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Debattenkultur „Framing“-Hysterie um die ARD

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Dürfen öffentlich-rechtliche Journalist*innen über die Wirkung von Worten nachdenken? Die rechten Kommentator*innen sagen: Nein.

Öffentlich-rechtliche Sendeanstalten bieten ihren Mitarbeiter*innen regelmäßig Fortbildungen an. Ein Thema ist dabei im Jahr 2017: Framing. Es geht darum, die eigene Praxis zu reflektieren: Jeder Sachverhalt lässt sich mit Worten ausdrücken, die neutrale oder positive Assoziationen hervorrufen, oder mit solchen, die das Geschehen in einen negativen Zusammenhang setzen. Wie verändern die Worte, die Journalist*innen zur Berichterstattung verwenden, die Gedankenwelt, die die Leser*innen mit Themen verbinden?  Im Jahr 2017 beauftragt der zur ARD gehörige “Mitteldeutsche Rundfunk (MDR)” die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling, die eine Postdoc-Stelle an der UC Berkeley bekleidet und unter der Marke „Berkeley International Framing Institute“ Beratungen zum Thema anbietet. Sie soll den Mitarbeiter*innen in Workshops das Thema Framing nahe bringen. Dazu schreibt sie einen Ratgeber zur Analyse und Optimierung der von der ARD verwendeten Sprache. Auf dieses Papier mit dem Titel “Framing-Manual” wird 2019 die Tageszeitung “Der Tagesspiegel” aus ARD-Kreisen aufmerksam und berichtet am 12. Februar 2019. Forderungen nach Veröffentlichung des als internes Papier angelegten Manuals verweigerte die ARD auf Twitter zu der Zeit noch mit dem Hinweis auf „urheberrechtliche Gründe“. (twitter)

Das komplette Manual wird am 17. Februar 2019 vom Blog Netzpolitik.org veröffentlicht, der für Transparenz und Informationsfreiheit eintritt. Auf Netzpolitik.org erscheint eineinordnender Artikel zu Framing, um nach eigener Aussage eine „informierte öffentliche Debatte“ zu ermöglichen. (Netzpolitik.org)

Daraufhin geht die ARD in die Offensive und veröffentlicht eine Klarstellung durch ARD-Generalsekretärin Dr. Susanne Pfab: „Es ist eine Unterlage, die Teilnehmenden ARD-interner Workshops im Vorfeld als Diskussionsgrundlage und Denkanstoß zur Verfügung gestellt wird. Die Aufregung um dieses Papier funktioniert nur, wenn man diesen Kontext nicht kennt oder ignoriert. Auch deswegen ist die Unterlage von Frau Dr. Wehling zur Weitergabe völlig ungeeignet.“ (ARD.de)

Es werden in dem Manual auch abwertende Begriffe für konkurrierende Privatsender vorgeschlagen, von denen sich Dr. Pfab im Interview mit meedia.de im Nachhinein distanziert. (meedia.de)

Was ist Framing?

Von Framing ist in der Debatte viel die Rede, aber was bedeutet dieser Begriff überhaupt? Er kommt in vielen wissenschaftlichen Disziplinen vor: Psychologie, Linguistik, Politik- und Sozialwissenschaften, sowie Ökonomie. Framing im Journalismus hat dabei verschiedene Facetten. Zunächst wird bereits mit der Auswahl einer Story, mit der Wahl der Überschrift, der Bebilderung des Artikels, mit der Auswahl der Zitate und zitierten Personen ein Frame (zu dt. Rahmen) geschaffen. Dies geschieht ständig – Framing gehört zu jeder Kommunikation und ist im Journalismus nochmal stärker ausgeprägt als im Alltag. Schließlich muss ein Medium, wenn es über einen Sachverhalt berichtet die Komplexität eines Themas reduzieren.

Darüber hinaus wird durch jede Wortwahl in einem Artikel Framing betrieben. Die Wahl bestimmter Wörter und Ausdrücke ruft bei der*dem Lesenden eine bestimmte Emotion, oder Assoziation hervor, die eine andere nicht hervorrufen würde. Ein Beispiel: Bezeichnet man den Anstieg der Geflüchtetenzahlen im Jahre 2015 als „Flüchtlingswelle“, „dramatischen Anstieg“, “gestiegene Menge an Schutzsuchenden” oder „Sommer der Migration“?

Das bedeutet, niemand liest einen Text in rein objektiver Abwägung der dargestellten Fakten. Diese Erkenntnis können sich Medienschaffende zu Nutze machen, um einen bestimmten Eindruck zu erwecken, eine bestimmte Wahrnehmung eines Textes herzustellen. Im besten Falle ist diese eben nicht manipulativ, sondern so sachlich wie möglich.

