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Ideologie „Der große Austausch” oder die spinnerte ideologische Grundlage der Neuen Rechten

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Die Neue Rechte versucht sich als intellektuelle Speerspitze und Avantgarde zu verkaufen, schaut man sich ihre Theorien dabei genauer an, wird schnell klar, dass man es am Ende eben doch nur mit dem immer gleichen Antisemitismus und Rassismus zu tun hat. (Quelle: BTN)

Rechtsextreme Gruppen und Strömungen wie die „Identitäre Bewegung“ und Pegida, aber auch Akteur_innen der Neuen Rechte um Götz Kubitschek nutzen seit Langem die Begriffe „der große Austausch“ oder „Umvolkung“, um Hass gegen Migrant_innen und Muslime zu schüren. Besorgniserregend ist, dass sich diese Begriffe mittlerweile in das rhetorische Arsenal von Teilen des Bürgertums eingeschlichen haben.

In Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Belgien, den Niederlande und in den skandinavischen Ländern ist gerade etwas Böses im Gange, so die neurechte Verschwörungsideologie: Die Stammbevölkerung solle durch Migrant_innen ausgetauscht werden.

 

Renaud Camus als Vordenker des „großen Austausches“

Geprägt wurde die Bezeichnung „der große Austausch“ durch den französischen Rechtsdenker Renaud Camus im Jahre 2013. Sie ist Ausdruck des Konzepts des sogenannten „Ethnopluralismus“, der zentralen Denkvorstellung der Neuen Rechten.

In dem Aufsatz „Der Große Austausch oder: die Auflösung der Völker“ schreibt Camus: „In Frankreich sind die Greise tendenziell ‘Stammfranzosen’, während die Säuglinge Araber oder Schwarze sind, meistens aus muslimischen Familien.“ Offenbar meint er allein aufgrund von äußeren Merkmalen bestimmen zu können, wer Franzose sei und wer nicht: Wer nicht „arisch“ aussieht, sei nicht Teil der Kultur. Ginge es nach ihm, so würde er bestimmen, wer Kinder bekommen darf und wer nicht: „Es geht nicht darum, daß die Europäer mehr Kinder zeugen müssen; es geht darum, die Nichteuropäer daran zu hindern, in Europa Kinder zu zeugen.“ Forderungen nach Eugenik klingen ähnlich.

Camus behauptet, dass niemand, der migriert, Teil der neuen Gesellschaft sein möchte. Ein friedliches Miteinander geht für Camus nur dann, wenn Migrant_innen ihre Identität aufgeben. Da sie dies nachvollziehbarerweise nicht wollen würden, könnten Migrant_innen aber auch nie akzeptierter Teil der Gesellschaft sein. Identität ist für Camus und die Neue Rechte etwas Starres, Unveränderbares.

„Revolte gegen den großen Austausch“ im „Antaios“-Verlag

Die deutsche Übersetzung des Werks von Camus findet sich in dem Sammelband „Revolte gegen den großen Austausch“. Erschienen ist der Band 2016 bei „Antaios“, dem Verlag von Götz Kubitschek. Der Herausgeber  ist eine zentrale Person der Neuen Rechten und enger Weggefährte des AfD-Rechtsauslegers Björn Höcke. Dem Camus-Text gehen ein Vorwort von Martin Semlitsch (Künstlername: Martin Lichtmesz) sowie ein Interview mit Camus durch Semlitsch voraus. Nach dem übersetzten Text folgt der Aufruf „Revoltiert!“. Das Ziel der Neuen Rechten ist es, mit dieser Erzählung unsere pluralistische Demokratie in die Nähe einer Diktatur zu stellen. So soll die Bevölkerung zum Widerstand aufgestachelt werden.

Wer plant den „großen Austausch“?

Doch wer ist nach Ansicht der Neuen Rechten Schuld am „großen Austausch“? In einem Nachwort von Martin Sellner, der die Rezeption Camus’ durch die „Identitären“ bejubelt, beschuldigt der IB-ler eine nicht näher ausgeführte Elite in Europa einen „Bevölkerungsaustauschs“ durchzuführen. Diese Elite, so die Erzählung dieser Verschwörungsideologie, siedle Migrant_innen bewusst in Europa an, um so das „Volk“ (nach Definition der Rechtsextremen) schrumpfen zu lassen. Somit wäre Migration nicht die Folge von Konflikt- und Kriegssituationen oder individueller Entscheidungen. Vielmehr imaginiert diese Theorie, dass Migration im Auftrag einer geheimen und gesteuerten Mission erfolgt.

Sellner schreibt: „Europa ergeht es im ’Refugees welcome’-Wahn wie einem ans Bett gefesselten Menschen, der zum Zwecke seiner Vivisektion mit Injektionen ruhiggestellt wurde. […] Langsam fließt ein betäubendes und schwächendes Gift in seine Blutbahn. Seine Widerstandskraft schwindet zusehends.“ Auch Jüdinnen und Juden wurden während der NS-Zeit von Nazis als Gefahr und Gift für den „Volkskörper“ bezeichnet, um so ihre Verfolgung zu legitimieren.

