Die Parteitage, die Arbeit der AfD-Parlamentarier*innen in den Ländern und Äußerungen der Parteiführung zeigen, dass die AfD eben genau das nicht ist, was sie im Namen trägt: eine Alternative. Die Geschichte der Partei ist eine Geschichte der Radikalisierung. Das völkische, nationalistische, rassistische und teilweise antisemitische Gedankengut, das spätestens seit dem Einzug der Partei in den Bundestag auch in den politischen Mainstream-Diskurs der Republik Einzug gehalten hat, ist dabei von Anfang an Teil des ideologischen Unterbaus der Partei. Die AfD ist der parlamentarische Arm der sogenannten „Neuen“ Rechten und damit Teil eines entsprechenden Milieus, zu dem sehr unterschiedliche Akteure gehören: zum Beispiel die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ oder das rechtsextreme Netzwerk „Ein Prozent“, aber auch Protestgruppen wie „PEGIDA“ oder „Zukunft Heimat“. Zur Strategie dieser Gruppen und damit auch der AfD gehört es, die Grenzen des Sagbaren permanent zu verschieben. Das führt nicht nur zur Verrohung des Tons in den Parlamenten, den Kommentarspalten und im politischen Diskurs, sondern auch zu einer verschärften Bedrohungssituation von PoC, LSBTIQ* und Jüd*innen.
Radikale Professoren
Im Februar 2013 wird die AfD von Bernd Lucke und 17 weiteren Männern im hessischen Oberursel gegründet. Anfangs gilt sie den Medien als „Professorenpartei“. Lucke ist in dieser Zeit ein gern gesehener Gast in Talkshows. Dort beschwert sich der Wirtschaftsprofessor immer wieder öffentlich über den Umgang der Bundesregierung mit der griechischen Finanzkrise und den Euro. Gleichzeitig spricht er von den „verbrauchten Altparteien“ und warnt vor Migrant*innen, die angeblich einen „sozialen Bodensatz“ bildeten. Migration ist damals zwar noch ein Randthema für die AfD, trifft aber offenbar den Nerv der potenziellen Anhängerschaft. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln belegt, dass AfD-Wähler*innen bereits zu Beginn der Parteigeschichte radikalere Ansichten vertraten als der Rest der Bevölkerung.1 So lehnten schon Ende 2013 gut 70 Prozent der AfD-Wähler*innen die Aufnahme von Menschen auf der Flucht ab. Rassismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sind keine neuen Entwicklungen, sondern gehören zur DNA der Partei.
Von den 18 Gründern sind heute nur noch vier in der Partei. Der Euro und die Folgen der Finanzkrise waren schnell kein Thema mehr. Teile der Partei erkannten, dass die eigenen Wähler*innen zwar den Euro und die EU ablehnen, aber Rassismus und Abwertung von Minderheiten noch mehr Menschen in Deutschland ansprechen. Spätestens zum einjährigen Geburtstag der selbst ernannten Alternative wurde die Partei, von den Medien häufig als „Anti-Euro-Protestpartei“ tituliert, zum Sammelbecken verschiedenster rechter bis rechtsextremer Strömungen.
Holger Arppe, damals Landessprecher der AfD in Mecklenburg-Vorpommern, wurde zu diesem Zeitpunkt wegen Volksverhetzung angezeigt, weil er jahrelang im Kommentarbereich des islamfeindlichen Blogs „PI-News“ zu Gewalt gegen Muslim*innen aufgerufen hatte. Im Duisburger Stadtrat hatten AfD-Abgeordnete eine NPD-Kandidatin unterstützt, und Jan-Ulrich Weiß aus der AfD in Brandenburg wurde wegen Volksverhetzung angezeigt, nachdem er eine antisemitische Karikatur auf Facebook veröffentlicht hatte. Lucke sprach in einem Interview mit der BILD-Zeitung über „relativ viele Einzelfälle“ und versuchte, den nationalkonservativen Flügel der Partei zu isolieren, der sich damals um Frauke Petry sammelte. Doch Petry wurde 2015 auf dem Parteitag der AfD in Essen zur neuen Parteisprecherin gewählt. Am selben Abend gab Lucke seinen Austritt bekannt.
