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Die Spinnen, die Schweine Der antisemitische Zoo

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(Quelle: Unsplash)

Während des Nationalsozialismus erlebte der Hass auf Juden und Jüdinnen seinen mörderischen Höhepunkt, heute zeigt er sich in Angriffen auf Synagogen, Übergriffen auf Juden und Jüdinnen und verbrannten Israel-Flaggen. Aber Antisemitismus ist kein Phänomen des 20. und 21. Jahrhunderts, sondern hat eine uralte Geschichte in Europa. Juden und Jüdinnen wurden schon vor hunderten Jahren entmenschlicht, diskriminiert und verfolgt. Ein wichtiges Werkzeug dafür waren immer schon Tiervergleiche. Einige sind heute nur noch auf Statuen oder Wandmalereien zu finden, andere sind fester Bestandteil unserer Sprache geworden. Dabei werden antisemitische Denkstrukturen weitergetragen, ohne dass die Intention explizit antisemitisch sein muss.

Antisemitismus vereinfacht komplexe Probleme unserer Gesellschaft, indem sie auf Menschen projiziert werden. Dadurch kann es einen bekämpfbaren Feind geben, der auch nur aus Fleisch und Blut besteht. Es sind nicht mehr undurchdringbare kapitalistische Strukturen, auf die einzelne keinen Einfluss haben, oder auch die Einsamkeit und Melancholie einer neoliberalen Leistungsgesellschaft, der auch durch völkischen Rückzug nicht begegnet werden kann, sondern da sind plötzlich Menschen, die böse sind und im Hintergrund alles steuern. Samuel Salzborn fasst zusammen: „Die erschlagene Spinne verschafft dem Menschen ein Gefühl wiedererlangter Kontrolle und Sicherheit. Werden Menschen als Spinnen dargestellt, droht man ihnen mit demselben Los.“

Das heißt nicht, dass jeder Tiervergleich und jedes Tiersymbol antisemitisch ist.Trotzdem haben viele von ihnen einen antisemitischen Ursprung, deren Reproduktion vermutlich in vielen Fällen nicht der eigentlichen Intention entspricht. „Das Symbol funktioniert als kollektives Symbol ja überhaupt nur, wenn es unabhängig von der individuellen Intention als kommunikative Chiffre fungieren kann, also kollektiv geteilt wird“, so kritisiert Samuel Salzborn. Insofern ist es vielleicht an der Zeit, die Tiere aus politischen Kämpfen und persönlichen Beleidigungen einfach herauszulassen oder zumindest sich über den historischen Kontext bewusst zu werden.

Eulen und Schweine: Antisemitische Symbole in der Religion

Aus dem mittelalterlichen Christentum stammen Zeichnungen von Eulen mit seltsam menschlichen Gesichtern. Das liegt nicht etwa daran, dass Künstler:innen im Mittelalter nicht wussten, wie Eulen aussahen. Die Vögel waren ein antisemitisches Symbol für Juden und Jüd:innen. Eulen leben nachts und vermeiden das Licht. Sie wurden außerdem im Mittelalter mit dem Tod und mit Krankheit assoziiert. Im 12. und 13. Jahrhundert wurden Voglesymboliken im mittelalterlichen Buchgenre Bestiaire in England popularisiert. In diesem Genre wurden Tiere und Fantasiewesen an bestimmte Erklärungen und Charakteristika geknüpft. Mit diesen Parabeln sollte das richtige, christliche Leben erklärt und etabliert werden, indem Tiere in gut und böse aufgeteilt wurden. Die Eule galt als eines der schlechten Wesen. Durch die bildhaften Erzählungen konnten die Geschichten auch Analphabet:innen zugänglich gemacht werden. Der vorherrschende Antijudaismus, also eine religiöse Ablehnung des Judentums seit der Antike auf Grund des vermeintlichen Gottesmordes, sorgte dann für eine Verknüpfung der „bösen“ Eule mit dem Judentum. So wie die Eule das Licht meide, so würden die Juden auch das Licht Christi meiden. Der Schnabel sollte den Stereotyp einer jüdischen Hakennase abbilden. Durch die Parabel wurden zusätzlich Juden und Jüd:innen entmenschlicht und als Überbringer:innen der Nacht, von Tod und Krankheit dargestellt. Auch andere Vögel, wie Raben, Geier oder Papageien wurden in einem ähnlichen Kontext verwendet. Während beim Geier der Aspekt des Aasfressers in den Fokus gesetzt wurde, ging es bei den Raben eher um einen Antiintellektualismus, der die Intelligenz vieler intellektueller, oder assimilierter Juden und Jüd:innen mit Verschlagenheit verbinden sollte.

