Heften” auf die folgende Formel:

„Eine der verstecktesten Gestalten des Riesigen und vielleicht die älteste ist die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens, wodurch die Weltlosigkeit des Judentums gegründet wird.”

Die Jüd:innen werden so zu einer zersetzenden Kraft imaginiert, die die Ordnung der Kulturen und Völker durcheinanderbringt. Heute bezeichnen sich Anhänger dieser Ideologie als Identitäre und Ethnopluralisten. Ethnopluralismus ist eine verharmlosende Selbstbezeichnung für Neorassismus. Sie soll suggerieren, dass man andere Ethnien nicht vernichten will, sondern sich von ihnen abgrenzt, um somit allen Ethnien ihre vermeintlich naturgegebenen Besonderheiten zu bewahren. Enthnopluralisten  glauben natürlich auch, dass die germanische Kultur und Rasse allen anderen überlegen ist. Laut dem Historiker Rasmus Fleischer fehlen Jüd:innen und Rom:nja implizit auf der ethnopluralistischen Weltkarte, da in der Vision der Identitären ‚Multifaschisten‘ beide Minderheiten  beseitigt werden sollten, um Platz für eine friedliche Utopie zu schaffen.

Aus der neorassistischen Perspektive sind die Jüd:innen also der Inbegriff von Rassismus. Sie stehen symbolisch für die Vermischung und Vernichtung von Kulturen und Rassen. Geflüchtete werden als Teil des sogenannten großen Austauschs gesehen, bei dem die weisse Mehrheitsbevölkerung gegen nicht-weisse Einwanderer ausgetauscht werden soll. 

Dieser antisemitischen Verschwörungsideologie zufolge soll so eine jüdische Weltordnung durchgesetzt werden, in der die die Völker vermischt, gespalten und dadurch unterdrückbar gemacht werden. Trotz der eindeutigen Bezüge zur NS-Ideologie distanziert sich gerade die sogenannte  „Identitäre Bewegung“ sowohl von Rassismus, als auch von Antisemitismus. 

Entstanden ist der Begriff „Antisemitismus” als eine positive Selbstbeschreibung. Antisemit:innen sahen sich als Teil einer Gruppe die glaubte, die Welt vom Bösen -den Juden- erlösen zu müssen. Tatsächlich haben sich alle Erscheinungsformen des Hasses auf Jüdinnen und Juden kontinuierlich als emanzipatorische Bewegung, gerechter Widerstand und kulturelle Selbstverteidigung artikuliert.

Der Journalist und Anarchist Wilhelm Marr erhob 1879, bei der Gründung der Antisemitenliga durch den Begriff des Antisemitismus, den Judenhass zum politischen Programm. Über ihr Bekenntnis zum Antisemitismus fanden sich in der Liga Personen aus verschiedenen politischen Lagern zusammen. Der Historiker und Publizist Heinrich von Treitschke veröffentlichte im selben Jahr seinen Aufsatz „Die Juden sind unser Unglück”, was später die Parole für das Propagandablatt „Der Stürmer“ lieferte. Marr und von Treitschke beharrten auf der Behauptung, dass der Judenhass, der vor ihnen kam, ungerecht, vulgär und damit nicht politisch progressiv war. Den Begriff Antisemitismus führten sie in die deutsche Sprache ein, weil sie davon überzeugt waren, dass die Jüd:innen erst jetzt begannen sich so zu verhalten, wie es einst die antijudaistischen Judenhasser behauptet hatten.

So wie sich die Antisemiten um Marr und Treitschke vom Antijudaismus distanzierten, distanzieren sich die Antisemit:innen der Gegenwart vom Antisemitismus.

Aber was hat die Kunst damit zu tun?

