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Debattenbeitrag Ich klage an. Ein Text über Sachsen

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Jürgen Kasek im März 2018 auf der Landesdelegiertenkonferenz der Grünen Sachsen. Gut ein Jahr vor der Landtagswahl in Sachsen steht die Wahl der Vorstandssprecher im Mittelpunkt des zweitägigen Parteitages. Foto: Jan Woitas/dpa- (Quelle: dpa)

Dieser Text ist nicht versöhnlich. Dieser Text ist nicht differenziert. Dieser Text ist eine Anklage. Es ist ein Versuch zu verstehen.

Ich bin in Sachsen geboren. In dem Bundesland, dass seit Jahren bundesweit für Kopfschütteln sorgt.

Als ich 18 wurde schenkte mir meine Freundin ein faustgroßes durchgestrichenes Hakenkreuz. Seitdem ich es trug, gelte ich als links. Ich gelte als links für ein Symbol, dass die Geschichte des Grundgesetzes widerspiegelt. Und immer wenn ich Ärger mit Nazis hatte, musste ich mich dafür rechtfertigen, schließlich hätte ich doch provoziert.

1998 fand in Wurzen eine „linke“ Demonstration gegen Rassismus statt. Sie wurde angegriffen. Das hätte der Punkt sein können, offen darüber zu sprechen, dass wir in Sachsen ein Problem mit Rassismus haben. Es war eine „linke“ Demo. Kein Grund sich damit auseinanderzusetzen.

Als zur Jahrtausendwende die „Skinheads Sächsische Schweiz“ eine ganze Region terrorisierten und bei deren Verbot Polizeibeamte aus anderen Bundesländern eingesetzt wurden, weil es Kontakte heimischer Behörden in die Szene gab, hätte das ein Punkt sein müssen offen darüber zu reden. Aber die Gruppe galt als aufgelöst. Kein Grund mehr für eine Aufarbeitung.
2004 fand eine linke Demo in Pirna statt. Sie lief nur wenige Meter. In der Stadt standen Hooligans von „White Wendy“, der Nachfolgeorganisation. Nichts hatte sich geändert.

Wenn irgendwo in Sachsen ein nichtrechter Jugendlicher Opfer rechter Gewalt wurde, hieß es nur allzuoft es sei eine Auseinandersetzung unter Jugendlichen gewesen. Oft genug wurde ein politischer Hintergrund ignoriert, selbst wenn die Täter bekannte Neonazis waren. Jede einzelne Tat, jeder einzelne Tote in Sachsen aufgrund rechter Gewalt hätte ein Punkt sein müssen, offen über Rassismus zu reden. Die Täter wurden verurteilt, manchmal. Das Kapitel geschlossen.

2007 eskalierte das Stadtfest in Mügeln. Ein rechter Mob verfolgte Inder in eine Pizzeria und griff diese an. Es hätte ein Punkt sein können offen über Rassismus zu reden. Aber je länger diskutiert wurde, umso mehr verlagerte sich die Diskussion. Aus den Opfern wurden Täter. Die Inder sollen „deutsche Frauen“ belästigt haben. Der Angriff wurde so zur Notwehr umgedeutet. Und diejenigen, die auf den rassistischen Hintergrund hinwiesen als „Nestbeschmutzer“ gegeißelt.

2009 überfielen 50 Neonazis das Spiel des Roten Stern Leipzig in Brandis. Das Spiel wurde abgebrochen, mehrere Personen wurden verletzt, zwei von Ihnen schwer. Bundesweit war der Fall in den Schlagzeilen. Dieser Fall hätte ein Wendepunkt sein können. Stattdessen wird dem Stern, der dezidiert antirassistisch arbeitet, vorgeworfen den Fußball zu politisieren. Während in der Bundesliga jedes antirassistische Transparent gefeiert wird, muss der Stern sich rechtfertigen, wenn er auswärts ein Banner aufhängt mit „Nazis Raus“.