Heute ist das Bild der Eule als antisemitisches Symbol nicht mehr verbreitet. Vereinzelt finden sich jedoch noch antisemitische Darstellungen von Raben, Geiern oder Papageien. Die damit verknüpften Stereotype existieren weiterhin.

Eule aus dem Bestiaire (Quelle: Wikimedia)

Im Christentum werden Schweine mit Dämonen und Götzendienern in Verbindung gebracht. Im Judentum gibt es außerdem Nahrungsgebote, die das Essen von Schweinefleisch und näheren Kontakt zu ihnen verbieten. So ist es gleich doppelt beleidigend, Juden und Jüd:innen als Schweine oder Säue zu bezeichnen. Im zweiten Jahrhundert sollen Juden und Jüd:innen  bereits durch den seleukidischen König Antiochos IV. Epiphanes gezwungen worden sein, entgegen ihrer Religion Schweine zu opfern oder Schweinefleisch zu essen. Im 13. Jahrhundert wurden dann im Inneren von deutschen Kirchen und an den Fassaden sogenannte „Judensäue“ platziert. Also Schweine, die entweder im intimen Kontakt mit Juden und Jüd:innen dargestellt wurden, oder gleich mit ihnen vermischt wurden. Juden und Jüd:innen sollten dadurch entwürdigt werden und ihnen die „Gottähnlichkeit“ und damit die Menschlichkeit aberkannt werden. Die Unterstellung, Juden und Jüd:innen würden Ritualmorde durchführen sind oft eng mit diesen Bildern verknüpft. Die Statuen und Reliefs sind bis heute oft unkommentiert in Kirchen und an anderen Gebäuden zu finden. Die Nationalsozialist:innen griffen diese Bilder auf und verwendeten sie für ihre antisemitische Agenda. Das NS-Zentralorgan „Der Stürmer“ bezeichnete beispielsweise jüdische Gemeinden als „jüdischer Saustall“ und jüdische Männer in Beziehungen mit nicht-Jüdinnen mussten Schilder tragen, in denen sie als Schwein bezeichnet wurden. Bereits seit der Weimarer Republik beschimpften deutsche Rechte Politiker wie Walther Rathenau als „Judensau“. Heute machen sich Menschen bei Verwendung des Begriffs wegen Beleidigung strafbar. Er wird aber weiterhin verwendet oder auf Denkmäler und jüdisch konnotierte Orte geschmiert.

Kapitell aus St. Severin im Kölnischen Stadtmuseum (Quelle: Wikimedia, Elke Wetzig, CC BY-SA 3.0)

Affen: Verbindungen von Antisemitismus und Rassismus

Die Gleichsetzung von Menschen mit Affen ist aus dem Rassismus und Sozialdarwinismus bereits bekannt. Bereits im Mittelalter galt er als teuflisches Symbol und wurde in der Neuzeit mit Unehrlichkeit, Diebischkeit und Untreue verknüpft. Aber der Affe ist ebenso ein antisemitisches Symbol. Bereits 1819 bezeichneten die deutschen Publizisten Hartwig von Hundt-Radowsky und Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer Juden und Jüd:innen als Affen, um ihnen ihre Menschenrechte abzusprechen. Die Soziologin Monika Urban stellt in ihrem Buch zu judenfeindlicher Tiersymbolik fest: „Im 19. Jahrhundert dominiert eine Gleichsetzung von ‚Juden‘ und Orang-Utans. Diese Gleichsetzung rekurriert auf dem Darwin’schen Stufenmodell, in dem Affen eine Stufe tiefer in der Entwicklung anzusiedeln seien als der homo sapiens und zwischen dem Menschen und dem Tier eine distinkte Grenze gezogen wurde.“ Darwin benutzte besonders Orang-Utans exemplarisch für Menschenaffen. So sollte die Höherwertigkeit vermeintlich europäischer Völker erklärt werden. Juden und Jüd:innen wurde dabei eine Einwanderungsgeschichte aus afrikanischen Ländern unterstellt und die Menschlichkeit abgesprochen. Der „Stürmer“ griff diese Bilder unter anderem auf, indem er Charlie Chaplin als „Affen in Menschengestalt“ bezeichnete. Besonders an diesem Symbol zeigen sich die Querverweise zwischen Rassismus und Antisemitismus. Heute findet sich die Verknüpfung von Antisemitismus und Sozialdarwinismus vor allem in rechtsextremen Milieus. Der Affe selbst wird vornehmlich als rassistische Gleichsetzung verwendet, kommt aber auch noch in antisemitischen Kontexten vor. So zum Beispiel in einem Cartoon von Khalil Bendib von 2000, auf dem ein mit Davidstern gekennzeichneter Gorilla die Erde unterwirft.

