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Debatte Die leidige Leitkultur

Von|
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

 

Kommentar von Anetta Kahane 

Die deutsche Gesellschaft ist, gewollt oder nicht, eine Einwanderungsgesellschaft. Das weiß auch Dr. Thomas de Maizière. Die Tatsache, dass dies lange nicht gewollt war, obwohl Deutschland in der Realität längst als ein Land mit Einwanderern – also Einwanderungsland – bezeichnet werden konnte, trägt ohne Zweifel dazu bei, dass sich über die jetzige Diskussion lustig gemacht wird. Auch der Begriff Leitkultur ist mehr als unglücklich gewählt, hat er doch in der Vergangenheit immer ein kleines, völkisches Geschmäckle im Mund hinterlassen. Es ist Unsinn, dies zu leugnen, denn so schwierig war und ist nun mal der deutsche Weg zur Einwanderungsgesellschaft. Das anzuerkennen, hätte den Innenminister vor einigem Spott bewahrt.Es ist ein leichtes Spiel, sich über Innenminister de Maizière lustig zu machen – wichtiger ist es aber, eine ernsthafte Debatte zu führen. Im Gegenteil: jede Gesellschaft, die durch die Demokratie die Chance dazu hat, sollte das tun. Die Frage, in welcher gesellschaftspolitischen Kultur wir leben wollen, ist sogar dringend notwendig. Die Demokratie heute besteht aus allem, was seit der Aufklärung erkämpft wurde, zäh und voller Rückschläge. Die schlimmsten gingen dabei von Deutschland aus, die – durch Kriege und den Zivilisationsbruch des industriellen Massenmordes – die Idee von Menschenrechten und Universalismus fast zerstört haben. Wenn Deutschland heute eine Demokratie ist, dann weil die Alliierten es so wollten, unter anderem die USA. Diese Tatsache stinkt vielen Populisten – auch linken, Reichsbürgern, Querfrontapologeten und Rechtsextremisten. Wenn diese Leute heute über den Bundesinnenminister lachen, dann finde ich das gar nicht komisch. Ihr Vergnügen besteht darin, dem Pessimismus und Defätismus zuzujubeln, denn das ist der Boden, den Hysterie und Demokratiefeindlichkeit zum Wachsen brauchen.Demokratische Kultur entsteht nicht von selbst und sie ist keine Einbahnstraße. Demokratische Kultur ist ein permanentes Bemühen um Gleichwertigkeit und Respekt. Und zwar mit und ohne Migrationshintergrund, oder wie immer das heißen mag. Grundlagen dafür sind das Grundgesetz und geltendes Recht. Jeder Mensch ist gleich viel wert, so sagt es die rechtliche Norm, die in Deutschland gilt. Und weil wir im Alltag mehr oder weniger weit davon entfernt leben, braucht es den Staat UND die Zivilgesellschaft, um dieses Bemühen zu unterstützen. Anders geht es nicht in der Demokratie. Und wir sind uns sicher -oder hoffentlich einig darüber – dass es bei dem Ziel Gleichwertigkeit keine Ausnahmen geben darf. Weder sind davon Bundeswehroffiziere mit rechtsextremem Weltbild entbunden, noch Saufköppe, die ihre Frauen schlagen, noch Rassisten, die auf asylsuchende Kinder einprügeln wollen, noch Fußballfans, die Schwule hassen. Noch Bildungsbürger, die Antisemitismus für eine lässliche Sünde halten. Auch nicht Autofahrer, die eine ägyptische Studentin totfahren und sich danach auch noch über sie lustig machen.Selbstverständlich gilt das Gleiche für jede Einwanderungscommunity. Schlagen, totfahren und Schwule hassen und Juden sowieso, ist auch dann zu sanktionieren, wenn sich Einwanderer dergleichen hingeben. Das zu sagen, ist nicht reaktionär oder rassistisch und auch nicht komisch, sondern Ausdruck einer Realität, in der ein wachsender Teil der Bevölkerung eine Einwanderungsgeschichte hat und Teil der deutschen Gesellschaft ist. Ohne Wenn und Aber. Die Frage ist also nicht, was ist deutsch oder undeutsch. Sondern was ist demokratische Kultur. Egal welche Farbe, Religion oder Tradition sie hat. Sie ist nicht besser oder schlechter. Sie sollte nur eines sein: Im Sinne der Aufklärung auf die Gleichwertigkeit jedes einzelnen Menschen bedacht. Ausnahmslos.

 

Anetta Kahane ist Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung.

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