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Desiderius Erasmus Stiftung Die AfD-Stiftung mit Umsturzfantasien (Teil 2)

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António Salazar (3. v. l.) führte bis 1968 die faschistische Diktatur in Portugal. Heute gilt er der deutschen "neuen" Rechten als Vorbild. (Quelle: Wikimedia)

Feindbild Egalitarismus

Die Ablehnung der Demokratie basiert maßgeblich auf den Antiegalitarismus der extremen Rechten. Demzufolge ist es Aufgabe eines autoritären Staates mit einer Elitenherrschaft die „natürlichen“ Ungleichheit der Menschen zu bewahren bzw. wieder herzustellen, denn „Egalitarismus töte“, so Weißmann. „Es geht um Einsicht, wirkliche Einsicht haben nur Wenige. Das kann nur eine Elite betreffen, es ist absurd zu behaupten, dass plötzlich Millionen von Menschen die tatsächlichen Zusammenhänge begreifen“, so das DES-Kuratoriumsmitglied.

In Anlehnung an Karl Jaspers bezweifelt Lehnert fast identisch wie Weißmann, dass Menschenmassen demokratisiert werden können, und „ob die Durchschnittsnatur der Menschen überhaupt fähig ist, eine Mitverantwortung als Staatsbürger durch Mitwissen und Mitentscheiden der Grundlinien faktisch in ihr Leben aufzunehmen“. Daher ist er der Meinung: „Die wichtigste Aufgabe der Politik ist die Erziehung und die Frage, wie sich auf diesem Wege eine ‚staatspolitische Charakterauslese‘ (Hans Joachim Schoeps) durchführen läßt. Staatspolitik ist der Schlüsselbegriff, weil es nicht darum geht, bestausgebildete Egozentriker heranzuziehen, sondern Menschen, die sich dem oben erwähnten Verantwortungsgefühl der Gesellschaft verpflichtet fühlen und dementsprechend unter Absehung ihrer eigenen Interessen handeln“.

Es wundert nicht, dass die ‚staatsbürgerliche Bildung‘ sowie ‚die wissenschaftliche Aus- und Fortbildung begabter junger Menschen‘ eines der Kernanliegen der DES ist. Wie solch ein Staat auszusehen hat, für den das IfS und demnächst auch die DES eine ’staatspolitische Charakterauslese‘ voranbringen will, beschreibt Lehnert sehr begeistert in verschiedenen Aufsätzen. So thematisierte er in der IfS-eigenen Theorie-Zeitschrift Sezession wie aus seiner Sicht der kleinste gemeinsame Nenner, das politische Minimum, aussehen könnte, auf den man sich in Deutschland verständigen könne: Ein Staat nach dem Vorbild der autoritären, faschistoiden Diktatur in Portugal unter Salazar.

Autoritäre, faschistoides System statt liberaler Demokratie

Wer sich mit der Diktatur unter Salazar beschäftigt, wird sehr schnell die Überschneidung zu der von Lehnert, Weißmann und der „neuen“ Rechten propagierten Ideologie ins Auge springen. Salazars Diktatur, die als Estado Novo („Neuer Staat“) in die Geschichte einging, stieß schon in der frühen Bundesrepublik auf viel Begeisterung in der extremen Rechten.

Salazar brachte in seinen Reden seine Überzeugung klar zum Ausdruck, auf welchen Grundlagen der Estado Novo errichtet werden sollte: „Wir sind antiparlamentarisch, antidemokratisch, antiliberal“, so Salazar.

