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Die AfD und der Antisemitismus – Teil 2

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Foto von einer AfD-Kundgebung in Mainz, 2015. (Quelle: Flickr / Franz Ferdinand Photography / CC BY-NC 2.0)

Im Juli 2016 verließ Wolfgang Gedeon im Zuge einer Debatte über seinen Antisemitismus die baden-württembergische AfD-Fraktion. Der Fall Gedeon gilt parteiintern als Betriebsunfall und nicht als Beleg für einen mannigfaltigen Antisemitismus in der Partei. Antisemitismus sei ausschließlich ein Problem von Muslim_innen und Linken, so der vorherrschende Tenor. Die Spitze der Bundes-AfD verkündet jüngst gar selbstbewusst, die AfD sei  „in Deutschland das einzig große Bollwerk gegen Antisemitismus„. Ein Jahr nach der Gedeon-Debatte stellt sich also die Frage, ist Antisemitismus eine Ausnahmeerscheinung in der AfD oder doch ein wesentlicher Bestandteil in ihrer politischen Agenda?

Die „Pro-Israel“-Fraktion

Ein Teil der Führungsspitze um Frauke Petry und Marcus Pretzell befürwortet für die AfD einen proisraelischen Kurs. „Israel ist unsere Zukunft“, beschwor beispielsweise Marcus Pretzell bei einem Treffen seiner Europaparlamentsfraktion ENF, um dann die taktische Komponente gleich hinterherzuschieben: „in der Form wie man mit den politischen Islam in Zukunft umgeht“. Teile der AfD, wie auch Teile anderer europäischer Rechtspopulist_innen, vertreten somit einen proisraelischen Kurs, der eindeutig taktisch bedingt ist. Hierbei sind zwei taktische Ziele bestimmend: 1) Israel wird als Bollwerk gegen „den Islam“ angesehen. 2) Formulierte Israel-Solidarität soll Ausdruck sein, dass man nicht antisemitisch ist und es somit verunmöglichen als rechtsextrem tituliert zu werden.

 

Pro Israel = Kontra Antisemitismus?

Ein Bestandteil der „Pro-Israel-Fraktion“ sind auch die organisierten Christ_innen in der AfD. Während der Gedeon-Debatte stand Wolfgang Gedeon im Landtag von Baden Württemberg seinem Parteikollegen Daniel Rottmann gegenüber. Rottmann trug demonstrativ ein  „I love Israel „-Shirt. Daniel Rottmann ist in der AfD innerhalb der „Bundesvereinigung Christen in der AfD“ organisiert. Die AfD ist nicht seine erste Partei. Zuvor war er in den inzwischen aufgelösten christlich-fundamentalistischen Kleinstparteien  „Partei Bibeltreuer Christen“ (PBC) und „Partei für Arbeit, Umwelt und Familie“. Die PBC hat mit der Losung „Solidarität mit Israel “ Politik und Wahlkampf gemacht. Christlich-fundamentalistische Solidarität mit Israel ist aber alles andere als ein Gegenentwurf zum Antisemitismus. Die Grundlage christlich-fundamentalistischen Denkens ist der Glaube, dass die Wiederkehr Gottes bzw. des Messias kurz bevorstehe. Hierbei nimmt Israel eine zentrale Rolle ein, weil viele christliche Fundamentalist_innen glauben, erst wenn sich alle Jüd_innen und Juden in Israel versammeln, erscheine der Messias wieder. Dies impliziert aber auch eine, bis auf Israel, judenfreie Welt. Mehr noch: Demzufolge bedarf es Israel für den Endkampf zwischen Gut und Böse und das anschließende Jüngste Gericht. Zudem ist ein wesentlicher Bestandteil dieser fundamentalistischen Ideologie die Judenmission, denn Ziel müsse es sein, dass ganz Israel sich zu Jesus Christus bekenne und das Judentum somit überwunden werde. Also ist diese Israel-Solidarität zutiefst anti-jüdisch. Es gibt unterschiedliche Einschätzungen, wie stark die christlich-fundamentalistische Strömung innerhalb der AfD ist. Sie ist nicht dominierend, aber erkennbar existent. Dass die Pro-Israel-Positionierung einzelner AfDler weitgehend instrumentell ist und nicht mit einer generell antisemitismuskritischen Positionierung einhergeht, ist nicht auf die christlichen Fundis beschränkt.

