Dieser Text ist ein Auszug aus dem „Jahrbuch rechte Gewalt 2018“ von Andrea Röpke.
Die Operation »Defend Europe« läuft im Juli 2017 an. Der Plan der »Identitären« aus mehreren europäischen Ländern lautet, mit einem eigens gecharterten Schiff an Libyens Küste die Grenzen nach Europa symbolisch abzuschotten. Flüchtlingsboote, von der nordafrikanischen Küste kommend, sollen bei dem Versuch, nach Italien zu gelangen, aufgehalten werden. »Defend Europe« lautet der Name dieser unsozialen Mission, der vor allem eines gelingt: Unruhe zu stiften. Die etwa ein Dut-zend auf dem Mittelmeer eingesetzten zivilgesellschaftlichen Rettungsorganisationen (NGOs), die Schiffbrüchige einsammeln, werden von den »Identitären« als »Schlepper« denunziert, ihnen wird von rechts der humanitäre Anspruch abgegolten. Mitblanken Unterstellungen soll gegen wohltätige NGOs auf dem Mittelmeer eine Debatte losgetreten werden, die zu Diffamierung humanitärer Arbeit für Flüchtlinge führt.
Nicht ohne Erfolg. Hilfsorganisationen werden ohne Beweise kriminalisiert, ihre humanistische Arbeit wird in einigen europäischen Ländern von konservativen Medien infrage gestellt. Tatsächlich sind in der Bundesrepublik Angriffe und Drohungen gegen Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, längst rapide angestiegen. Bis November 2016 verzeichnete das Bundeskriminalamt 127 rechte Straftaten gegen Helfer. Es brennen nicht nur Aufnahmestellen, sondern die Unterstützerszene soll mit Gewalt eingeschüchtert werden. Statistisch gesehen gab es bis November 2016 jeden dritten Tag einen derartigen Übergriff.
»Wir werden alles tun, um Defend Europe zum Erfolg zu 61 Die »Neue Rechte« und die »Identitäre Bewegung« machen«, verkündet Blogger Martin Sellner am 16. Juli 2017 per Video noch aus seiner Studentenbude in Wien, er steht kurz vor der Abreise. Mit viel Mediengetöse erringen er und seine Mitstreiter maximale Aufmerksamkeit. Die Organisation setzt gezielt auf Symbolpolitik. Neben der regulären Crew des gecharterten Schiffes »C-Star« sollen einige »Identitäre« und ein Berichterstatter von »Ein Prozent für das Land« in Sizilien an Bord gehen und in Richtung libysche Gewässer fahren. Der rechte Wahnwitz: Sie propagieren, mit einem einzigen Schiff den über 1700 Kilometer langen Küstenabschnitt vor›afrikanischen Eindringlingen‹ nach Europa abzusichern. Eigentlich hätte die Aktion als Aufschneiderei abgetan werden können, wären da nicht die sozialen Medien. Viele Tausend Follower in mehreren europäischen Ländern und Nordamerikafolgten der Inszenierung der »Identitären«, schon bevor die überhaupt die »C-Star« bestiegen hatten. Der Zeitpunkt wenige Wochen vor der Bundestagswahl war geschickt gewählt, die Flüchtlingszahlen waren bereits rückläufig. Doch das Thema wurde am Kochen gehalten. Brüssel hatte sich mit dreistelligen Millio nenbeträgen ein härteres Vorgehen afrikanischer Staaten gegen Migranten und Schleuser erkauft. Letztere weichen inzwischen auf gefährlichere Routen aus, Fliehende riskieren noch mehr. Der »Identitären Bewegung« geht es um den Mediencoup.
Vorab warben bereits Anhänger in der Bundesrepublik unter dem zynisch klingenden Motto »Grenzen schützen – Leben retten« mit regionalen Aktionen um Spenden. In der Hansestadt Bremen zum Beispiel wurde das berühmte »Becks«-Schiff, derDreimaster Alexander von Humboldt, heimlich besetzt, Transparente entrollt, fotografiert und ins Netz gestellt. Unzählige Kurzaktionen allein für Twitter, WhatsApp oder Youtube finden statt. Öffentliches Interesse und die Spendenbereitschaft aus der Bevölkerung an der Operation »Defend Europe« steigen. Zwischen zwei kurzen Atempausen berichtet der aufgekratzte Wiener noch vom bevorstehenden Kurzbesuch beim politischen Ziehvater Kubitschek in Schnellroda und verspricht, er wolle aber auch schauen, »sicher und heil« wieder nach Hause zu kommen. Wenige Tage später ist er in Catania auf Sizilien und steht schon wieder vor laufenden Kameras. Reuters sei schon dagewesen, jetzt das dänische Fernsehen, berichtet Sellner seinen Fans zu Hause. Er gebe fünf bis sieben Pressegespräche am Tag und er sei ganz schön geschlaucht. Zwischen 10 000- und 100 000-mal werden seine Clips im Internet aufgerufen.
