„Die Kehre – Zeitschrift für Naturschutz“ heißt ein neues Magazin aus dem identitären Spektrum des Netzwerks „Ein Prozent für unser Land“. Erscheint die „Identitäre Bewegung (IB)“ vor allem im urbanen Milieu verankert, inszenieren sich Vertreter*innen aber ebenso naturverbunden und um den ländlichen Raum bemüht. Über die erwähnte Plattform „Ein Prozent“, mit der auch das seit jeher in der sachsen-anhaltinischen Provinz verortete „Institut für Staatspolitik (IfS)“ verbunden ist, wurde beispielsweise 2017 das „Netzwerk Landraum“ gestartet. Dieses Projekt soll entsprechend gesinnte Familien beim Aufbau von rechten Siedlungen unterstützen, und weitere Menschen für die Idee der rechten Raumergreifung mobilisieren. Die neue Zeitschrift scheint als Ergänzung im Rahmen der schon oft von Akteur*innen der sogenannten „Neuen Rechten“ geforderten stärkeren Besetzung des Ökologie-Themas gedacht zu sein.
Eindeutig einzuordnen: IB und IfS mit Verbindungen zur AfD
„Die Kehre“ erscheint in Dresden und wird von „Antaios“ vertrieben. Der Hauptverantwortliche Jonas Schick ist nicht nur regelmäßiger Autor bei der „Sezession“ und Mitglied der „Identitären Bewegung“, sondern war zudem in Bremen bei der Jugendorganisation der AfD „Junge Alternative (JA)“ aktiv, sowie Mitarbeiter von Frank Magnitz – Mitglied des Bundestages und der Bremischen Bürgerschaft für die AfD (siehe „AfD-Watch Bremen“). Ebenso deutlich lassen sich die meisten Autor*innen der Erstausgabe dem Spektrum IB und IfS, mit Verbindungen zu AfD, rechtsradikalen Burschenschaften und anderen ‚neurechten‘ Medien zuordnen (siehe „blick nach rechts“). Zudem findet sich ein Interview mit Walter Rauch von der FPÖ und ein Artikel von Michael Beleites im Heft. Letzterer ist durch seine Aktivität in der Umweltbewegung der DDR wohl als einziger bereits im Themenfeld in Erscheinung getreten. Als ehemaliger Leiter der sächsischen Stasiunterlagenbehörde gibt er dem Magazin darüber hinaus einen bürgerlichen Anstrich, wie Marius Hellwig, Experte für Rechtsextremismus im ländlichen Raum, betont. „Beleites schrieb aber bereits für die ‚Sezession‘, hielt Vorträge beim IfS und der rechtsextremen ‚Burschenschaft Normannia zu Jena‘, und fiel auch schon durch Sympathiebekundungen für ‚Pegida‘ auf, was für eine bewusste Hinwendung in diese Spektren spricht“.
„Die Kehre“ gegen links und „moderne Konservative“
Laut „Die Kehre“ ein „weitgefächertes Feld“ an Autor*innen, aber „allen [sei] jedoch eines gemeinsam: die Kritik an unseren Industriegesellschaften und ihrer verzehrenden Instabilität“. Was sonst alles noch im Argen liege, wird weiter ausgeführt: Von der Linken gebe es nur „einseitige[n] ‚Klimaschutz‘ und eine „Instrumentalisierung der Natur für Emanzipationsbestrebungen“. Dagegen gesetzt seien „Naturschutz, Heimatschutz, ökologische Technikkritik“ rechte Kernthemen gewesen, aber „ehe es sich die in der BRD zu Technokraten verkommenen ‚Konservativen‘ versahen, hatte man sie ihrer ‚Kronjuwelen‘ beraubt“. Und selbst die AfD „blieb diesbezüglich bisher blaß oder schlimmer“, das „ökologische Profil […] läßt enorm zu wünschen übrig“. Mit Rolf Peter Sieferle – Umwelthistoriker, der mit seinem beim „Verlag Antaios“ veröffentlichten geschichtsrevisionistischen Werk „Finis Germania“ posthum Schlagzeilen machte – wird den „modernen Konservativen“ bescheinigt aufgrund ihrer „Marktwirtschafts- und Industriegläubigkeit“ „Teil des Problems“ zu sein. Die pathetischen Formulierungen sind typisch für das ‚neurechte‘ Umfeld, ebenso wie die Selbstinszenierung als „Orientierungspunkt“ für ‚ursprünglichen‘ Konservatismus und einzige Kraft, die ‚echte‘ Änderung verspreche.