Das Kunstfeld ist längst selbst zum Gegenstand und zentralen Austragungsort der aktuellen Antisemitismusdebatten geworden. Dennoch werden auch hier die Debatten über Antisemitismus immer wieder auf die Frage verschoben, ob es sich in den jeweiligen Fällen überhaupt um Antisemitismus handelt und was Antisemitismus überhaupt ist. Darüber wird nicht nur der aktuelle Stand der Antisemitismusforschung in Frage gestellt. Zusätzlich geraten von Antisemitismus Betroffene in die paradoxe Situation, sich für ihre Erfahrungen und Einschätzungen immer wieder rechtfertigen zu müssen 

Die Auseinandersetzung mit Antisemitismus ist in der breiten deutschen Öffentlichkeit zuvorderst an die Shoa gebunden. Die daraus entstandene und von weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft angenommene Verantwortung, führte zu einer Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen, politischen und selten auch persönlichen Verwicklungen mit dem Nationalsozialismus. Dabei wird erst jetzt langsam wahrgenommen, dass Antisemitismus weder ein Phänomen der Vergangenheit ist, noch dass er erst dann als solcher benannt werden kann, wenn konkret zum Mord an Jüd:innen aufgerufen wird. Antisemitismus beginnt nicht bei der Vernichtung von Jüdinnen und Juden. Vielmehr wird die Vernichtung erst über antisemitische Bilder und Codes kulturell legitimiert. Man muss Antisemitismus als eine Kulturtechnik begreifen. Eine Kulturtechnik, durch die innere gesellschaftliche und individuelle Konflikte externalisiert werden. Das drückt sich deutlich in dem tradierten Vorurteil aus, Jüdinnen und Juden würden von Konflikten profitieren und sie deshalb gezielt in die Welt setzen. Zum einen entlastet man sich dadurch selbst von der eigenen Verwicklung in Konflikte. Zum anderen kann ein gesellschaftlicher Konflikt so auch entschärft werden, weil unterschiedliche Konfliktparteien plötzlich zu Opfern des gleichen Feindes werden und so eine Opfererzählung teilen. Demzufolge erfüllt Antisemitismus sowohl ein Identitäts- als auch ein Solidaritätsversprechen. Man steht gemeinsam auf der Seite der Guten und im Widerstand gegen das Böse – ohne die eigenen Anteile am Konflikt anerkennen zu müssen.

Erinnern wir uns noch einmal an den Kulturpessimismus. Die Kunst und Kultur ist ein sehr internationales Feld, das sehr stark an die Möglichkeitsräume der modernen Gesellschaften gebunden ist und enorm von ihnen profitiert. Gleichzeitig wird in den Kunstdiskursen ein scheinbarer Verlust von Tradition, Identität und Ursprünglichkeit durch die Moderne als genereller Ursprung sozialer Ungerechtigkeiten ausgemacht. Das hat auch hier zu einer Renaissance des Kulturpessimismus geführt.

Der Wunsch nach klaren Identitäten und Ursprünglichkeit, die als repräsentativ für eine konfliktbefreite Welt gesehen werden, drückt sich in zunehmend antimodernen und essentialistischen Ausstellungsprogrammen aus. Hier zeigen sich auch zentrale Wesensmerkmal einer insbesondere im Ausland als genuin deutsch wahrgenommenen Kunst. Exemplarisch steht hierfür der Künstler Joseph Beuys. 

Joseph Beuys wirkte auf die deutsche Kunst der Nachkriegszeit identitätsstiftend, indem er die Aura des politischen und ästhetischen Neuanfangs mit einem tradierten, völkischen Mythendenken kombinierte. Joseph Beuys fetischisierte das Ursprüngliche in seinen selbstgeschafften Mythen und verknüpfte dies mit einer politischen Agenda, die sich nicht zuletzt um die Souveränität des deutschen Volkes sorgte. 

Für Beuys war die Shoah der „Tiefpunkt des westlichen Materialismus”. Für die Nazis war der Materialismus ein Produkt der jüdischen Weltordnung, von der nur Jüd:innen profitieren würden. Beuys verkehrte die Feindbilder einfach in ihr Gegenteil und so wurde das was man den Jüd:innen vorwarf wieder zur Gefahr für die Gesellschaft. Beuys konnte an die kulturellen Feindbilder der Nazis anschließen, die aus der idealistischen und romantischen Weltanschauung der Kulturpessimist:innen erwuchsen. Gerade dieser Teil von Beuys’ erweitertem Kunstbegriff, konnte sich durch die unkritische Rezeption seiner Arbeit in der Kunst durchsetzen.