Am lautesten positionieren sich Pretzell und Petry proisraelisch. Wenn es um Antisemitismus in der eigenen Partei geht, schlagen sie jedoch ganz andere Töne an. Frauke Petry positionierte sich im Gedeon-Streit, wenn auch aus taktischen Gründen, eher auf der Seite Gedeons und verharmloste seinen Antisemitismus massiv. Auch spricht sie sich dafür aus, den antisemitischen Begriff „völkisch“ positiv zu besetzen. Petry hat auch keine Probleme sich mit dem Antisemiten Schironowski zu einem Meinungsaustausch zu treffen. Ihr Ehemann äußert sich sporadisch auch immer wieder pro-israelisch, wie gezeigt, um Israel als Bollwerk gegen den Islam zu stilisieren. Denn nicht nur ihm geht es in erster Linie nicht um Israel, sondern um den Kampf gegen den Islam im Westen. Wenn es um Antisemitismus in der eigenen Partei geht, offenbart auch er schnell, dass er damit allem Anschein nach wenig Probleme hat: Thomas Traeder war bis Anfang 2017 kulturpolitischer Sprecher in Pretzells Landesverband Nordrhein-Westfalen. Dann trat er aus der Partei wegen Duldung antisemitischer Inhalte aus, u.a. durch den Vorstand in Person von Marcus Pretzell. Parteiintern hatte er antisemitische Postings von Parteimitgliedern skandalisiert. In diesen hieß es z.B.: Angela Merkel, die „zionistische Jüdin“ verkaufe Deutschland, sie werde „Europa und die Menschen vernichten“ das sei ihr „Judenauftrag“. Und zu Flüchtlingen: „Soll Israel sie doch aufnehmen […] Herr Schuster [gemeint ist der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland,] warum greifen sie uns Deutsche an und richten ihre Forderungen nicht an Israel? Weil sie uns, gemäß Hooton-Plan [antisemitisch aufgeladene Verschwörungstheorie, nach der das deutsche Volk ausgetauscht werden soll], schädigen wollen? „. Er hatte das dem Parteivorstand gemeldet. Woraufhin ihm Pretzell geantwortet haben soll, dass er diese Postings nicht für antisemitisch halte und den Verfasser geraten habe, rechtlich gegen Traeder vorzugehen. Pretzell habe noch hinzugefügt, man müsse überlegen, ob Leute wie Traeder noch Platz in der AfD haben. In der Öffentlichkeit inszeniert sich Pretzell als Kämpfer gegen Antisemitismus, parteiintern will er Antisemitismus nicht mal erkennen.

Dieser Nicht-Umgang mit Antisemitismus ist sehr verbreitet, ja nahezu Konsens in der Partei. Wenn man sich die antisemitischen Vorfälle der letzten drei Jahre anschaut, kommt man zum Ergebnis, dass Antisemitismus in der AfD nur sehr selten Konsequenzen hat. Vorherrschendes Motto der selbsternannten Anti-Establishment-Partei: Man übt höchstens Druck gegen in der Parteihierarchie unten befindliche Mitglieder aus, auf höher gestellte Parteifunktionäre wird fast nie Druck ausgeübt, sie werden nicht einmal öffentlich kritisiert.

Die „Pro-Israel „-Positionierungen unterschiedlicher Couleur sind jedoch in der AfD bei weitem nicht konsensfähig, weder in der Parteispitze noch in der Gesamtpartei. Nach Medienberichten ist selbst die Befürwortung des Existenzrechts von Israel in der Partei nicht mehrheitsfähig. Eher konsensfähig ist die Position von Alexander Gauland, der betont sich „aufgrund der besonderen Rolle Deutschlands“ nicht zu Israel äußern zu wollen. Die Diskussionen auf dem Bundesparteitag in Köln zeigten das sehr deutlich. Mit einem von der Parteispitze um von Storch, Gläser und auch Gauland eingebrachten Antrag zur Stärkung deutsch-israelischer Freundschaft wurde sich auf Wunsch der Mehrheit der Delegierten nicht befasst. Begründung: Das Problem mit israelischen  „Kriegsverbrechern „, die sich nicht dem internationalen Recht stellten, sei zu komplex, um es beim Parteitag zu besprechen.

