Todesdrohungen gegen Seda Başay-Yıldız
Bereits seit August 2018 erhält die Anwältin Seda Başay-Yıldız Briefe mit Todesdrohungen und rassistischen Beschimpfungen. Die ersten dieser Drohbriefe waren mit „NSU 2.0“ unterschrieben, was als Hinweis auf die Rolle von Başay-Yıldız im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund gewertet werden kann. Dort hat sie die Familie des ermordeten Enver Şimşek vertreten. Im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wurde festgestellt, dass die Daten der Anwältin an einem Computer im 1. Polizeirevier in Frankfurt abgefragt wurden. Seitdem wurden sechs Polizist*innen vom Dienst suspendiert, von einem Ermittlungserfolg ist bisher jedoch nichts öffentlich bekannt geworden. Auch die Drohungen gegen Başay-Yıldız haben nicht aufgehört. Laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ hat sie noch im Januar mehrere Faxe erhalten, die wahrscheinlich von denselben Absender*innen stammen sollen.
„Gemeint sind wir alle“
Angesichts dieser Vorfälle fand vor zwei Wochen in Frankfurt am Main eine Veranstaltung mit dem Titel „Gemeint sind wir alle. Solidarität mit den Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ statt. Neben Michael Weiss von NSU Watch, der Schriftstellerin Esther Dischereit, dem hessischen Justizminister Rupert von Plottnitz sowie Abdulkerim Şimşek, dem Sohn des NSU-Opfers Enver Şimşek, war auch Seda Başay-Yıldız selbst zu Gast auf dem Podium. Mit „Nullinformation“ beschrieb sie dort die Informationspraxis der Polizei, weshalb sie sich schließlich aus Selbstschutz zur Information der Öffentlichkeit entschieden hat. „Die Öffentlichkeit schützt einen. Nachdem ich ein Interview gegeben habe, hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer geäußert und der deutsche Anwaltsverein hat gesagt, dass das in einem Rechtsstaat nicht sein kann“, so Seda Başay-Yıldız. Aufgrund der Zeitungsartikel kam es einerseits zu öffentlicher Solidarität mit ihr, andererseits aber auch zu neuen rassistischen Anfeindungen per Mail.
Brandanschläge gegen linke Wohnprojekte
Mit Kris Simon vom Mietshäuser Syndikat Rhein-Main kam eine weitere Betroffene von rechter Gewalt bei „Gemeint sind wir alle“ zu Wort. Sie berichtete von einer Brandserie gegen neun linke und alternative Wohnprojekte im Rhein-Main-Gebiet. Bei einem Projekt in Hanau wurde beispielsweise ein Bauwagen angezündet, der als Gartenlaube genutzt wird. In Frankfurt-Rödelheim wurde die Hütte im Vorgarten des besetzten Hauses „In der Au“ in Brand gesteckt. Bei einem Wohnprojekt des Miethäuser Syndikats in Schwalbach am Taunus griff das Feuer vom Gelände auf die Scheune und das Wohnhaus über. Nur mit Glück konnte sich eine Person aus dem Obergeschoß rechtzeitig ins Freie retten. Nach dem bisher letzten Brandanschlag im Dezember 2018 gegen das Hanauer Kulturzentrum „Metzgerstraße“ wurde ein 44-jähriger Mann aus Frankfurt vorübergehend festgenommen, der für diesen Vorfall dringend tatverdächtig ist. Er hatte sich schon seit längerem mit bürokratischen Mitteln gegen das Mietshäuser Syndikat eingesetzt. In der Folge soll es zu Ermittlungsversäumnissen gekommen sein. So gebe es laut Staatsanwaltschaft Hanau keinen Zusammenhang zwischen dem Brand in der Metzgerstraße und den acht Bränden zuvor. „Dies ist für uns nicht nachvollziehbar gewesen, weil sowohl die Art und Weise wie die Brände gelegt wurden, sehr ähnlich waren, als auch das Ziel immer das gleiche war, nämlich linke Kulturprojekte und linke Wohnprojekte.“ meinte Kris Simon im Rahmen von „Gemeint sind wir alle“.
Die Frankfurter Erklärung in Solidarität mit den Betroffenen
Aus der Veranstaltung ist wenig später die „Frankfurter Erklärung in Solidarität mit den Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ hervorgegangen. In ihr wird ein Ende der Bagatellisierung von rechten Straftaten durch die politisch Verantwortlichen gefordert. Den Initiator*innen – unter anderem die Bildungsstätte Anne Frank, die Türkische Gemeinde in Deutschland, der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein – geht es um eine Anerkennung des strukturellen Problems im deutschen Polizeiapparat.
Die Dringlichkeit des Anliegens wird beim Gespräch mit Atila Karabörklü deutlich. Er ist Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Hessen und Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinden in Deutschland: „Nicht nur die Betroffenen selber müssen sich mit den rassistischen Anfeindungen beschäftigen, sondern wir alle müssen etwas tun.“ Er erhofft sich durch die Frankfurter Erklärung eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und konkrete Handlungen von der Politik. „Die jüngsten Vorfälle zeigen erneut, dass sich rechte Netzwerke bei der Polizei etabliert haben. Die davon ausgehende Gefahr wurde seitens des Staates bisher nicht ausreichend ernst genommen.“
Forderungen an Politik und Polizei
Mit Hinblick auf Seda Başay-Yıldız betont Esther Dischereit: „Das ist nicht ihr privates Problem. So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei. Da braucht man Unterstützung und zwar öffentliche. Es bedarf des öffentlichen Drucks, um eine von staatlichen Stellen unabhängige ständige Kommission durchzusetzen.“ Als mögliches Vorbild nennt die Schriftstellerin die britische MacPherson Kommission, die 1999 einen Bericht zu institutionellem Rassismus und struktureller Diskriminierung in Großbritannien veröffentlicht hat.
Vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein wird die Notwendigkeit einer unabhängigen Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten hervorgehoben. „Es hat sich immer wieder gezeigt, dass Polizeibehörden schlicht die falschen sind, um das Fehlverhalten anderer Polizist*innen angemessen aufzuarbeiten.“, meint dazu Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling, Mitglied im RAV-Vorstand und Nebenklägervertreter im NSU-Prozess. „Deswegen muss eine solche Stelle unabhängig von den Polizeibehörden sein – und sollte möglichst auch mit umfassenden Ermittlungsbefugnissen ausgestattet sein.“
Mittlerweile kann die „Frankfurter Erklärung in Solidarität mit den Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ im Internet unterzeichnet werden. Innerhalb der ersten Tage haben bereits über 300 Leute den Aufruf unterzeichnet. Einige Unterzeichner*innen kommentieren ihre Entscheidung mit kurzen Begründungen wie „Die Angehörigen der NSU Opfer haben immer wieder berichtet, wie schlimm für sie das Schweigen der Öffentlichkeit war.“ oder „Solidarität mit von rechter Gewalt Bedrohten ist wichtig und überfällig in dieser Form.“
Kai Stoltmann arbeitet bei „zebra e.V. – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe“ und ist Vorstandsmitglied vom „VBRG – Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“. Diesen Text schreibt er als freier Autor.