Es dauerte sehr lange, bis nach den personellen NS-Kontinuitäten im Umfeld von Beuys gefragt wurde. Beuys  meldete sich 1941 freiwillig zur Luftwaffe. Nach dem Krieg pflegte er enge Kontakte mit Alt-Nazis. Der ehemalige SS-Mann Karl Fastabend war für Beuys als Redenschreiber tätig. Beide gründeten die Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung. Der Beuys-Biograf Hans Peter Riegel weißt darüber hinaus nach, wie stark sich Beuys gesamtes Werk, sein ideologisch aufgeladener Naturglauben, von der eklektischen, mit Antisemitismus und Rassismus gespickten Lehre Rudolf Steiners ableitet.

„Was sich in den ‚politischen‘ Programmen und Verlautbarungen von Beuys zunächst als ‚links‘, sozialistisch, friedensbewegt und egalitär ausnimmt, findet sich nahezu identisch bei Rechtsextremen“ 

…so Riegel. Weite Teile des Kunstfelds hingegen, interessieren sich nicht für die problematischen Elemente in Beuys* Ideologie.  Er gilt bis heute vor allem als visionärer Befreier, wie das Kunstmagazin Art ihre Aprilausgabe 2021 titelte. 

„Da kommt Reagan und bringt Waffen und Tod – Und hört er Frieden – Sieht er rot. Er sagt als Präsident von USA – Atomkrieg? – Ja Bitte – Dort und da – Ob Polen – Mittler Osten – Nicaragua – Er will den Endsieg –Das ist doch klar. – Doch wir wollen: Sonne statt Reagan“

Für Beuys war klar: Reagan wollte den „Endsieg“. Beuys spielt so auf der Klaviatur der Nazivergleiche, wie sie auch heute in vielen rechtsradikalen- und Querfront-Milieus Gang und Gebe sind. Durch die Verdrehung der historischen Tatsachen wird der deutsche Vernichtungskrieg relativiert. 

Joseph Beuys’ Hang zu Authentizität, Natürlichkeit und Ursprünglichkeit, zeigt sich exemplarisch an seiner Idealisierung des sogenannten „Ostmenschen“. In ihm sah er einen Gegenentwurf zu den Zivilisations- und Marktzwängen des modernen Westens. 

Bis heute steht die Beuys’sche Weltanschauung nicht im Widerspruch zu einem weit verbreiten Denken im internationalen Kunstfeld. Um die Schuldzusammenhänge der modernen Gesellschaften rückwirkend aufzulösen, wird der aufklärerische und emanzipatorische Aspekt der Moderne geopfert. 

Wenn man dazu die Beuys-Kunst als eins-zu-eins-Übersetzung der Ideen Rudolf Steiners versteht, wie es Riegel anregt, und Beuys Anti-Amerikanismus, seinen nationalen Pathos, seinen Germanenkult und seinen okkulten Naturglauben addiert, kommt man nicht umhin, Beuys mit strukturellem Antisemitismus in Verbindung zu bringen. Antisemitismus ist das Bindeglied, welches vereinfachende und essentialistische Denkweise logisch zusammenbringt.

Martin Heidegger galt solange nicht als Antisemit, bis die Veröffentlichung seiner Schwarzen Hefte die Leugnung des Offensichtlichen unmöglich machte, obgleich seine essentialistischen Identitätsvorstellungen, stets und eigentlich für alle sichtbar den Antisemitismus in sich trugen. Dass man sich ungern von kulturellen Bezugsgrößen trennen lässt, zeigt sich mustergültig auch am diesjährigen Jubiläum zu Joseph Beuys 100. Geburtstag. Das Kunstfeld hätte viel Arbeit vor sich, wenn ausgerechnet der vermeintlich progressive Reformer Beuys auf die gleichen tradierten Feindbilder zurückgegriffen hat, wie vor ihm Martin Heidegger. Lieber wird vielerorts gegen die notwendige Aufarbeitung seiner unkritischen Kanonisierung angefeiert.

Zweiter Teil

Im Kunstfeld bilden sich die Debatten und Konflikte der Gesellschaft ab. Deshalb wird auch hier über Antisemitismus gestritten. In Studien wird klar, dass die kultivierten Elemente und Feindbilder des Judenhasses heute vor allem als Antizionismus einen politisch legitimierten Ausdruck finden. Man wird kaum noch Menschen treffen, die sich heute offen zum Antisemitismus bekennen, auch wenn sie sagen: „Israel ist unser Unglück”.