»Das Bild ist das Wichtigste«, sagte er mal dem österreichischen Magazin Profil und ergänzte: »Die Schlagzeile ist realer als die Aktion. Das hat Greenpeace schon lange verstanden – und wir jetzt auch.« Die »Identitäre Bewegung« inszeniert eine Art Kriegseinsatz gegen Menschen auf der Flucht, die nichts haben außer dem nackten Leben. Die Aktiven posten, was das Zeug hält. Tausende Interessierte verfolgen per Videochannel, Twitter oder Facebook den Verlauf der makabren Realityshow. Per Facebook-Account von »Defend Europe« wird schon am 17. Juli mit dem Foto eines NGO-Schiffes auf Sizilien provoziert: »The Vos Hestia, ship of ›save the children‹ is now in Catania. The days of their unwatched doings are over.« Zwei Tage später twittert der deutsche Simon Kaupert, der für »Ein Prozent« dabei sein will: »Bald wird die C-Star für Recht und Ordnung im Mittelmeer sorgen!«
Die rechten Medienprofis zeichnen ein Bild, als wenn es jetzt losgehe. Doch es wird noch dauern, bis sich die extrem rechte Crew überhaupt auf dem Meer befindet. Das von ihnen gecharterte Boot, die »C-Star«, dümpelt in Wahrheit noch über 1000Seemeilen entfernt von Sizilien vor dem Suez-Kanal. Das verschweigen die »Identitären«. Doch die Funksignale des Transponders an Bord verraten den Standort. Die »C-Star«, ein 40 Meter langes, 1975 erbautes, ehemaliges finnisches Marine -schiff, hatte am 8. Juli ihren Heimathafen Dschibuti verlassen und ankert vor Adabiya im Suezkanal, berichten britische Fachmedien. Es gäbe Schwierigkeiten mit den Behörden, räumen die »Identitären« daraufhin kleinlaut ein.
Am 27. Juli dann ein erneuter Rückschlag. »Tagesschau online« meldet, dass das Schiff nun von den türkischen Behörden auf Zypern festgesetzt worden sei. Neun Besatzungsmitglieder wurden festgenommen. Es werde überprüft, ob sich an Bordbefindliche Männer mit falschen Pässen als Seeleute ausgegeben hätten. An Bord waren demnach auch 20 Männer aus Sri Lanka, die nicht zur Crew gehörten. Fünf von ihnen beantragten in Nordzypern Asyl. Es heißt, sie hätten Geld für die Überfahrtvon Dschibuti nach Italien gezahlt. Die rechte Mission als Schleppertour?
Die Aktivisten von »Defend Europe« stellen es auf Twitter so dar, als wenn die 20 angehenden Seeleute an Bord einen »kostenpflichtigen Trainingseinsatz« absolviert hätten. Sie seien dann auf Zypern, so behaupten die »Identitären«, von einernamentlich nicht bekannten Nichtregierungsorganisation bestochen worden, Asylanträge zu stellen, und hätten dann »urplötzlich Vorwürfe gegen den Kapitän und die restliche Mannschaft der ›C-Star‹ erhoben«. Fake News oder Wahrheit? Hauptsache,die rechte Mission ist in aller Munde.
