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Der „Freiheits-Konvoi“ Impfgegner-LKW-Proteste in Ottawa – aber keine in Deutschland

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Kamen bisher nicht in Fahrt: Trucker-Proteste in Europa. (Quelle: Pixabay / Snarsy)

Die kanadische Hauptstadt Ottawa befindet sich seit zwei Wochen im Ausnahmezustand. Ein Trucker-Konvoi von über 400 Wagen blockiert die Innenstadt um das Regierungsgebäude Parliament Hill, veranstaltet 16 Stunden andauernde Hupkonzerte und belästigt Passant:innen. Der Grund: die von Premierminister Justin Trudeau geplante Impfpflicht für Trucker:innen. Ungeimpften Lastkraftfahrer:innen soll die Einreise nach Kanada verunmöglicht werden.

Truckerproteste in Kanada: Von Rechtsextremen mit organisiert

Am 22. Januar brach der Konvoi von British Columbia nach Ottawa auf, um gegen diese Maßnahme zu protestieren. Inzwischen hat sich die Belagerung auch auf andere größere Städte wie Quebec ausgeweitet. Das Ziel ist es, das öffentliche Leben und die Wirtschaft komplett lahmzulegen, und so die Regierung Trudeau zu erpressen, die Pandemie-Maßnahmen aufzulockern.

Der selbsternannte „Freiheits-Konvoi“ wird, wenig überraschend, aus den Reihen der extremen Rechten organisiert, unter anderem von der Politikerin Tamara Lich der rechtsradikalen und seperationistischen „Maverick Party“; eine andere Veranstalterin ist die rechtsextreme Politikerin Maxime Bernier der „People’s Party of Canada“. Zu den prominenten Unterstützern der Pandemie-Leugner:innen zählen der ehemalige US-Präsident Donald Trump oder der immer wieder durch reaktionäre Äußerungen auffällige Multimilliardär Elon Musk.

Über die Plattform GoFundMe wurden 10 Millionen kanadische Dollar gesammelt, um den Konvoi mit Benzin und Lebensmitteln zu versorgen. GoFundMe hat die Spendenkampagne inzwischen geschlossen. Trotzdem harren die Trucker in der Kälte aus, versorgt von ihnen wohlgesonnenen Impfgegner:innen. Der Bürgermeister der Stadt Ottawa hat inzwischen den Notstand ausgerufen und spricht von einem „verlorenen Kampf“, die Polizei sieht sich überfordert und hat 1800 zusätzliche Einheiten angefordert, um der Lage Herr zu werden: „Wir müssen unsere Stadt zurückerobern.“

Die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Ottawas steht den Protesten ablehnend gegenüber: der dauerhafte Lärm, die Umweltverschmutzung und Schikanen des „Freiheits-Konvois“ stellen für sie eine unaushaltbare Zumutung dar. Die Polizei hat bereits über 60 Strafdelikte aufgenommen, darunter Sachschaden und Hassverbrechen. Trotz der Behauptungen der Demonstrierenden, sie seien nicht rechtsextrem, finden sich immer wieder rechtsextreme Symbole auf ihren Fahnen und Plakaten. Zahlreiche der Belästigungen gegen die kanadische Zivilbevölkerung sind rassistischer Natur, so der BBC.

Sowohl kanadische, als auch US-amerikanische Lastkraftfahrer:innen haben zudem die Ambassador Bridge zwischen der Provinz Ontario und der US-Großstadt Detroit blockiert und somit eine der wichtigsten Handelsrouten zwischen den beiden Ländern stillgelegt. Dass sie den Aufrufen Trudeaus, des US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden und des Verkehrsministers Pete Buttigieg, die Blockade zu beenden, Folge leisten werden, ist unwahrscheinlich. Stattdessen planen sie, berauscht von ihrer Macht den Regierungen gleich zweier Länder auf der Nase herumtanzen zu können, weitere Proteste.

In QAnon-Fan-Gruppen kommt die blockierte Brücke gut an.

Gewaltfantasien und Verschwörungsglaube bei den „Truckers for Freedom“

Organisiert werden die Konvois maßgeblich über die Nachrichtenplattform Telegram. Die internationale Gruppe „Truckers for Freedom“ verzeichnet seit ihrem Entstehen Ende Januar bereits 83.000 Mitglieder, die kanadischen Ableger „Freedom Convoy Canada“ und „Canadian Convoy Movement“, als auch die Supportgruppe „Truckers are Hoeroes“ haben zwischen 2500 und 3000 Abonnent:innen. Eine weiteres relevantes Portal für die Bewegung ist der rechtsradikale Twitter-Klon Gettr, dort verzeichnet der Account „Truckers4fredom“ (sic) knappe 50.000 Follower:innen.