Israel dient in allen politischen Milieus als Schablone für Konflikte und Ungerechtigkeiten der Welt. Die Fokussierung auf Israel hat seit Jahrzehnten Konjunktur. Sie entlastet ganze Staaten von ihren eigenen Konflikten, entlässt sie aus der Eigenverantwortung und reproduziert so eben doch die typischen Elemente des Antisemitismus, den sie eigentlich kaschieren möchte. Dieser Inszenierung folgend, werden sich die Konflikte der Gegenwart letztlich nur über Israel lösen lassen.  

Der Filmemacher Jean-Luc Godard hielt 1969 einem ZDF-Kamerateam einen Zettel mit der Aufschrift „Nazisrael“ ins Bild. Das kleine Land wird zur Re-Inkarnation derer, die die Endlösung geplant haben. Globale Konflikte, sichtbare und unsichtbare Ungleichheiten und allem voran die zerstörerische westliche Hegemonie, werden in der Kunst immer wieder am Beispiel Israels aufgerufen, um sie so aus der Komplexität die anderen Konflikten zugesprochen wird in die vermeintliche Eindeutigkeit zu überführen. Die Ambivalenz und Offenheit der Kunst, wird für das Bedürfnis nach einfachen Erklärungen für eine Komplexe Welt geopfert.

Oliver Marchart, der in Wien Politische Theorie lehrt, hat in seinem Text „Israelkritik als spontane Ideologie im Kunstfeld“ anhand mehrerer Arbeiten, die während der documenta 12 gezeigt wurden, beispielhaft ausgeführt, wie präsent und identitätsstiftend die sogenannte Israelkritik im zeitgenössischen Kunstfeld wirkt. 

„Im Genre politischer Kunst ist Antiamerikanismus enorm verbreitet, ohne deshalb begrüßenswert zu sein, und Roger M. Buergel und Ruth Noack nahmen sich heraus, ein Gemälde Juan Davilas zu zeigen, auf dem die amerikanische Flagge mit einem riesigen Hakenkreuz versehen war. Die deutsche Kritik konnte daran nichts finden. (…) der Grund dafür mag daran liegen dass sich hinsichtlich eines anti-amerikanischen Ressentiments die Meinung der deutschen Majorität mit der pseudokritischen Meinung des größten Teils des politisierten Kunstfelds trifft.“

und Marchart weiter: „(…) schließlich weiß man, dass dem Anti Amerikanismus der Antiisraelismus wie ein Schatten folgt“ 

Die politische Kunst in den westlichen Gesellschaften dockt hier an ein mehrheitsfähiges Politikverständnis an. Sie misst ihre eigene Freiheit und Widerständigkeit am Grad der geäußerten Israelkritik. Israel als die neuen Nazis, Israel als Apartheidsregime, Israel als Symbol des westlichen Imperialismus. Nocheinmal Oliver Marchart:

Ein Beispiel für eine mehr als nur problematische Arbeit ist Peter Friedls ausgestopfte Giraffe, die nicht zufällig zum Medienstar der D zwölf wurde. Der Hauptgrund des Erfolges der Arbeit Friedl ist wohl darin zu suchen, dass zur Arbeit die Information verbreitet wurde, die Israelis hätten die arme kleine Giraffe in den Herztod getrieben. Eine solche Arbeit spekuliert auf den Diskurs der Viktimisierung, der den meisten westlichen Medienberichten über die Palästinenser zu Grunde liegt. So stellt sich heraus, dass der womöglich berühmteste Beitrag zur D zwölf zugleich einer der problematischsten Beiträge war, insofern er den strukturell antisemitischen Diskurs von Israel als Täter Staat unterschwellig bediente“

Ein Aufschrei blieb bei den meisten von Marchart angesprochenen Arbeiten aus. Stattdessen ersetzt Abwehr die notwendige Reflektion über die verschiedenen Erscheinungsformen des Antisemitismus und die stetige Wiederkehr seiner Bilder in der Kunst. Das Benennen von Antisemitismus gilt als das größere Übel. Wer Antisemitismus anspricht wird der Spaltung bezichtigt. Die Abwehr und Leugnung des Antisemitismus wird durch Gegenvorwürfe legitimiert. Eine der gängigsten Behauptungen ist, dass eine Ausdehnung des Antisemitismusvorwurfs auf angeblich nicht-antisemitische Fälle zu Denkverboten und Selbstzensur führe und in der Konsequenz die Meinungsfreiheit gefährde. Das bedeutet auch, dass  konkrete Antisemitismuserfahrungen in Frage gestellt werden. Dennoch mobilisiert dieses Szenario weite Teile des Kunstfelds.