Schlangen, Frösche und Kraken:  Tierische Verschwörungsideologien

Schweine, Geier und Affen wurden alle verwendet, um jüdische Menschen als niedere Wesen abzuwerten. Hierbei zeigt sich besonders der Antijudaismus und rassistische Antisemitismus. Der neuere, strukturelle Antisemitismus kommt aber ebenso wenig ohne die Tiervergleiche aus.

Die Verführung Evas durch die Schlange hat die Spezies als Sinnbild für das Böse im Judentum, dem Islam und dem Christentum verankert. Hinzu kommen die giftigen Zähne und ihr scheues Verhalten. Durch diese Eigenschaften symbolisiert sie oft Neid, Falschheit oder Zwietracht. Im 17. Jahrhundert wurden deshalb Juden und Jüd:innen, die nicht zum Christentum konvertieren wollten als heuchlerische Schlangen bezeichnet. Im 19. Jahrhundert wird diese Gleichsetzung unter anderem durch den nationalsozialistischen Vordenker Eugen Karl Dühring aufgegriffen, der Juden und Jüd:innen eine „Schlangennatur“ unterstellt. Gleichzeitig kommt das Narrativ des jüdischen Masterminds auf, das der christlichen „Wohltätigkeit“ gegenübergestellt wird. Auch hierfür wurde die Schlange als Symbol für Juden und Jüd:innen instrumentalisiert, die angeblich das „Mutterland“ von innen heraus vergiften wollen. Die vermeintliche Kontrolle und Gefahr im Verborgenen führte dazu, dass die Schlange noch heute verwendet wird, um die „jüdischen Weltverschwörung“ zu visualisieren, also die ideologische Vorstellung, Juden und Jüd:innen würden im verborgenen Medien, Politik und Geschichte kontrollieren.

Israel wird in Karikatur als Schlange dargestellt (Quelle: Screenshot Twitter @halal_problems)

Eine weiteres verwendetes Reptil ist der Frosch, welcher im 15. Jahrhundert durch sein Quaken als Symbol für Lügen und Untreue gilt und mit den sieben Plagen im alten Testament verbunden wird. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden diese Konnotation aufgegriffen und in antisemitischen Karikaturen giftspuckender Frösche verwendet, um die sogenannte „Judenpresse“ darzustellen. Die Redakteur:innen würden keine Quellen angeben und Falschmeldungen veröffentlichen, heißt es zum Beispiel in Verbindung mit solchen Karikaturen im „Stürmer” 1937. Der „Finanzkapitalismus“ wird durch jüdische Kapitalisten als aufgeblähte Kröten auf einem Geldhaufen dargestellt. Heute wird die Verknüpfung kaum noch gemacht. Erwähnenswert ist jedoch das Bild von Pepe dem Frosch, das von der Rechten als Identifikationsfigur in Kombination mit antisemitischen Karikaturen genutzt wird. Hier wird jedoch der Frosch selbst in der Regel nicht als jüdisch gelabelt.