                    

Verbreitete antisemitische Ressentimentfelder in der AfD

In der AfD sind verschiedene Facetten von Antisemitismus zu erkennen. Insbesondere drei Ressentimentfelder stechen heraus: Erinnerungskultur, Differenzkonstruktion „Deutsche versus Juden“ und das Feld der Verschwörungstheorien. Triebfeder nahezu aller Positionierungen der AfD ist ein starker Nationalismus, so auch beim Antisemitismus. Verbunden ist dies häufig mit einem Opfermythos, der vielfach mit extrem geschichtsrelativierenden NS-Bezug (Die AfD werde verfolgt wie die Juden von 1933-1945, Martin Hohmann: „Vom Staat finanzierte SA wird auf uns losgelassen „) verbunden ist.

 

Deutsche Geschichte

Einer der bestimmenden Faktoren für den Antisemitismus im deutschen Rechtspopulismus und der AfD ist das vertretene Geschichtsbild. Während die AfD nach außen so tut, als seien die Positionen von Björn Höcke umstritten, gilt das nicht für Martin Hohmann. Hohmann, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, löste im Jahr 2003 einen der größeren Antisemitismus-Skandale in Deutschland mit seiner Rede zum 3. Oktober aus, als er darüber philosophierte, ob Juden ein Tätervolk seien. Dass er in der AfD eine neue politische Heimat gefunden hat, und in Hessen auf Listenplatz 4 für die Bundestagswahl gesetzt wurde und somit sehr wahrscheinlich dem nächsten Bundestag angehören wird, ist nicht verwunderlich. Die AfD betont einmütig, Hohmann sei Unrecht angetan worden und die AfD will durch seinen Einzug in den Bundestag Wiedergutmachung leisten.

Hohmann ist nicht der einzige CDU-Politiker der mit seiner Geschichtsauffassung in der AfD eine neue Heimat gefunden hat. Wilhelm von Gottberg, Beisitzer im Landesvorstand Niedersachsen, bezeichnete den Holocaust als  „Mythos“ und  „Instrument zur Kriminalisierung der Deutschen“. Allerdings tat er diese Äußerungen noch in der Zeit als er in der CDU tätig war. Doch anders als die CDU hat die AfD ihn auf einen sehr aussichtsreichen Listenplatz für den Bundestag gewählt.

Wie in der gesamten deutschen Rechten ist auch bei der AfD der vermeintliche ´Schuldkomplex`, der den Deutschen im Wege stünde, Kernthema bei der Geschichtsauseinandersetzung. Selbst die vermeintlich liberal-konservative Alice Weidel spricht vom deutschen  „Schuldkult“. Der Gebrauch dieses Begriffs ist Teil eines umfassenden Versuchs, Ursachen, Verlauf und Folgen des Nationalsozialismus zu leugnen oder zumindest zu verharmlosen. Der Begriff  „Schuldkult” soll jede kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit als lächerlich und aufgezwungen erscheinen lassen.

Parteichefin Petry sprach im Interview mit der israelischen Tageszeitung  „Yedioth Ahronoth “ davon, dass die deutsche Politik „unter einem Schuldtrauma“ leidet und eine „Denkdiktatur“ entstanden sei. Parteivize Gauland sagte gegenüber der  „ZEIT“, dass Hitler den Deutschen weitgehend das Rückgrat gebrochen habe und Deutschland sich immer noch mit Auschwitz herumschlagen müsse. In dem Interview spricht er davon, dass  „Auschwitz, auch als Symbol, viel in uns zerstört habe“. Der Tenor: Die Deutschen sind Opfer und selbst die toten Juden zerstören bis heute  „viel in uns“. Das ist genau das was der österreichische-israelische Arzt Zvi Rix schon Jahrzehnte bevor es die AfD gab auf den Satz brachte:  „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen „. Im Wahlprogramm 2016 der AfD Sachsen-Anhalt werden die Jahre von 1933 bis 1945 als die  „zwölf Unglücksjahre unserer Geschichte“ betitelt. Unglück definiert der Duden als „Zustand des Geschädigtseins durch ein schlimmes, unheilvolles Ereignis“. So sieht die AfD den Nationalsozialismus, Deutsche sind Opfer nicht Täter. Verbunden ist das mit der Auffassung, dass Deutschland sich ‚immer noch‘ mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen muss, die Rolle des ‚ewigen Büßers‘ inne habe und dadurch  daran gehindert werden, seine ‚ihm zustehende‘ Rolle in der Welt einzunehmen. Häufig wird dies mit antisemitischen Erklärungen begründet: Die Juden bzw. Israel würden den Holocaust instrumentalisieren um Deutschland „klein zu halten“.