Die Ende 2020 vorgestellte „Initiative GG 5.3. Weltoffenheit“, zu der namhafte deutsche Kulturinstitutionen, wie die Kulturstiftung des Bundes, die Berliner Festspiele, das Bündnis Internationaler Produktionshäuser und das Goethe-Institut gehören, sehen ihre Arbeit durch einen Beschluss des Deutschen Bundestags in Gefahr. Der Beschluss, richtet sich gegen die öffentliche Förderung der Bewegung „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS) und leitet sich von der international anerkannten Arbeitsdefinition von Antisemitismus ab. 

Im Beschluss sieht die Initiative die eigentliche Gefährdung der offenen Gesellschaft. Damit steht sie in der Tradition eines intrinsischen Bedürfnisses, den Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus nur dann als gerecht zu sehen, wenn die sogenannte Israelkritik auch Symbol dieses Kampfes ist. 

Noch deutlicher wird dieses Verständnis im Aufruf von über 1500 Künstler:innen und Kurator:innen, die sich solidarisch mit der Initiative zeigen. „Nothing can be changed until it is faced“ heisst ihr offener Brief. Er zeigt wie stark das ambivalente und oftmals affirmative Verhältnis im Kunstfeld gegenüber der Legitimität der BDS-Bewegung ist.

BDS bietet die Möglichkeit dem Antisemitismus einen politischen Ausdruck und Ursprung zu attestieren. Ohne Israels Politik gäbe es demnach keinen antisemitischen BDS. Gerade in Deutschland sind daher Solidaritätsbekundungen in Richtung BDS nur dann möglich, wenn man den BDS von Antisemitismus freispricht, oder Antisemitismus als Randproblem in einem an sich gerechten Kampf relativiert. Von vielen wird die BDS-Kampagne als Basiskampf einer internationalen Linken angesehen. Gegen BDS gerichtete Antisemitismusvorwürfe werden generell als Kampfmittel der politischen Rechten in Deutschland, Amerika und der Welt verunglimpft. Der wachsende Antisemitismus wird so zur Fussnote. Im Brief der Künstler:innen heißt es: 

„Eine übereifrige Überwachung der politischen Ansichten von Kulturschaffenden aus dem Nahen Osten und dem globalen Süden muss als das angesehen werden, was es ist – Racial Profiling durch die Hintertür –, und muss sofort eingestellt werden. Die Verleumdung von Individuen durch unbegründete Antisemitismusvorwürfe muss aufhören.“

Der BDS Resolution des Bundestages wird neben der vermeintlichen Einschränkung der Kunst-und Meinungsfreiheit so auch blanker Rassismus vorgeworfen. Dieses Bedrohungsszenario erklärt eine nicht rechtsbindende Bundestagsresolution zum kulturellen Schlüsselkampf. Wenn man in Deutschland für den Boykott des Staates Israel keine Förderung mehr bekäme, gefährde dies die demokratische Kultur. Die Aufarbeitung der Shoah wird im Rahmen von Initiativen wie GG5.3 oder des „Nothing can be changed-Briefes“ zu einem provinziellen deutschen Projekt erklärt, das den Blick über die eigenen Grenzen hinaus verhindere und dadurch die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit unmöglich mache. Der Weg zur Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte soll hier über eine Neuverhandlung der Erinnerungskultur führen. Auch die Singularität der Shoah wird dabei im Sinne einer Auflösung  einer vermeintlichen erinnerungspolitischen Hegemonie zur Disposition gestellt.

