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Der NSU-Prozess Viel Raum für rechte Verschwörungstheorien

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Collage aus Beiträgen verschiedener sozialer Netzwerke

Spionage, Mafia-Verbindungen, 9/11 und der Bundesnachrichtendienst – wenn man die Summe aller Theorien der rechten Szene über den NSU zusammennimmt, kommt man genau auf einen Nenner: „Wir“ haben damit nichts zu tun. Die Versuche, dies zu untermauern, haben eine bemerkenswerte Bandbreite. Extreme Verleumdung der Opfer beispielsweise, welche Teil einer angeblichen türkisch-holländischen Drogen- und Wett-Mafia-Szene gewesen sein sollen und zum Teil verurteilte „Schwerst-Kriminelle in den Bereichen Körperverletzung und Drogenhandel“ wären. Die Rolle von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt wird dabei gern auf die von willenlosen Marionetten verschiedenster Geheimdienste heruntergespielt – bemitleidenswerte Bauernopfer in einer weit größeren Sache.

Zustimmung und Sympathie für rechten Terror auf Facebook

Die Rolle des vermeintlich „Unwissenden“ spielt vor allem Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben in die Hände. Auf der Facebookseite „Gefangenenhilfe Freundeskreis“ sammelt man fleißig Spenden und Post für den Angeklagten. Auch T-Shirts mit dem in der Szene mittlerweile schon als zentrale Losung bekannten Spruch „Freiheit für Wolle“, kombiniert mit dem Aufdruck eines riesigen Comic-Schafs, sind zu bekommen. Im Oktober letzten Jahres produzierten zusätzlich 15 einschlägig bekannte Nazi-Bands eine CD, die unter dem Titel „Sampler – Solidarität Vol. IV“ veröffentlicht wurde und deren Einnahmen ebenfalls vollständig zur Deckung von Prozesskosten Wohllebens genutzt werden. Viele der Bands stammen aus dem internationalen Neonazi-Netzwerk „Blood & Honour“, welches nach derzeitigem Kenntnisstand Mundlos, Bönhardt und Zschäpe mit dem Sprengstoff für die Rohrbomben der 1990er Jahren versorgt haben soll. Später soll das Netzwerk dem Trio ebenfalls zur Flucht verholfen und beim Leben im Untergrund unterstützt haben. Auch sogenannte PicBadges für das persönliche Facebookprofil werden online angeboten. Bei einem kostenlosen Anbieter lassen sich Buttons erstellen, die dann Teil des eigenen Profilbildes werden. Ein User namens „Indy Fresse“ bietet hier mit der Bemerkung „Solidarität ist eine Waffe“ eine verkleinerte Version des Freiheit-für-Wolle-Schafes an. Der aus Saalfeld kommende junge Mann gibt als Hochschule „Napola“ („Nationalpolitische Lehranstalten“) an. Das Badge findet zahlreiche Abnehmer.

Compact Spezial: Eine Sonderausgabe voller Ausflüchte

Auch Jürgen Elsässer, ehemaliger Redakteur der „Jungen Welt“, „Jungle World“ und „Konkret“, sieht eine große Verschwörung geheimer Mächte durch den NSU verkörpert. Vor Beginn des eigentlichen Prozess‘ veröffentlichte die Redaktion seines Magazins „Compact“ ein „Spezial: Neonazis, V-Männer und Agenten“. Auf fast 90 Seiten diskutieren verschiedene Autoren vermeintlich offene Fragen und angebliche Unstimmigkeiten zum NSU. Ihre vorgelegten Theorien verdichten sich hin zu der Annahme, das Trio wäre eine „abhängige und weisungsgebundene Einheit eines größeren Untergrundnetzwerkes“ gewesen. Bekennervideos „mitsamt den Waffen“ sollen untergeschoben worden sein mit dem „Ziel der Dienste (…), die Zelle weiter zu radikalisieren und im bereits anlaufenden Verfahren zum Verbot der NPD öffentlichkeitswirksam einzusetzen“. Die NSU-Zelle an sich sei nichts als inszeniert gewesen. Nicole Schneiders, Wohllebens Verteidigerin mit tiefer NPD-Verstrickung und seit ihrem 16. Lebensjahr aktenkundig, hatte bei Prozessauftakt eben besagte „Compact Spezial“-Ausgabe bei sich. In ihrem Antrag berief sie sich auf das Magazin und hoffte, durch die Belastung von V-Leuten ihren Mandanten zu entlasten.

Das Internet als Sammelbecken für Holocaust-Leugner

Der Kopp-Verlag geht argumentativ in dieselbe Richtung. Auf deren Internetpräsenz ist zu lesen: „Der ganze Rummel ist ein reines Vertuschungsmanöver, das von den wirklichen Tätern ablenken soll. Dazu gehört auch die Stilisierung der angeklagten Beate Z. zum Mastermind des rechten Terrors. Die anonymen Netzwerke sollen endlich einen Namen („NSU“) und ein Gesicht bekommen (nämlich das von Beate Z. und ihren toten Freunden).“

Auch Sezession, Altermedia und PI-News sehen klar ein Versteckspiel der Behörden und gehen so weit, Holocaust-Vergleiche zu ziehen. „Das Phantom des ‚rechten Terrors‘ breitet sich wohl vor allem deswegen so ungebremst in ganz Deutschland aus, weil es eine merkwürdige psychologische Bereitwilligkeit gibt, an seine Existenz zu glauben. Wer das Land, seine Eliten und seine Meinungsmacher kennt, weiß, dass für diese nichts attraktiver ist als eine frische, funkelnagelneue ‚deutsche Schuld‘, eine Art Holocaust-Update im Miniaturformat“, schreibt einer der Autoren und erntet prompt zustimmende Kommentare. Die „rotgrünen Gutmenschen“ würden große Augen machen, so der User, wenn deutlich werde, dass ihre „Mulit-Kulti-Weltanschauung“ in Deutschland zu einem „moslemischen Mono-Kulti unter türkischer Oberhoheit“ führen würde. Ziel des Ganzen sei einzig die Rechtfertigung pro-islamischer, politischer Entscheidungen.

