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Demokratieatlas Die zwölf wichtigsten Strategien der extremen Rechten

Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Alice Weidel, im Interview mit dem umstrittenen österreichischen Internetkanal AUF1. (Quelle: picture alliance/dpa | Christoph Soeder)

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus dem Demokratieatlas der Amadeu Antonio Stiftung.

Der neurechte Vordenker Karlheinz Weißmann schrieb den eigenen Leuten 1986 ins Stammbuch: „Die Fähigkeit, in die Offensive zu gehen, muß entwickelt werden und dazu die Fähigkeit, die Situation zu beurteilen: ob hier der offene Angriff oder die politische Mimikry gefordert ist.“15 Für beide Vorgehensweisen – Offensive oder Mimikry – hat die extreme Rechte Strategien entwickelt und passt diese regelmäßig den aktuellen Gegebenheiten an. Ziel ist es, über eine Normalisierung ihres Weltbildes breitere Massen und mit diesen den Systemsturz zu erreichen. Welche Strategien die Rechtsextremen nutzen, hängt auch viel von politischen Gelegenheiten ab. Nach einem islamistischen Terroranschlag ist eine offensive Strategie wahrscheinlich von mehr Erfolg gekrönt, als wenn eine Willkommenskultur für Geflüchtete von breiten Bevölkerungsteilen gelebt wird.


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Die Überstrategie: Vier-Säulen-Modell

Das ursprünglich von Udo Voigt, dem damaligen Vorsitzenden der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), entworfene und dann weiterentwickelte Vier-Säulen-Modell hat den Niedergang der NPD überlebt und an Wichtigkeit nichts eingebüßt. Udo Voigt veränderte die NPD von einer Partei, die sich auf Wahlen konzentriert, zu einer Bewegungspartei hin. Das hieraus entwickelte Konzept besteht aus den Säulen „Kampf um die Straße“ (siehe 1. Analoge/digitale Raumnahme), „Kampf um die Köpfe“ (siehe 3. Eigene Think-Tanks aufbauen), „Kampf um die Wähler“ (siehe 2. Parlamentarismus) und „Kampf um den organisierten Willen“ (siehe 4. Zersplitterte extreme Rechte einen). Das Konzept geht davon aus, dass ein Umsturz nur möglich ist, wenn die extreme Rechte gleichermaßen alle vier Strategien aufeinander abstimmt. Der Name „Vier-Säulen-Konzept“ ist weitestgehend verschwunden, die dahinterstehende Strategie nicht. Die Strategien 1) bis 4) dienen als Unter-Strategien des Vier-Säulen-Modells, aber auch als wichtige Einzelstrategien. Doch auch die anderen Strategien sind stets als Komponenten einer Gesamtstrategie zu betrachten.
Was tun: Auch Zivilgesellschaft und Politik müssen in ihren Konzepten gegen Rechtsextremismus die verschiedenen Ebenen und Strategien zusammendenken und Gegenkonzepte entwickeln.

1. Analoge/digitale Raumnahme

Rechtsextreme versuchen bestimmte Stadtteile bis hin zu ganzen Städten und Regionen einzunehmen und zu dominieren. Etwa durch massenweises Verkleben neonazistischer Aufkleber, das Sprühen von politischen Parolen, das Anpöbeln von Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, durch Gewalttaten und vieles mehr versuchen sie schrittweise immer größere Räume zu besetzen. Dies geschieht auch im digitalen Raum, wo sie mit Hasspostings, Bedrohungen, Flooding (Überfluten mit Videos, Nachrichten etc.) und teilweise gleichzeitiger Selbstverharmlosung Online-Gruppen und Plattformen dominieren und Gegenpositionen verdrängen.
Was tun: Im analogen oder digitalen Raum sich mit den Betroffenen von Bedrohungen solidarisieren, Bedrohung, Hass und Hetze öffentlich machen, sich unter Demokrat*innen vernetzen und an die Situation angepasste Gegenaktionen starten (Entfernen neonazistischer Aufkleber und Parolen, Melden von Hasskommentaren, Online-Kampagnen bis hin zu Stadtteilfesten für Demokratie in umkämpften Räumen).