1975 wurde die, von der dichotomen Logik des kalten Krieges getragene, Resolution 3379 der UN-Genralversammlung durch die Stimmen der arabischen Länder, von Staaten des sogenannten dritten Welt sowie des Ostblocks verabschiedet. Sie galt der „Beseitigung aller Formen der Rassendiskrimierung” und bezeichnete Zionismus als Form von Rassismus. Die umstrittene Resolution wurde 1991 zurückgenommen. 1998 bezeichnete UN-Generalsekretär Kofi Annan die Resolution 3379 als einen „Tiefpunkt“ der Geschichte der Vereinten Nationen. Auf der dritten Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 im südafrikanischen  Durban wurde die Wiederinkraftsetzung der Resolution gefordert.  

Im Umfeld der Postkolonialen Studien wird Israel oft als rassistische Entität und kolonialistisches Apartheidsregime kategorisiert. Diese Einordnung ist sowohl mit dem Blick auf die reale Apartheid in Südafrika, als auch in Bezug auf die politische Realität in Israel und den besetzten Gebieten relativierend und unzutreffend. Einseitigkeit und Unverhältnismäßigkeit in der Kritik an Israel wird als antizionistischer Doppelstandard dem israelbezogenen Antisemitismus zugerechnet. 

In Hinblick auf das Verhältnis vom Postkolonialismus zum Antisemitismus ergibt sich ein doppeltes Problem. Zum einen wird Antisemitismus auf den Vernichtungsantisemitismus des Nationalsozialismus reduziert und so zu einem europäischen Problem erklärt, das höchstens selbst durch Kolonialismus in den globalen Süden exportiert wurde. Zum anderen wird dadurch die Aufarbeitung, Aufklärung und Erinnerung an die Shoah zu einer rein westlichen Angelegenheit erklärt, obwohl Deutschland trotz seiner geografischen Lage erst durch die Besatzung der Alliierten zum Teil der westlichen Welt wurde. Die Shoa wird demzufolge zu einem manifesten Bestandteil der westlichen Kulturhegemonie, sowohl in der Ursache, als auch in der Aufarbeitung und steht somit dem Paradigmenwechsel hin zu einem postkolonialen Umdenken im Weg.

Die aus der deutschen Geschichte entstandene Staatsraison gegenüber Israel wird zur Schicksalsfrage für die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit gemacht. Man kann also nur dann glaubhaft den Kolonialismus adressieren, wenn man sich von der Staatsräson gegenüber Israel verabschiedet. Um dafür eine Hilfestellung zu leisten wird ein Vergleich in der Erinnerung verschiedener Menschheitsverbrechen gefordert. Der Vergleich leitet sich jedoch nicht von der Vergleichbarkeit der Ideologien des Rassismus und Antisemitismus ab, sondern von den Ähnlichkeiten in den Gewalterfahrungen. 

In der Spezifität des Antisemitismus begründet sich jedoch die Präzedenzlosigkeit der Shoah. Der Glaube, dass die Jüd:innen das Böse in die Welt getragen haben, um sie gezielt durch Konflikte zu dominieren, hat die Endlösung legitimiert. Die Macht des Bösen sollte endgültig gebrochen werden, um eine konfliktfreie Zukunft zu erreichen. Es stimmt also nicht, dass der Mord an den Jüd:innen keinen Sinn gehabt hat. Der Sinn ist nur nicht an der selben Stelle zu finden, wo man ihn bei vielen anderen Menschheitsverbrechen findet. Es ging nicht um mehr Macht, mehr Besitz oder um rassistische Dominanz. Es ging um die Sehnsucht nach dem Paradies – ohne Aufklärung, ohne Zivilisation und ohne materialistische Zwänge. Die logische Folge ist eine tribalistisch organisierte Gesellschaft, ausgerichtet nach dem Recht des Stärkeren. 

Antisemitismus wird innerhalb der Postkolonialen Studien keineswegs gänzlich vom Tisch gewischt. Die sich ergebenden Widersprüche werden jedoch nicht zum Gegenstand einer selbstreflektierenden Problemanalyse, sondern sie werden aufgelöst, indem Antisemitismus zu einer Unterkategorie des Rassismus gemacht wird. Die Prämisse lautet hier: „Was für Rassismus im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen auch für Antisemitismus.“ 

Aus dieser Sicht beginnt Antisemitismus erst dort, wo er Ähnlichkeiten und Überschneidungen zum Rassismus zeigt. Allerdings wäre es ebenso falsch und wenig hilfreich, auf Grundlage der Ähnlichkeiten, Rassismus zu einer Form von Antisemitismus zu erklären. 

