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Die „neue Rechte“ in der Bundesrepublik

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So präsentiert sich das Thule-Seminar 2015 im Internet, (Quelle: Screenshot)

„Neue“ contra „alte“ Rechte

Der Begriff „neue Rechte“ wurde Ende der achtziger Jahre von Claus Leggewie (1989) zur Charakterisierung der Republikaner benutzt, die 1989 bei der Abgeordnetenhauswahl in (West-) Berlin und bei der Europawahl desselben Jahres ihre ersten Erfolge feierten. Die damals von dem Populisten Franz Schönhuber geführte Partei sollte mit dieser Begrifflichkeit von der – damals erfolglosen – „alten Rechten“, vor allem von der NPD und der DVU, unterschieden werden. Mehr noch: Der Aufstieg der Republikaner wurde als Teil einer Europäisierung des Rechtsextremismus gewertet:

In den achtziger Jahren haben sich nämlich in Folge von Globalisierung, wachsenden Migrationsbewegungen, Massenarbeitslosigkeit, Abbau von sozialen Standards, Standortkonkurrenz und Verdrängungswettbewerb auf den Arbeitsmärkten die ökonomisch-sozialen und politisch-kulturellen Erfolgsbedingungen des Rechtsextremismus nicht nur in Deutschland, sondern in allen westeuropäischen Staaten wesentlich verbessert – und im übrigen auch einander angeglichen. Erwähnt seien die Erfolge der italienischen Allenanza Nazionale (AN), der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), des französischen Front National (FN), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) oder des belgischen Vlaams Blok (VB) (Stöss 2006).

Als charakteristisch für diesen „neuen“ Typ des Rechtsextremismus gelten das populistische Auftreten, die systemimmanente Praxis sowie die Abgrenzung gegenüber dem historischen Faschismus und seinen orthodoxen Nachlassverwaltern. Bald bürgerte sich dafür auch der Terminus „Rechtspopulismus“ ein (Decker 2004).

Der Begriff „neue Rechte“ steht also nicht nur für einen neuen Entwicklungsabschnitt des Rechtsextremismus, sondern auch für den damit verbundenen ideologisch-programmatischen Wandel. In diesem Sinne wurden in der Geschichte des bundesdeutschen Rechtsextremismus häufig neue Entwicklungen konstatiert. So berichtete das Bundesamt für Verfassungsschutz zwischen 1971 und 1977 regelmäßig über eine „neue Rechte“ und grenzte sie gegenüber der „alten Rechten“ ab. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1971 war von Gruppen die Rede, die den „bürgerlichen Konservatismus“ des rechtsextremen Lagers (gemeint war vor allem die NPD) verurteilten und neue Wege für eine mehr in die Zukunft gerichtete nationalistische Politik aufzuzeigen versuchten. Weiter hieß es in dem Verfassungsschutzbericht: Die „neue Rechte“ distanzierte sich nachdrücklich von den Veteranen der „alten Rechten“ und wolle sich nicht mehr als „Aushängeschild“ vor den „reaktionären Karren“ der „NPD-Clique“ spannen lassen. „Mit kernigen Sprüchen und treudeutschem Aussehen“ könne man keine nationale Revolution machen. Die „neue Rechte“ lehnte es ab, der Vergangenheit nachzutrauern und über den Untergang des Deutschen Reiches zu klagen. Sie sah sich als nationale Befreiungsbewegung und wollte den Status quo des geteilten Deutschlands durch eine nationale Revolution überwinden. Daher bezeichnete sie sich selbst auch als „Nationalrevolutionäre“ (Details bei Feit 1987).

Dass es im deutschen Rechtsextremismus zu allen Zeiten – auch in der Weimarer Republik und im Kaiserreich – einen Konflikt zwischen „alter“ und „neuer“ Rechter gab, ließe sich an weiteren Beispielen aufzeigen. Dafür ist hier jedoch kein Raum. Entscheidend ist, dass es dabei nicht um „alt“ oder „neu“, sondern um einen inhaltlichen Dissens zwischen Traditionalisten und Modernisierern bezüglich des Selbstverständnisses, der Ziele und Methoden des Rechtsextremismus geht.

Die „intellektuelle neue Rechte“

Die Diskussion über die analytische Tragfähigkeit des Begriffs „neue Rechte“ wurde durch die (vermeintliche) „Intellektualisierung“ des Rechtsextremismus belebt. Erinnert sei an die zeitweilig zum Synonym für „neue Rechte“ avancierte Zeitung „Junge Freiheit“. Als „neue Rechte“ galten aus dieser Perspektive die intellektuellen Vordenker der bundesdeutschen Rechten, unabhängig davon, ob sie rechtsextrem, nationalliberal oder neokonservativ orientiert sind. Es geht also nicht mehr um Konfliktlinien innerhalb des Rechtsextremismus, sondern um die Wirkung von Theoriedebatten, um die Rolle von Intellektuellen, um die Grenzen bzw. Beziehungen zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus und letztlich immer um die Frage: Was ist neu an der Neuen Rechten? Intellektuelle Vordenker, Theoriedebatten und Weltanschauungsliteratur gab es schließlich von Anfang an im Rechtsextremismus, und auch die Grauzone zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus ist steinalt (Stöss 2000).