Quelle: Screenshot

Beweise für einen „großen Austausch“? Fehlanzeige

Belegt wird diese krude Theorie hauptsächlich mit der Empirie. So wird stets auf Großstädte verwiesen, in denen die Neuen Rechten – in großen Teilen klassische Rechtsextreme-  rein optisch viele Muslime auszumachen meinen. Auch die demographische Entwicklung wird als Beweis eines diabolischen Plans gewertet, gerne mit einem Verweis auf einen UNO-Bericht aus dem Jahr 2001. Der Bericht rechnet Szenarien durch, wie viel Einwanderung nötig wäre, um die schrumpfenden Bevölkerungszahlen in acht Ländern mit besonders niedrigen Geburtenraten in den nächsten Jahrzehnten auszugleichen, da sie ohne Einwanderung gravierende Probleme mit ihren Sozialsystemen bekommen werden.

Warum der Plan eines „großen Austausches“?

Nun stellt sich die berechtigte Frage, warum die Bundesregierung, europäische Verantwortliche oder sonstige nebulösen „Eliten“ einen Bevölkerungsaustausch anstreben sollten. Als wäre die Idee einer „Umvolkung“ nicht schon absurd genug, ist die Begründung noch um einiges wirrer. Hinter dem öffentlichkeitswirksamen Reizwort stehen nämlich Ideen, die vernünftig denkende Menschen kaum überzeugen dürften.

In der selbst gegebenen Erklärung dieser ersponnenen Theorie soll das stolze deutsche Volk schlicht aus Profitgier durch ein folgsames arbeitswilliges Anderes ersetzt werden. Durch ein gehorchendes aber dummes Volk solle die Produktionskapazität Deutschlands gesteigert werden, woran sich  die “Eliten” bereichern würden.

 

Quelle: Screenshot

Auftraggeber dieses Plans, so die dystopische Verschwörungsideologie, seien “Großkapitalisten”. Diese Globalplayer fordern immer mehr Einwanderung, weil sie einen großen Bedarf an billigem, austauschbarem Humankapital hätten. In der rassistischen Vorstellung sind Kinder, die aus „Mischehen“ stammen, dümmer als die der „Arier“. Praktisch für die  „Großkapitalisten“, da diese Arbeitnehmer_innen nicht zum selbstständigen Denken fähig seien und nicht rebellieren würden.

 

Der Antisemitismus hinter der Theorie des „großen Austausches“

Wie bei den meisten Verschwörungstheorien, ist auch diese in ihrem Kern zutiefst antisemitisch. Der Verschwörungsideologie-Experte Jan Rathje dazu: „Seit der Shoah ist expliziter Antisemitismus tabuisiert und strafrechtlich in manchen Ländern geahndet. Deshalb wird er über Codes und Chiffren ausgedrückt, um die antisemitischen Einstellung trotzdem zu äußern und einen Vorwurf abzuwehren. Über das Netzwerk der „Identitären“ wird die Möglichkeit zur Dechiffrierung deutlich: Rothschild oder Soros werden von Jürgen Elsässer und seinem Compact Magazin deutlicher benannt. Es ist auffällig, dass beim ‚Großen Austausch‘ der IB eine Projektionsfläche für verschwörungsideologisch geleiteten, nationalen und sogenannten sekundären Antisemitismus als ideologisches Angebot verbreitet werden.“

Die Hauptakteure der Neuen Rechte sind mittlerweile sehr darauf bedacht, nicht offen antisemitisch zu wirken. In einer Lesermail, die uns vor einigen Wochen erreichte, wird der Antisemitismus hinter der Theorie der „Umvolkung“ deutlicher: „Denn für die Ursachen von Flucht und Migration in aller Welt zeichnet sich eben jene jüdische Finanzelite verantwortlich.“ In der merkwürdigen Welt des Autos ist der Islam eine Erfindung des Judentums, um sich ein Sklavenvolk zu halten, dass nun nach Europa geschickt wird, um die hiesige Kultur zu zerstören.

 

Auszug aus einer Lesermail

Oder steckt doch Satan persönlich hinter allem?

Die Hymne zum „großen Austausch“ singt die französische Frauen-Band „Les Brigandes“. Ins Leben gerufen wurde diese rechtsextreme Girl-Band von Joël Labruyère, dem geistigen Oberhaupt dieser sektenartigen Gemeinschaft. In einem Interview mit einem Arte-Reporter sprach Labruyère von einer satanisch-amerikanischen Weltverschwörung die hinter der „Umvolkung” stecke.

Die sogenannte “Neue Rechte” versucht sich als intellektuelle Speerspitze und Avantgarde zu verkaufen, schaut man sich ihre Theorien dabei genauer an, wird schnell klar, dass man es am Ende eben doch nur mit dem immer gleichen Antisemitismus und Rassismus zu tun hat und die Unterschiede zur “alten Rechten” minimal ausfallen.

 

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