Es liegt nahe, dass Rechtsextreme weder anständige noch konsequente Menschen sind, trotzdem mutet es wie eine Seifenoper an, wie sich prominente Kader der „Identitären Bewegung“ im deutschsprachigen Raum derzeit um die Gruppierung winden, der 2019 nichts mehr wirklich gelingen will.
Ein Prozent
Am 12.11. gab es einen Prozess des rechtsextremen Vereins „Ein Prozent“ aus Oybin am Landgericht Görlitz gegen das Unternehmen Facebook. Das Unternehmen hatte die Kanäle von „Ein Prozent“ auf Facebook und Instagram gesperrt, nachdem „Ein Prozent“ private Daten eines Journalisten, der sie verärgert hatte, veröffentlicht hatten, was Schmähungen, Unterstellungen, Morddrohungen nach sich zog. Facebook sperrte „Ein Prozent“ als „Hassorganisation“ (vgl. MDR), der Anwalt des Unternehmens argumentierte auch mit der Nähe des Vereins zu IB (vgl. BTN). Der Anwalt des rechtsextremen Vereins gab an, es gäbe keine Verbindungen zu den „Identitären“ – normales Gerichtsprocedere, und die „IB“ ist ja auch kein Verein mit Mitgliederlisten oder ähnlichem. Interessant aber die eidesstattliche Erklärung von „Ein Prozent“-Geschäftsführer Philip Stein: Kein „Ein Prozent“-Mitglied sei IB-Mitglied (klar, siehe oben). Aber: Auch würde die „Identitäre Bewegung“ nicht mithilfe von „Ein Prozent“ finanziell unterstützt. Das Vereinsziel sei die Wahlbeobachtung und die Beobachtung von linksextremistischer Gewalt.
Eine nutzlose Distanzierung, denn: Diese Argumentation lässt sich leicht widerlegen, immerhin rief Stein selbst dazu auf, die IB zu unterstützen, und die IB bedankt sich vielfach für die Unterstützung durch „Ein Prozent“. Exemplarisch dokumentiert hier auf Twitter:
Unterstützung und Lob für IB und Sellner, das IB-Projekt „Haus Flamberg“ in Halle, und im Interview mit der „Welt“ 2016 sagt derselbe Philip Stein: „Der Vorsitzende von ‘Ein Prozent’, Philip Stein, sagte der ‘Welt am Sonntag’, sein Verein habe schon mehrere Aktionen der Identitären Bewegung finanziell unterstützt. Im Januar wolle man der Identitären Bewegung in Österreich 10.000 Euro Prozesskostenhilfe zukommen lassen.“ Auch IB-Projekte bedanken sich gern für die Unterstützung durch „Ein Prozent“, etwa die YouTube-Sendung „Laut gedacht“ der IB-Aktivisten Alex „Malenki“ Kleine und Philip Thaler.
Dementsprechend verlor „Ein Prozent“ auch in erster Instanz vor Gericht, will den Rechtsweg aber weiter ausreizen. Ein Gutes hat der Prozess: „Ein Prozent“ teilt zumindest aktuell keine IB-Inhalte mehr. Allerdings gäbe es auch nicht mehr viel zu teilen: Öffentlichkeitswirksame Aktionen gelingen den „Identitären“ in Deutschland aktuell nicht mehr, und die Selbstinszenierung in Sozialen Netzwerken wird durch Plattform-Sperrungen (Facebook, Instagram) und Sanktionen (Twitter, YouTube) ebenfalls begrenzt. Die Paranoia vor weiteren Sperrungen zieht sich durch viele Posts und Videos von IB-Aktivist*innen und zeigt: Deplatforming wirkt.
Führende Köpfe zeigen kein Gesicht mehr für die „Identitären“
Auch personell ist zumindest ein Generationenwechsel ist bei den „Identitären“ aktuell in vollem Gange. Wer etwa auf der Homepage der Gruppe die präsentierten „Köpfe“ der IB betrachtet, kann Schwund feststellen. Nicht mehr zu sehen sind etwa Robert Timm, Alex „Malenki“ Kleine, Jonathan Rudolph, Jonas Schick oder Aline Catinca Manescu („Moraes“). Nicht, dass sich die Aktivist*innen sich von der Ideologie entfernt hätten – sie entfernen sich offenbar vor allem von der „Identitären Bewegung“.
Keine IB mehr im „Haus Flamberg“?