2011 enttarnte sich der NSU. Beate Zschäpe sprengte das Haus der Zelle in die Luft. Es hätte ein Wendepunkt sein müssen. Im sächsischen Landtag dankte ein Politiker dem Verfassungsschutz, dass dieser immer frühzeitig gewarnt hätte. Der Eindruck, dass der Staat wirklich versucht alle Hintergründe aufzuklären, um auch zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, stellte sich auch bei der Verurteilung nicht ein. Einer der Helfer des vermeintlichen Trios bekam 2 Jahre Haft. Nach dem Prozess ist er wieder frei und lebt in Zwickau, hegt Kontakt zur neonazistischen Kaderpartei der „3.Weg“. Nichts hat sich geändert.

Als Pegida 2014 auftauchte hätte das ein Punkt sein können offen über den Rassismus in der Mitte der Gesellschaft zu sprechen. Offensichtlich wurde, dass Vorurteile, bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein wuchern. Es wurde nicht über Rassismus gesprochen sondern darüber, dass man die „Sorgen und Nöte“ dieser Mensch ernst nehmen muss. Aus „Rassismus“ wurde damit die „berechtigte Angst vor Überfremdung“.

Als sich 2015 in Freital eine rechte Terrorzelle bildete, waren Anschläge auf „linke Poltiker*innen“, für einige „dumme jungen Streiche“ und für die lokalen Behörden kein Terror sondern einfache Straftaten.

Als 2016 junge Geflüchtete durch Bautzen gejagt wurden, wurde über deren Schuld gesprochen. Und diejenigen die darauf hinwiesen, dass wir ein Problem mit Rassismus haben und bis heute darauf hinweisen, gelten Teilen der Gesellschaft nach wie vor als „Nestbeschmutzer“, die das Image stören.

Wer offen darüber spricht, dass wir in Sachsen ein Problem mit Rassismus und anderen Form der Menschenfeindlichkeit haben, macht sich schnell des Sachsen- Bashing schuldig.

2018 eskalierte die Situation in Chemnitz. Menschen wurden durch die Stadt gejagt. 6000 Menschen demonstrierten gegen Ausländer. Darunter Neonazis, Hooligans, Reichsbürger, Identitäre. Es hätte der Punkt sein müssen offen darüber zu sprechen, dass es keine Trennlinie mehr zwischen gewaltbereiten Neonazis und Bürgern gibt. Es gab eine Debatte darüber ob die Bilder aus Chemnitz eine „Menschenjagd“ waren oder doch nur ein „Nacheileverfahren“. Und die Bilder eines dezidiert antifaschistischen Twitter Accounts wurden bezweifelt, weil er „antifaschistisch“ ist.
„Wir dürfen nicht alle über einen Kamm scheren.“

2019 erscheint der neue Verfassungsschutzbericht in Sachsen. PEGIDA und AfD sind nicht extrem. Aber „Antifaschismus“ gilt in Sachsen jetzt ganz offiziell als „linksextrem“.

Das alles sind keine Einzelfälle. Es sind Fallbeispiele und jeder meiner Freund*innen in Sachsen kann diese Liste mit eigenen Erfahrungen ergänzen.

Die AfD ist jetzt ganz offiziell in Sachsen stärkste Partei. Eine Partei, die offensiv mit Verfassungsfeinden zusammenarbeitet, Teile des Grundgesetzes abschaffen will und offen davon spricht „das System abzuwickeln“.

Das sie es in Leipzig nicht ist, hängt auch damit zusammen, dass es in Leipzig einen Konsens gibt von der Mitte der Gesellschaft aus, der deutlich eine Grenze zieht und Rassismus zurückweist.

Unsere Demokratie ist nicht grenzenlos. Sie hat einen Rahmen, der durch unsere Geschichte und die Grundrechte bestimmt wird. Es ist an uns, immer wieder daran zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass es eben nicht alles was gesagt werden kann auch demokratisch ist.

1932 hat es auch in Sachsen angefangen. Ich will nicht, dass es wieder dazu kommt. Aber die Zeit wird langsam knapp. Irgendwann muss sich jeder Mensch entscheiden auf welcher Seite mensch steht.

Ich klage an.

Der Autor Jürgen Kasek ist Rechtsanwalt in Leipzig und war von 2014 bis 2018 Landesvorstandssprecher bei Bündnis 90 / Die Grünen Sachsen. Bei der Kommunalwahl 2019 wurde er in den Stadtrat von Leipzig gewählt.

 

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