Selbst Holocaustleugnung scheint in der AfD eher als Kavaliersdelikt zu gelten und die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel ist für viele eine Ikone der Unbeugsamkeit. Björn Höcke bezeichnet sie als Opfer und sieht Holocaustleugnung als  „Meinungsdelikt“. Auch Alexander Gauland scheint kein Problem mit den Positionen der Holocaustleugnerin zu haben. Er hielt einen Vortrag bei einem Seminartag des rechten Vereins „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft“ (SWG). Unter den Gästen des internen Seminars war auch Haverbeck-Wetzel.

 

Verschwörungsideologien

In der AfD finden sich viele Anhänger_innen unterschiedlichster Verschwörungstheorien. Sei es der Glaube „finstere Mächte“ würden uns mit aus Flugzeug strömenden Gasen vergiften (Chemtrails), die Gesellschaft destabilisieren und den eigen Profit und die eigene Macht steigern über die Verbreitung „unnatürliche Ideologien“ wie Feminismus und „Genderismus“ oder gar die ganze Bevölkerung austauschen wollen über gezielte Migration. Letzteres, firmiert in rechten Kreisen unter den Schlagworten „Umvolkung“ und „Migrationswaffe“. Zusammenfassend macht man immer eine Verschwörung gegen Europa oder konkret gegen Deutschland aus. Und frönt sich – interessanterweise wie auch oftmals im mehr oder weniger verhassten Islamismus – in einem Opfermythos. Personalisiert werden die ausgemachten Dratzieher_innen der Weltpolitik oft mit imaginierten Vertreter_innen des „Weltjudentums“, wie Rothschild, Rockefeller und dem aktuellen Hauptfeind der antisemitischen Verschwörungsideologie, George Soros und seiner Open Society Fundation. Die aktuellen Migrationsbewegungen nach Europa und der Bürgerkrieg in Syrien werden als bewusst herbeigeführt durch „zionistische Kräfte“ erklärt.

Zu nennen ist hierbei auch der schon mehrfach angesprochene Björn Höcke. Auf einer AfD-Demonstration in Gera dachte er laut darüber nach, warum Geflüchtete in so großer Zahl nach Deutschland kommen:

„Ich will keine Verschwörungstheorien nähren, aber an mancher Verschwörungstheorie ist doch ein Kern an Wahrheit zu finden. Ich habe so die dumpfe Vermutung, dass diese Flüchtlingsströme, die in unser Land und nach Europa geleitet werden, dass die Flüchtlingsströme doch als Migrationswaffe eingesetzt werden um etwas zu erreichen, was die Destabilisierung Europas genannt werden kann. Welche Rolle Frau Merkel dabei spielt, (…), das kann nur vermutet werden. Es gibt in meinen Augen nur zwei Möglichkeiten – Erste Möglichkeit: Frau Merkel hat ihren Verstand verloren. Und die zweite Möglichkeit ist, das ist so unglaublich – wenn es so wäre – aber es ist tatsächlich eine realistische Möglichkeit in meinen Augen: Die zweite Möglichkeit ist: das sie in einen großen, großen geopolitischen Plan eingeweiht ist und diesen Plan willentlich durchführt.“

Höcke macht nur Andeutungen, seine Aussagen sind nicht offen antisemitisch. Jedoch bietet er viel Spielraum für Deutungen. Diese werden vom Publikum klar verstanden. Deutungen die aufgrund gesellschaftlicher Überlieferungen, antisemitischer Vorstellungen in großen Bevölkerungsteilen, gerade im AfD-Spektrum, stets abrufbar sind. Auf Facebook finden sich massig antisemitische Karikaturen, die Sorros als Strippenzieher der Weltpolitik zeigen und Merkel als willenlose Erfüllungsgehilfin. Andere in der AfD sind da noch klarer als Hö von 2014 vorfinden. Diese wurden damals von Jürgen Elsässer mitinitiiert und sprachen auch große Teile eines sich links verstehenden Spektrums an.