Dort zu sehen sind Videos, die fröhlich grillende Trucker und im Rahmen der Blockade aufgebaute Hüpfburgen für Kinder zeigen. Daneben: hämische Hasskommentare gegen Trudeau, Umsturzfantasien gegen die Regierung, und immer wieder Bezüge auf die rechtsextreme QAnon-Verschwörungsideologie. So sollte der “Superbowl”, der seit den antirassistischen Protesten einiger Schwarzer Spieler als „unamerikanisch“ gilt, blockiert werden: er stelle ein Cover-Up für einen Kinderhandelsring dar. Die “Superbowl”-Blockade blieb aber aus (vgl. Reuters). Wie auch bei den „Querdenken“-Protesten in Deutschland ist die immerwährende Behauptung, die Proteste seien „friedlich“ und mitnichten rechtsextrem, eine Lüge. So wird etwas viel von „feindlichen Linien“ geschrieben:

Selbstdarstellung als Engel, der ein Baby rettet, gegen die „feindlichen Linien“.

Truckerproteste in Europa?

Inzwischen rufen auch den Impfstoff verweigernde Trucker aus Europa zu Protest-Konvois gegen die Coronapolitik auf. Am 11. Februar planten österreichische LKW- und Autofahrer:innen, vom 12. bis zum 14. Februar die Kolleg:innen aus Deutschland, sich „DIE FREIHEIT ZURÜCKZUHOLEN“, indem sie ihre Laster durch Österreich oder Deutschland kutschieren. Die Telegram-Gruppen und -Kanäle sind zwischen 5.000 (Deutschland) und 12.000 (Österreich) Mitglieder stark, im deutschen Raum gibt es zudem nach Bundesländern gegliederte Organisations-Gruppen. Am heutigen 14. Februar planen die Protestierenden, sich in Brüssel zu versammeln, um „das Ende der tyrannischen Maßnahmen“ zu fordern. Sie bezeichnen sich als „rote Linie“ und tragen als Kennzeichen rote Bänder an den Seitenspiegeln. In den Mobilisierungs-Gruppen reihen sich martialische Bilder und Videos an antisemitische Karikaturen und die inhaltsleere Beteuerung, die Demonstrierenden würden nicht für Menschenfeindlichkeit und Egoismus, sondern „Freiheit“ und „Liebe“ auf die Straße fahren. In den Telegram-Gruppen von Corona-Leugner:innen, QAnon-Anhänger:innen und Rechtsextremist:innen finden die Proteste großen Anklang; so haben beispielsweise der Holocaustleugner Nicolai Nehrling, der ehemalige AfD-Politiker und Querdenken-Aktivist Heinrich Fiechtner oder der Identitäre Martin Sellner sich für die Trucker ausgesprochen.

Aus diesen hochtrabenden Plänen wurde auch nichts.

Mobilisierung am Wochenende

In Deutschland hatte ein Aufruf des “Freedom Convoy 2022 Germany” vor einer Woche nicht zu erträumten 100.000 LKWs vor dem Bundestag geführt, nicht einmal zu den angemeldeten 100 LKS an der Karl-Marx-Allee in Neukölln, sondern zu einer polizeilichen “Null-Lage” geführt, wie die Polizei Berlin mitteilte. Auch am heutigen Montag sind keine Trucks in der Stadt.

In Österreich wurde der „Freiheitskonvoi“, der für Freitag in Wien geplant war, nach einem Verbot abgesagt. Einige Fahrzeuge versuchten dennoch vergeblich, den Verkehr lahmzulegen. Sie waren oft mit österreichischen und kanadischen Flaggen geschmückt (vgl. RND).

Laut ersten Berichten hatten sich aus Frankreich rund 1.300 Trucks auf den Weg nach Brüssel gemacht, und sich in der Grenzstadt Lille gesammelt. Die Trucker erzählten “France24”, sie wollten Brüssel blockieren, um die “Kontroll-Politik” der EU zu beenden und “ihre Freiheiten” zurückzuerobern. Belgien reagierte mit mehr Überwachung der Zufahrtsstraße nach Brüssel, konnte aber keine massiven Blockadeversuche feststellen. Rund 400 LKWs aus Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Luxemburg wurde kontrolliert und mehrere Dutzend auf einen Parkplatz am Standrand von Brüssel umgeleitet – die Stadt wolle sich nicht “als Geisel nehmen lassen”, so die Polizei (vgl. Rheinpfalz)

Am Wochenende war eine Blockade von Paris eher kläglich gescheitert. Hier waren 97 Menschen auf dem Boulevard Champs-Elysées festgenommen worden, die gegen den “Impfpass” protestieren wollten, der in Frankreich für den Besuch von Restaurants und anderen öffentlichen Orten notwendig ist. Blockiert wurde Paris dabei nicht.