Die Krake oder der Tintenfisch können mit ihren Tentakeln ihre Opfer einwickeln und vermeintlich überall gleichzeitig agieren. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden die beiden Meerestiere vermehrt verwendet, um eine überlegene Kontrollmacht darzustellen. Oft wurden sie dabei mit jüdischen Identifikationsmerkmalen und Stereotypen versehen. Der „Stürmer” zeigt beispielsweise einen blonden, deutschen Soldaten, wie er gegen eine Krake mit gebogener Nase kämpft. Die verschwörungsideologischen Grundgedanken der Krake als Symbol für die Macht im Verborgenen bietet Anschluss für strukturellen Antisemitismus in allen politischen Lagern. Sie wird deshalb immer wieder von verschiedensten Gruppen, auch ohne rechtsextreme Ideologie, als Symbol für Lobbyismus und „Finanzkapitalismus“ verwendet. Beispielsweise  2010 durch die Piratenpartei, 2014 durch die Süddeutsche Zeitung oder 2016 im Bayerischen Rundfunk. Die Verknüpfung von Verschwörungsideologien und verkürzter Kapitalismuskritik ist nicht neu.

Juden und Jüd:innen wurde im mittelalterlichen Europa verboten, Handwerksberufe auszuüben oder Land zu besitzen. Obwohl viele Juden und Jüdinnen in bitterer Armut lebten, genauso wie auch der Rest der Bevölkerung, machten einige aus der Not eine Tugend und wurden in der Finanzbranche aktiv. Zinsgeschäfte waren Christen eigentlich untersagt, deshalb werden seit dem Mittelalter Juden und Jüd:innen mit eben solchen assoziiert. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dann in gutes „schaffendes“ und schlechtes „raffendes“ Kapital geteilt, wobei letzteres sich eben auf solche Geldgeschäfte bezog. Diese Vorstellung von guten Arbeiter:innen und bösen Kapitalist:innen findet sich bis heute in der verkürzten Kapitalismuskritik. Das spiegelt sich auch in der Verwendung der Krake als Symbol wieder. Dabei wird die Krake selbst nicht mehr zwingend als jüdisch gelabelt, der Grundgedanke von inhärent bösen Menschen, die ihre Finger überall im Spiel haben, ist allerdings der gleiche und bedient strukturellen Antisemitismus.

Ratten, Mäuse und Spinnen: Von der Vergiftung des Volkes

Auch Ratten und Mäuse haben den Ursprung ihrer negativen Konnotation im Mittelalter, nachdem sie als Überträger der Pest vermutet wurden. Sie wurden deshalb häufig als Metapher für Auslöser von Unruhen, Hungersnöten und Kriegen verwendet, oder als Beschreibung eines religiös oder ethnisch abweichenden Feindes. In Fabeln werden sie bis heute als feige und hinterhältig portraitiert, wie sich zum Beispiel an „Wurmschwanz“ aus Harry Potter zeigt. Durch den Vergleich mit  Ratten und Mäusen werden Juden und Jüd:innen beschuldigt, Schaden und Krankheit zu verursachen. Besonders das Motiv der Plage und Stärke durch die Masse ist dabei zentral. Die Geschichte des Rattenfängers von Hameln aus 1284 wurde im 19. Jahrhundert in einem antisemitischen Bilderbogen umgedeutet, sodass der Rattenfänger die Stadt von Juden, anstelle von Ratten befreit. Sie laufen aus Börsen, Banken, Theatern oder Märkten und werden orthodox markiert. Ab dem 18. Jahrhundert symbolisieren die Ratten zusätzlich die Unterwanderung des Staates durch Juden und Jüd:innen, sowie durch Kommunist:innen und Sozialist:innen. Ihre angebliche Gier sei schuld am Untergang des Parlamentarismus. 1880 erklärt der deutsche Journalist und Anarchist Wilhelm Marr, die „Ratten“ würden wenn sie abwandern, ein „gequältes und ausgesogenes Volk“ hinterlassen. Im Nationalsozialismus fand die Gleichsetzung von Juden und Jüd:innen mit Ratten ihren Höhepunkt. Im nationalsozialistischen Propagandafilm „Der ewige Jude“ wird mit der Gleichsetzung die Vernichtung von Millionen von Juden und Jüd:innen gerechtfertigt. Auch in Hitlers „Mein Kampf“ symbolisieren die Ratten politische Gegner:innen. Damit wird den Verfolgten im Nationalsozialismus selbst die Schuld an ihrer Verfolgung gegeben. Heute wird die Ratte immer noch als antisemitischer Code verwendet, stellt der Politologe Timo Büchner in seiner Analyse rechtsextremer Musik fest.

