Wenn ein Moment der Ruhe einkehrt, spürt man die Erschöpfung erst richtig. Im letzten Sommer kamen wir nicht recht dazu, damals ging die Hasswelle so richtig hoch, da war kein Platz für Erschöpfung. Aber jetzt ist es August 2017 und der Hass scheint ebenso müde wie wir alle. Zwei Jahre anstrengender Polarisierung im politischen Alltag, zwei Jahre voller Konfrontation und Kämpfe um Gleichwertigkeit liegen hinter uns. Zwei Jahre voller rechter Propaganda, Nazi-Müll, aber auch ebenso vielen positiven Erkenntnissen über stabile Menschlichkeit. Diese zwei Jahre waren lang wie ein Marathon – und anstrengend, weil nun sichtbar wurde, was bisher nur als diffuse Stimmung zu spüren war. Das ist neu in Deutschland. Die Zeiten der verdrucksten Andeutungen sind vorbei. Es ging hart zur Sache. Das waren die meisten nicht gewohnt. Also lasst uns ruhig ein wenig erschöpft sein – wir haben es uns redlich verdient.Die Pause aber füllt sich mit anderen Fragen, die typisch sind für solche Momente der Müdigkeit. Was treibt uns eigentlich an? Wohin soll das Ganze gehen? Was machen wir, wenn Polarisierung zu Radikalisierung wird? Können wir das eigentlich verhindern? Können wir wirklich etwas bewegen? Etwas, das Mut und Klarheit hervorbringt und nicht nur noch mehr Kleinkram und Arbeit? Liegt die Antwort wirklich im Noch-Mehr-Konzepte-und-Anträge-Schreiben oder der interkulturellen Öffnung der Mehrgenerationenhäuser? Da muss es doch noch mehr geben, oder?Tja, die Frage ist schwer zu beantworten. Denn den Gedanken unterbricht die Frau mit den langen, grauen Haaren. Sie hält die Tür einladend auf. „Kommt jetzt. Fangen wir an“. Draußen stehen etwa 30 Leute von bürgerlich bis Edelpunk, ältere und junge, darunter einige Flüchtlinge. Drinnen gibt es Kaffee, heißes Wasser für Tee und kaltes zur Erfrischung. So beginnt das Treffen einer Gruppe, die sich mit der Situation in der nahegelegenen Flüchtlingsunterkunft befasst. Es sind Leute aus dem Mehrgenerationenhaus dabei. Die Tagesordnung ist lang: Es geht um die Beschulung der Kinder nach den Ferien. Willkommensklassen sind nicht so effektiv zum Deutsch lernen, sagen die einen. Die anderen sehen gerade keinen anderen Weg, weil zu viele Kinder nur kurz in der Unterkunft bleiben. Ein anderes Thema: die medizinische Versorgung, ein drittes die rassistischen Sprüche im Supermarkt, ein viertes, ein fünftes und sechstes folgen. Am Ende gehen viele wieder mit To-Do-Listen nach Hause. Sowas machen Leute in der Sommerpause.Meetings, Gremienarbeit, Protokolle, Vernetzungstreffen und das alles neben der Arbeit in der Flüchtlingsunterkunft, bei der Opferberatung oder dem offenen Nachmittag im Mehrgenerationenhaus, wo gerade über einen Fall von rassistischem Verhalten einiger Senioren gestritten wird. Das eine geht nicht ohne das andere. Die Mühen des Alltags scheinen so unnütz und sind doch so notwendig. Der Kleinkram hat sich nicht verändert, das politische Klima schon. Die offene Zustimmung zu rechten Parolen ändert nichts am mühsamen Weg, den die Zivilgesellschaft gehen muss. Es gibt kein Fingerschnippen mit dem mit einem Mal alles anders wird. Keinen Knopf, auf den wir drücken und alles ist besser.Die Helden dieser anstrengenden Zeit – da sind sie. Die in den Sitzungen, diejenigen, die einen Unterschied machen wollen, die sowohl menschlich als auch politisch handeln, die sich kümmern, hartnäckig bleiben, mit Verwaltungen ringen, diejenigen, die Ergebnisse wollen, echte, reale, differenzierte und kluge Veränderungen. Trotz der Erschöpfung geht’s weiter. Mit mehr Muskeln für den nächsten Marathon. Sie sind unglaublich. Sie sind meine Helden. Ich wünsche Ihnen allen einen erholsamen Sommer.
Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstandes der Amadeu Antonio Stiftung. Dieser Text ist ein Auszug aus dem Newsletter der Amadeu Antonio Stiftung, den Sie hier abonnieren können.