In den Niederlanden war am Samstag zumindest der Eingang zum historischen niederländischen Parlament in Le Hague blockiert worden – allerdings nicht von Truckern, sondern von einer Vielzahl von Fahrzeugen vom Trecker bis zum Camping-Van (AP).

„Petro-Masculinity“ und Maskenverweigerung: eine feministische Analyse des Protests

Auf dem QAnon-Kanal „Q for you – News“, der zahlreiche Bilder und Videos zu den kanadischen Truckern teilt, wurde das Video eines martialisch anmutenden, riesigen schwarzen Lasters geteilt. Darunter der Satz: „Du dachtest, du hättest schon alles gesehen…. Nun, dieser Semi in New York City wartet auf das Signal zum Handeln… Mad Max ist in der Stadt“. Es folgt ein Dynamit-Emoji.

Die Politikwissenschaftlerin Clara Daggett argumentiert in ihrem 2018 publizierten Essay „Petro-Masculinity: Fossil Fuels und Authoritarian Desire“, dass es einen Zusammenhang zwischen Autokorso-Protesten und Männlichkeit gibt. Vor allem große oder schnelle Autos seien elementarer Bestandteil einer Performance hegemonialer Männlichkeit, Umweltschutz hingegen wird als unmännlich verachtet. Männer, die es nötig haben, ihre Geschlechtsidentität anhand von Autos zu beweisen, betrachten Klimaschutzpolitik als konkreten Angriff auf die eigene Männlichkeit, sie befürchten durch einen imaginierten Verlust des Männlichkeitssymbols „großes, schnelles Auto“ einen Verlust der eigenen Maskulinität. Die Autokorsos der MAGA-Bewegung oder die von Männern dominierte Facebook-Gruppe „Fridays for Hubraum“, als auch die oftmals explizit frauenfeindlichen Angriffe auf die Klimaaktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer müssen als Ausdruck des Phänomens „Petro-Masculinity“ betrachtet werden.

Wie die Studie „Entschwörung konkret – Wie viel Gender steckt in Verschwörungsideologien?“ der Amadeu Antonio-Stiftung herausgearbeitet hat, betrachten männliche Corona-Leugner die Einschränkungen ihrer Freizügigkeit im Rahmen der Pandemie – die Maskenpflicht beispielsweise – ebenfalls als Angriff auf die eigene Männlichkeit: „Die gesetzliche Pflicht, die persönliche Freiheit für andere einzuschränken, wird von Männern dabei oft als direkter Angriff auf die eigene Person wahrgenommen. Denn Männer sind es in der Regel nicht gewohnt im öffentlichen Raum körperlich reglementiert zu werden – ganz im Gegensatz zu Frauen und anderen Geschlechtern. Zudem wird Jungen und Männern nach wie vor vermittelt, ihre persönliche Freiheit über die Sorge um andere zu stellen.“ Die Verweigerung von Hygienemaßnahmen wird so als ein Akt der Rückeroberung der entwendet geglaubten patriarchalen Vorherrschaft betrachtet.

In den Trucker-Protesten fallen sowohl der Aspekt der „Petro-Masculinity“, als auch die Verteidigung der eigenen körperlichen Souveränität gegen die „Corona-Diktatur“ ineinander. Die Trucker und ihre Anhänger betrachten sich selbst als die Mel Gibson-Version von Mad Max, der als knallharter Kämpfer mit seinem Truck allen Widrigkeiten zum Trotz eine ihm feindliche Welt durchquert. Sie glauben sich selbst in der Lage, mittels ihrer großen Kraftfahrzeuge ihre eigenen Gesetzesvorstellungen gegen Trudeau und die kanadische Zivilbevölkerung durchsetzen zu können. Dass nach wie vor nicht gegen die Blockade vorgegangen wird, ist ihnen Bestätigung der eigenen Überlegenheit und eine fatale Entscheidung.

Es regen sich jedoch Gegenproteste: Antifaschist:innen haben begonnen, die Chat-Kanäle der verschwörungsideologischen Trucker mit dem Lied „Ram Ranch“ des kanadischen Metal-Künstlers Grant MacDonald vollzuspammen. Es handelt sich hierbei um ein Lied über schwule Cowboys. Eine Aktivistin erzählt dem Rolling Stone: „Als wir angefangen haben, das Lied zu spielen um ihre Kommunikation zu unterbrechen, wurden sie extrem wütend, weil es ein explizites und LGBTQ-freundliches Lied ist“. Lustvolle queere Sexualität ist und bleibt ein unfehlbares Mittel, um die fragile Männlichkeit dieser richtig harten Kerle herauszufordern.

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