Nicht nur Naturschutz von rechts, sondern „Konservative Revolution“
Dass eine solche möglich sei, gibt man sich überzeugt: „Wir sind uns sicher: ‚Im Wesen der Gefahr verbirgt sich […] die Möglichkeit einer Kehre‘“. Hier wird Martin Heidegger zitiert, seines Zeichens Philosoph und von 1933 an NSDAP-Mitglied. Dieser sah eine Herrschaft der Technik über den ‚Weltgeist‘, die zu Entwurzelung und Heimatlosigkeit führe. An diese Kritik von Technik und Moderne docken Schick und Co. an. Sie selbst wollen nun eine nachhaltige Änderung erreichen. Auch hierfür wird Heidegger bemüht: Dieser nutzt den Begriff „Kehre“ – daher auch der Titel des Magazins – als eine wundergleiche Wendung des Weltgeschehens, die nur passieren könne, wenn die Gefahr die Menschen aus ihrer ‚Seinsvergessenheit‘ reißen würde. Im „Konzept“ des Heftes klingt das so: „Ungeachtet dessen sieht Heidegger die Möglichkeit zur Kehre, einem Einschwingen in das ‚anfänglich aus der Frühe Währende’, also einen Weg vom Ende der europäischen Geschichte zurück zu ihrem Anfang“. Das klingt nicht nur aus Versehen nach mehr als Umweltschutz, hier wird sich auf die Idee einer „Konservativen Revolution“ bezogen, in deren Tradition sich die vermeintlich ‚neue‘ Rechte – insbesondere auch das „Institut für Staatspolitik“ – sieht. Man wolle „dem Status quo eine konservative Utopie entgegenstellen, die sich auf das in der ‚Frühe Währende’ bezieht, denn der Status quo ist […] kein zu verteidigender Zustand, sondern ein unhaltbares Produkt dessen, wogegen sich Konservative zeitlebens gestemmt hatten“. Über „die Beantwortung der ökologischen Frage“ will die Zeitschrift eine „nachhaltige Abkehr vom status quo der Vernutzung der Bestände aller Art – ob gesellschaftlicher Institutionen, materieller Ressourcen oder harmonischer Landschaftsbilder“. An der Aufzählung lässt sich ablesen, dass es nicht nur um Pflanzen- und Tierschutz gehen soll, sondern eine Änderung der gesamten Gesellschaft.
Lange Tradition von rechtem Naturschutz
Man könne aber nicht einfach von einer rechten Vereinnahmung des Naturschutzes sprechen, betont Yannick Passeick von der „Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz“, „Es gibt auch eine rechte Traditionslinie des Naturschutzes, auf die sich hier bezogen wird und die wieder ins Gedächtnis gerufen werden soll“. So entstand die Natur- und Umweltschutzbewegung im 19. Jahrhundert aus einem konservativen und zivilisationskritischen Verständnis heraus. Man wandte sich gegen die Industrialisierung und verklärte frühere, ‚naturnahere‘ Zeiten. Dies ging meist mit völkischen und sozialdarwinistischen Auffassungen einher. Die Idee kulturell gewachsener Landschaften und der organischen Verbindung von „Volk” und Raum ist auch die Grundlage der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie. Die Grundstrukturen dieser Gedankengänge blieben auch nach 1945: So romantisieren rechte Akteure beispielsweise den „deutschen Wald“ und warnen vor nicht heimischen, gegebenenfalls ‚invasiven‘ Pflanzen- oder Tierarten. Mit vermeintlichen Naturgesetzen, die gleichermaßen für Menschen gälten, wird schnell biologistisch argumentiert. Aus der Verbindung von Heimat und Nation werden ethnopluralistische Schlussfolgerungen gezogen. Die grundsätzlich positive Wahrnehmung von Naturschutz wird von ihren rechten Vertreter*innen bewusst genutzt, um rassistische und sozialdarwinistische Thesen zu verbreiten.