Es war zunächst vor allem Wolfgang Gessenharter, der sich des Phänomens in begrifflicher Hinsicht annahm. Seine Ende der achtziger Jahre vorgetragene These von der „intellektuellen neuen Rechten“ als einem „Scharnier zwischen Neokonservatismus und Rechtsextremismus“ (Gessenharter 1989) wurde nicht nur in akademischen Zirkeln und Universitätsseminaren intensiv rezipiert, sie fand auch in den Massenmedien regen Widerhall und prägt die Diskussion bis heute. Gessenharter sieht in der „neuen Rechten“ eine Bewegung, ein eigenständiges, dem Rechtsextremismus nicht zuzurechnendes, Netzwerk (Gessenharter 2004), das auch als solches zu analysieren sei – gerade auch hinsichtlich seiner Beziehungen zum konservativen und zum rechtsextremen Lager. In dieser Dialektik macht er das „eigentlich Aufregende“ an der „neuen Rechten“ aus, zumal sie aus dieser Position heraus nachhaltig in die „Mitte der Gesellschaft“ hinein wirke, um ihre Vision einer „kulturellen Hegemonie“ zu realisieren (Gessenharter 1998).

Armin Pfahl-Traughber (1998) ordnet die „neue Rechte“ – anders als Gessenharter – dem Rechtsextremismus zu. Er kritisiert an Gessenharters Begriffsbestimmung die mangelnde Trennschärfe gegenüber Rechtsextremismus und Konservatismus und wirft ihm Verharmlosung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen vor, weil er die „neue Rechte“ als nicht-rechtsextrem bezeichnet. Tatsächlich würden sich viele der von Gessenharter genannten Vertreter der „neuen Rechten“ gegen fundamentale Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates richten und seien daher eindeutig als Gegner der Demokratie zu qualifizieren. Auf der anderen Seite berge Gessenharters Begriffsbestimmung die Gefahr, demokratische Konservative zu diffamieren, die sich zwar publizistisch in „zweifelhafte Gesellschaft“ begeben hätten, aber keine Gegner der Demokratie seien.

Thomas Pfeiffer (2004) nimmt in dieser Kontroverse eine vermittelnde Position ein: Er klassifiziert die „neue Rechte“ zwar ebenfalls als Bestandteil des Rechtsextremismus, weist ihr aber eine „Doppelfunktion“ als „Avantgarde des Rechtsextremismus und Brücke zur gesellschaftlichen Mitte“ zu. Als Bestandteile des Netzwerks gelten unter anderem die Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG), das Thule-Seminar und das Deutsche Kolleg sowie die Periodika „Junge Freiheit“, „Signal“ bzw. „nation24.de“, „Sleipnir“, die „Staatsbriefe“ sowie „Nation & Europa“.

Als Zentrum der europäischen „intellektuellen neuen Rechten“ gilt gemeinhin das 1969 von Alain de Benoist in Frankreich gegründete Groupement de Recherche et d’Etudes pour la Civilisation Européenne (GRECE) mit verwandten Studiengruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und England. Die bundesdeutsche Filiale ist das Thule-Seminar, sein Vordenker Pierre Krebs. Das ideologische Kernstück der „neuen Rechten“ ist der „Ethnopluralismus“. Er wird als Alternative zu „Universalismus“ oder „Egalitarismus“ ausgegeben und bedeutet eine Kampfansage an die Prinzipien der Aufklärung und an die Menschenrechte. Das Weltsystem des „Judenchristentums“ und des Marxismus – gemeint ist die Gleichheitslehre – sei die Rechtfertigung für den „größten Völkermord“ in der Geschichte. Pierre Krebs (1982: 14) schreibt dazu:

„Die Erde wurde ihrer Territorien beraubt, ihre Völker wurden entwurzelt. Sie stellt nur noch die Gemeinsamkeit von Handelszonen, von Verkehrsstraßen, von zerfließenden Austauschnetzen dar, die den Gesetzmäßigkeiten des Managements und des Marketings unterworfen sind. Der Mensch beherrscht nicht mehr einen Raum als Territorium, weil er von überall kommt, und somit von nirgendwo… Der Mensch gehört nicht mehr einem Ort, einer Herkunft, einer Geschichte und somit einer Kultur, einem Schicksal und einer Macht an.“

Krebs ruft zum „totalen Angriff … gegen alle totalitären Erscheinungen der Gleichheitslehre“ auf, gegen den Kraken, der „die Völker von innen anfrisst, indem er ihre Seele gegen die trügerische Sicherheit des materiellen Wohlstands“ eintauscht. Folglich klagt er das „Grundrecht auf Verschiedenheit“ ein:

