Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

„Demo für Alle“ gegen alles „Andere“ Frauen in Führungsrollen

Von|
Gegendemonstrant_innen mischen sich unter die "Demo für alle" im November 2014 in Hannover. (Quelle: flickr / Creative Commons / Michaela Mügge)

Anfang 2014 demonstrierten in Stuttgart unter dem Motto „Demo für Alle“ wöchentlich christliche Fundamentalist_innen, Antifeminist_innen, Männerrechtler_innen gemeinsam mit Neurechten. Ende März wurden die in 2014 bereits sehr präsenten Demonstrationen gegen den Bildungsplan 2015 und den „Aktionsplan für Akzeptanz und gleiche Rechte“ der baden-württembergischen Landesregierung für dieses Jahr fortgesetzt. Es sind vor allem Frauen, die in der Organisation an erster Stelle stehen. Beatrix von Storch, AfD-Europaabgeordnete und „Lebensschützerin“ organisiert die Demonstrationen zusammen mit der christlich-fundamentalistischen Hedwig Freifrau von Beverfoerde. Birgit Kelle, rechts-konservative Publizistin, ist als Hauptrednerin geladen. Ein relativ kleines, aber gut verflochtenes Netzwerk aus sehr aktiven Einzelpersonen erhält mit diesen Themensetzungen erstaunlich breite Aufmerksamkeit. Sie nutzen diese, um einen rechtskonservativen Backlash in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Aktuelle Wahlerfolge rechtskonservativer Kleinparteien deuten auf einen Rechtsruck innerhalb der Gesellschaft. Die Alternative für Deutschland (AfD) steht nicht nur für antieuropäische, nationale und oft fremdenfeindliche Politik, sondern auch für einen antifeministischen Kurs. Dieser spaltet sich in zwei Gruppen: Der „moderne“ Antifeminismus der Männerrechtler_innen, die ihre Rechte an Familie und Kind fordern und der „traditionelle“ Antifeminismus von familialistischen Gruppierungen, die Mütterlichkeit als naturgegebene und einzige Form „guter“ Kindeserziehung sehen. Die Ideologie des Familialismus entstand Ende des 18. Jahrhunderts als Gegenbewegung zu einem aufgeklärten emanzipierten Eherecht und sieht heute die Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, als einzig richtige Institution an.Beide Gruppen eint ein Feindbild: Sie demonstrieren auf der „Demo für Alle“ gemeinsam gegen die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und gleiche Rechte.

„Traditionelle“ Familie vs. alles andere

Die Ablehnung von Gender-Mainstreaming, Geschlechtergerechtigkeit, gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und sexueller Vielfalt gehören zu den Grundsäulen rechtskonservativer Politik. Sie fordern den Erhalt der „traditionellen Familie“ und ein Leben im Sinne eines patriarchalen Weltbildes, in dem Frauen sich in ihrer Mutterrolle einfinden sollen. Andere Lebensmodelle, in denen Frauen beispielsweise arbeiten, Führungspositionen einnehmen, während der Ehemann die Familienarbeit übernimmt, oder auch gleichberechtigte Modelle beider Partner_innen werden abgelehnt.

Schwangerschaftsabbrüche und die „Pille danach“ werden unter dem Neologismus „Babycaust“ mit dem Holocaust assoziiert. Neben den inhaltlichen Konsequenzen für die betreffenden Frauen werden hier, -„ganz nebenbei“-, nationalsozialistische Verbrechen relativiert.