Über 200 000 Euro von rund 3500 Spendern sollen die »Identitären« bis Mitte August 2017 per Crowdfunding-Kampagne (»Kickstarter«) zusammenbekommen haben, berichtet die Zeitung Der Freitag. Nachdem Finanzanbieter wie PayPal ihnen die Konten einfroren und das Geld zurücküberwiesen, wechselten sie zur Crowdfunding-Plattform weSearchr – sie wird von einem US-amerikanischen »Alt-Right«-Aktivisten betrieben. 80 000 US-Dollar soll das Schiff kosten, schrieben »Identitäre« bei Facebook. Was sie nicht posten, ist, dass das Schiff unter mongolischer Flagge fährt und der Reederei C Vessels im britischen Cardiff gehört. Diese Reederei ging 2012 aus marinen »Sicherheitsfirmen« hervor, die an der ostafrikanischen Küste operieren. Hinter der Firma steht der Schwede Sven Tomas Egerstrom, berichtet die britische NGO »Hope not Hate«. Die »Identitären« um Sellner hatten erklärt, falls es zu Zwischenfällen kommen würde, hätten sie auch »Sicherheitsleute« an Bord. Dabei soll es sich um Ukrainer handeln. Recherchen von »Hope not Hate« ergeben, dass Egerstrom Anteilseigner einer Firma namens »Sea Marshals Risk Management« ist, diese bietet »bewaffnete Sicherheitsteams« an – die unter anderem aus ukrainischen Seeleuten bestehen. Die Hamburger taz warnt: »Sollte die C-Vessel-Crew aus solchen ›bewaffneten Teams‹ bestehen, das Eskalationspotenzial in der Gemengelage aus Schleppern, Küstenwächtern, EU-Marine, NGO- und Flüchtlingsbooten wäre enorm.«
Allein 2016 ertranken etwa 5000 Frauen, Männer und Kinder bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen, im Massengrab Mittelmeer. Bis Juni 2017 waren es bereits 2300 Menschen. Es sei irrsinnig, wenn nicht gar gefährlich, Parolen wie »Identität« und »Verteidigung« zu nutzen, während Menschen, die vor Hunger und Krieg fliehen, unsere Küste erreichen, sagt Catanias Bürgermeister dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Und weiter: »Catania ist eine Stadt, die Menschen empfangen möchte, nicht abweisen. Wir brauchen hier keine Hass-Veranstaltungen.«
Doch nicht alle in Italien denken so. Der Druck auf das südeuropäische Land wächst, Wahlen stehen an. Rechtspopulistische Parteien in ganz Europa fordern seit Langem, Flüchtlinge zurück nach Libyen zu bringen. Es scheint, als wenn die Stimmung kippt, kaum hat die »C-Star« libysche Gewässer erreicht. Sie beobachtet und verfolgt die ersten NGO-Schiffe. August 2017 wird das Schiff der NGO »Jugend rettet« von den italienischen Behörden beschlagnahmt. Die »Juventa« hat in Seenot geratene Flüchtlinge eingesammelt und nach Lampedusa gebracht, ihnen wird jetzt vorgeworfen, die Menschen seien gar nicht in Lebensgefahr gewesen und sie hätten »Beihilfe beim illegalen Grenzübertritt« geleistet. Rechte hatten sie anscheinend angeschwärzt und dem zuständigen Staatsanwalt angeblich belastendes Bildmaterial zugespielt.
In zahlreichen europäischen Medien häufen sich die Zweifel an der Integrität von Hilfsorganisationen auf dem Mittelmeer. »Jugend rettet« und weitere stehen nun im Verdacht, mit Menschenschmugglern unter einer Decke zu stecken. »Nichts davon ist richtig«, sagt Pauline Schmidt, Sprecherin von »Jugend rettet«. »Und nichts davon wird durch die Fotos bewiesen.« Die Sprecherin von »Jugend rettet« sagt: »Wir halten uns bei unseren Einsätzen immer zu 100 Prozent an die Anweisungen der Seenotleitstelle.« Die zivile Seenotrettung ist in Gefahr. »Zivile Retter, die sich an das Völkerrecht halten, stören«, sagt Ruben Neubauer, Pressesprecher und Crew-Mitglied von »Sea-Watch« dem Neuen Deutschland. Gerüchte und haltlose Anspielungen werden zum Nährboden nicht nur für Rassisten. Neubauer hegt zudem eine sehr reale Sorge, denn Rettungseinsätze auf dem Meer seien kompliziert und gefährlich. »Wenn die ›C-Star‹ auftaucht und mitmischt«, erklärt er, dann könnte die Gefahr bestehen, dass »sie Mist bauen und Menschen zu Tode kommen«.
Während sich die vom deutschen Verfassungsschutz beobachteten extrem rechten Blockierer gegenüber Medien Mitte August 2017 damit brüsten, bereits afrikanische Flüchtlinge aufgehalten zu haben und über gute Kontakte zur libyschen Küstenwache zu verfügen, sehen sich die ersten lebensrettenden NGOs wie »Ärzte ohne Grenzen« und »SeaEye« genötigt, sich aus der Region zurückzuziehen. Das vom Bürgerkrieg geschüttelte nordafrikanische Land hat gedroht, das eigene Einsatzgebiet auf internationale Gewässer auszuweiten, Schüsse sind auf Helferboote abgegeben worden. Aufgrund dessen und weiterer Zwischenfälle erklären einige NGOs, ihre Arbeit auf dem Mittelmeer vorübergehend einzustellen.