Ähnliche Symbolik bedient die Spinne. Sie taucht in der Romantik als Kodifizierung für Auflauern und tödliches Gift auf. Vereinzelt wird sie aber bereits im 15. Jahrhundert mit dem Judentum assoziiert, das vermeintlich Nicht-Juden und -Jüd:innen einfangen will. Ende des 19. Jahrhunderts wird ihr zusätzlich Neid, Hinterlist und Tücke zugeschrieben. Christliche Medien werfen Anfang des 20. Jahrhunderts Juden und Jüd:innen vor, nicht-jüdische Zivilisation zu zersetzen. Und auch im Nationalsozialismus und in der Sowjetunion wird die Metapher vermehrt aufgegriffen. Hitler selbst erklärt, sie würde sich in den rassentheoretischen, nationalsozialistischen „Volkskörper“ einschleichen und das Blut aussaugen. Die Schwäche dieses imaginierten Volkskörpers sei es, Juden und Jüd:innen als vermeintlichen Fremdkörper zu dulden. Der „Stürmer” verwendet zudem die Karikatur der „Weltspinne“, um die „jüdische Weltunterjochung“ zu illustrieren. Alternativ wurde besonders im 15. und 16. Jahrhundert vermehrt der Skorpion mit ähnlicher Konnotation verwendet.

Auch heute werden beide Tiere noch in antisemitischen Kontexten verwendet. So stellte eine NPD-nahe Zeitung den jüdischen Investor George Soros als Spinne dar und betitelte ihn als „Migrationslobbyist“.

Heuschrecken, Parasiten und Ungeziefer: Juden und Jüd:innen als Plage

Noch deutlicher werden Bilder von Viren, Ungeziefer und Parasiten. Diese Erzählungen ziehen sich bis in die linksliberale Popkultur.

Die fleißigen Ameisen schuften das ganze Jahr, um Futter zu sammeln, das ihnen schließlich von einem Schwarm bösen Heuschrecken weggenommen wird, der sie mit eiserner Faust unterdrückt, um an der Macht in der Insektenwelt zu bleiben. Das ist der Plot von „Das große Krabbeln“, einem beliebten Kinderfilm aus den 1990ern. Am Ende tun sich die Ameisen gegen die Heuschrecken zusammen, schlagen sie in die Flucht und werfen den Anführer einem Rotkehlchen zum Fraß vor. Hinter der liebevoll animierten Geschichte steckt das, in der linken beliebte Narrativ der ausbeuterischen Eliten, die den erschöpften Arbeitern auch noch das letzte Korn wegfressen. Auch hier findet sich wieder die Aufteilung zwischen dem „schaffenden“ und dem „raffenden“ Kapital, also den Ameisen, die Futter schaffen und die Heuschrecken, die es an sich raffen, ohne zu arbeiten. Das macht den Film nicht automatisch zu einem antisemitischen Propagandafilm, aber er ist durch eben jene Bilder und Stereotype beeinflusst, die aus dem strukturellen Antisemitismus gewachsen sind und trägt sie damit weiter.

Vom 11. Jahrhundert an wurden Juden und Jüd:innen für Heuschreckenplagen verantwortlich gemacht, da sie durch ihren Glauben den Zorn Gottes auf sich ziehen würden. Im 14. Jahrhundert in mitteleuropa wurde bereits ein Pogrom an Juden und Jüd:innen durch Christ:innen in Folge dieses Narrativs überliefert. In der Moderne werden die Heuschrecken zum Symbol des Eindringlings und der unkontrollierbaren Massen. Dabei bezieht sich diese Analogie jedoch vor allem auf politische Gegner:innen, Landstreicher:innen, geflüchtete Menschen und Sinti:zze und Rom:nja. Im 19. und 20. Jahrhundert fügten sich dann die Aspekte der Arbeitsverweigerung, Raffgier und Gefräßigkeit hinzu und werden explizit mit Juden und Jüd:innen verknüpft. Die aggressive Sprache trägt zu zahlreichen Pogromen in skandinavischen, polnischen und russischen Ortschaften bei. Die Soziologin Urban stellt in ihrem Buch heraus, dass in dem Bild der Heuschrecke besonders deutlich alte, antijudaistische Stereotype mit rassistischen und neuen antisemitischen Narrativen zusammenfließen. Der „Stürmer” schreibt 1927: „Das jüdische Volk ist nicht bekannt als ein fleißiges, schaffendes Volk. Es hat noch nie Güter erzeugt. Noch nie hat es der Welt Werte geschenkt. (…) Es kann nie als selbstständiges Volk in einem selbstständigen Staat leben. Darum ist dieses von Gott verfluchte Volk gezwungen, durch die Welt zu wandern wie ein Heuschreckenschwarm.“ 1940 illustriert der antisemitische Propagandafilm „Jud Süss“ Juden und Jüd:innen ebenfalls als Heuschrecken. Der Antisemitismusbeauftragte der Stadt Berlin Samuel Salzborn erklärt: „Zum einen wurden Tier- und insbesondere Ungeziefer-Metaphern im Nationalsozialismus verwandt, zum anderen liegt in diesen Metaphern eine Entmenschlichung und zugleich eine implizite Vernichtungsandrohung – denn was sonst macht man mit Ungeziefer?“. Die Frage wirft auch ein Banner der Gewerkschaft Verdi auf einer Demo 2007 in München auf, auf dem „Börsenungeziefer” mit Gift besprüht wird.