Dennoch hilft der Vergleich beim gegenseitigen Verständnis, denn gäbe es keine wesentlichen Unterschiede in den Phänomenen, bräuchte es den Perspektivwechsel erst gar nicht. Um Antisemitismus und Rassismus frühzeitig zu erkennen, reicht es nicht aus sich auf die Ähnlichkeiten und Überschneidungen zu beschränken. Man muss auch um die ideologischen Spezifitäten wissen.

Die Spezifität des Antisemitismus zeigt sich auch deutlich im Kontext nicht-jüdischer Minderheiten, die historisch immer wieder auch antisemitischen Stereotypisierungen zum Opfer fielen. So wurde die Verfolgung und der Genozid an den Armenier:innen sowohl rassistisch, als auch mit den klassisch antisemitischen Behauptungen legitimiert, sie würden die Gesellschaft vorsätzlich spalten, vergiften und zerstören wollen. 

Recep Tayyip Erdogans politischer Ziehvater Necmettin Erbakan gründete 1970 die erste politische Partei der Mili Görüs Bewegung. Für ihn wird die Welt seit 5781 Jahren von einer rassistisch-zionistischen Weltverschwörung regiert, die die Menschheit durch Kapitalismus und Zinsknechtschaft ausbeutet und versklavt. 

Die sogenannten Minderheiten unter den Minderheiten werden dadurch zum ständigen Ziel von Angriffen durch türkische Nationalist:innen und Islamist:innen, deren Vertreter:innen wiederum in Deutschland als Rassismus-Experten auftreten und auf politischer Ebene über Emanzipation und Integration verhandeln können.

Antisemitismus hat Feindbilder kultiviert die zwar Jüd:innen meinen, aber auch auf andere Gruppen angewendet werden können, indem jüdisches Verhalten unterstellt wird oder sie gleich zu heimlichen Juden oder jüdischen Handlangern gemacht werden und damit zum Abschuss freigegeben sind.

Antisemitismus ist in der gesellschaftlichen Mitte, in bürgerlichen Kreisen und in den Kulturmilieus entstanden und hat sich von dort in die sogenannten gesellschaftlichen Ränder ausgebreitet. In der Mitte haben sich die Bilder, die Codes und die Sprache entwickelt und sie transformieren sich parallel zum kulturellen Zeitgeist.

Antisemitismus verbirgt sich auch dort in Utopien, die zwar von einer besseren Welt reden, sich aber der Eigenverantwortlichkeit und Selbstreflexion verweigern.

Die Aufklärung des Antisemitismus ist für die Kunst relevant, um sich zwischen den Bildern und der Sprache und deren Entwicklungsgeschichte zu orientieren. Sie liefert Aufschluss über kulturelle Prägungen und ist damit ein wichtiger Kompass für die Kulturkritik. 

Gegen die Abwehr dieser Aufklärungsprozesse haben Überlebende und Hinterbliebene im In- und Ausland gearbeitet. Gegen die unzähligen Forderungen nach dem Schlussstrich. 

Sie haben im postnazistische Raum das Fundament der Erinnerungskultur geschaffen, die die Mehrheit der Deutschen heute mit viel Stolz vor sich hertragen. In der Kunst wird diese mehrheitsgesellschaftliche Identifizierung und die damit Verbundene Staatsraison gegenüber Israel immer wieder als Repräsentation des Establishments missverstanden, in Frage gestellt und sogar abgelehnt. 

Auch hier brauchen wir den aufklärerischen Blick auf die Kulturgeschichte, um eine gerechtere Zukunft nicht entlang kultivierter Stereotype gestalten zu wollen. Der Hass auf Jüd:innen eine seit Jahrhunderten gepflegte Kulturtechnik, die schon immer die Gesellschaften vom Druck der Aufklärung entlastet hat. Um Antisemitismus zu bekämpfen, muss man seinen kulturellen Wert ernst nehmen.

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