2. Parlamentarismus

Parlamente dienen als willkommene Bühnen, um die eigene Weltanschauung zu verbreiten. Mit sehr vielen „Kleinen Anträgen“ werden Verwaltungen teilweise lahmgelegt und mit Brandreden das politische Klima vergiftet. Reden werden nicht für das Plenum im Parlament gehalten, sondern häufig so, dass sie auf Social-Media-Plattformen wie TikTok ihre Wirkung entfalten.
Was tun: Auch im Parlament immer klare Gegenrede gegen Hass und Hetze, aber kein Abarbeiten an Vertreter*innen der extremen Rechten, sondern eigene Inhalte und Konzepte in den Mittelpunkt stellen.

3. Eigene Think-Tanks aufbauen

Mit eigenen Think-Tanks schult die extreme Rechte ihren Nachwuchs ideologisch und im strategischen Auftreten. Ihr ist seit Langem bewusst, dass ein Auftreten als „Stiefelnazis“ kontraproduktiv ist. Jungen Menschen wird beigebracht, im hippen Outfit freundlich und eloquent Hass und Hetze so zu verbreiten, dass es sie im politischen Diskurs nicht disqualifiziert, aber seine Wirkung entfaltet. Der Nachwuchs wird gezielt geschult, um nach und nach die eigenen Leute in zentrale Positionen der Gesellschaft zu bringen. Hierbei scheuen sie sich auch nicht, sich bruchstückhaft an Strategien der politischen Linken zu bedienen, wie dem Konzept des italienischen Marxisten Antonio Gramsci (1891–1937) zum Erlangen kultureller Hegemonie.
Was tun: Demokratiefeindliche und menschenverachtende Positionen in oft nicht auf den ersten Blick als solche erkennbaren rechtsextremen Vereinen und Think-Tanks öffentlich machen. Keine Zusammenarbeit mit diesen.

4. Zersplitterte extreme Rechte vereinen

Die Schwäche der Rechtsextremen lag in den letzten Jahrzehnten in ihrer Zersplitterung. Mit dem Erfolg der AfD gelang es, größere Teile der extremen Rechten zu einen. Der Erfolg verbindet. Bei großen Konfliktthemen, wie dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, bei dem Teile der extremen Rechten Russland, andere Teile die Ukraine unterstützen, versucht man sich auf Positionen zu einigen, die beide Seiten als Minimalkonsens unterstützen können. Solche Konsenspositionen sind keine Herzensangelegenheiten, aber Zeichen der Erkenntnis, dass interner Streit der Bewegung zu sehr schadet.
Was tun: Die extreme Rechte ist in sehr vielen Punkten zerstritten. Diese Zerstrittenheit sollte betont werden, denn dann sind Rechtsextreme weniger handlungsfähig.

5. Aufbau Alternativer Medien

Rechtsextreme Medien gibt es seit Bestehen der Bundesrepublik. Mit dem Internetzeitalter sind sie jedoch zu einem Massenphänomen geworden, mit dem Millionen Bundesbürger*innen erreicht werden können. Wichtiger Nebeneffekt: Mit ihnen kann auch viel Geld verdient werden. Die rechtsextreme Medienlandschaft ist mittlerweile sehr divers, von Telegramgruppen und Rundbriefen über Podcast bis hin zu Wochenzeitungen und eigenen TV-Sendern. Diese tragen wesentlich zur Bildung „alternativer Wirklichkeiten“ bei und beschleunigen eine Radikalisierung.
Was tun: Wenn Ihre bevorzugte Podcast-Plattform rechtsextreme Podcasts anbietet, Ihr Zeitungsladen rechtsextreme Zeitungen verkauft, beschweren Sie sich und machen Sie es öffentlich.