Salazar lehnte Demokratie und Liberalismus ab, da sie auf der Gleichheit der Bürger*innen beruhen. Dies führe zu einer Nivellierung auf dem untersten Niveau. Daher solle die Erziehung des Estado Novo dem hierarchischen Gesellschaftsaufbau Rechnung tragen. Für Salazar stand fest: „Wer kein Patriot ist, kann nicht als portugiesisch angesehen werden.“

Der Estado Novo beruhte auf dem Führerprinzip, verzichtete aber weitestgehend auf Massenevents und Führerkult. Allerdings könne nur der Führer, so Salazar, instinktiv in jedem Moment den Volkswillen erkennen. Sollte es dennoch eine Diskrepanz zwischen Volkswillen und dem nationalen Interesse, welches sich durch den Willen des Führers ausdrückte, kommen, sei es Pflicht des Führers dem Volk zu dienen, im Zweifel auch gegen den Volkswillen. Denn das Volk dürfe zwar durchaus diskutieren oder sich beschweren, habe aber zu gehorchen. Individualinteressen seien stets dem Gemeinwohl unterzuordnen. Der Staatsaufbau war dementsprechend ein stark hierarchischer. Die Gesellschaft wurde von einer Elite regiert, an deren Spitze der Führer das Sagen hat.

Salazar versuchte die Bevölkerung zu entpolitisieren, er sah sie anfällig für Ideologien, insbesondere fürchtete er den Kommunismus. Politik sollten die Eliten übernehmen. Neben der Einheitspartei União Nacional wurden keine anderen politischen Parteien und innerhalb dieser keine Gruppenbildungen geduldet.  Die União Nacional war jedoch ein reines Instrument der Machtausübung Salazars. Gerade diese Tatsache, dass die Partei so wenig zu sagen hatte und dementsprechend ein charismatischer Führer viel, ist für Lehnert ein wohltuender Unterschied zum Nationalsozialismus.

Unter Salazar herrschte eine strikte Pressezensur, ein Verbot aller Partei- und Gewerkschaftstätigkeit und ein für seine Brutalität berüchtigter Polizeiapparat, der Regimekritiker*innen gnadenlos verfolgte. Auf den Kapverdischen Inseln ließ Salazar ein Konzentrationslager nach nationalsozialistischen Vorbild für Regimegegner*innen und antikoloniale Kämpfer*innen errichten. Dort tätige Offiziere wurden im KZ Dachau ausgebildet.

Lehnert resümiert: „Das Beispiel Portugal [… ] zeigt, daß in Krisenzeiten, die Stabilität und Sicherheit eine Wertschätzung gewinnen, die einen auf vieles verzichten lassen, was dagegen entbehrlich scheint“:

Von der Krise zum Systemsturz

Lehnert, der so begeistert von Salazars Diktatur schwärmt, betont aber wie Weißmann, dass er seine wahre Anschauung und Ziele eher im Verborgenen halten müsse. Er sei gezwungen „seine Position zurückzunehmen, um wahrgenommen zu werden“.

Lehnert und Weißmann sehen nicht aus, wie man sich gewöhnlich Revolutionäre vorstellt. Sie betonen auch, es gehe nicht darum, mit einer Revolution von jetzt auf gleich den „Gordische Knoten“ zu durchschlagen und alles von einem auf den anderen Moment zu ändern – dies halten sie für illusorisch und falsch. Sie sind konservative Revolutionäre. Es gehe darum „dicke Bretter“ zu bohren und getreu Tocquevilles die Revolution nicht als einmaligen Akt, sondern als „Vollendung der langwierigsten Arbeit, der plötzliche und gewaltsame Abschluss eines Werkes“ zu verstehen. Dies ist gleichzeitig bei Lehnert mit einer klaren Absage an den Parlamentarismus verbunden. Die AfD zeige, so der Mitarbeiter eines AfD-Bundestagsabgeordneten, dass man es sich im System gemütlich macht, ja systemstabilisierend wirke. In diesem Punkt gibt es zwischen Lehnert und Weißmann wohl die größten Differenzen. Es ist kein Streit ums Ziel, sondern um den Weg. Weißmann setzt in die AfD große Hoffnungen, sie müsse Volkspartei werden. Position, wie die von Höcke, seien zum jetzigen Zeitpunkt taktisch unklug. Wichtig sei es, dass demokratisch-konservative Milieu zu erreichen um es herüberziehen zu können. Weißmann, der lange mit diesem Milieu interagierte, scheint jedoch inzwischen dort politisch verbrannt zu sein.  In dem von Norbert Lammert herausgegebenen Sammelband „Balanceakt für die Zukunft: Konservatismus als Haltung“ attestiert der konservative Politologe Hendrik Hansen sowohl Weißmann als auch Kubitschek nach einer längeren Auseinandersetzung mit dessen Texten: „Das aber ist nichts anderes als der Kern des faschistischen Denkens“.