Auch die „Kompakt Nachrichten“ sehen bestätigt, dass der NSU vollständig vom Verfassungsschutz finanziert wurde. Tino Brandt, früherer Chef des „Thüringer Heimatschutzes“ und V-Mann des Verfassungsschutzes, habe der Bundesanwaltschaft Geldzahlungen an das untergetauchte Trio des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ bestätigt. Immer wieder drehen sich die Argumentationen um den angeblichen türkischen Wunsch, die Mordserie des NSU als zweiten Holocaust anzuerkennen und Schuld zu erzeugen – dies alles basierend auf einem angeblichen Schauprozess mit dünner Anklage. Das wahre Bestreben sei jedoch natürlich die langsame und unbemerkte „Ausrottung“ des „deutschen Volkes“.

Die rechte Opposition als Opfer

Auf einem privaten rechten Blog wird man bezüglich dieser Vorwürfe konkreter. Sämtliche Kontaktpersonen des sogenannten NSU-Trios seinen allesamt Mitarbeiter der verschiedenen Verfassungsschutzämter gewesen. Der Autor fragt sich weiter, „warum (…) die BRD den Hinterbliebenen der getöteten Türken 900.000 Euro pro Person (…) zahle“. Die Lösung hierfür hält er ebenfalls bereit und ist sich sicher, dass die an den Tatorten gesichteten Beamten die wahren Mörder wären. Schweigegelder würden fließen, um die echten Hintergründe zu verschleiern. Auf einer anderen Seite ist man sich sicher, die „neuen Lügenmärchen“ hätten den einzigen Zweck „Andersdenkende und außerparlamentarische Opposition zu kriminalisieren und mundtot machen“. Die rechte Szene sieht sich als Sündenbock, deren „unbequeme“ jedoch „wahre“ Kritik nicht an die Öffentlichkeit geraten dürfe.

Ähnlich sind die Stimmen auf privaten Twitteraccounts und YouTube-Profilen. Die Bandbreite reicht von schlichten Ausrufen nach Freilassung der Angeklagten Zschäpe und Wohlleben bis hin zu selbst angefertigten „Aufklärungsvideos“. Deutschland wird hier einstimmig als Staat wahrgenommen, der seine Bürgerinnen und Bürger gezielt uninformiert über seine eigentlichen „Machenschaften“ lasse. Zusammenhänge bis hin zu den Anschlägen in New York vom 9.11.2001 werden gezogen. Eine Schattenregierung, welche mal muslimisch und dann wieder jüdisch koordiniert wäre, würde Geschehnisse solcher Art lenken.

Konspiration spielt den Falschen in die Hände

Dass die NSU-Morde geheimdienstlich geplant waren, setzt voraus, dass die entsprechenden Behörden absoluten Einblick in die Szene hatten. Selbstverständlich war man keineswegs vollkommen ahnungslos, was Entwicklungen innerhalb der Neonaziszene anging, doch ist der Verfassungsschutz in seiner generellen Struktur nicht darauf ausgerichtet, Neonazi-Netzwerke zu erkennen, was die Enthüllungen der vergangenen Monate über Pannen und Versäumnisse mehr als deutlich gemacht haben. Entschlossenheit und Gefahrenpotenzial wurden lange völlig unterschätzt, während man behördlich davon ausging, die Szene mit Geldern lenken zu können. Einblicke in aktuelle Strömungen hatte der Geheimdienst nur durch die Zerrbrille der V-Leute, welche selbst Neonazis sind.

Wichtige Details, Bewegungen und genaue Entwicklungen blieben dadurch oft im Verborgenen, während man davon ausging, die Gefahr im Griff zu haben. Zusätzlich muss beachtet werden, dass die Behörden sich gegenseitig oft behinderten. Vielfach wusste ein Landesamt nicht, welche V-Leute eigentlich bei den Kollegen angestellt waren. Das Festhalten an einem angeblichen, kollektiven Masterplan der deutschen Regierung lenkt daher stark vom dem riesigen politischen, medialen und behördlichen Versagen ab, dem sich die Bundesrepublik aktuell stellen muss, und unterstützt die dargestellte Selbst-Entlastung der Rechten. Diese kann sich in diesem Gedankengefüge leicht von der Last der Morde freisprechen und sich als ungefährlich stilisieren.

Mehr im Netz unter:

V-Leute sind eine Falle im Rechtsstaat (netz-gegen-nazis.de) NSU-Abschlussbericht: Die bittere Lehre (netz-gegen-nazis.de)Daten und Fakten zum NSU-Prozess (netz-gegen-nazis.de) Vom „bösen Girlie“ zur „Drahtzieherin“: Zur Berichterstattung über Beate Zschäpe (netz-gegen-nazis.de)Gefeiert und verherrlicht: Der NSU in der rechtsextremen Szene (netz-gegen-nazis.de)

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