Mit Empörung in die Schlagzeilen
Im Jahr 2015 erreichten fast 890.000 Menschen, die Schutz vor dem syrischen Bürgerkrieg suchten, die Bundesrepublik Deutschland. Die AfD nutzte die damit einhergehenden Herausforderungen zielgerichtet aus. Euro- und Griechenland-Krise waren vergessen, und die Partei stürzte sich auf ihr neues Schwerpunktthema, mit dem sie im rechten Milieu punkten konnte: Geflüchtete. Nach Luckes Austritt im Sommer 2015 fiel die AfD in Umfragen auf unter drei Prozent. Doch die Radikalisierung der Partei brachte auch Stimmen vom rechten Rand. Im Herbst kam die AfD mit rassistischer Stimmungsmache bereits wieder auf sieben Prozent. Ein Wendepunkt war dabei auch die Silvesternacht 2015/16 in Köln. Damals kam es auf der Domplatte zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen, mutmaßlich durch Migranten. Die juristische Aufarbeitung der Vorfälle lief und läuft bis heute schleppend. Hintergründe und Details der Taten blieben weitgehend ungeklärt. Rechtspopulist*innen und Rechtsradikale nutzten die Situation, um das Bild des angeblich zu „sexuellen Übergriffen neigenden“ Geflüchteten als Gefahr für „deutsche“ Frauen zu verbreiten und politisch zu verwerten. Außerdem waren die Ereignisse Anlass zu einem Rundumschlag gegen die sogenannten etablierten Parteien. Lieblingsziele waren dabei vor allem die CDU und ihre Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel. So fragte Frauke Petry via Facebook: „Ist Ihnen nach der Welle an Straftaten und sexuellen Übergriffen Deutschland nun ‚weltoffen und bunt‘ genug, Frau Merkel?“ Björn Höcke schlug in die gleiche Kerbe: „Merkel ist schuld an Attacken des Einwanderer-Mobs auf Frauen in Köln und anderen deutschen Städten.“
Ein Paradebeispiel für die Empörungsstrategie im Zusammenhang mit geflüchteten Menschen – und gleichzeitig für moralische Entgrenzung – lieferten Marcus Pretzell, damals Europaabgeordneter der AfD und Landesvorsitzender der Partei in Nordrhein-Westfalen, Frauke Petry und die damalige Europa-Abgeordnete Beatrix von Storch im Januar 2016. Zuerst sprach Pretzell auf einer Parteiveranstaltung und später gegenüber der Deutschen Presse-Agentur davon, dass „die Verteidigung der deutschen Grenze mit Waffengewalt als Ultima Ratio […] eine Selbstverständlichkeit“ sei. Petry nahm diese Aussage auf und antwortete im Interview mit dem Mannheimer Morgen auf die Frage, wie ein Grenzpolizist reagieren solle, wenn er einen „illegalen“ Grenzübertritt bemerke, mit den Worten: „Er muss den illegalen Grenzübertritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz.“ Unmittelbar danach antwortete Beatrix von Storch auf die Frage eines Nutzers auf ihrer Facebook-Seite, ob auch auf Frauen und Kinder geschossen werden solle, lakonisch mit: „Ja“. Frauke Petry behauptete danach, sie hätte den Satz so nicht gesagt.
Später gelangte eine E-Mail von Petry an die Öffentlichkeit, die die Strategie dahinter zeigt: „Um sich medial Gehör zu verschaffen, sind daher pointierte, teilweise provokante Aussagen unerlässlich. Sie erst räumen uns die notwendige Aufmerksamkeit und das mediale Zeitfenster ein, um uns in Folge sachkundig und ausführlicher darzustellen.“
Die Strategie ging auf: 2016 wurde in vier Bundesländern und in Berlin gewählt, überall erhielt die AfD zweistellige Ergebnisse. Besonders erfolgreich war sie in Sachsen-Anhalt (24,3 %) und Mecklenburg-Vorpommern (20,8 %), in beiden Ländern wurde sie zur zweitstärksten Kraft. Diese Erfolge stärkten die Gesamtpartei, vor allem aber die ostdeutschen Landesverbände, die Beobachter*innen zufolge als besonders radikal gelten.