Italienische Zeitungen vermelden, dass der engagierte Journalist Andrea Palladino, der die Kontakte der Rechten zu den Ermittlungsbehörden seines Landes öffentlich gemacht hatte, von einem »Identitären« aus Italien eine Drohung »im Mafiastyle« erhalten habe. Das Ziel scheint erreicht: Die Kubitschek-Jugend gilt nicht mehr nur als hip, sondern in den Augen ihrer Fans als fest entschlossene Tatgemeinschaft, die mit allen Mitteln zur Verteidigung der »Festung Europa« antritt. Am 17. August 2017 erklären sie die erste Mission von »Defend Europe« für beendet.
Probleme habe ihnen vor allem die Tatsache bereitet, so Sellner, dass sie mangels Handyempfang auf dem Meer »phasenweise von der Außenwelt abgeschnitten« waren. Der Albtraum eines jeden »Identitären«.
»Defend Europe« stellt trotz aller Pannen eine Mahnung dar. Die Aktionen der »Identitären Bewegung« treffen den Nerv einer sich verändernden Gesellschaft. Wenn extrem Rechte gegen »Boots-Invasoren« aus Afrika hetzen, die Europa angeblich bedrohen, dann werden ihnen kaum zivilgesellschaftliche Grenzen gezeigt. Vom Rufmord gegen Lebensretter auf dem Mittelmeer bleibt etwas hängen. Nachhaltige gesellschaftliche Präventionskonzepte gegen den gefährlichen Aktivismus von rechts fehlen. Im Gegenteil: Noch nie stand den Rechten eine derartige Medienvielfalt zur Verfügung, die sie clever zu nutzen wissen. Die Szene feiert. »Berühmte Politiker« wie die damalige AfD- Chefin Frauke Petry hätten »die Zweckmäßigkeit« ihres Handelns anerkannt. Nach seiner Rückkehr wird Robert Timm, einer der »mutigen Jungs und Mädels« der »C-Star«, bei Die »Neue Rechte« und die »Identitäre Bewegung« Pegida in Dresden begeistert begrüßt. Der bärtige Berliner prahlt in seiner Rede: »Nichts, aber auch gar nichts« sei für die »Identitären« mehr unmöglich, »das sollten auch unsere Gegner inzwischen begriffen haben.«
»Wir sehen uns als Leute, denen es um eines, um politische Macht, geht, wir machen das Ganze nicht zum Spaß«, betonte Martin Sellner bereits während der mehrtägigen »Winterakademie« des »Instituts für Staatspolitik« Anfang 2017 in Schnellroda. Der Titel seines Vortrages lautete »Gewaltloser Widerstand«. Das bedeute aber nicht, »dass wir uns nicht wehren können und wollen, wenn es so weit kommt«. Glaubwürdige Wehrhaftigkeit, sei es durch Box- oder Kampfsporttraining, hätte ihnen den Respekt vieler anderer Gruppen, wie der Hooligans, eingebracht, so Sellner. Grundsätzlich aber müsse der Gegner sich gezwungen fühlen, »aufzugeben oder gewalttätig« zu werden. Einer wie Sellner lehnt Gewalt nicht aus ethischenGründen ab, sondern nur, weil Gewaltlosigkeit »strategisch sinnvoll« ist.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem „Jahrbuch rechte Gewalt 2018“ von Andrea Röpke, aus dem Kapitel „Die ‚Neue Rechte‘, die ‚Identitäre Bewegung‘ und das Motto ‚Gewalt herrscht“ (S. 39-67). Mit freundlicher Genehmigung von Autorin und Verlag.
Das „Jahrbuch rechte Gewalt“ versammelt in einer umfassenden Chronik alle Gewaltverbrechen mit rechtsradikalem Hintergrund, dokumentiert einzelne Fälle und Täter in Reportagen und Porträts, leuchtet Vorgehensweisen, Tätergruppen, lokale Schwerpunkte und Tendenzen in Hintergrundberichten und Analysen aus.
Andrea RöpkeJahrbuch rechte Gewalt 2018
Knaur Taschenbuch, München 2018
382 Seiten
12,99 Euro
https://www.droemer-knaur.de/buch/9412556/2018-jahrbuch-rechte-gewalt