Der Große Austausch, New World Order, Great Reset, Marionettenspieler, Strippenzieher
Der Mythos vom „Großen Austausch“ behauptet, es gäbe eine globale Elite mit einem geheimen Plan. Dessen Ziel sei es, die christlich-weiße Bevölkerung durch massive Einwanderung von nicht-weißen oder muslimischen Menschen auszutauschen und so zu vernichten.
Die globale Elite ist, so die Überzeugung, jüdisch. Oft wird der jüdische US-Amerikaner George Soros genannt. Der Mythos knüpft an die antisemitische Vorstellung einer „jüdischen Weltverschwörung“ an.Populär wurde er durch das Buch „Le Grand Remplacement“ (2011) des Franzosen Renaud Camus. Der Mythos ist in der Neuen und extremen Rechten (z.B. der AfD und der „Identitären Bewegung“) stark verbreitet. Die Rechtsterroristen von Christchurch (Neuseeland 2019) und Halle/Saale (2019) haben sich auf ihn bezogen. Der Christchurch-Attentäter nannte sein Pamphlet gar „The Great Replacement“.
Eine ähnliche Grundstruktur besitzt der Mythos von der „New World Order (NWO)“ oder „One World“. In der COVID-19-Pandemie ist der Mythos vom „Great Reset“ hinzugekommen. Eine globale Elite habe laut ihm das Ziel, eine überstaatliche Weltregierung zu errichten, um z.B. die Freiheitsrechte der Menschen abzuschaffen.
All diese Mythen eint die Vorstellung eines geheimen „Marionettenspielers“ oder „Strippenziehers“. Schon lange wird das Bild verbreitet, „der Jude“ ziehe heim–lich im Hintergrund die Strippen und lenke so die Weltgeschehnisse.
Finanzelite, Hochfinanz, Ostküste, Wall Street, raffen versus schaffen
Geld regiert die Welt – so weit, so bekannt. Problematisch wird Kapitalismuskritik, wenn von einer ominö–sen „Finanzelite“ die Rede ist, die die Strippen in den Händen hält. Zum Kapitalismus gehören Geld und Unternehmen gleichermaßen. Eine Trennung von Finanz- und Industriekapital ist künstlich und teilt den Kapitalismus in vermeintlich Gutes und vermeintlich Schlechtes. Dies ist problematisch, weil es das System vereinfacht darstellt und allzu oft das „Schlechte“, also die Finanzsphäre, mit antisemitischen Vorstellungen „des Jüdischen“ beschreibt: nämlich, dass die wirt–schaftlichen und damit die politischen Geschicke der Welt durch „die Juden“ gelenkt würden, da sie angeblich das Finanzwesen beherrschen.
Analog zum alten Bild des „Geldjuden“, der sich vorgeblich als Geldverleiher mit Wucherei an der Not ande–rer bereichert, werden Einzelpersonen (z.B. Rothschild) oder Berufsgruppen (z.B. Banker:innen) zum Sinnbild von Geld und Kapitalismus. Im Gegensatz zu scheinbar ehrlicher, schaffender Erwerbsarbeit werden Bank- und Börsengeschäfte jüdisch konnotiert und als unehrlich, raffend bezeichnet. Bereits im Nationalsozialismus wurde versucht mit dieser Sprache, den Kapitalismus als eine jüdische Erfindung zu erklären.
Der antisemitische Code einer jüdischen „Hochfinanz“ ähnelt dem nationalsozialistischen Terminus des „internationalen Finanzjudentums“. Heute ist er ein geläufiger Code in verschwörungsideologischen Kontexten.Hinter vermeintlicher Kapitalismuskritik verbirgt sich nicht selten auch manifester Antiamerikanismus: „Ost–küste“ und „Wall Street“ suggerieren eine jüdische Kon–trolle der US-amerikanischen Börse – und damit der Welt.
USrael, JewSA, Jewnited States
Wichtige Gemeinsamkeiten von Antisemitismus und Antiamerikanismus sind nicht nur ihre Virulenz, sondern auch ihre strukturellen Gemeinsamkeiten. Seinen Ausdruck findet dies beispielsweise im Begriff „USrael“, alternativ fallen in diesem Zusammenhang auch die Bezeichnungen „JewSA“ und „Jewnited States“. Mit diesem Kofferwort wird eine jüdische Kontrolle der US-amerikanischen Politik und Wirtschaft angedeu–tet, die Politik zum Vorteil „des Juden“ und des Staates Israel mache. Weil die USA als Weltmacht gelten, wird so codiert auch eine „jüdische Weltverschwörung“ behauptet.
Die Behauptung, die USA seien von Jüdinnen:Juden kontrolliert, erfasst gleich mehrere klassisch antisemitische Narrative: Im völkisch-nationalistischen Kontext stehen „die Juden“ einerseits für eine antinationale und das ethnische Kollektiv zersetzende Gruppe und andererseits für die (liberale) Moderne. Die älteste moderne Demokratie der Welt, die konträr zu völkischen Ideen auf staatsbürgerlichen Prinzipien aufbaut und zusätzlich als Inbegriff des Kapitalismus gilt, wird dabei mit „dem Jüdischen“ gleichgesetzt.
Zionismus, Zionisten, ZOG
Der Begriff Zionismus bezeichnet eine in ihren Ursprüngen progessive Bewegung und eine politische Einstellung, die notwendig findet, jüdische Wehrhaftigkeit auf einer nationalen Ebene zu organisieren. Zionismus setzt sich für das Existenzrecht eines jüdischen Nationalstaats, des Staates Israel, ein. Die zionistische Bewegung war und ist eine Reaktion auf die lange Geschichte des Judenhasses, der in die systematische Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen:Juden mündete.
Wenn die Begriffe Zionismus und Zionisten zur Erklärung einer „jüdischen Weltverschwörung“ benutzt werden, gewinnen sie eine antisemitische Bedeutungsdimension. Das wird im Kürzel „ZOG“ (Zionist Occupied Government, deutsch: zionistisch besetzte Regierung) besonders deutlich.
Die Codes transportieren die antisemitische Vorstellung einer weltweit agierenden Machtstruktur, die angeblich das Weltgeschehen negativ beeinflusst. Sie tauchen in verschiedenen Milieus auf – in der Berichterstattung islamistischer Fernsehsender über den Nahostkonflikt, in linken Gruppierungen, die mit „9 mm für Zionisten“ drohen, im Rahmen der BDS-Kampagne (Boycott, Divestment, Sanctions) oder in der Welt des Bundes–wehrsoldaten Franco A.