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Die Kampagne »Volkstod« – das aktuelle Thema des demographischen Wandels wird umgedeutet

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Rechtsextremer Aufmarsch in Wismar (2012): Neonazis nutzen die Debatte um den demographischen Wandel für ihre Propaganda und sprechen vom vermeintlichen »Volkstod« (Quelle: Antifaschistische Koordination Lübeck)

Von Janna Petersen und Stella Hindemith

Bevor auf die rechtsextreme Ideologie des »Volkstod« dezidiert eingegangen wird, ist es notwendig, kurz eine Leerstelle in den öffentlichen Debatten um den demographischen Wandel zu betrachten. Das Thema »demografischer Wandel« ist in hohem Masse komplex und vielfältig. Was in den Auseinandersetzungen bislang jedoch ausgespart bleibt und nicht betrachtet wird, ist die Möglichkeit, in diesem Zusammenhang auch über die Förderung von Einwanderung nach Deutschland zu diskutieren. Dies ist jedoch unzureichend im Fokus parteipolitischer Debatten. Die Vorstellung einer ethnisch homogenen, als »deutsch« definierten Gemeinschaft bestimmt nach wie vor politisches Handeln sowie die Gesetzgebung. Die hier kritisierte Perspektive auf die demographischen Veränderungen kann Anschlusspunkte eröffnen nicht zuletzt für rechtsextreme Ideologie.

Alter Wein in neuen Schläuchen – Die »Volkstod«-Kampagne der »Spreelichter«

Die »Spreelichter«, eine Gruppierung des rechtsextremen Netzwerks »Widerstandsbewegung in Südbrandenburg« starteten die »Volkstod«-Kampagne. Bereits 2006 machten sie mit der Parole »Die Demokraten bringen uns den Volkstod« auf einem Volksfest in Lübbenau auf sich aufmerksam. Es folgten mehrere Aktionen, bei denen Neonazis mit weiß geschminkten Gesichtern, Kutten, z.T. mit Sensen ausgestattet und so als »Tod« verkleidet auf den angeblich bevorstehenden Untergang des »deutschen Volkes« aufmerksam machen wollten. Von unangemeldeten Demonstrationen über Street-Art Aktionen griffen sie dabei auf ein »ungewöhnlich ideenreiches Aktionsrepertoire zurück«. In 2011 aktualisierten »Die Unsterblichen« diese Kampagne. Am 1. Mai 2011 marschierten in Bautzen ca. 200 Rechtsextreme in der Dunkelheit mit weißen Masken und Fackeln durch die Stadt und skandierten: »Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist«. Sie regten zur Nachahmung dieser konspirativen und unangemeldeten Aktion an – mit Erfolg, denn kurze Zeit später wurden bundesweit ähnliche Aktionen von Rechtsextremen durchgeführt.

Dass Rechtsextreme die Debatte um den demographischen Wandel mit ihren Kampagnen in den vergangenen Jahren verstärkt aufgreifen, ist durchaus einleuchtend. Wie eingangs erwähnt, können sie hier ihre Ideologie nahtlos an ein Thema des politischen Mainstreams anknüpfen. Die Thematik ist in der extremen Rechten aber nicht neu: Bereits im Nationalsozialismus war es die völkische Begründung für die Bevölkerungspolitik sowie »Rassenhygiene« der NS-Ideologie – rechtsextreme Gruppierungen beziehen sich auch nach 1945 noch auf den Begriff des »Volkstods«. Sie stellen die Veränderungen der Bevölkerungsstruktur als rassistische Apokalypse dar. Dahinter steckt die für die rechtsextreme Ideologie zentrale Konstruktion der »Volksgemeinschaft«. Diese imaginierte »Volksgemeinschaft« wird dem »Volkstod« als Ideal und Alternative gegenüber gestellt. In der rassistischen Idee einer »homogenen Gemeinschaft« sind biologistische Vorstellungen der Mutter- und Vaterschaft zentral. Mit dem Bild eines angeblich »schleichenden Volkstods« versuchen die Kampagnen der Rechtsextremen den Kern völkischen Denkens »alltagstauglich« aufzuarbeiten. Im Zentrum der Propaganda wird versucht, die freie und demokratische Grundordnung anzugreifen. Das politische System der Bundesrepublik sei verantwortlich für eine Entwicklung von Gesellschaft als »Zweckverband ohne Gemeinschaftswerte« sowie für die »Gefahr des Volkstods«. Zuwanderung wird in dem rassistischen Konzept der »Volksgemeinschaft« zur drohenden »Überfremdung« – Migrantinnen und Migranten werden Rechte und Teilhabe an der Gesellschaft abgesprochen. Rechtsextreme imaginieren einen »Austausch« der deutschen Bevölkerung durch »Fremde« – forciert durch ein bewusstes Interesse der »etablierten Politik«. In dieser Verschwörungstheorie inszeniert sich die rechte Szene gleichzeitig als durch das »System« verfolgte Gruppe, die als einzige die Interessen der »Deutschen« vertrete und den Mut habe, die »Wahrheit« auszusprechen.

