Fünf Jahre ist es nun her, da ging die AfD in Chemnitz gemeinsam mit Neonazis auf die Straße. Was mancherorts im kleinen bereits Alltag war, fand damals mit führenden Kadern der Partei statt. Es war der offene Schulterschluss mit den Rechtsextremen. Die hatten Tage zuvor Migranten durch die Straßen der Stadt gejagt und mobilisierten innerhalb kurzer Zeit tausende Rassist*innen und Neonazis auf die Straße. Für einige Stunden übernahmen sie, trotz anwesender Polizei, das Gewaltmonopol. Es war einer von zahlreichen Grenzverschiebungen und Tabu-Brüchen, die wir seither immer und immer wieder durch die AfD erlebt haben. Eine Partei, die sich seit Bestehen immer weiter und weiter in Richtung Rechtsextremismus radikalisiert. Mittlerweile wird die Gesamtpartei vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft.
Die Reaktionen der Demokrat*innen darauf: Wir werden nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Immerhin steht die AfD für Rassismus, Verschwörungserzählungen und Demokratiefeindlichkeit. So gut es eben gehe, müssten die Rechtsradikalen von unserer Gesellschaft und demokratischen Prozesse ferngehalten werden. Fortan wurde dieser informelle AfD-Ausschluss auch gerne als Brandmauer gegen rechts bezeichnet. Doch spätestens mit der Übernahme des neuen CDU-Chefs Friedrich Merz scheint diese vermeintliche Brandmauer gefährlich ins Wanken geraten zu sein. Sofern es sie überhaupt je gegeben hat und sie nicht nur eine schöne Illusion war.
(K)eine Zusammenarbeit mit der AfD und Union
Noch Mitte Juni 2023 erteilte CDU-Chef Merz jeder Zusammenarbeit mit der AfD eine klare Absage. „Es wird für uns weder im Europaparlament, noch im Deutschen Bundestag, noch in irgendeinem Landtag in Deutschland eine Zusammenarbeit mit dieser Partei geben. Es wird sie nicht geben“, sagte Merz beim kleinen CDU-Parteitag in Berlin unter langanhaltendem Applaus. Ein CDU-Bundesparteitagsbeschluss verbietet jegliche Zusammenarbeit der Christdemokraten mit AfD und Linken, schließlich wird die Union trotz grassierender rechter Gewalt nicht müde zu betonen, dass man gegen jeden Extremismus sei, um so die vermeintliche Gefahr von links aufrechtzuerhalten.
Was in Merz‘ Aufzählung vom Juni fehlt? Die kommunale Ebene. Im ZDF-Sommerinterview Ende Juli sagte Merz dann, dass man auf kommunaler Ebene nicht umhinkomme, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Nach Empörung innerhalb der Union rudert er zurück. Eine Strategie, die wir schon zigmal bei AfD-Funktionären erlebt haben.
Union, die „Alternative für Deutschland mit Substanz“
Nach der Wahl des ersten AfD-Landrates im Kreis Sonneberg erklärte Merz Ende Juni auf einer Pressekonferenz noch einmal, wer die „Hauptgegner“ der Union sind: die Grünen. Wenig später nennt er seine Union „Alternative für Deutschland mit Substanz“. All das scheint Teil eines Kuschelkurses mit zumindest AfD-Wähler*innen, wenn nicht gar mit der AfD selbst.
Montagmorgen um 10 Uhr Bier trinken: „Gillamoos ist Deutschland“
Auf einer Wahlkampfveranstaltung auf dem Gillamoos-Volksfest in Bayern, am Montag, dem 4. September, folgen dann die nächsten rechtspopulistischen Entgleisungen des CDU-Chefs. Montagmorgens, um 10 Uhr, knapp dreißig Minuten vor seiner Rede stößt Merz mit Markus Söder, Bayerischer Ministerpräsident, mit einer halben Maß Bier an, ein halber Liter passt in den Krug! Dem Anlass entsprechend trägt der Sauerländer Merz eine typisch bayerische Trachten-Jacke.
Dem um 10 Uhr Montagmorgens Bier trinkenden bayerischen Publikum sagt Merz anerkennend: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland“, ihr seid Deutschland. Was Merz damit meint? Im bundesdeutschen Verständnis steht Kreuzberg für eine moderne und migrantisch geprägte Gesellschaft mit mehrheitlich grüner Wählerschaft. Und wenn Merz hier öffentlich sagt, Kreuzberg sei nicht Deutschland, meint er damit dann, dass Migrant*innen nicht zu Deutschland gehören?
