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Die „Identitäre Bewegung“ – Open-Source-Ideologie aus dem Internet

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Open-Source-Ideologie - und "Identität" - für alle: Facebook-Seiten von "Identitären" in der Slowakei, Tschechien, Deutschland und Großbritannien. (Quelle: Screenshot / ngn)

Partei? Verein? Gang? Burschenschaft? Oder doch nur eine Facebook-Gruppe?

Bei der „Identitären Bewegung“ gibt es keine ersichtliche, statische Organisation. Es handelt sich um freie, selbst organisierte, nicht hierarchische Gruppen. Eine solche Gruppe kann praktisch jeder mit einem Facebook-Account gründen und betreiben. Die „Identitäre Bewegung“ versteht sich selbst als „Grass Roots Movement“. Das heißt, sie gehen aus einem bestimmten, in der bürgerlichen Gesellschaft latent vorhandenen Bedürfnis hervor. Mitglieder sind vor allem junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Diese kommen meist aus einem Umfeld der bürgerlichen Mittelschicht und haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein abgeschlossenes Studium oder absolvieren gerade selbiges. Die Mitglieder sehen sich als (neo-)konservative  Mittelschicht, welche für die „wahren“ Werte eines Europa der Nationalstaaten eintritt und diese zu verteidigen versucht. Sie verstehen sich als Verteidiger der Pluralität der christlich, abendländischen Kulturen gegen die „Gleichmacherei“ von „Multi-Kulti“ und gegen die angeblich drohende Islamisierung.

Open-Source-Ideologie

Die einzelnen Akteure und Sympathisanten, die Untergruppen und internationalen Vertretungen sind extrem gut über soziale Netzwerke miteinander vernetzt, unterstützen einander und verwenden die Publikationen der jeweils anderen. Die „Identitäre Bewegung“ ist als eine „Open-Source-Ideologie“ zu verstehen, zu der jeder beitragen und bei der sich ein jeder bedienen darf. Somit gibt es faktisch keine Einstiegsschwelle und Sympathisanten können leichter angesprochen werden. In öffentlichen Aktionen treten sie meist mit populären Themen auf, welche kaum rechtsextreme Hintergründe erkennen lassen, wie Kritik an der Konsumgesellschaft, für Umweltschutz, für saubere Städte. „Open-Source“ bedeutet auch, dass Inhalte beliebig oft recycelt, verändert und benutzt werden. Dies geht soweit, dass ganze Webseiten weitergegeben werden. So sind die Internetseiten der Identitären Bewegung in Frankreich, Österreich und Deutschland nahezu identisch in Design und Inhalt.  Die Inhalte wurden lediglich übersetzt und den lokalen Spezifikationen angepasst. Selbiges passiert mit Facebook-Posts, Grafiken und Videos. Die Identitäre Bewegung ist also eine „Open Source Ideologie“ und funktioniert gleichzeitig wie ein Franchise-Unternehmen und kann so extrem schnell und leicht  expandieren. Inhalte, Grafiken und die ganze Ideologie kann einfach weitergegeben werden im „Copy-Paste“ Verfahren. Somit kann jeder sofort voll einsteigen und seine eigene regionale Gruppe gründen ohne nennenswertes Vorwissen oder Vorarbeit.

„Wir sind die Guten“

Die „Identitären“ sehen sich selbst als „politisch inkorrekt“ und begeben sich damit in die Gesellschaft von Rechtspopulisten wie Michael Stürzenbergers „Freiheit“, der AfD, der Pro Bewegung und Thilo Sarrazin, die an die Meinungsfreiheit appellieren und darauf pochen, doch nur auszusprechen was sich sonst keiner sagen traue. Diese Argumentationsführung wird von den „Alten“ und „Neuen Rechten“ schon lange benutzt, um Rassismus und Holocaustleugnung zu rechtfertigen.

Taktisch distanzieren sich die „Identitären“ wortreich von Rassismus und dem Nationalsozialismus. Sie beziehen sich hingegen geschichtlich auf die deutsche Romantik die Aufklärung und einen Nationalismus vor 1930, mit sozial darwinistischen Ansichten.

Das Hauptthema der „Identitären Bewegung“ ist ein Eintreten für den Ethnopluralismus, also ein „Europa der Vaterländer“. Dazu gibt es mehrere verbindende Unterthemen:1. Kampf gegen die Islamisierung Europas und religiöse Einflüsse im Allgemeinen.2. Kampf gegen den Multikulturalismus der 68er.3. Kampf für ein Europa der Nationalstaaten.

Die deutsche „Rechte“ entwickelt sich

Die „Identitäre Bewegung“ ist ein äußerst schwer zu fassendes Phänomen innerhalb der „Neuen Rechten“. Die Gruppierungen sind im höchsten Maße heterogen, sind extrem wandlungs- und anpassungsfähig und haben kaum feste offizielle Strukturen bzw. stringente Kulturkonzepte. Dies ist als eine Anpassung rechtsextremer Politik und Ideologie auf die strenge Überwachung durch den Staat zu verstehen. So haben sie ihre Rhetorik in den letzten Jahren stark verändert und ihre Konzepte von rassistischen Stereotypen, ethnischen Differenzen, Raumansprüchen und ethno-kulturellen Identitäten dem „politisch korrekten Zeitgeist“ angepasst. Die losen Strukturen und die „virale“ Open-Source Ideologievermittlung, insbesondere im Internet, bilden ein kaum zu überblickendes, schwer überwachbares und nahezu unmöglich zu verbietendes Netzwerk.

Die „Identitäre Bewegung“ als paneuropäisches rechtsextremes Netzwerk stellt speziell für die deutsche „Neue Rechte“ einen entscheidenden Entwicklungsschritt dar. Befreit und bereinigt vom „Ewig Gestrigen“ und mit authentisch jungem Auftreten wird ein weiterer Schritt weg vom dritten Reich vollzogen. Eine in Ästhetik und Rhetorik unverfängliche xenophobe, rassistische Ideologie wird vertreten, die stark an jene rechtsextremen Konzepte vor 1930 erinnert. Auch in „Mein Kampf“ steht ja nicht geschrieben: „treibt alle Juden und Zigeuner zusammen und vergast sie“, auch hier wurde scheinbar sachlich und „politisch korrekt“ beschrieben, wie gut der Deutsche ist und wie schlecht alles andere eigentlich zu ihm passt. So stellt die „Identitäre Bewegung“ eine ideologische Gruppe dar, die durch das herkömmliche Vorstellungsraster von rechtsextremer Ideologie durchfällt. Dadurch ist es ihnen möglich, Jugendliche anzusprechen, die normalerweise eine Beschäftigung mit rechtsextremen Ideologien ablehnen würden. So versucht der Rechtsextremismus, der Schmuddelecke zu entkommen und schafft es bisweilen, gesellschaftlich akzeptiert Rassismus zu äußern.

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Der Autor hat über die „Identitäre Bewegung“ seine Bachelorarbeit geschrieben. Sie kann hier heruntergeladen werden (pdf).

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