Global betrachtet spielte QAnon bis zum Frühjahr 2020 kaum eine Rolle. Seitdem gewinnt die Verschwörungsideologie jedoch auch außerhalb der USA immer mehr Anhänger*innen. Ein Bericht des Institute for Strategic Dialogue (ISD) zeigt, dass dies mit Kanada, Großbritannien und Australien den englischsprachigen Raum betrifft. Zwischen November 2019 und Juni 2020 folgte darauf direkt Deutschland.
Zeitgleich fand QAnon in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Italien zunehmend mehr Anhänger*innen. Auch politisch gesehen gewinnt die Verschwörungsideologie an Macht: In den USA, wo QAnon zweifelsohne die größte Resonanz findet, wurden 2020 zwei Anhänger*innen in den Kongress gewählt. Auch auf Bundesstaaten-Ebene halten nun einige QAnon-Kandidat*innen politische Ämter. In Deutschland haben bislang nur einzelne Gruppen der AfD und ihrer Jugendorganisation JA Nähe zu der Verschwörungsideologie gezeigt: So postete beispielsweise die Junge Alternative Baden-Württemberg auf Facebook unter den eindeutigen Hashtags #WWG1WGA und #qanon. Der AfD-Kreisverband Landkreis Leipzig teilte auf Facebook unter anderem ein Video des verschwörungsideologisch aktiven Sängers Xavier Naidoo und fordert in dem Post dazu auf, sich „eine eigene Meinung“ zu Adrenochrom zu bilden. Eine zentrale Verschwörungserzählung von QAnon besagt, dass eine fiktive Elite den einfach im Labor herstellbaren Stoff Adrenochrom aus dem Blut von gefolterten Kindern gewinnt.
Doch wie genau verbreitet sich die Verschwörungsideologie QAnon in Deutschland? Die verschiedenen Imageboards, auf denen Qs Beiträge, die sogenannten „Q Drops“, gepostet werden, sind für die breite Öffentlichkeit nur schwer navigierbar. Die Inhalte der einzelnen Posts werden jedoch auch auf einfacher verständlichen Websites reproduziert und so für mehr Menschen zugänglich gemacht – diese Websites schaffen eine kritische Infrastruktur, um aus dem einstigen Nischenphänomen QAnon eine massentaugliche Verschwörungsideologie zu machen. Zusätzlich gibt es eine Reihe von „QAnon-Influencer*innen“, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, „Q Drops“ zu analysieren, ähnlich wie Theolog*innen die Bibel analysieren, da viele der Originalposts bewusst vage gehalten sind. Der dadurch entstehende Interpretationsspielraum sorgt auch dafür, dass die Inhalte schlechter widerlegbar sind. Und während die Analyse einzelner Posts ein zentraler Bestandteil der Verschwörungsideologie für alle ihre Anhänger*innen ist, schaffen die Interpretationen einzelner Influencer einen niedrigschwelligen Zugang dazu.
Dark Social-Plattformen wie Telegram bieten den perfekten Rahmen, um zu QAnon gehörende Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Lange konnten QAnon-Inhalte jedoch auch auf den gängigen Social Media-Plattformen geteilt werden – sowohl von Individuen als auch von Gruppen und Kanälen mit teils eindeutig zuordenbaren Namen. Je nach Zielgruppe des jeweiligen Netzwerks bildeten sich so Unterkategorien von QAnon: Auf Instagram entstand so beispielsweise eine Bewegung, die vom Rolling Stone als „QAmom“ und von dem QAnon-Experten Marc-André Argentino als „Pastel Q“ bezeichnet wurde. Mit sanfterer Sprache und in Pastelltönen wurde hier – oft von Frauen – die Verschwörungsideologie verbreitet.
Dabei wurde häufig das Hashtag „#savethechildren“verwendet – denn besonders der Aspekt von QAnon, der sich auf den vorgeblichen Missbrauch von Kindern durch die „Kabale“ bezieht, fand hier Anklang. Auf Facebook und Telegram wurden QAnon-Gruppen zu einem Sammelbecken verschiedener Verschwörungserzählungen, die sich in die QAnon-Fiktion eingliedern ließen. Diese Anschlussfähigkeit sorgte wohl auch dafür, dass QAnon an Beliebtheit gewann. Auf Facebook generiert der Algorithmus der Plattform außer-dem basierend auf den „Interessen“ der Nutzer und ihrer Bekannten Vorschläge für Gruppen und Seiten. Wer sich bereits für Verschwörungserzählungen interessiert und vielleicht einer entsprechenden Gruppe zugehört, bekommt dementsprechend ähnliche Gruppen vorgeschlagen.
Deplatforming als Gegenstrategie
Lange konnte sich die Verschwörungsideologie fast ungebremst auf den Social Media-Plattformen ausbreiten. Erst im Sommer 2020 begannen Twitter, Facebook und die Facebook-Tochter Instagram in einer Deplatforming-Welle, gegen QAnon vorzugehen und ihre Nutzerregeln dementsprechend anzupassen. Im Juli und August legten Twitter, Facebook und die Facebook-Tochter Instagram nach. Schließlich verkündete Facebook im Oktober, sämtliche QAnon-Inhalte verhindern und löschen zu wollen. 1.700 Facebook-Seiten, 5.600 Gruppen und etwa 18.700 Instagram-Accounts wurden im Zuge dessen gelöscht.7 Kurz darauf zog schließlich auch YouTube nach. Die Videoplattform nannte spezifisch „reale Gewalt“, die durch solche Verschwörungsideologien ausgelöst würde, als Grund dafür. In der Folge wurden viele der großen QAnon-Kanäle gelöscht, darunter auch der Kanal von Oliver Janich.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem de:hate report #1: QAnon in Deutschland.
Weitere Texte aus dem Report auf Belltower.News:
- Wie Donald Trump zum Heilsbringer von Verschwörungsideolog*innen wurde – QAnons Anfänge
- COVID-19 macht ein Nischenphänomen massentauglich – die Verbreitung von QAnon
- Verbreitung von QAnon in Deutschland – analog zur Pandemie
- Von einem toten Mafia-Boss und Kindesentführungen: Das Gewaltpotenzial von QAnon in den USA
- QAnon, Verschwörungsideologien und Antisemitismus
- Wie sich QAnon-Anhänger*innen und „Reichsbürger*innen“ vermischen
- Down the Rabbit Hole – Radikalisierung in Zeiten von COVID-19
- Erkenntnisse aus dem Monitoring – Thesen und Prognosen zu QAnon
- Handlungsempfehlungen
Der de:hate report zum Download als PDF.