Man kennt es ja: Linke Sekten treffen sich im Plenum, diskutieren stundenlang über die Wahl ihrer Pronomen und zwingen der ganzen Bundesrepublik ihre Agenda auf. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler wehrt sich tapfer gegen dieses Meinungsdiktat in einem vielbeachteten Interview, das der Sozialpsychologe Harald Welzer und der Journalist Peter Unfried mit ihr in der taz führten. Der Cicero frohlockt bei dem Gedanken, wie den „Stammleser/*innen [sic] bei solchen Worten die Halsschlagader schwillt“, und will der linken Tageszeitung „einen Tapferkeitsorden am lila-farbenen Bande“ verleihen. Fürs Eiserne Kreuz reicht es der Autorin, die auch mal gerne Gauland zum Interview bittet, wohl noch nicht, aber immerhin sei „dieses Geständnis“ die „Ouvertüre zu einer Abrechnung mit Genderwahn und anderen bizarren Auswüchsen der political correctness“. Jetzt wird abgerechnet! Vor lauter Geifer übernimmt die Autorin des Cicero dann auch dankbar den rechten Kampfbegriff der political correctness, mit dem seit einigen Jahren der vernünftigen Kritik von Identitätspolitiken ihre reaktionäre Entledigung vorgeschoben wird.
Flaßpöhler ist vor allem mit ihrer Kritik an der #MeToo-Kampagne bekannt geworden. Sie beklagt, die Frauen würden sich durch die Erzählung sexueller Übergriffe selbst passivieren und zu Opfern machen. Dafür gelte sie „in linken Kreisen [als] rechtsreaktionär“, klagt sie im Interview und wettert gegen einen „moralischen Totalitarismus“, in den die Sensibilität gegenüber Verletzungen zu kippen drohe. Welzer und Unfried nehmen die Pointe dankbar an und erhöhen auf NS-Relativierung: Eine unangenehme historische Parallele dränge sich auf, „weil ja auch für die NSDAP die Studentenschaft eine extrem avantgardistische Gruppe gewesen ist. Da wird einem schummerig, wenn man darüber nachdenkt, dass so eine Form von Reinheits-Totalitarismus genau von den ‚intelligenten‘ Eliten vorgetragen wird.“ Es ist Flaßpöhler zugute zu halten, diesen gefährlichen Unsinn, der weit hinter das Niveau Harald Welzers zurückfällt, nicht anzunehmen, sondern auf die offenkundigen Unterschiede zwischen linken Gruppen und Nazis zu verweisen. Auf die Frage, wer ihr verbietet, Argumente zu bringen, räumt Flaßpöhler ein „im juristischen Sinne natürlich niemand“, aber „im moralischen Sinne würden mir Leute gerne den Mund verbieten.“
Wie das aussehen kann, zeigt sie an einem kleinen Beispiel: In Berlin nahm sie an einer Podiumsdiskussion mit Lann Hornscheidt und „zwei exakten Kopien“ mit gleichem Hemd und gleicher Frisur teil. Diese „Uniformierung“ habe Flaßpöhler „schon etwas belustigt.“ Der moralische Totalitarismus äußerte sich schließlich in Zwischenrufen aus dem Publikum und dem Vorwurf an Flaßpöhler, „Hören Sie auf, Sie beleidigen uns!“ Da ist der moralische Totalitarismus der Diskurswächter*innnen, die sich nicht unwidersprochen vom Podium die „kritische Beleuchtung gendergerechter Sprache“ Flaßpöhlers anhören wollen. Wie diese kritische Beleuchtung wahrscheinlich ausgesehen hat, illustriert Flaßpöhler, indem sie Lann Hornscheidt im Interview erst missgendert und sich dann wie ein peinliche Onkel auf der Weihnachtsfeier darüber lustig macht, ob sie etwa „das Lann Horscheidt“ hätte sagen sollen. Lann Hornscheidt hat eine Professur für Gender Studies und Sprachanalyse und betrachtet sich als keinem der beiden Geschlechter zugehörig. Flaßpöhler bringt hier also einen übergriffigen Schenkelklopfer gegen moralischen Totalitarismus.
Atemberaubend wird es, wenn Flaßpöhler nochmals aufgefordert wird, ihre Position zu #MeToo darzulegen: „Wenn mich ein Vorgesetzter fragt, ob ich mit ihm auf einem Hotelzimmer ein Bewerbungsgespräch führe, kann ich selbstverständlich ganz souverän sagen: Nein, danke. Wenn dann eingewendet wird: Ja, aber dann kriegt die Frau doch den Job nicht! Dann muss ich sagen: Ja, das ist Autonomie.“ Einen Job nicht zu bekommen, weil man nicht mit dem Chef schlafen möchte – das zeichnet in Flaßpöhlers eigenwilliger Auffassung von Autonomie nicht etwa patriarchale Machtstrukturen aus, sondern die Unabhängigkeit der Frau. Trotz dieser spitzenmäßigen Turbokritik bemerkt Flaßpöhler, dass „alle, wirklich alle #MeToo super fanden“. Die Einzelkämpferin auf einsamen Posten vergisst, dass es unzählige Kritiken an #MeToo gab, oft eben, mit verwandten Argumenten, aus jenen rechtsreaktionären Kreisen, zu denen sie nicht gehören möchte.