Für Frauen mag das Thema »Volkstod« interessant sein, als dass ihnen hier eine besondere Verantwortung und Relevanz zugesprochen wird: Rechtsextreme thematisieren und dramatisieren die »natürliche« Rolle der Mutter – schließlich hänge aus ihrer Sicht die Verhinderung der demografischen Apokalypse daran, dass »deutsche«, weiße Frauen »deutsche«, weiße Kinder gebären. Die im Internet von den »Unsterblichen« verbreiteten Bilder bieten die Möglichkeit, rechtsextreme Ideologie mit einem äußerlich modernen und zeitgemäßen Frauenbild zu verbinden.

Die »Volkstod«-Kampagne in Mecklenburg-Vorpommern

Während die rechtsextreme Szene in Mecklenburg-Vorpommern bis zum Jahr 2010 noch den Begriff des »demographischen Wandels« nutzte und ideologisch auflud, wurde in der Folge das Wort »Volkstod« verwendet. Dies geschah keineswegs zufällig. Die Jungen Nationaldemokraten (JN) führten in dieser Zeit überall im Land Schulungen zum Thema für den politischen Nachwuchs durch.

Bereits kurz nach dem – nicht nur szeneintern – viel beachteten Fackelmarsch der »Unsterblichen« in Bautzen fanden auch in Mecklenburg-Vorpommern Aufmärsche in ähnlicher Form statt. So liefen im Juni 2011 in Teterow und in Waren (Müritz) weiß maskierte Neonazis mit Fackeln durch die Straßen. »Die Kampagne war modern, chic und funktionierte mit den Mitteln der modernen Kommunikation. In Mecklenburg-Vorpommern war die Kampagne deshalb so erfolgreich, weil sie als Bindeglied zwischen älteren Nazis in der NPD, jüngeren Nazis in der JN und Kameradschaften funktionierte: Das Thema verband alle, die Form war bei der JN beliebt«, wie ein Beobachter der rechtsextremen Szene anmerkt.

Auch die rechtsextreme Plattform »Freies Pommern« knüpfte an die »Volkstod«-Kampagne an. 2012 tauchten Flyer mit der Parole »Volkstod stoppen« auf, bebildert mit einem Totenkopf und einer rinnenden Sanduhr. Wie weit das Aktionsrepertoire reichte, zeigten die Neonazis bei einem Badewannenrennen in Ueckermünde 2012: Obwohl die rechtsextreme Gruppe im Vorfeld nicht zu dem Rennen zugelassen wurde, schaffte sie es, sich vor dem Start des Rennens mit ihrem Boot in die Veranstaltung zu schummeln. Auf dem Boot befanden sich mehrere verkleidete Neonazis als »Sensenmänner« sowie eine Figur, die den »letzten Deutschen« darstellen sollte.