6. Einschüchtern/Bedrohen

Es ist eine gezielte Taktik Rechtsextremer, die Zivilgesellschaft einzuschüchtern, gerade in Gegenden mit geringer Bevölkerungsdichte. Wer sich für Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte einsetzt, erlebt häufig Bedrohungen oder sogar tätliche Angriffe – gegen sich selbst und/oder die eigene Familie. Aber auch Doxxen (die Veröffentlichung der Privatadresse, der Kita des Kindes, der Arbeitsstelle, des Bäckers, wo man gern Brötchen holt, usw.), das Diskreditieren bei dem*der Arbeitgeber*in oder das Anzeigen/Abmahnen aus erfunden Gründen gehören zur Strategie. Ebenso wie das Bestellen von Pizza oder Einkäufen auf Rechnung an die Privatadresse u.ä. Ziel des Ganzen: Engagierte Leute sollen sich zurückziehen.
Was tun: Wenden Sie sich an die regionale Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus oder einen zivilgesellschaftlichen Verein und holen Sie sich Hilfe. Gemeinsam können Sie auch Anzeige bei der Polizei erstatten.

7. Delegitimierung und Unterwanderung demokratischer Institutionen

So wie die extreme Rechte Teil der Gesellschaft ist, ist sie auch in Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbänden, der freiwilligen Feuerwehr oder in Sportverbänden zu finden. Auf diese versucht sie einerseits Einfluss zu gewinnen und anderseits insbesondere große Träger wie Sozialverbände als „korrupt“ und „gegen die Interessen des Volkes“ agierend zu diskreditieren, um sie zu schwächen. Darüber hinaus baut die extreme Rechte eigene Netzwerke, „alternative Gewerkschaften“ und Vereine als Gegenpol und Teil einer antidemokratischen Zivilgesellschaft auf. Die Delegitimierung und Unterwanderung betrifft auch die essentiellen Bereiche der Gesetzgebung (Legislative), der vollziehenden Gewalt (Exekutive) und der Rechtsprechung (Judikative).
Was tun: Vereine und Verbände können mit erarbeiteten Strategien, auf die Gefahr des Rechtsextremismus ausgerichteten Satzungen und Leitbildern es Rechtsextremen erheblich erschweren, in ihren Reihen Fuß zu fassen. Zivilgesellschaftliche Vereine und Mobile Beratungen gegen Rechtsextremismus beraten Träger hierzu. Institutionen wie Polizei, Schulen und Gerichte müssen noch stärker bei der Einstellung auf Bezüge zum Rechtsextremismus achten.

8. Gegenkultur

In den 1990er Jahren gelang es der rechtsextremen Szene, mit Rechtsrock viele junge Menschen zu erreichen. Anfangs waren diese noch nicht ideologisch gefestigt, das Verbindende war die Musik. Auf von Neonazis organisierten Konzerten kamen die jungen Menschen oft erstmal mit organisierten Neonazis in Kontakt. Mit dem niedrigschwelligen Ansatz von Musik schaffte es die rechtsextreme Szene, stark zu wachsen und zudem viel Geld zu verdienen. Mittlerweile haben durch Repressionen die Rechtsrockkonzerte an Bedeutung verloren. Aktuell setzt die extreme Rechte mehr auf Social Media, Gaming-Events oder Kampfsportveranstaltungen. Die Gegenkultur soll helfen, als coole und hippe Bewegung wahrgenommen zu werden, mit der man noch nicht ideologisch gefestigte junge Menschen erreicht.
Was tun: Die Förderung von demokratischen Jugendzentren und einer Kultur der Vielfalt muss auch als Bollwerk gegen Rechtsextremismus verstanden werden. Ihre Arbeit sollte unterstützt und nicht durch wiederholte Ressourcenkürzungen erschwert werden.