Söder habe das Aiwanger-Problem „bravourös gelöst“
In Bayern ist nun seit knapp einer Woche ein unsäglicher Antisemitismusskandal im Gange. Die SZ machte publik, dass beim stellvertretenden Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger (Freie Wähler) zu Schulzeiten Shoa-Verharmlosende Flugblätter gefunden wurden. Gekonnt erklärt Aiwanger sich zum Opfer einer Medienkampagne, einer Schmutzkampagne. All das scheinbar gut gelernt durch Beobachtung, wie der ehemalige US-Präsident, Donald Trump, Demokratie- und Frauenverächter, mit Kritik umgeht. Und diese Umdeutungs-Taktik des womöglich früheren Hitler-Verehrers scheint bei den bayerischen Wähler*innen gut anzukommen.
Trotz der abscheulichen, antisemitischen Zeilen, die entweder von Hubert Aiwanger oder seinem Bruder verfasst wurden, hält Markus Söder an dem Freie-Wähler-Politiker fest. Generell scheinen viele Menschen in Bayern, eine potentielle Neonazi-Vergangenheit eines Spitzenpolitikers als Art Kavaliersdelikt zu betrachten, statt zu begreifen, welchen immensen Schaden dieses Festhalten an der Macht, der deutscher Erinnerungskultur anrichtet. Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt. Laut einer Insa-Umfrage legten die Freien Wähler seit der Causa Aiwanger um vier Prozentpunkte zu und stehen nun bei 15 Prozent. Aiwanger wird von den Wähler*innen also nicht abgestraft, sondern noch belohnt. Man kann diese Zugewinne nun als Protest der Wähler*innen deuten, wie es einige so gerne bei der AfD tun. Oder wir begreifen endlich, dass Antisemitismus, Rassismus, völkisches und nationalistisches Denken seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nie weg waren, sondern sie immer noch Teil der deutschen Gesellschaft sind. Eine glaubhafte Entnazifizierung hat es schließlich nie gegeben.
Anstatt, dass Merz an die Verantwortung der Deutschen im Umgang mit der Shoa erinnert, lobt er Söders Umgang mit Aiwanger: „Das hast du bravourös gelöst. Sehr gut, genauso war es richtig, das so zu machen. Das war verdammt schwierig.“ Aber wer will schon im Bierzelt, morgens um 10 Uhr über die Verbrechen der Deutschen im NS sprechen. Darüber wurde ja eh schon genug gesprochen. Nun ist ja auch mal gut. Wir sollten mal einen Schlussstrich ziehen. Diese Hitlerzeit war doch nur ein Vogelschiss… Wir brauchen eine erinnerungspoilitische Wende um 180 …..
Nach ein bisschen Rassismus, der Unterstellung, Deutschland würde autoritär regiert, völkischer Heimattümelei und einer Absage an die Grünen als potenzielle Koalitionspartner (die AfD erwähnt er nicht), kommt Merz am Schluss seiner Rede auf die Medien zu sprechen. Er nennt es eine Bitte, doch es klingt eher wie eine Drohung: „Überlegen sie sich gut, welche Verantwortung sie auch haben in Deutschland.“ Er fordert die Medien auf, ein breites Meinungsspektrum abzubilden. Die kampagnenartige Hetze gegen die Grünen vor allem in einigen privaten Medien, die pro und contra Texte, ob man nun Menschen in Not im Mittelmeer ertrinken lassen soll oder rassistische Debatten um sogenannte „Clans“ und angeblich gewaltbereite junge Migranten sind doch bereits gute Belege dafür, wie auch konservative Narrative abgebildet werden. Noch weiter rechts sind wir dann irgendwann im extrem rechten Mediensumpf. Der aus guten Gründen gesellschaftlich geächtet ist, da hier demokratiefeindliche und rassistische Inhalte immer und immer wieder wiederholt werden.
CDU-Mitglied Maaßen: „Ohne AfD können wir nicht, es geht darum, wie wir mit ihnen können“
Die CDU rutscht offensichtlich immer weiter nach rechts. Viele Beobachter*innen fragen sich, ob Merz die sogenannte Brandmauer nach rechts einreißen wird. Doch diese Brandmauer ist schon lange baufällig, wenn es sie überhaupt je gab. Im kommenden Jahr finden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen statt. Die Umfragewerte der in großen Teilen rechtsextremen AfD sind enorm. Koalitionsmöglichkeiten scheinen derzeit teilweise sehr schwierig. Bei einem „geheimen“ Treffen zwischen Unions-Personal und AfDlern Ende August in Wetzlar forderte etwa Hans-Georg Maaßen, ehemals Verfassungsschutzpräsident und weiterhin CDU-Mitglied, dass die Brandmauern fallen müssten: „Ohne AfD können wir nicht, es geht darum, wie wir mit ihnen können“.
Maaßen verlor seinen Posten als Verfassungsschutzchef letztendlich, weil er 2018 dementierte, dass es in Chemnitz vor den neonazistischen Ausschreitungen Hetzjagden von Rassist*innen auf Migranten gab. Seither scheint er als umtriebiger Lobbyist für eine Vermittlung zwischen Union und AfD unterwegs zu sein.