Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

dehate-report „QAnon in Deutschland“ Down the Rabbit Hole – Radikalisierung in Zeiten von COVID-19

Ein Mann beschädigt einen Mobilfunk-Mast, weil er an Verschwörungserzählungen glaubt. Das ist teuer. (Quelle: Screenshot)

Die Zahlen belegen klar, dass während der COVID-19-Krise viele Menschen Verschwörungserzählungen verfallen sind. Das Befürworten von QAnon ist, wie die Fälle von Gewalt in den USA zeigen, dabei besonders gefährlich: Für ihre Anhänger*innen ist die Verschwörungsideologie kein Hobby, keine lustige Schnitzeljagd im Internet, sondern eine allumfassende Weltanschauung, die keine Gegenargumente zulässt, sich in den Echokammern der Sozialen Medien nur weiter verstärkt und schließlich zu gewaltsamen Verbrechen führen kann. Verschwörungsmythen können ihre Anhänger*innen den Kontakt zur Realität verlieren lassen. Anschaulich sieht man dies am Fall von Marco L., der hier als Fallbeispiel für viele andere mehr oder minder prominente Menschen dient. L. radikalisierte sich so weit, dass er sein Gesicht filmte, während er eine offensichtliche Straftat beging – so sehr im Recht fühlte er sich dabei. Damit war und ist er kein Einzelfall, sondern ein Beispiel für eine veritable Gefahr in unserer heutigen Gesellschaft.

Im April 2020 wird in mehreren deutschen QAnon-Telegram-Gruppen ein Video geteilt: Darin zu sehen ist ein junger Mann mit einer blutenden Wunde auf der Stirn. Mit einer Ast-Schere durchtrennt er die Leitungen eines Mobilfunkmasts und schaut danach ernst in die Kamera: „Ich erwarte von euch, dass ihr auch rausgeht und diese Scheiße vernichtet“, sagt er. „Ich werde mir gleich den nächsten suchen und da auch abknipsen.“ Der Mann im Video ist Marco L. – und er ist nicht der einzige, der Funkmasten zerstört und andere dazu aufruft, es ihm gleichzutun. Verschiedene Verschwörungserzählungen rund um den Mobilfunkstandard 5G motivieren ihre Anhänger*innen besonders während der COVID-19-Pandemie weltweit zu dieser Form des Vandalismus.

Das besagte Video postet Marco L. selbst auf Facebook, ungeachtet der rechtlichen Konsequenzen. Wenig später durchsucht die Polizei seine Wohnung. Den Beamten gegenüber soll er angekündigt haben, dass er weitere Masten zerstören wolle, da diese „seine Gesundheit gefährden“ würden. Für kurze Zeit befindet er sich in einer sozialpsychiatrischen Einrichtung. Später prahlt er auf Facebook mit der Tat und der Strafzahlung in Höhe von – laut seiner Aussage – 30.000 Euro. Er fordert er seine Facebook-Follower immer wieder dazu auf, selbst gegen 5G vorzugehen.

Scrollt man durch Marco L.s Timeline, zeigt sich: Er scheint sich während der COVID-19-Pandemie radikalisiert zu haben. Bis Februar 2020 postet er nur selten auf Facebook. Stattdessen sieht man die üblichen Geburtstagsgrüße anderer. Wenn er selbst Inhalte erstellt, dann sind es Selfies mit nacktem Oberkörper oder lustig gemeinte misogyne Sprüche zu Sport und Frauen.

Dann ändert sich etwas. Erst beginnt er, Dinge zu posten, die darauf hindeuten, dass es ihm psychisch nicht gut geht. Dabei geht es um Isolation, Depressionen und darum, nicht von anderen Menschen angenommen zu werden. Ende Februar folgt der erste „regierungskritische“ Post.

Mitte März beginnt L., vermehrt verschwörungsideologische Narrative zu verbreiten – fast zeitgleich mit dem Beginn der Kontaktbeschränkungen, die die Bundesregierung am 2. März erlässt. Ab diesem Zeitpunkt postet er oft mehrere Dinge pro Tag – darunter schon früh Verschwörungsmythen zu 5G und Chemtrails, aber auch offen anti-migrantische und rassistische Inhalte. Am 19. März schreibt er in einem Post, der sich auf die Maßnahmen gegen die Pandemie bezieht, „ich habe es immer geschafft mir keine Angst machen zu lassen und damit sehr gut durchs Leben zu kommen. Doch jetzt habe ich Angst! […] Ich habe keine Angst vor dem COVID-19-Virus, ich habe Angst davor was die Staatsmächte daraus machen.“