„Denn durch seine Vermischung der Rassen, der Kulturen und Weltanschauungen beseitigt der Egalitarismus nicht nur die grundlegendsten Begriffe von Achtung und Toleranz, sondern darüber hinaus die Freiheit und das Grundrecht auf Verschiedenheit. (…) Im Namen der Toleranz macht sich die Lehre von der völligen Gleichheit der Menschen der denkbar größten Intoleranz schuldig, die darin besteht, die Verschiedenheit, Originalität und Besonderheit überall da systematisch zu zerstören, wo sie sich der Mühle der Gleichmacherei nicht fügen.“ (Krebs 1982: 25, 26)

Neu ist im Kontext des rechtsextremen Denkens, dass Rasse nicht mehr im althergebrachten biologischen Sinne verstanden wird und es auch nicht mehr um die Wertigkeit von Rassen geht, sondern um die Verschiedenartigkeit von Kulturen und um das vermeintliche Recht jedes Volkes auf seine Identität. Die Ideologie des Ethnopluralismus eignet sich besonders für die von Gessenharter betonte Scharnierfunktion der „neuen Rechten“, weil sie nationale Identität ohne Bezugnahme auf den klassischen Rassismus (ihrem Selbstverständnis nach sogar im Gegensatz dazu) rechtfertigt, weil sie ihre Fremdenfeindlichkeit als Deutschfreundlichkeit ausgibt und weil sie dafür auch noch ein humanitäres Anliegen in Anspruch nimmt: Die Menschen sollten nicht zu den Maschinen, die Maschinen sollten zu den Menschen gebracht werden.

Fazit

Das GRECE, das Thule-Seminar, die DESG und all die anderen Bestandteile des neurechten Netzwerks haben den Zenit ihrer Entwicklung längst überschritten. Denn der Grundgedanke des Ethnopluralismus findet sich mittlerweile mehr oder weniger kompakt in allen Programmen des europäischen Rechtsextremismus. Dies gilt insbesondere für das Bedürfnis nach nationaler Identität und völkischer Verwurzelung, für den Hinweis auf die Verschiedenheit der Ethnien und Kulturen und für die Forderung nach Bewahrung dieser Verschiedenheit (nach ihrer Isolierung gewissermaßen) und schließlich für die ethnozentristische Absicht, das eigene Volk über die anderen zu stellen („Deutschland den Deutschen“, „les francais d’abord“, „eigen Volk eerst“ etc.).

Außerdem wurde das Ziel der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft mittlerweile mit der sozialen Frage verknüpft. Dazu entwickelte die „neue Rechte“ jedoch keine wegweisenden Ideen. In Deutschland wurde die Antiglobalisierungskampagne von der NPD konzipiert und umgesetzt. Und diese Partei wird man kaum der „neuen Rechten“ zuordnen – welcher Sichtweise man auch immer folgt.

Die NPD ist gegenwärtig die einzige Gruppierung innerhalb des rechtsextremen Lagers, die das Konzept einer „kulturellen Hegemonie“ zielstrebig verfolgt. Ihr Versuch, als Gegenstück zur linken „Frankfurter Schule“ (Adorno, Horkheimer, Habermas u.v.a.) eine „Dresdner Schule“ zu etablieren, die „volkstreue Theoriearbeit“ leistet, war bislang zwar nicht sonderlich erfolgreich, zumal der ehemalige Vordenker der NPD, Jürgen Schwab, die Partei 2005 wegen ihres „intellektuellen Defizits“ verließ. Aber es ist den NPD-Ideologen doch gelungen, in das völkisch-nationalistische Parteikonzept eine kapitalismuskritische Dimension zu integrieren. Seither wettert die NPD gegen den „vaterlandslosen Raubkapitalismus“, gegen den „entarteten Monopolkapitalismus“, gegen den „menschenverachtenden und völkervernichtenden Liberalkapitalismus“, der Nationalstaaten und -kulturen zerstöre, um die „Weltdiktatur des großen Geldes“ zu errichten. Um den heraufziehenden „Völkerfrühling“ zu beschleunigen, behauptet die NPD, „Multikulti bedeutet Sozialabbau“, und setzt sich für „Arbeit statt Profite“, für die „Erhaltung des Sozialstaats“, „gegen Sozialabbau“ und für „soziale Gerechtigkeit statt Volksbetrug“ ein. Für die Entwicklung des Rechtsextremismus im Nachkriegsdeutschland kann die Verbindung von nationaler und sozialer Frage durchaus als programmatische Innovation gelten. Als „neu“ oder gar als besonders originell wird man diese Verbindung mit Blick auf die „Sozialisten“ in der NS-Bewegung aber kaum bezeichnen wollen.

Dieser Text wurde uns freundlicherweise von der Bundeszentrale für politische Bildung zur Verfügung gestellt

Erscheinungsdatum 17. Dezember 2007

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