Auch dem IB-Projekt „Haus Flamberg“ in Halle, 2017 als Vorzeigeprojekt nach dem Vorbild der „Casa Pound“ in Italien eröffnet (vgl. BTN), hat seinen Glanz ebenfalls massiv verloren. Schon im Sommer berichteten zivilgesellschaftliche Beobachter aus Halle, dass im Haus keine IB-Aktivist*innen mehr wohnten. Offenbar war der soziale Druck auf die Rechtsextremen aus der Nachbarschaft zu groß. Für Veranstaltungen wird das Hausprojekt aber weiterhin genutzt. Ein Sommerfest im Juli 2019 sollte eine Demonstration der Stärke werden, zu dem IB-Aktivist*innen aus der ganzen Bundesrepublik anreisten, wurde aber nur eine Demonstration von Langeweile und Ideenlosigkeit.
Am 27.11.2019 kam es zu einem gewalttätigen Übergriff im Umfeld des Hauses. Nach einem Streit verfolgte eine größere Gruppe teilweise vermummter Personen zwei Unbekannte, schlugen dabei auf einen 19-Jährigen ein, sowie auf vier junge Männer, die ihm zu Hilfe kommen wollten. Danach verschwanden die Angreifer nach Zeugenaussagen im „Haus Flamberg“, wo die Polizei über 20 Personen antraf und zwei Sturmhauben konfiszierte (vgl. mdr).
Zur Selbstinszenierung der „Identitären“ als gewaltfreie Bewegung passt das nicht. Daraufhin veröffentlichten die „Identitären“ auf ihrer Homepage eine vollumfängliche Distanzierung vom „Haus Flamberg“: „Wir klären hiermit auf, dass die Identitäre Bewegung bereits seit Anfang Oktober 2019 nicht mehr auf diesem Haus vertreten ist und keine aktive Rolle in dem Projekt einnimmt. Die vom Polizeieinsatz betroffenen Personen sind keine aktiven Mitglieder oder Aktivisten der Identitären Bewegung!“
Allerdings lässt sich auch diese Darstellung leicht widerlegen: Seit Oktober gab es – nach Eigenangaben von Facebook- und Twitteraccounts des „Haus Flamberg“ oder Online-Bewerbung – u.a. ein „alternative Erstiparty“ im „identitären Club Flamberg“, eine Flyeraktion, die Studierende ins „Haus Flamberg“ einlud, und einen Barabend.
Martin Sellner sucht etwas Neues
Selbst IB-Vordenker Martin Sellner ist inzwischen offenbar auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern. Als mediale Marke in allen Sozialen Netzwerken, die ihm noch bleiben, und umtriebiger Redner und Netzwerker in verschiedenen rechtsextremen bis rechtsalternativen Kreisen (Pegida, Institut für Staatspolitik, AfD, FPÖ) hat er sich bereits im letzten Jahr von den „Identitären“ unabhängig gemacht, auch wenn er noch als deren „Kopf“ in Österreich und Deutschland gilt. In Österreich steht er unter erhöhten Strafverfolgungsdruck, seit sich der Christchurch-Attentäter, der 51 Menschen ermordete, auf die IB und Sellner bezog, so gab es Hausdurchsuchungen bei Martin Sellner (Standard) und auch ein Einreiseverbot in die USA (NZZ), der Heimat seiner Frau Brittany (ehemals Pettibone, jetzt Sellner). Während in Österreich über ein Verbot der IB debattiert wird (Wiener Zeitung), haben Sellner und Patrick Lennart ihren identitären Versandhandel „Phalanx Europa“ in Österreich geschlossen und auf Aktivisten in Deutschland übertragen. Die Website des Versandes ist allerdings aktuell offline, letzte Tweets auf Twitter datieren aus dem September 2019. Auch die vielfach angekündigte, von Sellner gepushte „Identitären“-Dating-App „Patriot Peer“ (vgl. BTN) kommt über den Zustand von Versicherungen, sie werde irgendwann vielleicht doch noch erscheinen, nicht hinaus. Das IB-nahe Video-Streaming-Portal „Freihochdrei“ von Hagen Grell existiert zwar inzwischen und wird von Sellner als Alternative bei drohenden YouTube-Sperrungen benannt, sorgt in der Szene allerdings wegen der Diskrepanz der gesammelten Geldmittel und der unprofessionellen Anmutung der Seite für Kritik (vgl. BTN).