9. Terrorismus

Terrorismus ist eine vielfach gesteigerte Form von Bedrohung und Einschüchterung (siehe 6.) und der gezielten Tötung von Menschen, die als politische Feinde betrachtet werden und/oder nicht in das Weltbild der extremen Rechten passen. Die Bedrohung/Einschüchterung richtet sich nicht „nur“ an diejenigen, die direkt von Terrorakten betroffen sind, sondern wie beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) an alle Menschen, die von den Terrorist*innen nicht als weiß und deutsch bzw. europäisch
angesehen werden. Terrorismus dient aber auch der Destabilisierung von Gesellschaften und Staaten. Sein Ziel ist, das Vertrauen in
den Staat als Ordnungsmacht zu unterminieren. Nach dem Verlust des Vertrauens in die staatlichen Akteur*innen versuchen rechtsextreme Akteur*innen sich als „neue Elite“ zu etablieren, die für Ruhe und Ordnung sorgen. Rechtsextreme Täter*innen agieren meist aus einem Netzwerk heraus und zunehmend aus rechtsterroristischen Online-Subkulturen, in denen sie sich radikalisieren. In der Öffentlichkeit erscheinen sie dann fälschlicherweise häufig oft als Einzeltäter*in.
Was tun: Rechtsterrorismus steht am Ende einer längeren Radikalisierungsphase. Rechtsextreme Bedrohung und Gewalt muss von staatlichen Organen viel ernster genommen und rechtsextremer Raumnahme konsequenter Einhalt geboten werden.

10. Kommunikationsstrategien

Ziel extrem rechter Kommunikation ist meist: provozieren, polarisieren, einschüchtern und normalisieren. Hierzu bedient sie sich verschiedener Instrumente wie Satire/Lächerlichmachen politischer Gegner*innen, Emotionalisierung von Debatten, subtile oder offene Drohungen, Umdeuten etablierter Begriffe und vieles mehr. Sie dienen der Selbstverharmlosung und des Raumgewinns.
Was tun: Aufgabe nicht nur von Medien ist es, Gesagtes ausführlich zu analysieren, zu kontextualisieren und nachzufragen.

11. Juristische Einschüchterung

Um auf engagierte Demokrat*innen, die Politik, Wissenschaft, Kunst oder Journalismus Druck auszuüben und sie finanziell zu schädigen, setzen rechtsextreme Akteur*innen immer häufiger auf juristische Abmahnungen. Auch dann, wenn sie wissen, dass sie nicht im Recht sind. Aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten hoffen sie, dass die politischen Gegner*innen sich einen Prozess finanziell und vom Aufwand her nicht leisten können und sich fortan politisch zurückziehen.
Was tun: Solche Abmahnungen öffentlich machen, sich zusammenschließen. Um von dieser Strategie Betroffene auch finanziell zu unterstützen, wurde die Initiative Gegenrechtsschutz gegründet.

12. Rechtspopulismus

Rechtspopulismus wird vielfach nur als eine politische Ausrichtung gesehen. Er ist aber auch eine rechtsextreme Strategie. „Der Aufstieg der heutigen Rechten begann mit dem Populismus“, analysiert Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl 2024.16 Denn Populismus sei laut, teils schrill, um sich Gehör zu verschaffen. Zudem sei er imstande, schnell große Unterstützung zu generieren, da es leichter sei, „Menschen über die Ablehnung einer Entwicklung zu mobilisieren, statt über die Zustimmung zu einer positiven Aussage“, so Krah. Auch der Rechtsextremist Benedikt Kaiser sieht im Populismus eine zentrale Strategie. Man müsse erst die „Sprache des Volkes“ sprechen, so Kaiser, selbst wenn man sie als rechte Elite als falsch empfinde, und dann Stück für Stück einen „Bewusstseinswandel“ herbeiführen. Mit „Bewusstseinswandel“ ist hier eine ideologische Gleichschaltung gemeint.
Was tun: Populistische Äußerungen als solche benennen und aufzeigen, wenn sie den sonstigen Forderungen und dem Weltbild der Protagonist*innen widersprechen.

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Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland. Der Demokratieatlas zeigt seine wichtigsten Elemente auf.

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