Rassismus und Antisemitismus in den Parlamenten und auf der Straße
In Baden-Württemberg wurden 2016 die eigentlich schon lange öffentlichen und auch Parteifreund*innen bekannten antisemitischen Thesen des AfD-Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon publik. Sein Ausschluss aus Landtagsfraktion oder Partei scheiterte. Gedeon trat schließlich freiwillig aus der Fraktion aus, blieb aber weiterhin Parteimitglied. Politikwissenschaftler Hajo Funke bezeichnete diesen Vorgang als „Show“, da Gedeon weiter mit der Fraktion zusammenarbeitete. Solche „Shows“ gehören zur Strategie der Partei. Immer wieder kommt es zu Parteiausschlussverfahren für besonders radikal auftretende Mitglieder. Von Erfolg gekrönt sind dabei die wenigsten, die meisten verlaufen im Sande. Dass diese Verfahren existieren, ist für die Partei aber bereits das Feigenblatt, das beweisen soll, dass man gegen die Radikalen in den eigenen Reihen vorgeht.
Währenddessen geriet Frauke Petry immer stärker unter Druck. Der Bundesparteitag im April 2017 in Köln ähnelte schließlich dem Essener Parteitag 2015. Wie damals Bernd Lucke wurde nun Petry entmachtet. Petry wollte die Partei perspektivisch regierungsfähig machen. Doch die Delegierten entschieden, dass die AfD Fundamentalopposition betreiben solle. Alexander Gauland und Alice Weidel wurden Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahl im September 2017. Die Partei erhielt 12,6 % der Zweitstimmen und zog mit 94 Abgeordneten in den Bundestag ein. Am Tag nach der Wahl erklärte Petry, fortan als parteilose Abgeordnete ihr Amt wahrzunehmen. Wenige Tage später verkündete sie ihren Austritt aus der AfD.
Die menschenverachtenden Provokationen der Rechtsradikalen außerhalb und innerhalb der Parlamente fielen auf fruchtbaren Boden. Und die Umfragewerte der Partei stiegen weiter – egal, ob Gauland „Hitler und die Nazis“ und damit auch den Holocaust als „Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ bezeichnete oder der amtierende Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Stephan Brandner, den Künstler*innen des „Zentrums für politische Schönheit“ auf Twitter mit einer Machete drohte.
Zum vorläufigen Höhepunkt dieser Radikalisierung gerieten die bundesweit beachteten Ausschreitungen in Chemnitz. Auslöser war der gewaltsame Tod von Daniel H., der von den mutmaßlichen Tätern Farhad A. und Alaa S. am 25. August 2018 niedergestochen wurde.
Die Straftat löste einen Tag später eine massive Mobilisierung extrem rechter Gruppierungen aus, die die Herkunft der mutmaßlichen Täter zum Anlass nahmen, ihre rassistischen Parolen auf die Straße zu tragen. So kamen bereits am Sonntag, direkt nach der Tat, 800 Rechtsextreme in Chemnitz zusammen und zogen in einem Demonstrationszug durch die Stadt. Einen Tag darauf reisten 6.000 Demonstrant*innen an. Die Sicherheitsbehörden verloren im Verlauf dieses Aufmarsches die Kontrolle, und Rechtsextreme und andere Teilnehmer*innen der Demo jagten politische Gegner*innen und Menschen mit einem vermeintlichen Migrationshintergrund durch die Straßen von Chemnitz. Am selben Tag begannen die Landesverbände der AfD Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ihre Mobilisierung für einen „Schweigemarsch“. Ein Bündnis aus den drei Landesverbänden, „Pro Chemnitz“ und „PEGIDA“ versammelte am 1. September etwa 4.500 Teilnehmer*innen in Chemnitz. Hier marschierten Vertreter*innen der AfD, z.B. Björn Höcke, André Poggenburg (damals noch Mitglied der Partei), Uwe Junge und Andreas
Kalbitz, zusammen mit bekannten Rechtsextremen wie Maik Arnold (ehemals „Nationale Sozialisten Chemnitz“), Christian Fischer (ehemals „Heimattreue Deutsche Jugend“) oder den gewaltbereiten Neonazis Lasse Richei und Pierre Bauer aus Braunschweig. Akteure, die der sogenannten „Neuen“ Rechten zugeordnet werden, wie Götz Kubitschek, Inhaber des „neu“-rechten Antaios-Verlags, oder der Kopf der „Identitären Bewegung Österreich“, Martin Sellner, waren vor Ort. Neben dem klassischen AfD-Repertoire aus „Merkel muss weg“, „Widerstand“ und „Lügenpresse“ wurden an diesem Tag auch Sprechchöre mit dem Neonazi-Slogan „Frei, sozial, national“ skandiert. Die AfD vollzog in Chemnitz offen den Schulterschluss zu rechtsextremen Gruppierungen.
