Eine Ästhetik, die vor allem diese Zielgruppe ansprechen soll, ist Fashwave. Sie greift populäre Online-Trends der 2010er Jahre auf, reichert sie mit rechtsextremen Inhalten an und bringt sie zu Jugendlichen, die diese Online-Trends verstehen. Die Inhalte sind so konzipiert, dass Außenstehende sie nur schwer einordnen können und demzufolge Propaganda nicht als solche erkennen. In dieser Bildästhetik finden sich unterschwellig rechtsextreme Symbole oder unterlegte Sprüche wie „Remember what they took from us“ („Erinnere dich daran, was sie uns genommen haben“) oder „Reject modernity, embrace tradi–tion“ („Weise die Moderne zurück, nimm dich der Tradition an“). Sie deuten an, wohin die Reise geht – nämlich weg von Demokratie und liberaler Vielfalt hin zu einem anti–modernen Weltbild, das zu großen Teilen aus Sexismus, Antifeminismus, Antisemitismus und anderen Diskriminierungsstrukturen besteht. Mit seiner speziellen Ästhetik zieht Fashwave dabei vor allem die Aufmerksamkeit eines internetaffinen jungen Publikums auf sich.
Die Fashwave-Ästhetik taucht sowohl im internationalen Rechtsextremismus als auch im deutschsprachigen Raum auf. Auf Online-Plattformen wie DeviantArt, Sozialen Medien wie Instagram und TikTok oder in Messenger-Diensten wie Telegram können Nutzer:innen schnell auf Fashwave-Inhalte stoßen. Durch die Ästhetik werden die rechtsextremen Inhalte normalisiert und die Hürden dafür gesenkt, eine menschenfeindliche Weltsicht anzunehmen. So geraten besonders junge Menschen in immer weiter abgegrenzte Online-Räume und radikalisieren sich dort zunehmend. Fashwave gilt unter Rechtsextremen gerade deshalb als erfolgversprechend, weil sie bewusst auf subkulturellen Erscheinungen im Netz wie der Meme-Kultur aufbaut. Ein Schwerpunkt von Fashwave liegt auf der Rekrutierung junger Männer. Sie versucht sie in ihrer geschlechtsspezifischen Identitätsfindung abzuholen und nachhaltig zu beeinflussen. Diese Handreichung informiert darüber, welche Eigenschaften die Fashwave-Ästhetik bestimmen und wie die Radikalisierungsaspekte ihrer Inhalte auf Minderjährige und junge Erwachsene wirken. Daran an schließen sich Handlungsempfehlungen dazu, wie die demokratische Zivilgesellschaft rechtsextremer Propaganda und Symbolik im Netz entschieden entgegentreten kann.
Was ist Fashwave?
Fashwave beruht auf einem Online-Trend der 2010er Jahre namens „Vaporwave”. Vaporwave umfasste zum einen ein Musikgenre und zum anderen eine spezielle Form der grafischen Ästhetik. Sie orientierte sich an dem neonfarbigen Stil der 1980er Jahre in Kombination mit japanischen Schriftzeichen, Bildern aus Filmen, Serien oder Videospielen und antiken Statuen. Die passende Musik bestand aus einer elektronischen Mischung von Synthwave, einer Musikrichtung aus den frühen 2000er Jahren, in der musikalische Elemente von „New Wave”-Bands aus den Achtzigern auf–gegriffen und modernisiert wurden, außerdem Fahrstuhlmusik oder Jazz. In Verbindung mit den in Neonfarben verzerrten Videos sollte ein Gefühl von Verstörung und Leere vermittelt werden. Die Melancholie der Musik und der entsprechenden Ästhetik sollte bewusst irritieren und Ausdruck einer Entfremdung des Menschen im Spätkapitalismus sein. Emotionen und Kritik können so auf künstlerische Weise miteinander verbunden werden. Durch die bewusste Verfremdung popkultureller Elemente der achtziger und neunziger Jahre möchte Vaporwave aufzeigen, dass das Gefühl der Nostalgie in erster Linie an die Konsumgesellschaft gekoppelt und damit trügerisch ist. Es handelt sich also um eine Kapitalismuskritik.1Die rechtsextreme Variation Fashwave bedient sich der Ästhetik von Vaporwave, verkehrt aber die Idee ins Gegenteil. Anstatt also auf eine Verklärung der Vergangenheit aufmerksam zu machen, will Fashwave bewusst Nostalgie hervorrufen und mit rechtsextremen Vorstellungen verbinden. Fashwave stellt jedoch nicht die Sehnsucht nach der eigenen Jugend in den Mittelpunkt, sondern eine selbstkonstruierte Tradition voller rechtsextremer Feindbilder im Dienst der Ablehnung der Moderne. Die Musiktracks von Fashwave-Artists tragen Titel wie „Revolt against the modern world“, „Make democracy history” oder „Return of the right”. Viel–fach bleibt nur noch die grobe Ästhetik von Vaporwave erhalten, und die elektronischen Beats werden anstatt mit dem als „undeutsch” betrachteten Jazz mit nationalsozialistischen Reden, Märschen oder Wagner-Opern untermalt. Auch die Motive werden verkehrt. Während römische oder griechische Statuen in Vaporwave-Darstellungen oft bewusst mit Geschlechterbildern brechen, weil die gezeigten Statuen weder als männlich noch als weiblich zu erkennen sind, bildet Fashwave Statuen eindeutig und nach fest im rechtsextremen Weltbild verankerten Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit ab. Andere populäre Motive sind SS-Offiziere und Wehrmachtssoldaten. Teilweise finden sich auch Unterkategorien von Fashwave mit Namen wie „Cathwave“, eine Anspielung auf Kreuzritter (von „Catholic Wave”), oder „Trumpwave“, eine Glorifizierung des ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump. Im Hintergrund der Bilder finden sich rechtsextreme Symbole wie die Schwarze Sonne oder die Odal-Rune und Slogans wie „Protect your race” (Schütze deine Rasse).
Der de:hate report #02 zum Download:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/fashwave/
Mehr aus dem Report auf Belltower.News:
WEBINAR und LIVESTREAM – 07. Juli, 16 Uhr
Anlässlich des neu erschienenen de:hate-Reports #02: „Fashwave – Rechtsextremer Hass in Retro-Optik“ laden wir zum Publikumsgespräch ein. Am 7. Juli geht es nicht nur um die Frage, was Fashwave ist, an wen es sich richtet und warum es wichtig ist, rechtsextreme Online-Propaganda stärker in der Blick zu fassen. Fashwave bedient sich der Ästhetik einer antikapitalistischen Subkultur: der Synth- und Vaporwave. Deshalb geht es auch um die Frage: Wie können Subkulturen rechtsextreme Vereinnahmungen erkennen und sich dagegen wehren? Warum greifen Rechtsextreme überhaupt Subkulturen auf, die in ihrem Kern teilweise rechtsextremen Weltbildern eindeutig widersprechen?
Über diese Fragen diskutieren Veronika Kracher, Mitautorin des Reports, und Dr. Peter Schulz, Soziologe an der Universität Jena. Moderiert wird die Veranstaltung von Simone Rafael, Chefredakteurin des journalistischen Onlineformates belltower.news.
Das Webinar findet auch auf Zoom statt. Wenn ihr mit uns diskutieren wollt, bitte anmelden unter: https://us02web.zoom.us/meeting/register/tZ0qcOqtqTMqGN3zdCiajcPML_OCdeRVsbbL. Parallel dazu, wird die Veranstaltung via Livestream auf YouTube übertragen.