 

Differenzkonstruktion: Deutsche vs Juden

Eine der in Deutschland tief verankerten und bei weitem nicht auf das AfD-Spektrum beschränkte antisemitische Ressentiment ist, dass Juden nicht zugleich Deutsche sein können. Schon 1815 stellte Saul Ascher ernüchtert fest „Die Juden, heißt es, sind weder Deutsche noch Christen, folglich können sie nie Deutsche werden. Sie sind als Juden der Deutschheit entgegengesetzt, folglich dürfen sie die Christen nicht als ihresgleichen aufnehmen und können sie unter ihnen höchstens mit der Einschränkung geduldet werden, daß man überzeugt sei, sie treten der Deutschheit nicht in den Weg.“

Viele in der AfD scheinen dies so oder so ähnlich nach wie vor zu sehen. Auch Björn Höcke ist in diesem Denken verhaftet. Schon 2015 erklärte er: „Christentum und Judentum stellen einen Antagonismus dar“. In der „Dresdner Rede“ Anfang 2017 forderte Höcke durchaus kompatibel mit den anderen AfD-Vorderen eine „180-Grad-Wende in der deutschen Erinnerungspolitik“ um dann die Bombardierung Dresdens als „Kriegsverbrechen“ zu verurteilen und zu behaupten man sei bis heute nicht in der Lage „unsere eigenen Opfer zu betrauern“. Nicht nur angesichts der Instrumentalisierung der Bombardierung Dresdens schon seit Anbeginn der DDR und dem Vorhandensein von Kriegsdenkmälern in fast jedem kleinen deutschen Dorf ist dies eine völlig falsche Aussage. Mehr noch, Höcke, der sich immer beschwert, dass dem Gedenken an dem Holocaust ein viel zu großer Raum eingeräumt wird, unterscheidet hier zwischen Deutschen und Juden. Sein Vorwurf: Den einen wird zu viel gedacht den anderen zu wenig, ganz so, als seien viele der in der Shoa ermordeten Jü_dinnen und Juden keine Deutschen gewesen.

Damit ist er nicht allein. Auch sein Bruder im Geiste, Andre Poggenburg, AfD-Vorsitzender in Sachsen-Anhalt denkt so. Anders ist sein Posting über Michel Friedmann „Dieses schleimiges Etwas müsste des Landes verwiesen werden. Eine Zumutung und Schande für Deutschland“ nicht zu erklären.

 

Antisemitismus bei AfD-Wähler_innen

Die vielen antisemitischen Vorfälle in der AfD und die kaum vorhandene rigorose Ächtung dieser ist kein Zufall und hängt wesentlich auch mit dem AfD-Spektrum inklusive deren Wähler_innen zusammen.

 Laut der Studie „Gespaltene Mitte — feindselige Zustände“ der Friedrich Ebert Stiftung aus dem November 2016 stimmen Anhänger_innen der AfD klassisch antisemitischen Aussagen viermal häufiger zu als Anhänger_innen der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Bei israelbezogenem Antisemitismus lag laut der FES-Studie die Zustimmungsrate bei AfD-Anhänger_innen mit 47 % zwei bis dreimal höher. Häufig wird kolportiert, dass die AfD vor allem im Osten ein Rechtsextremismusproblem habe. Hier zeichnet eine Studie der Universität Hamburg ein anderes Bild. Sie ergab, dass 59% die Wähler_innen der AfD in der Hansestadt der Aussage „Auch heute ist der Einfluss von Juden groß“ zustimmen, während es unter den Wähler_innen der anderen Partei 16% sind. Beide Studien sprechen also von knapp viermal höheren Zustimmungsraten zu klassisch-antisemitischen Aussagen bei Wähler_innen der AfD.

