Am Donnerstagabend war Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer in Chemnitz, um beim „Sachsengespräch“ mit Bürger*innen über die aufgeheizte Situation in der Stadt zu sprechen. Allerdings wurde direkt vor dem Stadion wieder eine rechtsextreme Demonstration angekündigt. Anmelder war derselbe des angeblichen Trauermarsches am Montag, „Pro Chemnitz“. Dabei kam es zu Ausschreitungen von extrem gewaltbereiten Neonazis, die zum Teil Hitler-verehrend durch die Innenstadt gezogen waren. Für einige Stunden hatte der Staat sein Gewaltmonopol verloren. Was auch daran lag, dass 591 Polizeibeamt*innen 6.000 bis 8.000 Rechtsextremen gegenüberstanden. Doch aus diesem Desaster schien die Polizei Sachsen am Donnerstag gelernt zu haben, sie war deutlich besser aufgestellt. Allerdings hat das alles einen ziemlich faden Beigeschmack: Protestbündnisse, die spontan am Montag 1.500 Anti-Faschist*innen aus der Zivilbevölkerung auf die Straße von Chemnitz mobilisieren konnten, entschieden sich für Donnerstag nicht zu einer Gegendemonstration aufzurufen, da die Ereignisse am Montag gezeigt hätten, dass die Polizei nicht in der Lage und möglicherweise auch nicht gewillt sei, das leibliche Wohl der Protestler*innen zu schützen. Und so fühlte es sich am Donnerstag einfach falsch an, dass für den Besuch des Ministerpräsidenten beinahe alle polizeiliche Vorkehrungen getroffen wurden, der sich zum Teil bürgerlich-gebende rechtsextreme Mob mit etwa 800 Personen keine Gegenrede erfuhr und so in aller Ruhe die „Revolution“ planen konnte.
Und tatsächlich scheinen die rechtsextremen Treffen in Chemnitz, mögen es nun Demonstrationen oder angebliche „Trauermärsche“ sein, letztendlich das Ziel haben, Teilnehmer*innen zu vernetzen. So plante beispielsweise ein angeblich nur „besorgter“ Opa am Rande der Kundgebung mit einer kleinen Gruppe junger Hooligans vom CFC, welche Schritte als nächstes unternommen werden müssten, damit es nun endlich zum Umsturz des bestehenden Systems käme. Massenhaft wurden Visitenkarten ausgetauscht. „WfD“ (Wir für Deutschland), die stark in die Organisation der rechtsextremen Veranstaltungen miteingebunden sind, hat seine Unterstützet*innen bereits aufgefordert „jeden Donnerstag und Samstag nach Chemnitz zu fahren“.
Menschen, die vorher nur in flüchtlingsfeindlichen und islamfeindlichen Facebookgruppen miteinander interagiert haben, treffen in Chemnitz nun im Reallife aufeinander. Die Menschen, die von vielen als „besorgte Bürger*innen“ bezeichnet und in Chemnitz offenbar keine Berührungsängste zu offenen Neonazis haben, sind bereits soweit radikalisiert, dass sie es in ihrem Wahn als ihre Bürgerpflicht empfinden, etwas gegen die derzeitige Regierung zu unternehmen, wenn nötig auch mit Gewalt. Diese Menschen dürfen wir nicht als „besorgte Bürger*innen“ verharmlosen, denn auch sie sind, angespornt durch die Wellen an Fakenews, über angeblichen Massen an vergewaltigenden und tötenden Geflüchteten, zu Gewalt bereit.