How to make a Konservative Revolution

Lehnert setzt wenig Hoffnung in die AfD. Deshalb bedürfe es anderer Formen als Wahlen um einen Systemwechsel zu erzwingen. Er nennt fünf Bedingungen für eine (konservative) Revolution:

  • Revolutionäre Lage, bedingt durch eine (Wirtschafts-) Krise
  • Öffentliche Meinung pro Revolution, diese werde maßgeblich durch die veröffentlichte Meinung erzeugt.
  • Bündnis aus verschiedene gesellschaftlichen Gruppen, die an verschiedenen Punkten der Gesellschaft ansetzen
  • Gemeinsamer Glaube bzw. Ideologie
  • Überforderung des Systems

Vorbedingung sei zudem konkret zu wissen, was man denn für ein neues System haben wolle. Daraus ergeben sich Aufgaben für die extreme Rechte:

  • Vorhandene (Wirtschafts-), aber vor allem (System-) Krisen befördern (Akzelerationismus), um eine Systemüberforderung zu erreichen
  • Öffentliche Meinung beeinflussen durch rechte Kulturrevolution, „Gegenöffentlichkeit“, „alternative Medien“
  • Rechtsextreme Netzwerkbildung, Unterwanderung der Zivilgesellschaft
  • Rechtsextreme politische Bildung, insb. für zukünftige Eliten

Diese Punkte verdeutlichen, warum die extreme Rechte um Kubitschek, Lehnert und Weißmann ein so großes Interesse an der DES haben. Denn eine mit jährlich 70 Millionen Euro staatlich geförderte Stiftung kann behilflich sein, Eliten zu finden und auszubilden, eine gemeinsame Ideologie zu vermitteln und die eigenen, gut ausgebildeten und ideologisch gefestigten Leute in wichtigen Institutionen wie Polizei, Bundeswehr, Kultureinrichtungen, in der politischen Bildung, Sozialverbänden, Gewerkschaften und weiteren systemrelevanten Orten zu platzieren. Ziel ist es, die Destabilisierung des Systems voranzutreiben, die zu einem Systemwechsel führt. Doch ohne revolutionäre Situation sei dies nicht zu machen. Diese ist nicht ohne Außenbedingungen einfach herbeizuführen. Deshalb liebt die extreme Rechte die Ausnahmesituation, die Krise.

Hurra die Krise ist da!

„Wünschen wir uns die Krise! Sie bedrängt, sie bedroht unser krankes Vaterland zwar, aber gerade dies weckt vielleicht seinen Mut, ins Unvorhersehbare abzuspringen und das zu wagen, was den Namen ‚Politik‘ verdiente: Nur kein Rückfall ins Siechtum, ins Latente, ins Erdulden!“, gab Götz Kubitschek 2007 als Parole aus. Lehnert betont, wenn es die und nicht nur eine Krise ist, muss die Systemfrage gestellt werden. Und da will man nicht abwarten und in der Ecke sitzen, sondern man müsse, wenn die Krise da ist, schnell handeln, in die sich kurzzeitig geöffnete Tür eintreten. Das heiße, „daß wir immer mit der Krise rechnen müssen bzw. immer in der Krise leben“ müssen. Bei Weißmann klingt es ähnlich: „Für einen Elitenwechsel bedarf es einer heiklen Situation, in der ein Wechsel möglich ist. Wenn es da zu einer krisenhaften Zuspitzung kommt, dann zerbricht das bestehende Gefüge insgesamt. Und das ist im Grunde genommen die einzige Möglichkeit, in der ich einen Elitenwechsel für realistisch halte. Für die Konservativen ist wichtig, dass man eine derartige Situation in den Blick nimmt, sich darauf vorbereitet“.