Nun hat Sellner in einem YouTube-Video angekündigt – und offenbar auch in einer Kolumne für die Januar-Ausgabe des rechtsalternativen „Compact“-Magazins beschrieben, wie dieses vermeldet – , eine neue „Bürgerbewegung gegen Bevölkerungsaustausch“ gründen zu wollen, die offenbar unter dem Namen „Die Österreicher“ firmieren soll und bisher aus einem Platzhalter im Web besteht. Hierfür wirbt er für eine Kooperation mit dem durch die „Ibiza-Affäre“ in Ungnade gefallenen FPÖ-Chef Hans-Christian Strache. Der solle doch bitte keine neue rechte Partei in Österreich gründen, sondern seine Reichweite als „rechter Medienmacher“ nutzen und einer „Bewegung“ wie Sellners beitreten. Ob das für Strache eine attraktive Option darstellt, sei dahingestellt – immerhin befanden sich FPÖ und „Identitäre“ in diesem Jahr fortwährend im Rosenkrieg. Strache hatte sich im Sommer von den “Identitären” distanziert, nachdem herauskam, dass Martin Sellner in seiner Vor-IB-Zeit Hakenkreuz-Aufkleber auf eine Synagoge geklebt hatte (vgl. Frankfurter Rundschau). Dieser sprach traurig von einer Spaltung der “patriotischen Szene”, doch Sellners Fans verloren komplett die Contenance, als Strache den IB-Chef auf Twitter sperrte.(vgl. Frankfurter Rundschau, Kurier.at). Insofern dürften die Chancen einer Sellner-Strache-Bewegung eher gering sein – zumal die auch die Anmutung einer rechtsalternativen Resterampe hätte.
Ist die „Identitäre Bewegung“ damit am Ende?
Im November 2019 erklärte Verleger Götz Kubitschek, einer der Vordenker der „Neuen Rechten“ in Deutschland: „Zum einen ist dieser wirklich gute Ansatz einer patriotischen, nicht-extremen und sehr kreativen Jugendbewegung nun [durch den rechtsterroristischen Bezug mit dem Christchurch-Attentäter sowie rechtsextreme Biographien der bisherigen Aktivist*innen] bis zur Unberührbarkeit kontaminiert. Das bedeutet: Es wird nichts Großes mehr daraus.“
Doch auch wenn sich bisher zentrale Köpfe der Gruppierung zurückziehen: Das Label der „Identitären Bewegung“ und auch ihr ideologischer Gehalt sind zu erfolgreich gewesen, um einfach zu verschwinden. So gibt es weiterhin regional aktive Gruppe vor allem sehr junger Aktivist*innen, die weiter als IB auftreten, etwa in Sachsen, in Bayern (vgl. Aida-Archiv), in Baden-Württemberg oder in NRW (hier auch als “Defend Ruhrpott”, vgl. identitäre-in-bochum.de).
Musik, die den „Identitären“ und ihren Ideen wie der Verkleidung des Rassismus als Ethnopluralismus oder der Verschwörungsideologie des „Großen Austausches“ nahestehen, ist aktuell durchaus in der rechtsalternativen Szene erfolgreich. So findet etwa der den Identitären nahestehende HipHopper Chris Ares (eigentlich Christoph Aljoscha Zloch, vgl. BR) überraschend viele Hörer*innen, obwohl sein erstes „Album“ weiterhin auf sich warten lässt. Seine Anhänger*innen kann er soweit mobilisieren, dass sich einzelne seiner „Werke“ zumindest in Web-Charts von I-Tunes oder Amazon wiederfinden. In letzter Zeit tritt er oft mit dem nordrhein-westfälischen IB-Aktivisten Kai Naggert auf, der sich für seine Musiker-Identität „Prototyp“ nennt. Gemeinsam propagieren sie sich als „Neuer Deutscher Standard“ (NDS).
In der Szene erfolgreich ist auch das Social-Media-Sendeformat „Ruhrpott Roulette“ von „Identitären“ aus NRW, an dem Kai Naggert ebenfalls beteiligt ist, zusammen mit Marius König und der langjährigen Vorzeige-”Identitären” Melanie Schmitz. “Ruhrpott Roulette” macht Musikvideos oder eher unverständliche Straßencomedy ohne Pointen, kommt aber dennoch in der Szene an. Sehr viel weniger Klicks erhält das aktuelle IB-YouTube-Frauenprojekt „Lukreta“; hier geht es wieder einmal um rassistische Hetze unter dem Deckmantel das vorgeblichen „Schutzes von Frauen“. Das Format wirkt aber in Optik und Aufmachung eher völkisch-bieder und erhält so auch nur wenig Zuspruch.