 

Kritik des Antisemitismus der AfD – aber richtig

Der Antisemitismus der AfD und ihrer Wähler_innen fällt bei der Betrachtung der Partei immer wieder unter den Tisch. Was nicht verwundert, da Antisemitismus in Deutschland den meisten nur auffällt wenn er in „Stürmer-Manier“ vorgetragen wird. Dennoch gilt auch hier, wer den Antisemitismus der AfD thematisiert und kritisiert, muss den gleichen Maßstab an ähnliche Vorfälle in anderen Parteien anlegen und auch diese benennen. Als eine SPD-Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg ein antisemitisches Video postete war der Aufschrei innerhalb und außerhalb der SPD erschreckend leise. Nicht nur die AfD ist nicht gewillt Antisemit_innen aus der Partei zu werfen, auch hat die SPD mit Thilo Sarrazin einen der ideologischen Wegbereiter von Pegida und AfD bis heute nicht ausgeschlossen. Die jetzt thematisierten antisemitischen Äußerungen von von Gottberg hat er getätigt, als er CDU-Bürgermeister war. Da es möglich war, dass er als AfD-Abgeordneter Alterspräsident im neuen Bundestag würde, war es wichtig und richtig dies zu benennen. Jedoch hätte dies auch schon in aller Deutlichkeit geschehen müssen, als er noch für die CDU aktiv war. Noch deutlicher ist dies bei der Partei „Die Linke“ und einigen ihrer Bundestagsabgeordneten, die mehrfach an antisemitischen Aktionen beteiligt waren – ohne nennenswerte Konsequenzen. Den taktischen Umgang mit Antisemitismus den die AfD pflegt, hat sie nicht erfunden. Auch die anderen Parteien und verschiedene gesellschaftliche Milieus sind gut darin, immer nur den Antisemitismus der Anderen zu thematisieren.

Fazit

Die diversen antisemitischen Äußerungen von AfD-Funktionsträger_innen, die keine Konsequenzen nach sich ziehen, die Wahl von Personen in den Vorstand der Partei, wie zuletzt in Berlin Marzahn Hellersdorf oder Diepholz geschehen, die sich antisemitisch geäußert bzw. im Umfeld von Holocaustleugnern verkehrt haben, die Äußerung Höckes über die Holocaustleugnerin Ursula Harverbeck, die Wahl Martin Hohmanns auf einen aussichtsreichen Listenplatz für die Bundestagswahl und die generelle Forderung einer 180-Grad Wende der Erinnerungspolitik sind nur die offensichtlichsten Signale aus der AfD, dass sie in Bezug auf Antisemitismus seit dem Gedeon-Skandal nicht sensibler geworden ist. Im Gegenteil. Der Fall Gedeon hat die AfD offenbar in ihrer Haltung bestärkt, dass ihr antisemitische Positionen nicht schaden. Und diese antisemitischen Positionierungen gehen auch mit taktischen pro-israelischen Aussagen und auch dem Versuch einer taktischen Einbindung von Jüdinnen und Juden gut zusammen.

In der AfD gibt es keinen Streit zwischen Ideologien, sondern um Strategien zur Übernahme des Landes und um (parteiinterner) Macht. Dementsprechend gibt es auch kein Flügelstreit zwischen Antisemit_innen und Anti-Antisemit_innen. Antisemitismus ist nicht die programmatische Klammer, die die Partei zusammenhält. Daher ist die AfD auch keine genuin antisemitische Partei, wie etwa die NPD. Jedoch ist Antisemitismus ein bestimmendes Ideologiefragment in der Partei, der den politischen Kompass der Partei wesentlich mitbestimmt. Daher ist die AfD eine äußerst attraktive Partei für Antisemit_innen. Frauke Petry meint, es gebe in der AfD kein Sprachrohr für Antisemitismus. Eher das Gegenteil ist die Wahrheit: In der AfD gibt es kein, zumindest nicht-taktisch geprägtes, Sprachrohr gegen Antisemitismus, sondern diverse Sprachrohre des Antisemitismus. Einige davon werden ab Oktober wohl im Bundestag sitzen.

Aufmacherbild oben: Flickr Franz Ferdinand Photography / CC BY-NC 2.0

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