Welzer und Unfried versuchen es nochmal mit ihrem Hufeisen, diesmal knapp unterhalb der NS-Relativierung: „Wenn jetzt von rechter Seite aus faschistoide Vorstellungen wieder als wünschenswert artikuliert und als politisch durchsetzbar gedacht werden und von einer sich als progressiv verstehenden Seite der Gesellschaft auch das Reinheitspostulat kommt, wo bleibt denn der autonome Raum?“ Den performativen Selbstwiderspruch, das angebliche Fehlen dieser Räume in eben einem solchen zu beklagen, bemerken die Interviewer offenbar nicht.
Bei der Frage, wer jetzt die eigentlich Diskurswächter*innen sind, bleibt Flaßpöhler im Vagen: Leute die „wegen meines #MeToo-Buches den Diskurs mit mir verweigern“, „[z]um Teil Bekannte, die demselben Milieu entstammen“, „linksliberal sicher“. Für eine Autorin, die sich auf sachliche Diskussion kapriziert und Debatten nicht auf Gefühle reduzieren will, scheint der politische Kontrahent hier recht unkonkret: Man weiß ja irgendwie wer gemeint ist, oder? Die analytische Schärfe lässt Flaßpöhler auch vermissen, wenn sie Ausflüge in ihr Fachgebiet, die Philosophie unternimmt: „Da halte ich dagegen und sage, dass diese Habermasche A-priori-Ausgrenzung von bestimmten Positionen letzten Endes zu einem linken Elitismus führt, der sehr gefährlich ist, weil man dem anderen immer schon von vornherein abspricht, überhaupt diskursfähig zu sein.“ Flaßpöhler meint, dass die Diskursethik des Philosophen Jürgen Habermas darauf hinausläuft, vor einer gesellschaftspolitischen Debatte festzustellen, welche Positionen ‚vernünftig‘ sind und also daran teilnehmen dürfen. Dass damit alles Mögliche, sicher aber nicht Habermas Diskursethik beschrieben ist, hat Patrick Bahners in der FAZ überzeugend dargelegt. Habermas geht es ja gerade darum, dass im Diskurs erst sich das Vernünftige durch den Widerstreit der Argumente herausschält. Vorzuwerfen wäre diesem „Schul-Habermas“, auf den Flaßpöhler sich bezieht, viel eher, dass er – wie sie selbst – dazu neigt, von idealen Bedingungen des Diskurses auszugehen, die real nicht existieren. Also beispielsweise zu unterstellen, dass alle unterschiedslos Zugang zur Diskussion haben und sich an die Spielregeln des freien Austauschs der Argumente halten – was Flaßpöhler nicht durch gesellschaftliche Machtverhältnisse, sondern durch identitätspolitischen Aktivist*innen gefährdet sieht. Es sind aber offenkundig nicht die Limitierungen der „political correctness“, die Menschen ausschließen, sonst wäre die massive Medienpräsenz völkisch-rechter Agitator*innen undenkbar, sondern der verdruckst völkische Konsens der sogenannten Dominanzgesellschaft.
Identitätspolitiken können natürlich kritisiert werden, insbesondere was ihre nicht seltene Verabsolutierung des Standpunktes – von der gesellschaftlichen Lage und Position des Individuums –betrifft. Es stimmt, dass Identitätspolitiken bisweilen aus dem geschärften Gespür Betroffener für Ideologien, mit denen sie täglich konfrontiert sind, eine unbedingte Wahrhaftigkeit ableiten. Historisch gewachsene ideologische Angebote werden demnach subjektivistisch verkürzt, ein gesellschaftliches Problem zu einem interpersonalen, zwischenmenschlichen gemacht. Wenn man selbst von menschenverachtenden Ideologien betroffen ist, bedeutet das nicht zwangsläufig, diese auch vollumfänglich zu begreifen (es ist allerdings wie oftmals angenommen, auch kein Hinderungsgrund!). Diese Kritik ist aber unvollständig ohne die Berücksichtigung realer gesellschaftlicher Machtverhältnisse, die Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder Hautfarbe marginalisiert, auf welche Identitätspolitiken zu reagieren versuchen. Flaßpöhler, Welzer und Unfried ignorieren diese Verhältnisse aber und gerieren sich – es kann nicht oft genug gesagt werden: an prominentester Stelle in einem linken Leitmedium – als deren eigentliche Opfer. Weil sie notwendig nicht sagen können, wer sie unterdrückt, verbleiben sie im Diffusen und scheitern letztlich an der eigenen ständigen Forderung an den politischen Gegner, Ambivalenz auszuhalten