Naturschutz als Heimat- statt Klimaschutz
Auch in „Die Kehre“ wird der Wert des Systems über den des Individuums gesetzt, wenn Ökologie „aus ganzheitlicher Perspektive“ betrachtet werden soll, die „auch Kulturlandschaften, Riten und Brauchtum, also auch Haus und Hof (Oikos) […] einschließt“. Unterm Strich ist dies nur eine typisch ‚neurechts‘ hochgestochene Version des unter Neonazis beliebten Slogans „Umweltschutz ist Heimatschutz“. Umwelt- und Naturschutz werden von rechts in erster Linie lokal und regional gedacht, es geht explizit gegen das global(isiert)e des Klimaschutzes. Das zeigt sich auch deutlich im ersten Heft der Zeitschrift. Mit Bezug auf rechte Naturschützer wie beispielsweise NSDAP-Mitglied Paul Schultze-Naumburg finden sich altbekannte Narrative rechter Ökologie: Die internationale Energiewende vor allem in Form von Windkraftanlagen wird als „Geschäft mit dem ‚menschengemachten Klimawandel‘ und der ‚Rettung des Weltklimas‘“ diskreditiert. Dem wird der lokale Artenschutz gegenübergestellt, sowie die vermeintliche Folge einer „Techniklandschaft […], die keinen Raum mehr zum freien Atmen läßt“.
Als „entscheidende Ursache der Umweltkrise“ wird Überbevölkerung in Szene gesetzt. Hier sieht Yannick Passeick anders als bei der AfD keine Leugnung des menschengemachten Klimawandels, sondern vielmehr eine Umdeutung: „Die Klimawandelfrage [wird] von der Ebene der Verantwortung des globalen Nordens oder Fragen nach Umverteilung auf die Bevölkerungszahl des globalen Südens umgeleitet.“ Auch in „Die Kehre“ wird die Forderung einer Stabilisierung der Weltbevölkerung auf niedrigerem Niveau zitiert. In der zitierten ‚Recherche‘ werden bis dahin, um einem erhöhten Ressourcenverbrauch im globalen Norden vorzukommen, sichere Grenzen als bester Umweltschutz verstanden.
„Die Kehre“ als Neuauflage von „Umwelt & Aktiv“
Damit bespielt „Die Kehre“ ein sehr ähnliches Feld wie die im Februar 2020 eingestellte „Umwelt & Aktiv“ (siehe auch „FARN“). Nach der Nennung in Verfassungsschutzberichten und erhöhter antifaschistischer Aufmerksamkeit sah man keine Zukunft mehr für das als Rundbrief vertriebene Magazin, kündigte aber ein Nachfolgeprojekt an. Unter der geschaffenen Domain „Oikos – Zeitschrift für Naturschutz“ wird direkt auf „Die Kehre“ weitergeleitet. Auch der neue Verlag in der sie erscheint heißt „Oikos“, sicherlich bewusst wurde nicht der NPD-nahe Verlag „Midgard“ der „Umwelt & Aktiv“ weitergenutzt. Darüber hinaus wirkt die Neuauflage professioneller und moderner, dadurch – und ohne die sperrige Faszination der älteren „Umwelt & Aktiv“ Macher*innen für germanische und nordische Mythen – auch anschlussfähiger.
Auch ohne Erfolg bleibt rechter Naturschutz eine Gefahr
Die große Ankündigung vom „Wiedererlangen der ‚Kronjuwelen‘, der Ökologie“ erscheint nichtsdestotrotz absurd blickt man auf die Reichweite: Werbung für das neue Magazin findet sich nur auf den Blogs von „Ein Prozent“ und „Sezession“, beide mindestens zu großen Teilen von Schick selbst verfasst. Und obwohl „Antaios“ betont, dass „Die Kehre“ von „Verleger Götz Kubitschek mit Wohlwollen betrachtet“ wird, finden sich bei Twitter gerade mal knapp über 400 Follower der Zeitschrift, bei Facebook sogar nur unter 100 (beides Stand 28.05.20).
Auch wenn angesichts dessen zu hoffen ist, dass ein größerer Erfolg ausbleibt, besteht Gefahr durch rechtsextreme Naturschutzbestrebungen. Durch ihren „ganzheitlichen“ Ansatz und vermeintlich unproblematische Themen wie Artenschutz kann die Zeitschrift auch demokratische Interessent*innen ansprechen und so subtil demokratiefeindliche und biologistische Narrative verbreiten. Das umso mehr, da mit dem momentan insgesamt viel besprochenen Themenfeld Naturschutz potenziell viele Menschen erreicht werden können. Daher ist es wichtig auch in Umwelt- und Naturschutz aufmerksam gegenüber rassistischen und antidemokratischen Argumentationen zu sein, und sie deutlich zu benennen. Gleichzeitig gilt es als Grundlage demokratie- und menschenrechtsstärkende Positionen zu fördern, wie es zum Beispiel die „Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)“ tut.