„Lebensschützer_innen“ gegen „Gender“, den „Volkstod“ im Blick

Anschluss an konservative Parteien wie die CDU/CSU finden nicht nur Positionen gegen gleiche Rechte von nicht-heterosexuellen Menschen oder das Verbot der rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“. Auch Gruppierungen innerhalb der CDU, wie die „Christdemokraten für das Leben“, halten derartige Vergleiche für angemessen und beteiligen sich mit den anderen „Lebensschützer_innen“ an sogenannten Gehsteigsberatungen, bei denen Frauen vor Beratungsstellen oder Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche eingeschüchtert werden. Auch in Programmen rechtsextremer Parteien wie der NPD sind biologistische Rollenbilder von Männern und Frauen, die Ablehnung von sexueller Vielfalt und die traditionelle Familie und Ehe wieder zu finden. Der Mythos des „Volkstods“, – dem angeblichen „Aussterben des deutschen Volkes“ – wird in rechtsextremen Parteien genauso wie in der AfD vertreten. Frauke Petry, AfD-Landtagsabgeordnete aus Sachsen erklärte: „Die deutsche Politik hat eine Eigenverantwortung, das Überleben des eigenen Volkes, der eigenen Nation sicherzustellen“. Wünschenswert sei daher, dass eine „normale deutsche Familie“ drei Kinder habe, bekräftigte Petry die Position ihrer Partei.

Einer Mitgliederbefragung zum europapolitischen Programm der AfD zufolge sind diese Themen in der Programmatik der Partei fest verankert und konservativ besetzt. So lehnen 82,2% der Mitglieder Gendermainstreaming ab, zwei Drittel der Befragten fanden diese Frage „sehr wichtig“. Die Frauen-Quote wurde durch 93,4% abgelehnt, wovon 50% der Befürworter_innen diese Frage als „sehr wichtig“ einstuften.

Demonstrationen als Familienevents

Auch am 21. März 2015 – der ersten Demo unter oben genannten Motto in diesem Jahr – nehmen wieder rund 1.500 Menschen teil. Zusammen mit ihren Kindern, rosa und hellblauen Luftballons, und T-Shirts, die mit einer fröhlichen Vater-Mutter-Kind Familie bedruckt sind, ziehen sie durch Stuttgarts Straßen. Auf ihren Schildern: „Keine rot-grüne Frühsexualisierung von unseren Kindern“ und „Vater, Mutter, Kind – Familie voran!“. Für Unterhaltung ist nach eigenen Angaben gesorgt, es gibt Musik und Würstchen.

Die Idee der Protestform – Protest als Familienevent – kommt, wie die Namensgebung der „Demos für alle“, aus Frankreich. Im Januar 2013 hatten dort unter dem Namen „La Manif Pour Tous“ tausende Konservative gegen einen Gesetzentwurf, der die Ehe und das Recht auf Adoption für gleichgeschlechtliche Paare ermöglichen soll, demonstriert. Geprägt von christlich- fundamentalistischen bis extrem rechten Organisationen und Verantwortlichen konnte die Demo zwischen 300.000 (laut Polizei) und etwa 800.000 (laut Veranstalter_innen) Menschen mobilisieren, gegen Geschlechtergerechtigkeit auf die Straßen zu gehen.

Ganz nach französischem Vorbild sammeln sich seit Anfang 2014 auch in Deutschland Organisationen rund um christlich-konservative bis rechte Aktivist_innen mit gemeinsamen Zielen: Feminismus und pluralistische Lebensmodelle bekämpfen.

Anlass bieten der baden-württembergische Bildungsplan 2015 und der „Aktionsplan für Akzeptanz und gleiche Rechte“ der Landesregierung, die von den selbsternannten Retter_innen der Familie kritisiert werden. Die Programme der Landesregierung sehen vor, Kinder und Jugendliche altersgerecht über das Thema Sexualität aufzuklären: Sie sollen befähigt werden, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, umfassende Kenntnis über verschiedene Lebensweisen zu haben und nicht zuletzt Grenzüberschreitungen wie sexuellen Missbrauch zu erkennen und sich dagegen positionieren zu können. Die Gegen-“Argumente“ der Demonstrant_innen werden teils aus der Bibel, teils aus dem Grundgesetz, auf Basis eines „natürlichen Rechts der Eltern auf Erziehung“ abgeleitet.