Auch die NPD nutzte das Thema »Volkstod« und verbreitet ihre rassistische Weltanschauung seit Anfang 2012 mit der bundeslandweiten Kampagne »Deutsche Kinder braucht das Land – Volkstod stoppen«. Sie beklagt den angeblichen »demographischen Supergau« – hervorgerufen durch die »familienfeindliche Politik« und durch die Zuwanderung, mit der »Mecklenburger und Pommern […] einfach durch Fremde ersetzt werden«. Frauen kommt hier vor allem die Rolle der »deutschen Mutter« zu, die den Fortbestand des »deutschen Volkes« sichern sollen. Dementsprechend verwendete die NPD-Kandidatin Annemarie Bärthel das Thema für die Kommunalwahlen 2014 im Wahlkampf. Sie forderte einen Anstieg der Geburtenrate, so sei diese schon immer »[d]er beste Wertmesser im Sinne des Volkes […] gewesen« – die rechtsextreme Hetze lieferte sie gleich mit, ihrer Ansicht nach würde die Politik »ihre Kraft ausschließlich für Minderheiten jeglicher Art (Homosexuelle, Asylanten usw.)« einsetzen.

Im Oktober 2012 marschierten etwa 150 Rechtsextreme unter dem Motto »Wir wollen leben« durch Wismar. Sie trugen Transparente auf denen »Volkstod stoppen« oder »Die Revolution beginnt im Bett« – ein Aufruf an die Rechtsextremen zu mehr Fortpflanzung – zu lesen war. In den vorderen Reihen der Demonstration befanden sich ebenso Frauen wie Männer – dass Frauen in der rechtsextremen Szene relevante Positionen als politische Aktivistinnen einnehmen, ist inzwischen eine gängige Erscheinung. Trotzdem besteht die rechtsextreme Szene auch weiterhin auf gesamtgesellschaftlich anschlussfähige geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen von Frauen. So auch in Wismar: Am Ende des Demonstrationszuges schoben mehrere Teilnehmerinnen leere Kinderwägen vor sich her, die symbolisch für den bevorstehenden »Volkstod« stehen sollten.

Auch in der leider sehr anschlussfähigen rechtsextremen Hetze gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und Geflüchtete findet sich die Thematisierung des »Volkstods« wieder. Obwohl Mecklenburg-Vorpommern eines der Länder mit der niedrigsten Zuwanderungsrate ist, skandieren Neonazis gegen »Überfremdung« und »Asylbetrug«. Zuletzt riefen Rechtsextreme unter dem Tarnmantel der Initiative »Schöner und sicherer wohnen« zu einer Demonstration im März 2014 in Ueckermünde auf. Es ging um den Bau einer Unterkunft für Geflüchtete. Auf dem Aufmarsch kam auch eine Frau zu Wort, die sich geschickt als »sorgende junge Mutter« inszenierte. Sie sprach darüber, sich angesichts des Baus einer Unterkunft für Asylsuchende um die Sicherheit »deutscher Frauen« und ihrer Kinder zu sorgen. Wie so oft wird hier versucht zu suggerieren, dass grundsätzlich eine Gefahr von Asylsuchenden und ihren Familien – einschließlich deren Kindern – ausginge. Ängste werden auf Grundlage rassistischer Behauptungen geschürt. Und auch wie so oft passt die sorgende, junge Mutter gut in dieses Bild. Steht sie doch immer noch viel stärker für Friedfertigkeit und Fürsorge als ihr rassistische und rechtsextreme Meinungen zugetraut werden.

Im Rahmen der rechtsextremen »Volkstod«-Kampagne folgen bis heute unzählige kleine Aktionen in Mecklenburg-Vorpommern, die häufig einen sehr spontanen Charakter aufweisen. Das Thema eint nicht nur das gesamte rechtsextreme Spektrum, sondern bietet wie geschildert auch für Frauen ein breites Betätigungsfeld, in dem sie und ihre »biologischen Möglichkeiten« eine besondere Wichtigkeit erfahren.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus der Broschüre:

Frauen und Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern.

Eine Broschüre des Vereins „Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e.V.“ im Auftrag des Landesfrauenrates M-V e.V.in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung.2015

Die Broschüre gibt es hier als pdf zum Download.

Eine Printversion können Sie hier bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellen.

 

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