Marco L.s Profil zeigt unverkennbar, dass er ein Anhänger von QAnon geworden ist. Bereits am 24. März setzt er dazu den ersten eindeutigen Post ab – einen selbst geschriebenen Text über die COVID-19-Beschränkungen, Donald Trump und den Deep State. Sein Profil verdeutlicht: Das Weltbild, das QAnon zeichnet, ist besonders anschlussfähig, weil es offen ist für eine Reihe von teilweise Jahrhunderte alten Verschwörungsmythen. Es ist ein Puzzle aus Versatzstücken realer Verbrechen wie den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, bereits bestehenden Verschwörungsnarrativen und dem neueren fiktiven Aspekt von Donald Trump als Heilsbringer.

In den Wochen vor seinem Angriff auf den Telefonmast wird online deutlich, dass sich L. zunehmend radikalisiert. Er teilt nicht nur immer wieder Videos populärer QAnon-Gruppen, er produziert auch selbst Videos mit verschwörungsideologischen Inhalten, die wiederum in der Community geteilt werden. Außerdem teilt er wiederholt die Quellen seiner Radikalisierung, darunter auf YouTube verfügbare vermeintliche „Dokumentationen“, auf die sich viele QAnon-Anhänger*innen beziehen. Etliche davon können als Standardwerke der Radikalisierung innerhalb dieser Verschwörungsideologie verstanden werden.

Was zusätzlich auffällt: Auf Facebook „gefallen“ ihm auch einige Seiten, die Bezüge zur Reichsbürger*innen-Szene vermuten lassen – darunter Gruppen, die sich mit „Defender 2020“ befassen. Die zunehmende Frequenz seiner Posts, aber auch die Intensität seiner Aussagen sprechen für L.s Radikalisierung. So verkündet er am 2. April: „Für die, die denken ich mache Spaß mit dem was ich sage Ich möchte mit euch nichts mehr zutun haben wenn alles vorbei ist [sic]!“ Darunter bekommt er viel Zuspruch. Kaum einer von L.s Facebook-Freund*innen widerspricht seinen kruden Theorien. In der verschwörungsideologischen Szene findet er Beifall: Sein Video der Beschädigung des Mobilfunkmasts wird von QAnon-Anhänger*innen auf Telegram und Facebook geteilt. Unter einem fremden Beitrag, der sich auf den Angriff bezieht, gesteht Marco L. die Tat und teilt bereitwillig einen Zeitungsausschnitt dazu.

Auch in den Wochen nach der Tat ist L. sehr aktiv in den Sozialen Medien. Am 6. Mai lockert die deutsche Bundesregierung die COVID-19-Maß-nahmen weitestgehend. Elf Tage später setzt L. noch einmal ganze 22 Posts an einem Tag ab – darin äußerer sich unter anderem zu verschiedenen Verschwörungsmythen, teilt Selfies und eigene Fotos aus der Natur. Danach wird es drei Monate lang ruhiger um ihn. Selbst Posts anderer Verschwörungsanhänger*innen auf seiner Pinnwand schenkt er wenig Beachtung. Am 20. August beginnt er erneut verschwörungsideologische Inhalte zu teilen. Nun postet er wieder gelegentlich über 20 Beiträge mit primär verschwörungsideologischen Inhalten pro Tag.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem de:hate report #1: QAnon in Deutschland.

Weitere Texte aus dem Report auf Belltower.News:

Der de:hate report zum Download als PDF:

https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/11/01-dehate-report-QAnon.pdf

 

Weiterlesen

Rabbi Yisroel Goldstein

Rechtsterrorismus und Antisemitismus 8chan-Terror in Poway

In einer Synagoge wurde eine Frau bei einem Terrorangriff getötet, drei weitere Personen wurden verletzt, darunter ein 8-jähriges Mädchen. Der Täter kündigte seinen Plan auf 8chan an, genauso wie der Terrorist, der im neuseeländischen Christchurch 50 Menschen ermordete.

Von|
Auf Eis gelegt: Die „Ben & Jerry’s“-Fabrik im südisraelischen Beer Tuvia darf ab Dezember 2022 kein Eis für das Unternehmen mehr produzieren.

#ShameOnBenAndJerrys Kampagne gegen den Israel-Boykott

Das Eisunternehmen kündigt an, keine Produkte mehr in der Westbank und Ostjerusalem zu verkaufen. Doch ursprünglich wollte „Ben & Jerry’s“ ganz Israel boykottieren – bis der Mutterkonzern Unilever eingriff. Das kritisiert eine Online-Kampagne.

Von|
Eine Plattform der