Passend zum rechten Frauenbild: Familien-Themen sind Frauensache

Offizielle Demo-Organisatorin und Verantwortliche für den Blogauftritt des Bündnisses „Demo für Alle“ ist die Frontfrau der „Initiative Familienschutz“, Hedwig Freifrau von Beverfoerde. Als CDU-Mitglied scheint es sie nicht zu stören, dass die Demo von der Europaabgeordneten der AfD Beatrix von Storch geleitet wird. Sie steht u.a. für das familialistisch-antifeministische und AfD-nahe Kampagnennetzwerk „Zivile Koalition e.V.“. Die Postadressen von „Initiative Familienschutz“, „ZivileKoalition e.V.“, „Demo für Alle“ und Beatrix von Storch sind identisch.

Mit Beatrix von Storch ist Anfang 2014 für die AfD eine explizite „Lebensschützerin“ ins europäische Parlament eingezogen. Die Vorsitzende der Zivilen Koalition startete die Kampagne „Einer von uns“ (One of us) und war Lobbyistin für „Lebensschutz“ auf europäischer Ebene. Für sie ist die heterosexuelle Ehe mit Kindern das einzige erstrebenswerte Lebensmodell. Ihre biologistische Sicht und die Norm der Zweigeschlechtlichkeit sind das Leitbild ihrer Arbeit und stehen für das Gesellschaftsmodell, für das sie Politik macht.

Vielen „Lebensschützer_innen“ ist die CDU zu „unchristlich“ geworden. Sie sehen in der AfD eine Möglichkeit, sich parteipolitisch zu engagieren, ohne in einer rechts-fundamentalistischen Splitterpartei, wie der Partei Bibeltreuer Christen (PBC) oder der Partei für Arbeit, Umwelt und Familie (AUF), aktiv zu werden.

Die europäische Bürgerinitiative „One of us“ (Petitionsinstrument des Europäischen Parlaments), deren Zeichnungsfrist im November 2013  ablief, brachte weit mehr als die erforderliche eine Million Unterschriften ein. Gerade in katholisch geprägten Ländern, wie Italien, Polen und Spanien war sie extrem erfolgreich, aber auch in Deutschland wurden mit der Kampagne über 130.000 Unterschriften gesammelt.

Verantwortlich für die deutschlandweite Kampagne war Hedwig von Beverfoerde, die wegen ihres Engagements im Dezember 2013 vom evangelikalen Nachrichtenportal „idea“ zur „politischen Christin des Jahres“ ernannt wurde.

Von Beverfoerde war allerdings auch schon weit vor der Gründung der „Zivilen Koalition“ Anfang der 2000er Jahre familialistisch aktiv. So war sie neben der erfolgreichen Verhinderung des KiTa-Ausbaus in Sachsen-Anhalt auch zum Thema Betreuungsgeld sehr engagiert. Sie gründete 2012 die Online-Kampagne „Ja zum Betreuungsgeld“ und organisierte dazu Politiker_innenumfragen auf abgeordnetencheck.de. Frauen sollten ihren Aufgaben als Mutter nachkommen und Familien daher vom Staat durch finanzielle Mittel unterstützt werden. Laut Impressum ist Beverfoerde Mitglied im Beirat des Online-Umfrageportals und Sven von Storch Verantwortlicher für den Online-Auftritt.

Am 21. März sprach als Hauptrednerin Birgit Kelle, Autorin des Buches „Dann mach doch die Bluse zu“ (2013) und „GenderGaga“ (2015). Sie sorgt sich um das traditionell-bürgerliche Familienideal. So beschreibt sie etwa Angst, dass Frauen nicht mehr nur Mütter sein dürfen, wenn sie das wollen, und spricht sich gegen die Vermittlung sexueller Vielfalt im Schulunterricht aus. Dabei lässt sie offen, warum sie das als so bedrohlich empfindet – so können sie die Demonstrations-Teilnehmer_innen ihre eigenen Ressentiments einsetzen.