Geht man von diesen Annahmen aus, wirft das die Frage auf, ob der Begriff „Framing“ Teil journalistischer Ausbildung in Deutschland ist. So wie die Diskussion über das „Framing-Manual“ medial verläuft macht den Eindruck, dass hier dringender Nachholbedarf besteht.

Der Leak des „Framing-Manuals“ durch netzpolitik.org und der defensive Umgang der ARD damit riefen ein beträchtliches Medienecho hervor. Dutzende Artikel erschienen zu dem Thema in Tageszeitungen und Magazinen, Print und Online, sowie Blogs und auf YouTube. Auch die größte deutsche Boulevard-Zeitung BILD lässt es sich nicht nehmen, nun häufiger über das Thema zu berichten.

Was macht die BILD aus der Geschichte und wie spielt das Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen in die Karten?

Die BILD machte aus dem Manual in der Überschrift ihres Artikels am 19.02. ein „Geheimpapier“ zum „Umerziehen“ der Bevölkerung und erklärt Framing so: „Gemeint ist das geschickte Nutzen bestimmter Wörter und Sprachbilder, um unsere Meinung zu beeinflussen. Ein Mittel aus Politik und Werbung. Kritiker nennen das Gehirnwäsche.“ (BILD)

Am 21.02. geht die BILD einen Schritt weiter und fragt „Ist die ARD-Expertin eine Hochstaplerin?“ Kurz darauf tauchen auf Twitter diverse Screenshots aus BILD-Artikeln vergangener Jahre auf, in denen Wehlings Expertise zu Sprachthemen offensichtlich noch gefragt war. Einen Tag später, am 22.02., lautet die Überschrift desselben Onlineartikels dann auch nur noch „Rätsel um das Institut der ARD-Gutachterin. Was hat es mit dem ‚Berkeley International Framing Institute‘ auf sich?

Diese Beispiele sind aus zwei Gründen interessant. Zum einen sind sie selber ein hervorragendes Beispiel für Framing zum Zwecke einer eigenen Agenda. Was besonders bemerkenswert ist, wenn man sich vor Augen führt, dass dies genau der Vorwurf seitens der BILD gegenüber der ARD ist. Zum anderen zeigen die Beispiele eine Verwendung von Begriffen und einen Fokus auf Themen, die sich nicht nur in der BILD, sondern ebenfalls bei (neu-)rechten Blogs und YouTuber*innen großer Beliebtheit erfreuen. Von einer Manipulation im Zusammenhang mit dem Framing-Manual der ARD sprechen auch rechte YouTuber*innen, wie der verschwörungstheoretisch interessierte Kanal “NuoViso.tv” von Frank Höfer, das der rechtsextremen “Identitären Bewegung” nahestehende Format „Laut gedacht“, oder die ehemalige WDR-Journalistin Claudia Zimmermann aka. „gamesoftruth“.

Bei „NuoViso.tv“ wird das Framing-Manual in die Nähe von Neuro-Linguistischem Programmieren (NLP) gerückt, eine Methode aus den 1970ern Jahren, deren wissenschaftlicher Anspruch und Wirksamkeit stark angezweifelt werden. Die diskursive Verknüpfung des Framing-Manuals mit NLP fungiert hier als Delegitimierung. Eine Strategie, die Ulrike Stockmann beim rechtspopulistischen Blog „Achse des Guten“ ebenfalls verfolgt.

Auch beim Blog „Tichys Einblick“, der an der Schnittstelle zwischen Rechtskonservatismus und Rechtspopulismus angesiedelt ist, nimmt man sich des Themas enthusiastisch an und veröffentlicht gleich mehrere Artikel binnen kürzester Zeit. Auch hier lautet der Claim: „Gehirnwäsche“.

Es ist also eine begriffliche und diskursive Linie nachvollziehbar, von rechten YouTuber*innen über “alternative” Medien wie „Tichys Einblick“ bis zur BILD. Dies ist besonders brisant vor dem Hintergrund der anhaltenden Kampagne gegen die Öffentlich-Rechtlichen, die aus genau diesem Milieu seit Jahren gefahren wird. Die BILD spielt hier eine gefährliche Kampagne mit, mutmaßlich in der Hoffnung auf höhere Absatz- und Klickzahlen.

Begeistert aufgenommen werden diese Debatten von den Repräsentant*innen des Rechtspopulismus in den Parlamenten, der “Alternative für Deutschland (AfD)”. Bundesvorsitzende Alice Weidel kommentiert etwa: “‚Framing Manual‘-Handbuch der ARD ist Blamage für die Zwangsgebührensender” und schreibt, die “Affäre“ um das ‚Framing Manual‘ der ARD” beweise “einmal mehr, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner moralischen Selbstüberheblichkeit allmählich jede Bodenhaftung verloren hat. Das Bekanntwerden dieses peinlichen Propaganda-Handbuchs ist eine doppelte Blamage für die ARD. Nicht genug damit, dass ein von Zwangsgebühren finanzierter Sender es offensichtlich für nötig hält, seine Kritiker und Zwangskunden mit Sprachkosmetik und Suggestiv-Rhetorik auf Linie zu bringen, statt mit besseren Programmen zu überzeugen.