Diese permanente Krisenrhetorik, sich in der entscheidenden Krise mit der Option ‚erzwungener Systemsturz‘ zu wähnen, ist spätestens seit den Fluchtbewegungen 2015 Kennzeichen auch der deutschen extremen Rechten. Mit der Coronavirus-Krise, den zu erwartenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen, führende Bundeswehrgeneräle erwarten starken ‚Migrationsdruck‘ und Kriege als Folge von Covid19, werden sehr viele der extremen Rechten die entscheidende Krise zum Systemwechsel im Kommen sehen. Sie bereiten sich in unterschiedlicher Weise darauf vor, „in die geöffnete Tür zu treten“. Die Gefahr rechtsterroristischer Anschläge wird weiter steigen, auch durch organisierte Rechtsextreme in Bundeswehr und Polizei ,  aber auch die Übernahme von Teilen der Zivilgesellschaft, wie es die AfD in einem internen Papier als notwendige Strategie formuliert hat, wird angestrebt.

Um aus einer Krise, die Krise zu machen wird die extreme Rechte verschiedene Wege gehen. Der Bürgerkrieg ist eines der propagierten Mittel. So beruft sich Erik Lehnert auf die Definition von Hobbes, wonach der Bürgerkrieg dort herrscht, wo über grundlegende Fragen keine Einigkeit mehr herrscht. In Anlehnung an diese Bürgerkriegsrhetorik ist für Björn Höcke die AfD „die letzte evolutionäre, […] die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“. Entweder die AfD gewinnt oder der Bürgerkrieg kommt. Götz Kubitschek wähnt sich schon lange im Vorbürgerkrieg „Er ist die Phase, in der die Gegenwehr begrifflich und strukturell organisiert wird. Wer den Bürgerkrieg vermeiden will, muß den Vorbürgerkrieg annehmen und gewinnen.“  Instrumentarien des Vorbürgerkrieges sind für Kubitschek sein Verein „Institut für Staatspolitik“, der Antaios Verlag, die Höcke-AfD, aber auch die Bibliothek des Konservativismus und eben auch die DES, wenn diese auf Linie gebracht ist. Die Rhetorik eines Vorbürgerkriegs vermittelt klar: Entweder wir gewinnen oder es wird noch viel, viel schlimmer und gewalttätiger. Die DES könnte also eine wichtige Rolle bei den Bestrebungen von extremen Rechten innerhalb und außerhalb der Stiftung spielen, ein Systemsturz herbeizuführen. Da kommen die erwarteten 70 Millionen Euro Steuergelder oder „Zwangsfinanzierung“, um im AfD-Sprech zu reden, für die DES wie gerufen.

Nicht nur Rechtsextremismusexpert*innen, auch Konrad Adam, Mitgründer und Ehrenvorsitzender der DES, wähnt die extreme Rechte sowohl innerhalb der AfD, als auch in der Desiderius-Erasmus-Stiftung bereits in deren Mitte und somit bei einem wichtigen Zwischenziel angekommen, wie seinem Gastbeitrag in der WELT vor wenigen Tagen zu entnehmen war. Adam gilt in der AfD und DES als Vertreter der alten Lucke-AfD und somit als ‚gemäßigt‘. Er will nicht gleich die ganze parlamentarische Demokratie abschaffen, sondern fragte schon 2006 ob man nicht „Inaktiven“ und Versorgungsempfängern wie Bezieher*innen von „unproduktiven Haushaltstiteln wie Rente, Pflege, Schuldendienst und Arbeitslosigkeit“ das Wahlrecht aberkennen solle. Dass Vertreter solcher Positionen als schon beinah zu gemäßigt in der AfD gelten, sagt viel über deren immense Radikalisierung der letzten Jahre und Monate. Ob die DES angesichts ihres Führungspersonals und dieser Entwicklung inkl. Beobachtung großer Teile der AfD durch den Verfassungsschutz wirklich nach der Bundestagswahl die Kriterien zur Förderung parteinaher Stiftungen erfüllen und Steuergelder in Millionenhöhe beanspruchen kann, wird in den nächsten Monaten debattiert werden müssen.

Den ersten Teil dieses Textes lesen Sie hier.

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