Offene Kontakte in neurechte Kreise

Kelle argumentiert sie entsprechend des biologistischen, traditionellen Geschlechter-Rollenbilds der Neuen Rechten und der konservativen Christen. So wird ihr Buch auch gern auf dem neurechten Internetportal „Junge Freiheit“ beworben. Vom neurechten Magazin „Sezession“ lässt sie sich lang interviewen. Texte von Kelle erscheinen bei der „Freien Welt“ von Beatrix von Storch, auf dem weiteren neurechten Internetblog „Eigentümlich frei“,  in der neurechten Scharnierpublikation „Junge Freiheit“ und auf dem verschwörungstheoretisch-islamfeindlichen „Nachrichten“-Portal „Kopp Online“. Diese Organisationen werden nicht umsonst als „Türöffner nach rechts“ bezeichnet. Auf deren Internetauftritten ist ersichtlich, das eine rassistische, antisemitische Ideologie dahinter steckt, die von einer Ungleichwertigkeit von Menschen ausgeht. Auf der anderen Seite wirbt und organisiert sie zusammen mit christlichen Organisationen für z.B. „Märsche für das Leben“. 

Neben Kelle waren, wie zu den letzten Demonstrationen auch, weitere Vertreter_innen unterstützender Organisationen auf dem Schillerplatz in Stuttgart. Darunter Ilya Limberger – russisch orthodoxer Erzbischof, Christoph Scharnweber – EAK der CDU Heilbronn, Vertreter_innen der AfD, die Antifeministinnen und extrem homophoben Rednerinnen Gabriele Kuby und Christa Meves, Eckhard Kuhla – Agens e.V. und viele weitere aus diesem Spektrum.

Am 21. Juni sind die „Besorgten Eltern“ wieder in Stuttgart

Am 21. Juni rufen die Organisator_innen erneut auf gegen den Bildungs- und Aktionsplan in Stuttgart auf die Straße zu gehen. Wie auch in Dresden oder Leipzig, bei deren Demos gegen Geflüchtete gehetzt wird, ist hier der „Bildungsplan 2015“ nur Aufhänger für einen Schulterschluss mit dem rechten Lager. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist wieder einmal mehr gesellschaftlich anschluss- und salonfähig geworden. Rechtspopulistische Parteien ziehen im Hintergrund die Fäden, während die angeblichen „ganz normalen Bürger_innen aus der Mitte“ einen Rechtsruck der Gesellschaft planen – In Form einer Demo, gegen alles Andere.

Zum Weiterlesen:

Andreas Kemper (2014): Militante Feministin Gottes (taz)Andreas Kemper (2014): Keimzelle der Nation? – Familien- und geschlechterpolitische Positionen der AfD – eine Expertise (FES, pdf) APO von christlich-rechts? Audio-Beitrag von BR-Online (19.02.2015)Johannes Riedlberger (2015): Besorgte Eltern – Wer sie sind und was wie wollen (ngn)Nadjana Panto: „Marsch für das Leben“: Nationalismus in christlichem Gewand (ngn

Schwerpunkt:

Weiterlesen

aufmacher_rex-eltern

Was tun, wenn rechtsextreme Eltern in Schule, Kita oder Verein agitieren?

Warum engagieren sich rechtsextreme Eltern so gern in Schulen, Kitas und Vereinen? Warum ist das bedenklich? Was können demokratische Eltern, Erzieher, Lehrer, Vereinsmitglieder tun, wenn das passiert? Und wie mit den Kindern umgehen? Experten antworten.

Warum sind rechtsextreme Eltern so engagiert?

Von|
razzia1-mut

Braune Strukturen Lichter aus an der Spree

Nach einer groß angelegten Razzia im Süden Brandenburgs wurde die rechtsextreme „Widerstandsbewegung Südbrandenburg“ verboten. Das bedeutete endlich auch das Aus…

Von|
Eine Plattform der