Erfolg trotz oder wegen Radikalisierung
Die ursprüngliche Annahme von Medien und Politiker*innen, die AfD würde in großen Teilen nur aus Protest gewählt, muss angesichts dieser Bilder ins Wanken geraten. Die anhaltende Radikalisierung der Partei bei wachsender Zustimmung, Umfragen zu den Gründen für die Wahlentscheidung und aktuelle Studien stellen die Einschätzung als Protestpartei grundsätzlich infrage. Tatsächlich zeigt sich: Die Klientel der AfD unterscheidet sich nicht gravierend von der anderer Parteien. AfD-Wähler*innen sind nicht per se sozialstrukturell abgehängt, wie immer wieder behauptet wird. Zustimmung findet die Partei über alle Milieugrenzen hinweg. Eine Studie des German Socio-Economic Panel belegt, dass weder Bildungsabschluss noch wirtschaftliche Faktoren die Wahlentscheidung für die AfD beeinflussen. Rassismus dagegen ist ein entscheidender Faktor. Je rassistischer eine Person eingestellt ist, je weniger weltoffen und je mehr sie ausschließlich auf das eigene Wohl bedacht ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Stimme den Rechtsradikalen gibt.
Diffamierung politischer Gegner*innen
Radikal ist die Partei allerdings auch und vor allem im Umgang mit politischen Gegner*innen. Generell greift sie die etablierten Parteien als „Altparteien“ an, aber auch vor persönlichen Angriffen schreckt sie nicht zurück. So beleidigte der bayrische AfD-Landtagsabgeordnete Ralph Müller Angela Merkel als „Stasi- und Schnüffelkanzlerin“. Nachdem die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Die Grünen) zur Teilnahme an einer Gegendemo als Reaktion auf eine AfD-Kundgebung in Berlin aufrief, schrieb Daniel Freiherr von Lützow, Mitglied des Brandenburger Landesvorstandes der Partei, auf Facebook: „Da ist es wieder der Deutschenhass der Dame, die lieber heute als Morgen zusammen mit ihrer besten Freundin Roth mit vielen jungen africanwrn (sic!) zusammenleben würde.“ Bei verbaler Gewalt bleibt es nicht immer. Ein Mitglied des AfD-Vorstands in Saalfeld-Rudolstadt wurde 2015 auf frischer Tat ertappt, als er das Wahlkreisbüro der Thüringer Landtagsabgeordneten Katharina König-Preuss beschmierte: „K. König du linksextreme Schlampe“, „Kommunistische Drachenbrut soll der Teufel holen“ und „Abschaum“ war dort zu lesen. Der Mann legte seine Ämter danach nieder.
Ein Ende der Radikalisierung ist nicht abzusehen
Aufgrund der alles überlagernden Ausrichtung der AfD auf das Thema Migration treten die Gräben innerhalb der Partei jedoch selten zum Vorschein. In anderen Politikbereichen hat die AfD weder Visionen noch Vorschläge. 2019 soll es einen Parteitag zur Rente geben. Gräben zeichnen sich bereits jetzt ab. Der Thüringer Landesvorsitzende Höcke, der als Anführer des rechtsnationalen und völkischen „Flügels“ innerhalb der Partei gilt, hat einen Rentenaufschlag nur für „Deutsche“ ins Rennen gebracht, während Jörg Meuthen – seit 2017 neben Gauland Parteivorsitzender – das umlagenfinanzierte Rentensystem abschaffen will.
Die Radikalisierung der Partei und ihrer Wähler*innen schreitet voran, ein Ende ist nicht abzusehen. Eine inhaltliche Abgrenzung und eine selbstbewusste Haltung demokratischer Politiker*innen und der Zivilgesellschaft gegen demokratiefeindliche, rassistische, antisemitische, antifeministische, homo- und transfeindliche Positionen sind unbedingt notwendig. Staat und Zivilgesellschaft müssen klarstellen, dass diejenigen, die sich von der AfD bedroht sehen, nicht allein gelassen werden und dass Menschenfeindlichkeit keine Alternative für Deutschland sein kann.
Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung.
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.):
Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD.
Berlin 2019
Zu beziehen hier: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/publikationen/demokratie-in-gefahr/
Als PDF: https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2019/08/AFD_Handreichung_web.pdf
Aus der Broschüre auf www.belltower.news:
- Die Geschichte der AfD – ein Weg der Radikalisierung