Juden und Jüd:innen werden bei der Gleichsetzung mit Heuschrecken, Viren und Parasiten explizit als Plage dargestellt, die allein durch ihre Existenz zerstörerisch ist. Oft ist dieser Gedanke auch verbunden mit der Unterstellung, Juden und Jüd:innen wären nicht fähig, einen eigenen Staat zu gründen und würden sich deshalb in anderen Staaten „einnisten“: Ein Narrativ, das auch in der politischen Linken heute noch im Bezug auf Israel regelmäßig verwendet wird.

Antisemitische Infografik spricht Israel das Existenzrecht ab und betitelt Israelis als Kolonialist:innen ohne eigenes Land (Quelle: Screenshot Facebook International Indigenous Youth Council)

Haie: Aktuelle antisemitische Tiersymbole

Im Berliner Mietenkampf erscheint auf Demonstrationen regelmäßig eine Person mit einer Haimaske, der Geldscheine aus dem Maul fallen. Nun mag die Kritik an Berliner Mieten und Gentrifizierung zum großen Teil gerechtfertigt sein. Warum ist die Hai-Metapher trotzdem ein Problem? Samuel Salzborn erklärt, der Miethai habe die Dimension eines aggressiven Raubtiers, einer unkontrollierten, animalischen und genuin aggressiven Verhaltensweise, die suggeriert, dass ohne eine Vernichtung des Gegenübers man selbst einer zerstörerischen Drohung ausgesetzt sei.

Das Bild des gefährlichen Raubtiers gibt es in verschiedenen Formen schon länger. Beispielsweise wurden seit dem 19. Jahrhundert in Europa Wölfe, (Blut-)Hunde, Krokodile, Schakale, Hyänen, oder Füchse für antisemitische Propaganda instrumentalisiert. Sie sollen die vermeintliche Zerstörungswut von Juden und Jüd:innen darstellen. Diese Argumentation wurde verwendet, um Betroffenen unter dem Vorwand des Selbstschutzes ihre Rechte und politischen Befugnisse abzusprechen. Der deutsche Journalist Wilhelm Marr erklärte bereits 1879, dass die Natur der „Juden“ raubtierhaft sei und sie deshalb in ihren Befugnissen begrenzt werden müssten. Der „Stürmer” zeichnet Juden und Jüd:innen als heulenden Schakal und im antisemitischen Propagandafilm „Die Rothschilds“ von 1940 wird der Protagonist mit einem Schakal verglichen.

Das Bild von vielen kleinen Fischen gegen den großen Miethai, ist ebenso eine Vermenschlichung kapitalistischer Fehler und Problematiken, wie frühere Bilder der Wölfe, Heuschrecken oder Parasiten. Das Tier hat sich gewandelt, aber der Inhalt ist der gleiche. Auch wird zwar nicht explizit von Juden gesprochen, aber im sinne eines strukturellen Antisemitismus bleibt das antisemitische Moment erhalten.

Eine detaillierte Analyse von judenfeindlichen Tiersymboliken findet sich in dem Buch „Von Ratten, Schmeißfliegen und Heuschrecken: Judenfeindliche Tiersymbolisierungen und die postfaschistischen Grenzen des Sagbaren“ von Monika Urban, erschienen im Herbert von Halem Verlag (450 S.).

Foto Eule: Wikimedia/ Elke WetzigCC BY-SA 3.0

 

 

 

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