Die (neu-)Rechte Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein beliebtes Feindbild in der rechtspopulistischen Szene.  Fernseh- und Radiosender sowie Internetangebote, die reichweitenstark mit Fakten und Analysen ihr Publikum erreichen, sind denen ein Dorn im Auge, die mit Desinformation Politik betreiben wollen und Sachlichkeit damit verwechseln, dass sie ihre Meinung dort nicht repräsentiert sehen. Von Rechtspopulismus wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk als “Staatsfunk” geschmäht, der den Regierungsparteien nach dem Mund berichte, die AfD vernachlässige und so einseitig “das Volk” manipuliere. Die AfD wünscht sich eine Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und betreibt dies über die Forderung nach Abschaffung der Rundfunkgebühren (“GEZ”), mit denen die Steuerzahler*innen in Deutschland diesen finanzieren. Die Abgabe wird für jeden Haushalt verpflichtend erhoben, der Medien nutzt. Dabei heißt diese Abgabe schon seit einigen Jahren nicht mehr so, sondern Beitragsservice, wie Stefan Niggemeier treffend anmerkt:  “Durch die Umstellung der Rundfunkfinanzierung ist eine wesentliche Ursache dafür entfallen, dass die GEZ so verhasst war: das Ausschnüffeln von Wohnungen, um herauszufinden, ob jemand ein Empfangsgerät hat. Wer im Zusammenhang mit ARD und ZDF immer wieder den etablierten, aber überholten Begriff GEZ benutzt (…) verbindet ARD und ZDF auch immer wieder mit den negativen Emotionen und Assoziationen, die diese Buchstaben auch aus Gründen auslösen, die längst hinfällig geworden sind.” (uebermedien.de)

Die Öffentlich-Rechtlichen nehmen sich die Vorwürfe zu Herzen, und versuchen fortwährend, auch Rechtspopulist*innen ihre Ausgewogenheit zu beweisen. Doch das scheitert, weil es sich hier nicht um Diskussionpartner*innen handelt, die Antworten bereit sind zu hören: Egal, wie viel Redezeit die Öffentlich-Rechtlichen z.B. AfD-Politiker*innen in ihren Polittalkshows einräumt – und das war viel in den letzten Jahren-, egal, wie sie über Konflikte rund um Migration berichten –  das Etikett des „Staatsfunks“, der nicht sendet was der rechtspopulistische Teil des “Volkes” will, bleibt, weil er ein strategischer Vorwurf ist.

Hat die ARD einen “Manipulationsleitfaden” herausgegeben?

Es wird klar, die ARD hat keinen Leitfaden zur böswilligen Manipulation ihrer Zuschauer*innen konzipiert. Aber sie hätte transparenter mit dem Ratgeber umgehen können. Es gibt auch durchaus problematische Begriffsvorschläge in dem Reader zu lesen. So ist zum Beispiel der Vorschlag, „medienkapitalistische Heuschrecken“ als Bezeichnung für Privatsender zu nutzen, wegen seiner antisemitischen Konnotation zu kritisieren. Hier wäre eine Reflexion über den Begriff wünschenswert, statt lediglich eine hastige Distanzierung.

Selbst wenn einige der Formulierungsvorschläge aus dem Ratgeber später von der ARD verwendet worden sein sollten, von einer verbindlichen Vorgabe für Sprachregelungen kann keine Rede sein. Vielmehr ist es ein extern erstelltes Gutachten, das eindeutig Konfliktpotenzial birgt.

Rundfunk in Zeiten rechtspopulistischen Campaignings

Aktuell lässt sich also festhalten: Die Debatte, die nun heftig geführt wird, fußt auf einem zwei Jahre alten Schulungspapier, das eine unbekannte Quelle einem Tageszeitungsjournalisten zugespielt hat. Ob dies aus Sorge um journalistische Sachlichkeit oder mit diskreditierender Absicht geschah, ist noch unbekannt. Dieses Papier ist keinesfalls allen Rundfunkverantwortlichen in Deutschland bekannt und noch weniger allen Redaktionen und Moderator*innen, die Texte und Interviews schreiben – wie zahlreiche Diskussionen nun belegen. Von einer Meinungsmanipulation kann also keine Rede sein. Trotzdem lässt sich aus dem Fall etwas lernen: In Zeiten politisch aufgeheizter Debatten können auch nur zu Schulungszwecken erstellte Papiere falsch verstanden werden und in der Öffentlichkeit zu großer Empörung führen, wenn sie als “Geheimpapiere” erscheinen. Transparenz, sowohl innerhalb der eigenen Redaktion als auch nach außen in die Öffentlichkeit, ist deshalb sinnvoll.

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